Die Vereinbarung der VOB/B als Ganzes – Vorteile und Fallstricke

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veröffentlicht am 1. August 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten

In der baurechtlichen Praxis begegnet man oftmals der irrtümlichen Annahme: „Es handelt sich um einen VOB/B-Vertrag” oder „Wir haben die VOB/B vereinbart”. Auf die Nachfrage, ob im Vertrag tatsächlich nur die VOB/B einbezogen und daneben keine weiteren Abreden, beispielsweise zu Abrechnungs- oder Zahlungsmodalitäten getroffen oder Allgemeine Geschäftsbedingungen in den Vertrag einbezogen wurden, lautet die Antwort häufig: „Doch”. Dass in diesen Fällen die Privilegierung der VOB/B entfallen kann und die gesamten vertraglichen Regelungen, auch die Regelungen aus der VOB/B, einer AGB-rechtlichen Wirksamkeitskontrolle unterliegen, ist meist nicht bekannt.

 

 

 

 

Die Privilegierung der VOB/B

Die VOB/B enthält Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen und soll als ausgewogenes Klauselwerk die Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer möglichst gleichermaßen berücksichtigen. Aus diesem Grund wird die VOB/B durch § 310 Abs. 1 S. 3 BGB privilegiert. Es heißt dort:

„In den Fällen des Satzes 1 finden § 307 Absatz 1 und 2 sowie § 308 Nummer 1a und 1b auf Verträge, in die die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist, in Bezug auf eine Inhaltskontrolle einzelner Bestimmungen keine Anwendung.”

Dies gilt jedenfalls ausweislich des Verweises auf Satz 1 der Vorschrift für die Verwendung der VOB/B im unternehmerischen Rechtsverkehr. Privilegierung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine individuelle Klauselkontrolle anhand der §§ 307-309 BGB unterbleibt. Besonders seit den weitreichenden Änderungen des BGB-Bauvertragsrechts ist dies von besonderer Relevanz, da so mögliche Widersprüche zwischen der VOB/B und dem BGB vermieden werden können.

 

Abweichungen von der VOB/B – Wegfall der Privilegierung

Das ändert sich, sobald der Vertrag oder diesem beigefügte Allgemeine Geschäftsbedingungen von der VOB/B abweichende inhaltliche Regelungen enthalten, selbst wenn sie noch so unbedeutend wirken und den Vertragsschließenden gar nicht bewusst sind. Begründet wird dies mit einem Eingriff in das sonst vorhandene ausgeglichene Gefüge der VOB/B.

 

Beispiele aus der Rechtsprechung hierfür sind

  • Eine Regelung, die Einheitspreise für fest und unveränderbar erklärt (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2023 – VII ZR 34/20). Hierin liegt eine Abweichung von § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B.
  • Eine Regelung, nach der der Auftraggeber Abschlagszahlungen von bis zu 90 Prozent der nachgewiesenen Leistungen zu leisten hat (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2023 – VII ZR 34/20). Hierin liegt eine Abweichung von § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B.
  • Eine Regelung, wonach die Leistung ab einer Auftragssumme von 10.000,00 Euro förmlich abzunehmen ist (vgl. LG Heidelberg, Urt. v. 10.12.2010 – 3 O 170/10). Hierin liegt eine Abweichung von § 12 Abs. 5 VOB/B.
  • Eine Regelung, nach der der Auftragnehmer eine Bürgschaft auf erstes Anfordern als Sicherheit zu stellen hat (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 13.12.2007 – 12 U 1498/07). Hierin liegt eine Abweichung von § 17 Nr. 4 S. 3 VOB/B.
  • Eine Regelung, nach der die Gewährleistungsfrist 6 Werktage nach Beginn der Benutzung des Werks durch dessen Besteller, spätestens mit dem Einzug in das errichtete Haus beginnt (vgl. OLG Celle, Teilurt. v. 18.12.2008 – 6 U 65/08). Hierin liegt eine Abweichung von § 12 Abs. 5, 13 Abs. 4 Nr. 3 VOB/B.

 
Die Privilegierung entfällt auch, wenn die Parteien im Werkvertrag vereinbaren, dass die VOB/B nur insoweit anwendbar ist, wie im Vertrag hiervon nicht abgewichen wird (vgl. LG Bremen, Urt. v. 18.12.2020 – 2 U 107/19).


Strittig ist, ob die Privilegierung der VOB/B auch dann entfällt, wenn im Vertrag von Öffnungsklauseln der VOB/B Gebrauch gemacht wird und z.B. eine andere als die in § 13 Abs. 4 VOB/B vorgesehene Verjährungsfrist vereinbart wird (so z.B. OLG Dresden, Beschl. v. 13.12.2007 – 12 U 1498/07).

 

AGB-rechtliche Inhaltskontrolle

Entfällt die Privilegierung, findet eine Inhaltskontrolle anhand der §§ 307-309 BGB statt. Eine solche Prüfung kann dazu führen, dass einzelne Bestimmungen des Vertrages, auch der VOB/B, zu Lasten des Verwenders unwirksam sind. Verwender der AGB ist bei einem gegenseitigen Bauvertrag derjenige, der die Einbeziehung der VOB/B verlangt hat und damit zumeist derjenige, der den Vertragstext vorlegt bzw. vorgibt.


Wenn die Privilegierung entfällt, führt das nicht nur dazu, dass die von der VOB/B abweichenden oder diese ergänzenden Regelungen einer AGB-Inhaltskontrolle unterliegen, sondern auch dazu, dass die aus der VOB/B unverändert in den Vertrag aufgenommenen Regelungen ebenfalls dieser Kontrolle unterliegen. Dies bedeutet, dass eine Regelung bei der Vereinbarung der VOB/B als Ganzes wirksam sein kann, während dieselbe Regelung bei der kleinsten inhaltlichen Abweichung von der VOB/B an ganz anderer Stelle unwirksam wird.

 

Beispiele unwirksamer VOB/B Klauseln im Fall einer Inhaltskontrolle

Besonders praxisrelevant ist § 2 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B. Dort ist vorgesehen, dass Leistungen, die der Auftragnehmer ohne Auftrag oder unter eigenmächtiger Abweichung vom Auftrag ausführt, nicht vergütet werden. Diese Regelung benachteiligt den Auftragnehmer bei der Verwendung durch den Auftraggeber unangemessen, wenn dadurch auch gesetzliche Ansprüche, etwa aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus dem Bereicherungsrecht, ausgeschlossen werden.

In der Praxis ebenfalls erheblich ist die Unwirksamkeit der Regelung des § 1 Abs. 3 VOB/B, wenn diese durch den Auftraggeber verwendet wird. Dort ist vorgesehen, dass es dem Auftraggeber vorbehalten bleibt, Änderungen des Bauentwurfs anzuordnen. Die Vorschrift lässt damit eine Beschränkung auf dem Auftragnehmer zumutbare Änderungen vermissen und die Änderungsbefugnis des Auftraggebers grenzenlos bestehen.

Nach überwiegender Ansicht hält auch § 12 Abs. 5 VOB/B einer Klauselkontrolle bei der Verwendung durch den Auftragnehmer nicht stand, wenn die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart wurde. § 12 Abs. 5 VOB/B regelt die Abnahmefiktion und verstößt gegen § 308 Nr. 5 BGB, da darin eine Erklärung – hier die Abnahme durch den Auftraggeber – bei Unterlassung einer bestimmten Handlung fingiert wird. 

Auch eine potenzielle Unwirksamkeit des § 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B ist in der baurechtlichen Praxis von Relevanz, soweit der Auftragnehmer Verwender des Klauselwerks ist. Durch das Hinauszögern der prüffähigen Aufstellung einer Schlussrechnung lässt sich die Fälligkeit und damit auch die Verjährung des Vergütungsanspruchs hinausschieben. Es ist dadurch möglich, dass die Fälligkeit des Werklohns erst im Jahr nach der Abnahme eintritt und sich die Verjährung des Vergütungsanspruchs um ein Jahr verlängert.

Die vorstehenden Beispiele sind nicht abschließend und im Einzelnen umstritten, aber sie zeigen: Bei Verlassen der VOB/B als Ganzes durch die Vereinbarung zusätzlicher oder diese modifizierende Regelungen kann es ungewollt auch zur Unwirksamkeit einzelner VOB/B Regelungen kommen.

 

Es erfolgt eine dreistufige Prüfung

  • Wurde die VOB/B als Ganzes vereinbart? Weicht das vertragliche Regelwerk auch nur im Geringsten von der VOB/B ab?
  • Falls ja: Wer ist Verwender der AGB?/Wer hat die Einbeziehung der VOB/B verlangt?
  • Im Streitfall erfolgt dann eine individuelle Klauselkontrolle mit der Frage: Hält die streitbefangene Klausel einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle stand?

 

Fazit

Das Vorstehende verdeutlicht, dass die Vereinbarung der VOB/B die rechtliche Sicherheit eines ausgewogenen Klauselwerks nur dann mit sich bringt, wenn sie „als Ganzes” vereinbart wurde, wobei bereits auch vermeintliche Kleinigkeiten diese Privilegierung verhindern können. 

Es empfiehlt sich deshalb entweder die VOB/B tatsächlich als Ganzes zu vereinbaren und auf modifizierende Regelungen gänzlich zu verzichten oder, insbesondere sofern man selbst Verwender des vertraglichen Klauselwerkes ist, eine rechtliche Prüfung vornehmen zu lassen, um Risiken entsprechend zu minimieren.

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