Maßnahmen gegen Sanktionsumgehungen im 11. EU-Sanktionspaket – Folgen für Sanktions-Compliance Anforderungen

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veröffentlicht am 7. August 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten
 
Am 23. Juni 2023 hat der Europäische Rat das 11. Paket mit wirtschaftlichen und individuellen Sanktionen gegen Russland verabschiedet. Der Fokus dieses Pakets liegt auf der wirksameren Durchsetzung und Umsetzung der Sanktionen sowie auf der weiteren Bekämpfung und Verhinderung der Umgehung von Sanktionen.  

 


Das 11. Sanktionspaket umfasst zusammengefasst die folgenden Punkte:

  • Handelsbeschränkungen: Es wird ein neues In­strument zur Bekämpfung der Umgehung von Sanktionen ge­schaffen, das sich nun direkt gegen Drittländer richtet, bei denen ein hohes Risiko im Zusammenhang mit Sanktionsum­gehung besteht. Zusätzlich beschlossen wurden unter anderem Verbote für die Durch­fuhr be­stimmter sensibler Waren durch Russland sowie weitere Verschärfungen von verschiedenen güterbezogenen Beschrän­kungen
  • Transportbeschränkungen: Umfassen Be­schrän­kungen für Lkw mit russischen An­hängern sowie den Zugang bestimmter Schiffe zu EU-Häfen
  • Energiepolitische Maßnahmen: Bezogen auf den Import und Export von Öl, insbesondere wird es für Deutschland und Polen nicht mehr möglich sein, russisches Öl über Pipelines zu beziehen
  • Zusätzliche Listungen. Mehr als 100 weitere Personen und Einrichtungen wurden in EU-Sanktionslisten aufgenommen
  • Zusätzliche Klarstellungen. Insbesondere wurden die Kriterien für die Aufnahme in die Sanktionsliste sowie Ausnahmeregelungen und Befreiungen für verschiedene Beschränkungen angepasst und präzisiert
  • Weitere Maßnahmen. Ausweitung der Verbote für bestimmte Medien auf fünf zusätzliche Kanäle und weitere Einschränkungen in Bezug auf Informationsaustausch und Bericht­er­stattung.
Gerade die Einführung neuer Arten der Bekämpfung von Sanktionsumgehung ist ein wichtiger Schritt zur effektiveren Adressierung von Personen und Unternehmen, deren Handlungen zur Finanzierung und Unter­stützung der russischen Aggression beitragen und die sich von den bisherigen Sanktionsregelungen nicht haben abschrecken lassen. Bereits das letzte EU-Sanktionspaket vom Februar 2023 hat neben neuen Eintra­gungen auf Sanktionslisten sowie Handels- und Finanzsanktionen im Wert von mehr als 11 Milliarden Euro, Maßnahmen zur Bekämpfung der Umgehung von Sanktionen durch die Einbeziehung von Drittländern ange­kündigt. Es wurden jedoch im Ergebnis keine konkreten Maßnahmen in diesem Zusammenhang genannt. Das wurde nun durch die Schaffung des neuen „Instruments zur Bekämpfung der Umgehung von Sanktionen“ im 11. Sanktionspaket nachgeholt und sollte gerade von Unternehmern, die bisher in russlandnäheren Staaten wie Kasachstan oder den Vereinigten Arabischen Emiraten Geschäfte betrieben haben, keinesfalls ignoriert werden.
 
Des Weiteren könnte das neue Sanktionspaket potenziell auch zu neuen internationalen Diskussionen oder sogar politischen und handelsbezogenen Konflikten führen, da das Konzept der Umgehung von Sanktionen und die extraterritoriale Anwendbarkeit von EU-Gesetzen unterschiedlich ausgelegt werden könnten. Insbesondere das Thema Sekundärsanktionen ist grundsätzlich rechtlich und politisch kritisch anzusehen. Anders als die „gewöhnlichen“ Primärsanktionen richten sich Sekundärsanktionen nicht direkt gegen designierte Personen, sondern gegen all diejenigen, die mit den direkt sanktionierten Personen Geschäfte machen. Unternehmen, die mit sanktionierten Personen zu tun haben oder ihnen helfen, die EU-Sanktionen zu umgehen, riskieren, eben­falls auf Sanktionslisten gesetzt zu werden oder von anderen wirtschaftlichen oder rechtlichen Sanktionen ge­troffen zu werden. Das bedeutet, dass die EU-Sanktionen quasi extraterritorial angewendet werden können – außerhalb der EU und gegen Personen aus Drittländern, welche von der EU sanktionierte Personen oder Sanktions­umgehungen unterstützen. Eine extraterritoriale Anwendung von Vorschriften ist jedoch bereits seit längerem als völkerrechtlich bedenklich angesehen. Es sind damit nicht nur Gegenmaßnahmen der betroffenen Drittländer gegen die EU (Gegensanktionen) denkbar, sondern auch eine allgemeine Beeinträchtigung der Außenpolitik und diplomatischen Beziehungen zu vielen Staaten. Eine solche Entwicklung wäre auch für private Akteure wie Unternehmen nicht folgenlos: Mehr Unsicherheit auf dem internationalen Markt und neue Risiken von Sanktionsverstößen für Nicht-EU-Tochtergesellschaften von EU-Unternehmen sind nur zwei der denkbaren Konsequenzen. Es ist jedoch auch erwähnenswert, dass die USA bereits seit vielen Jahren das Prinzip der Sekundärsanktionen anwenden. Das wird ebenfalls kritisch gesehen und sorgt für erhebliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit US-Sanktionen. Da der Rest der Welt jedoch stark vom US-Finanzsystem und vom Zugang zum US-Dollar abhängig ist, wurden sie bisher faktisch akzeptiert. 
 
Der praktische Verlauf des internationalen Handels war ein weiterer wichtiger Anlass für die Verschärfung der Sanktionsbeschränkungen und den Fokus auf Verhinderung von Umgehungsmöglichkeiten: Nach den jüngsten Handelsstatistiken ist der EU-Handel mit Russland seit dem russischen Krieg in der Ukraine zwar deutlich zurückgegangen, jedoch ist der EU-Handel mit Drittländern und der Handel zwischen Drittländern und Russland statistisch gesehen stark angestiegen ist. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, sind die deutschen Ausfuhren in die Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) (ohne Russland) von Januar bis April 2023 gegenüber Januar bis April 2021 stark gestiegen. Von Januar bis April 2023 wurden Waren im Wert von 2,9 Milliarden Euro in die GUS-Staaten exportiert. Die Ausfuhren in diese Länder stiegen um 1,5 Milliarden Euro und haben sich damit gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorkriegsjahres 2021 (1,4 Milliarden Euro) mehr als verdoppelt (+106,4 Prozent). Es ist daher inzwischen unübersehbar naheliegend, dass einige Unternehmen ihre Aktivitäten in Bezug auf das ehemalige Russlandgeschäft auf russlandnahe Dritt­staaten verlegt haben. Das kommt Russland zugute, welches die Waren, die das Land zur Aufrechterhaltung seiner Wirtschaft benötigt und die ursprünglich aus der EU kamen, weiterhin aus Drittländern beziehen kann. Für in der EU ansässige Unternehmen bedeutet es, dass das Risiko von Geschäften mit Drittländern nicht unterschätzt werden darf und die potenziell lukrative Lieferung sanktionierter Waren beispielsweise nach Usbekistan schwer als kluge Geschäftsentscheidung angesehen werden kann.

Empfehlungen

Obwohl die Inhalte des 11. Sanktionspakets wie bei den vorherigen Paketen nur mit kurzem Vorlauf bekannt ge­geben wurden, ist es in Kraft getreten und muss von Unternehmen eingehalten werden. Dementsprechend ist es entscheidend, die wichtigsten Inhalte zu kennen und darauf vorbereitet zu sein, den Geschäftsbetrieb falls nötig anzupassen. Das ist besonders wichtig für Unternehmen aus Drittländern, da Regelungen des neuen Sanktionspaket erstmalig direkt auf sie abzielen. Zu den wichtigen praktischen Aspekten der kurzfristigen Änderungen der Rechtslage durch die Sanktionspakete gehört auch, dass der Handel mit bestimmten Waren plötzlich zu einem Sanktionsverstoß werden kann, wenn z.B. die Waren während des Transports als sank­tioniert eingestuft werden, obwohl sie zum Zeitpunkt des Kaufs nicht sanktioniert waren. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass die Waren während des Transports in einem Transitland zurückgehalten werden, was zu ent­sprechenden finanziellen Einbußen und auch Strafverfahren führen kann.
 
Auch um den Vorwurf der Beteiligung an einer Sanktionsumgehung zu vermeiden ist es entscheidend, die be­stehenden Sorgfaltspflichten einzuhalten. Unabdingbar ist die regelmäßige Überprüfung der eigenen Ge­schäfts­partner, Kunden und Lieferanten auf Einträge in den sich ständig erweiternden Sanktionslisten. Aber auch rechtliche Analysen, ob Geschäftsaktivitäten möglicherweise als Umgehung von Sanktionen angesehen werden könnten, sind nicht zu vernachlässigen. Die Implementierung von unternehmensinternen Compliance-Systemen, die regelmäßige Überprüfung von Sanktionslisten, die Aktualisierung interner Richtlinien, die Durch­führung von Sanktionsrisikobewertungen und die Förderung der tatsächlich gelebten Compliance-Kultur im Unternehmen sind Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche und risikominimierte Navigation durch die aktuell komplexe Rechtslage. Wie die Europäische Kommission bereits betont hat, ist die Einhaltung handelsbezogener Sanktionen nicht auf Banken und Finanzinstitute beschränkt, die möglicherweise Zahlungen entgegen von Sanktionsverboten abwickeln, sondern liegt in der Verantwortung sämtlicher Wirtschaftsbeteiligter.
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