Whistleblowing in der EU – Referentenentwurf des BMJ konkretisiert die EU-Richtline

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veröffentlicht am 27. Mai 2022 / Lesedauer ca. 5 Minuten
 
Der Fall Edward Snowden – einer der wohl bekanntesten Whistleblowing-Skandale unserer Zeit – hat nicht nur Spionagepraktiken von Geheimdiensten ans Tageslicht gebracht, sondern auch die Missstände im Umgang mit den Hinweisgebern aufdeckt. Die EU sah sich daher in der Pflicht, gemeinsame Mindeststandards zum Schutz solcher Hinweisgeber zu schaffen – sowohl zur Prävention und Abschreckung von Verstößen als auch als Anreiz für künftige Meldungen von Verstößen von öffentlichem Interesse.

  

    

Bereits 2019 hat die EU die sog. „Whistleblowing-Richtlinie” verabschiedet. Ihr grundlegendes Ziel ist der Schutz des Hinweisgebers vor Repressalien sowie die Schaffung einer einheitlichen Compliance-Kultur. Seit­dem hatten die Mitgliedstaaten bis zum 17. Dezember 2021 Zeit, die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Allerdings hat die große Mehrheit der Mitgliedstaaten die Frist ungenutzt verstreichen lassen und bislang eine Umsetzung in nationales Recht nicht vorgenommen. Da auch Deutschland zu diesen Staaten gehört – ein erster Gesetzesentwurf aus dem Jahre 2020 wurde durch die Union abgelehnt und trat daher nicht in Kraft – wurde von der EU-Kommission bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland rechtshängig gemacht.
 

Wann und in welchem Umfang die Mitgliedstaaten die Richtlinie umsetzen werden, bleibt also abzuwarten. Seit dem 13. April 2022 liegt jedoch in Deutschland ein neuer Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz vor, der nicht nur eine konforme Umsetzung vorsieht, sondern in einigen Punkten auch deutlich über die Vorgaben hinausgeht. War bereits die EU-Richtlinie selbst Anstoß für deutsche Unternehmen, sich intensiv mit dem Thema Whistleblowing und dem Vorhalten von Meldesystemen auseinanderzusetzen, so ist der nunmehr vorgelegte Referentenentwurf ein deutlicher Fingerzeig, umgehend interne Meldesysteme im Unternehmen zu implementieren und zu etablieren.
 

Zwar mag das bevorstehende Gesetzgebungsverfahren zu Anpassungen des Referentenentwurfs an der einen oder anderen Stelle führen; ein Trend wird sich aber voraussichtlich nicht nur verdeutlichen, sondern in einigen Punkten sogar verstärken: Der Schutz der Arbeitnehmer als Hinweisgeber gegenüber dem Arbeitgeber wurde bereits in den letzten Jahren in der Rechtsprechung immer stärker hervorgehoben und durch den Gesetzgeber wann immer möglich auch in das Gesetz übernommen. Daher ist davon auszugehen, dass die in dem Entwurf enthaltenen Anforderungen an den Arbeitgeber mit Blick auf Hinweisgeber aus den Reihen der eigenen Arbeit­nehmer so oder in ähnlicher Form, womöglich mit noch strengeren Voraussetzungen, in Zukunft umzusetzen sein werden. Hervorzuheben sind insbesondere:

 

Anwendungsbereich

Während der sachliche Anwendungsbereich der EURichtlinie lediglich ausgewählte, explizit aufgeführte Ver­stöße erfasst – etwa gegen europäische Umweltschutzvorschriften –, stellt der Referentenentwurf nun aus­drücklich strafbewehrte sowie bußgeldbewehrte Verstöße aller Art unter den Schutz des Gesetzes. Und zwar solche, die nach nationalem oder europäischem Recht dem Schutz der Rechte von Beschäftigten bzw. ihrer Vertretungsorgane dienen.
 

Meldesysteme

Nach § 12 des Entwurfs sind Arbeitgeber verpflichtet, eine Stelle einzurichten und zu betreiben, bei der Arbeit­nehmer – nicht zwingend anonym – aber unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität einen Verstoß mel­den können: eine sog. „interne Meldestelle”. Das gilt bis auf einige Ausnahmen für Arbeitgeber mit i.d.R. mindestens 50 Beschäftigten. Mehrere Arbeitgeber, die i.d.R. zwischen 50 und 249 Arbeitnehmer beschäf­tig­ten, können eine gemeinsame interne Meldestelle einrichten und sie zusammen betreiben. Das befreit den einzelnen Arbeitgeber jedoch nicht von der Pflicht zur Prüfung der Meldung über Ermittlung weiterer Infor­mationen bis zur Ergreifung angemessener Folgemaßnahmen, wie interne Untersuchungen. § 17 Abs. 2 Satz 2 des Referentenentwurfs sieht dazu insbesondere vor, dass die Rückmeldung des Arbeitgebers an den Hin­weisgeber die Mitteilung geplanter sowie bereits ergriffener Folgemaßnahmen und die Gründe dafür enthalten muss. Das stellt eine Verschärfung gegenüber der EU-Richtlinie dar, die lediglich eine Rückmeldung vorsieht.
 

Arbeitnehmer müssen jedoch nicht zwingend die ihnen vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten internen Meldesysteme nutzen. Nach § 7 des Entwurfs können Personen, die beabsichtigen einen Verstoß zu melden, vielmehr wählen, ob sie sich an eine solche interne oder eine externe Meldestelle wenden möchten. Zudem ist es dem Arbeitnehmer auch unbenommen, sich zusätzlich an eine externe Meldestelle, wie die BaFin oder das Bundeskartellamt zu wenden, wenn die interne Meldestelle das Verfahren etwa eingestellt hat.
 

Vor dem Hintergrund scheint es umso wichtiger zu sein, im Unternehmen allein aufgrund des bestehenden Eigeninteresses interne Meldesysteme zu schaffen und das Vertrauen der Mitarbeiter in sie zu stärken, um „im Falle eines Falles“ kurzfristig von etwaigen Verstößen oder auch bei etwaigen Falschmeldungen Kenntnis zu erlangen und gegebenenfalls selbst Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Gelangt eine Meldung an externe Meldestellen, die u. a. befugt sind, das Verfahren an zuständige Behörden zur weiteren Untersuchung abzu­geben, ist diese Chance vertan.
 

Schutz des Hinweisgebers

Hinweisgeber werden auch dann unter den Schutzbereich des Gesetzes fallen, wenn die von ihnen gemeldeten Informationen zwar objektiv falsch sind, der Arbeitnehmer aber Grund zu der Annahme hatte, die offengelegten Informationen entsprächen der Wahrheit.
 

Der Arbeitnehmer ist daher dem Arbeitgeber lediglich bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Falschmeldung zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Auch kann der Arbeitnehmer nicht für die Beschaffung oder den Zugriff auf gemeldete Informationen belangt werden, sofern das nicht eine eigenständige Straftat darstellt.

 

Der Referentenentwurf sieht demgegenüber jedoch vor, dass der Arbeitgeber Schadensersatz zu leisten hat, wenn er dem hinweisgebenden Arbeitnehmer Repressalien auch nur androht. Die Definition der Repressalien im Referentenentwurf als Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, die eine Reaktion auf eine Meldung oder eine Offenlegung sind und durch die der hinweisgebenden Person ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht bzw. entstehen kann, ist deutlich weitreichender, als das in der EU-Richtlinie der Fall ist. Der Entwurf sieht sogar die Vermutung einer Repressalie vor, wenn eine hinweisgebende Person nach einer Meldung oder Offenlegung eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit erleidet. Die Beweispflicht, dass es sich nicht um eine Strafmaßnahme aufgrund eines Hinweises handelt, trägt dann der Arbeitgeber. Der dem Arbeitnehmer eingeräumte Schutz im Referentenentwurf ist damit auch an dieser Stelle gegenüber der EU-Richtlinie weiter.
 
In einem solchen Fall handelt der Arbeitgeber zudem ordnungswidrig und muss mit einer Geldbuße von bis zu 100.000 Euro rechnen. Der Gesetzesentwurf konkretisiert die EU-Richtlinie also auch in Punkto Sanktionen.
 

Harmonisierung innerhalb der EU

Das Beispiel Deutschland macht deutlich, dass die von der EU angestrebte Harmonisierung des Schutzes von Hinweisgebern wohl nur bei grundlegenden Fragestellungen erreicht werden wird, nationalen Gesetzgebern aber v.a. zur Erweiterung des Anwendungsbereichs und des Schutzumfangs für Hinweisgeber Spielraum bleibt. Für international agierende Unternehmen wird die Errichtung eines einheitlichen Meldesystems, das den Anforderungen insbesondere aller EU-Länder gleichermaßen gerecht wird, dadurch deutlich erschwert. Da aus heutiger Sicht auch nicht absehbar ist, ob, wann und wie die übrigen EU-Länder die Richtlinie tatsächlich umsetzen, bleibt des Thema Whistleblowing sowie die Umsetzung von internen Meldesystemen v.a. für Global-Player weiter brisant.

Dr. Michael Braun referiert zum Thema „Whistleblowing in der EU”

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