Pillar 2: Der erste Entwurf für das deutsche Umsetzungsgesetz liegt vor

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zuletzt aktualisiert am 12. Januar 2024 | Lesedauer ca. 7 Minuten

 

 

Update: Durch den Beschluss des Bundesrates am 15. Dezember 2023 und die Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt am 27. Dezember 2023 wurde das deutsche Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Zum Überblick über das Gesetz »

 

 

Am 17. März 2023 hat das Bundesministerium der Finanzen einen ersten Dis­kus­si­ons­ent­wurf (Mindestbesteuerungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz-Entwurf, MinBestRL-UmsG-E) zur globalen Mindestbesteuerung nach der zweiten Säule (Pillar 2) des OECD-Zwei-Säulen-Konzepts veröffentlicht. Mit dem darin enthaltenen neuen Min­dest­steu­er­ge­setz (MinStG) soll die RICHTLINIE (EU) 2022/2523 DES RATES zur Ge­währ­leis­tung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Un­ter­neh­mens­­grup­pen und große inländische Gruppen in der Union vom 14. Dezember 2022 um­ge­setzt werden (mehr zur Richtlinie »).

 


HINTERGRUND

Die Pillar 2-Model Rules wurden durch die OECD im Dezember 2021 vorgestellt. Die Grundlage für die Um­setz­ung von Pillar 2 innerhalb der EU bildet die EU-Richtlinie, die am 12. Dezember 2022 beschlossen wurde. Die 26 EU-Staaten inkl. Deutschland sind zur Umsetzung der Richtlinie bis zum 31. Dezember 2023 in nationales Recht verpflichtet. Ab 2024 wird damit in der gesamten EU die Steuerbelastung für die Gewinne großer in­ter­na­tional tätiger Unternehmensgruppen mit mindestens einer Geschäftseinheit in der EU auf mindestens 15 Pro­zent gehoben. Dementsprechend findet die deutsche Mindeststeuer erstmalig für Geschäftsjahre mit Beginn nach dem 30. Dezember 2023 Anwendung (für die sog. Sekundärergänzungssteuerregelung grundsätzlich erst ab 2025). 

INHALT DES DISKUSSIONSENTWURFS

Der Diskussionsentwurf ist eng an die EU-Richtlinie angelehnt, was die Ermittlung der Mindeststeuer angeht (zu den bekannten Grundsätzen zur Mindeststeuerermittlung siehe Pillar 2: Die neue Welt der Min­dest­be­steu­erung | Rödl & Partner (roedl.de)). Bei der Bestimmung der Steuerpflicht und des Besteuerungsverfahrens geht Deutschland jedoch einen eigenen Weg. Insbesondere die über die EU-Richtlinie hinausgehenden neuen An­sätze des Diskussionsentwurfs betrachten wir genauer.

Steuerart

Ausweislich der Gesetzesbegründung handelt es sich bei der Mindeststeuer um eine eigenständige Er­trag­steu­er, die rechtsformunabhängig ist und zur Einkommen- und Körperschaftsteuer hinzutritt.

Steuerpflicht (§ 1)

Der Mindeststeuer in Deutschland unterliegen alle im Inland ansässigen Geschäftseinheiten, die einer Un­ter­neh­mensgruppe angehören, die einen Umsatz von mehr als 750 Mio. EUR in ihrem Konzernabschluss ausweist. Konkret findet die Mindeststeuer in einem Geschäftsjahr dann Anwendung, wenn die Umsatzerlöse der Un­ter­neh­mensgruppe in mindestens zwei der vier diesem Geschäftsjahr unmittelbar vorausgehenden Geschäftsjahre die Umsatzgrenze überschreiten. Entsprechend der Vorgaben der EU-Richtlinie sieht der Diskussionsentwurf eine Anwendung der Mindeststeuerregelungen nicht nur auf internationale, sondern – über die Pillar 2-Model Rules hinausgehend – auch auf große inländische Unternehmensgruppen vor. Gesetzestechnisch wird letztlich nicht zwischen inländischer und multinationaler Unternehmensgruppe unterschieden. Für Unterneh­mens­grup­pen mit untergeordneter internationaler Tätigkeit ist eine 5-jährige Steuerbefreiung zu Beginn ihrer Erfassung von der Mindeststeuer vorgesehen (§ 74). Diese setzt voraus, dass die Unternehmensgruppe in nicht mehr als 6 Steuerhoheitsgebieten über Geschäftseinheiten verfügt und die materiellen Vermögenswerte eine bestimmte Grenze nicht übersteigen.

Die deutsche Mindeststeuerpflicht erfasst dem Grunde nach zunächst alle inländischen Geschäftseinheiten ohne Differenzierung nach dem Erhebungsweg. Dies stellt auf den ersten Blick eine Abweichung zur EU-Richt­li­nie dar, in der differenzierte Regelungen für oberste, zwischengeschaltete oder in Teileigentum stehende Mut­tergesellschaften sowie sonstige Geschäftseinheiten getroffen werden. Über den jeweiligen Umfang der Be­steu­erung der erfassten Geschäftseinheiten ergibt sich jedoch schließlich ein Gleichlauf zur EU-Richtlinie.

Umfang der Besteuerung (§ 2)

Die Mindeststeuer setzt sich zusammen aus einem Primärergänzungssteuerbetrag, einem Se­kun­där­er­gänzungs­steuerbetrag sowie einem nationalen Ergänzungssteuerbetrag. 
  • Der Primärergänzungssteuerbetrag gem. der Primärergänzungssteuerregelung (PES) (§§ 8 – 10) betrifft die Muttergesellschaften einer Unternehmensgruppe, also die oberste Muttergesellschaft und ggf. vorhandene zwischengeschaltete bzw. in Teileigentum stehende Muttergesellschaften (sofern in Deutschland ansässig). Er stellt damit die Umsetzung der Income Inclusion Rule (IIR) aus den OECD Model Rules dar. Die PES folgt dem sog. „Top-Down-Ansatz”, d.h. betroffen ist grundsätzlich die in der Beteiligungshierarchie am höchsten stehende Muttergesellschaft. 
  • Der Sekundärergänzungssteuerbetrag nach der Sekundärergänzungssteuerregelung (SES) (§§ 11 – 14) kann grds. jede Geschäftseinheit betreffen und stellt eine Auffangregelung dar. Konkret findet die SES Anwendung in Fällen, in denen die Mindestbesteuerung nicht bereits durch die Anwendung einer PES (im Inland oder auf internationaler Ebene) sichergestellt wird. Insoweit wird hiermit die Undertaxed Profit Rule (UTPR) aus den OECD Model Rules umgesetzt. 
  • Mit dem vorgesehenen nationalen Ergänzungssteuerbetrag (§§ 79 – 82) (NES) sieht der Diskussionsentwurf auch die Einführung einer Qualified Domestic Minimum Top-up Tax (QDMTT) gem. den OECD Model Rules vor, die die Anforderungen an eine anerkannte qualifizierte Ergänzungssteuer im Sinne der EU-Richtlinie erfüllt. Er kann ebenfalls grds. jede Geschäftseinheit betreffen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Deutsch­land das Mindeststeuerpotential etwaiger inländischer niedrig besteuerter Geschäftseinheiten selbst und vorrangig vor anderen Staaten realisieren kann. Nach den OECD Model Rules muss die nationale Ergänzungssteuer in ausländischen Staaten angerechnet werden. Die Konstellation einer Niedrigbesteuerung im Inland dürfte jedoch letztlich nur in seltenen Fällen gegeben sein.

Besteuerungsverfahren

  • Im Mittelpunkt des nationalen Besteuerungsverfahrens steht die sog. Mindeststeuergruppe (§ 3), in der alle der Steuerpflicht unterliegenden Geschäftseinheiten verpflichtend zusammengefasst werden. Alle bei den Geschäftseinheiten der Mindeststeuergruppe ermittelten Ergänzungssteuerbeträge werden dem Grup­pen­­trä­ger der Mindeststeuergruppe zugerechnet, der alleiniger Schuldner der Mindeststeuer ist. Dies gilt un­ab­­hän­g­ig davon, um welchen Ergänzungssteuerbetrag es sich handelt (PES, SES und auch NES), ob außenstehende Anteilseigner bei einer Geschäftseinheit vorhanden sind und auch auf welcher Stufe die PES Anwendung fin­det (einbezogen wird also auch ein Ergänzungssteuerbetrag, der bei einer in Teileigentum stehenden Mutter­ge­sell­schaft ermittelt wird). Damit geht die deutsche Umsetzung der Mindeststeuer deutlich über die OECD- und EU-Vorgaben hinaus, die für die UTPR und die QDMTT eine Erhebung auf Ebene der betroffenen Ge­schäfts­einheit vorsehen. 
  • Die – damit sehr bedeutsame – Bestimmung des Gruppenträgers folgt einer vierstufigen Hierarchie: vorrangig ist die oberste Muttergesellschaft der Gruppenträger, wenn sie in Deutschland belegen ist. Ist dies nicht der Fall, wird auf eine nachgeordnete inländische zwischengeschaltete Muttergesellschaft zurückgegriffen, wenn sie Muttergesellschaft für sämtliche anderen inländischen Geschäftseinheiten ist. Ist der Gruppenträger auch danach nicht festgelegt, kommt der obersten Muttergesellschaft ein Bestimmungsrecht zu, das sie bis Ende des erstmaligen Anwendungsjahres auszuüben hat (aber auch widerrufen und anderweitig ausüben kann). Wird auch kein Gruppenträger benannt, fällt die Aufgabe schließlich der wirtschaftlich bedeutsamsten Einheit im Inland zu. 
  • Diejenigen Geschäftseinheiten der Mindeststeuergruppe, von denen dem Gruppenträger Er­gän­zungs­­steu­er­beträge zugerechnet werden, haften gesamtschuldnerisch für die Mindeststeuer des Gruppenträgers. Das Finanzamt kann also auch andere finanziell potente Geschäftseinheiten der Mindeststeuergruppe (auf den gesamten Betrag!) in Anspruch nehmen. Dies bereits dann, wenn die Mindeststeuer beim Gruppenträger nicht realisierbar erscheint. Im Innenverhältnis entstehen dann Ausgleichsansprüche gegenüber dem Grup­penträger.
  • Allein den Gruppenträger treffen auch die anderen Pflichten aus dem Steuerschuldverhältnis. Vorgesehen ist eine Steueranmeldung, in der der Steuerpflichtige bzw. der Gruppenträger die Mindeststeuer selbst zu be­rech­nen hat. Für die Steueranmeldung gelten die allgemeinen Vorschriften. Eine Erleichterung der Straf- und Bußgeldvorschriften für die Steueranmeldung ist (noch) nicht enthalten. Es bleibt zu hoffen, dass dies ent­sprech­end der in den Safe Harbour Leitlinien der OECD aus Dezember 2022 für den Mindeststeuerbericht vorgesehenen ‘transitional penalty reliefs’, die über die Öffnungsklausel gem. Art. 32 auch in die EU-Richt­linie Eingang finden, noch nachgebessert wird. Diese Erleichterung soll immer dann gelten, wenn Un­ter­neh­men angemessene Maßnahmen ergriffen haben, um ihren Verpflichtungen nachzukommen.
  • Um den Verpflichtungen zum internationalen Informationsaustausch nachkommen zu können, ist daneben auch eine Pflicht zur Erstellung eines sog. Mindeststeuerberichtes vorgesehen (§§ 67 f.). Damit wird der GloBE Information Return der OECD Model Rules umgesetzt, der in der EU-Richtlinie als Ergänzungssteuer-Erklärung bezeichnet wird (Art. 44 Abs. 2). Hier greift die Pflichtenverlagerung innerhalb einer Min­dest­steu­ergruppe auf den Gruppenträger als spezifisch deutsche Regelung nicht durch. Die Pflicht zur Abgabe des Mindeststeuerberichtes verbleibt – wie international vorgegeben – grundsätzlich bei jeder einzelnen Ge­schäfts­einheit. Dies gilt nicht, wenn die Pflicht von der obersten Muttergesellschaft oder einer von ihr be­auf­trag­ten Geschäftseinheit im jeweiligen Belegenheitsstaat erfüllt wird und (bei ausländischer Belegenheit) eine Vereinbarung zum automatischen Austausch von Mindeststeuerberichten zwischen Deutschland und dem Belegenheitsstaat besteht (aktuell noch nicht vorhanden, auch nicht zwischen EU-Staaten). Es ist ein Bußgeld vorgesehen, wenn der Mindeststeuerbericht nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig ab­ge­ge­ben wird. Fehlerhafte Abgaben sind demgegenüber nicht bußgeldbewehrt. Die Höhe und etwaige Er­leich­te­run­gen in der Einführungsphase der Mindestbesteuerung sind noch nicht festgelegt. 

Vereinfachungsvorschriften

Vor dem Hintergrund der in der EU-Richtlinie vorgesehenen Öffnungsklausel im Hinblick auf die Safe Harbour-Leitlinien der OECD, enthält der Diskussionsentwurf inhaltlich mit den von der OECD am 20. Dezember 2022 veröffentlichten Safe Harbour-Leitlinien übereinstimmende Vereinfachungen (§§ 75 ff). Zusätzlich sieht der Diskussionsentwurf auch eine dauerhafte Safe-Harbour-Regelung in Bezug auf anerkannte nationale Er­gänz­ungssteuern vor (§ 71). Demnach soll eine anerkannte ausländische nationale Ergänzungssteuer den Steu­er­er­höhungsbetrag für diese Jurisdiktion auf 0 Euro abschmelzen. Dies soll nicht nur im Verhältnis zu EU-Staaten, sondern auch bei Drittstaaten-Sachverhalten Anwendung gelten. Voraussetzung ist, dass der Ermittlung der na­tionalen Ergänzungssteuer ein anerkannter Rechnungslegungsstandard der obersten Muttergesellschaft oder die IFRS zugrunde liegen. Und schließlich findet sich eine ebenfalls dauerhafte Regelung zur vereinfachten Be­rechnung bei unwesentlichen Geschäftseinheiten (§ 72). Letztere wurde von der Wirtschaft vehement gefordert. Es ist erfreulich, dass der Gesetzentwurf insoweit eine spürbare Entlastung bringt. 

ERSTES FAZIT

Der Gesetzentwurf ist gemessen an seiner immensen Bedeutung für betroffene Unternehmen mit 89 Pa­ra­gra­fen noch kompakt geraten. Von der Gesetzesbegründung hätte man sich angesichts stattlicher 164 Seiten mehr erwartet. Hier wird zur Ermittlung der Mindeststeuer weitgehend nur Bekanntes zur EU-Richtlinie oder den OECD Model Rules wiederholt. Wer zusätzliche Guidance für seine vielen Fragen bei der konkreten Umsetzung im Unternehmen erhofft hat, wird überwiegend enttäuscht. Wichtige spezifisch deutsche Themen wie eine an­ge­mes­sene Transformation der Pillar 2-Vorgaben für die Mitunternehmerbesteuerung, insbesondere zu Son­der­betriebseinnahmen/-ausgaben und Ergänzungsbilanzen, werden vollständig ausgeklammert. So bleiben die Un­ter­nehmen weiterhin mit vielen offenen Zweifelsfragen, Unsicherheiten und Unbilligkeiten konfrontiert. Es steht zu befürchten, dass deren Klärung erst weit nach der Erstumsetzung erfolgen wird. 

Der deutsche Sonderweg der Mindeststeuergruppe bezweckt laut der Gesetzesbegründung eine Vereinfachung und Zentralisierung des Steuerverfahrens. Das ist sicherlich richtig, den größten Vorteil daraus zieht allerdings die Finanzverwaltung. Dies geht zulasten des Gruppenträgers, der noch über das international erforderliche Maß hinaus mit Steuerzahlungen und Pflichten belastet wird, die wirtschaftlich von anderen Grup­pen­mit­­glie­dern verursacht werden. Besonders problematisch ist dies, wenn der Gruppenträger nicht eine (unmittelbare oder mittelbare) Muttergesellschaft ist, sondern im Falle der Benennung nur lose mit anderen Gruppenmitglie­dern in einem weitverzweigten Konzern verbunden ist. Unbeantwortet bleibt die Frage, wie solche Steu­er­zah­lun­gen vom Gruppenträger finanziert werden können, ohne weitere Steuerbelastungen auszulösen. Hier bedarf es dringend der Zulassung einer steuerneutralen Möglichkeit, die Steuerlast entsprechend der wirtschaftlichen Verursachung intern in der Gruppe verteilen zu können. 

Völlig unerfüllt bleibt vorerst die Hoffnung, durch Einführung der Mindeststeuer eine Entlastung bei anderen Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung zu erfahren, z.B. Ausnahme von der Hinzurechnungsbesteuerung. Auch die längst fällige Absenkung des Niedrigsteuersatzes bei der Hinzurechnungsbesteuerung auf 15 Prozent wird in dem Diskussionsentwurf nicht thematisiert.

Der Gesetzentwurf ist ausdrücklich als „Diskussionsentwurf” bezeichnet. Das nährt die Hoffnung, dass das BMF tatsächlich bereit ist, die sicherlich sehr zahlreich eingehenden Hinweise aus der Wirtschaft und von Steu­erexperten zu berücksichtigen. Dass dafür nur eine Frist von einem Monat gesetzt wurde, ist für alle Ak­teu­re, die sich für eine notwendige Verbesserung einsetzen, sehr „sportlich”, wenn man bedenkt, dass das BMF seit Anfang 2022 an dem Gesetzentwurf gearbeitet hat. 
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