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zuletzt aktualisiert am 26. Oktober 2022 | Lesedauer ca. 3 Minuten
Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt und wird auch vor dem Kündigungsschutzgesetz – konkret dem Betriebsbegriff – nicht Halt machen. Der vorliegende Beitrag behandelt die Frage, inwieweit das betriebsübergreifende Arbeiten in der Cloud die Grenzen des Betriebes verwischt und möglicherweise einen Gemeinschaftsbetrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne entstehen lässt.
Arbeiten in einer Cloud bedeutet, dass ein Unternehmen mit mehreren Betrieben auf einem Server alle wichtigen Daten bereithält und jeder Arbeitnehmer eines jeden Betriebes von überall auf diese Daten zugreifen kann. So besteht die Möglichkeit, dass übergreifende Projekte einfach gemeinsam bearbeitet werden. Problematisch erscheint in dem Fall, ob sich die klassischen Betriebsgrenzen so aufrecht erhalten lassen.
Bislang wird der Begriff Betrieb im klassischen Sinne definiert. „Ein Betrieb liegt vor, wenn es sich um eine organisatorische Einheit handelt, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinem Arbeitnehmer durch Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Erforderlich ist ein Leitungsapparat, um insbesondere in personellen und sozialen Angelegenheiten wesentliche Entscheidungen selbstständig treffen zu können.” (BAG Urteil vom 2. März 2017 – 2 AZR 427/16) Ein Unternehmen kann daher mehrere Betriebe haben, aber auch nur aus einem Betrieb bestehen. Die Definition des Betriebsbegriffes ist in vielen arbeitsrechtlichen Bereichen wichtig, v.a. auch bei der Frage, was eigentlich beim Kündigungsschutz gilt. § 23 KSchG stellt wortwörtlich auf den „Betrieb” ab.
Das bestätigt auch der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in stetiger Rechtsprechung: „Der allgemeine Kündigungsschutz ist nicht konzernbezogen, sondern betriebs-, allenfalls unternehmensbezogen ausgestaltet.” Das ist die Regel, von der es fast keine Ausnahmen gibt.
Kündigungsschutzrechtlich bedeutet das, dass für die Frage der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf die Arbeitnehmerzahl im Betrieb – nicht im Konzern oder Unternehmen – abgestellt werden muss. Liegt die Arbeitnehmerzahl unter „mehr als 10 Arbeitnehmern” ist das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar, mit der Folge, dass die Kündigungsbeschränkungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht gelten und „grundlos” ein Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gekündigt werden kann. Diese Regelung dient dem Schutz von Kleinbetrieben.
Eine Ausnahme von der Regel galt bislang, wenn kündigungsschutzrechtlich 2 oder mehrere Betriebe einen sog. Gemeinschaftsbetrieb bildeten.
„Von einem Gemeinschaftsbetrieb mehrerer selbstständiger Unternehmen ist auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Wesentliches Indiz ist die einheitliche Ausübung der Arbeitgeberfunktion in sozialen und personellen Angelegenheiten. Darauf kann geschlossen werden, wenn eine organisatorische, personelle und technische Verknüpfung vorliegt, ein Austausch von Arbeitnehmern vorhanden ist und übergreifender Personaleinsatz erfolgt.” (BAG Urteil vom 10. April 2014 – NZA 2015,162)
Komplexer gestaltet sich die Frage, ob kündigungsschutzrechtlich ein Gemeinschaftsbetrieb bei Filialen, Geschäftsstellen und Zweigstellen vorliegt.
Filialen, Zweigstellen und Geschäftsstellen sind immer dann unselbstständig, wenn bei ihnen direkt keine wesentliche arbeitsrechtliche Befugnis angesiedelt ist. Eine räumliche Einheit ist für den Betriebsbegriff nicht wesensnotwendig. Andersherum können Filialen, Zweigstellen und Geschäftsstellen eigenständige Betriebe sein, wenn eine eigene institutionelle Leitung vorhanden ist.
Betrachtet man die dargestellten Voraussetzungen eines Gemeinschaftsbetriebes erscheint fraglich, ob der klassische Betriebsbegriff aufrecht erhalten werden kann oder ob durch das Anbieten einer Cloudlösung das Entstehen des Gemeinschaftsbetriebes die Folge ist. Mit der Digitalisierung der Arbeitsprozesse wird sich auch die Arbeit verändern. Es werden Cloudlösungen zur Verfügung gestellt werden, die dazu führen, dass Arbeitnehmer – gerade aus unterschiedlichen Niederlassungen in Deutschland – gemeinsam auf einer Plattform arbeiten können. Insbesondere übergreifender Personaleinsatz und auch -austausch können so stattfinden.
Den ersten Entscheidungen der Arbeitsgerichtbarkeit – die in der Zukunft sicherlich kommen werden – ist mit Spannung entgegenzusehen. Fest steht, dass wohl der klassische Betriebsbegriff in weiten Bereichen des Arbeitsrechts durch die Digitalisierung schwer aufrecht zu erhalten ist. Mit dem Arbeiten in der Cloud kann ein Gemeinschaftsbetrieb geschaffen werden. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes an sich, sondern auch auf die Frage der weitreichenderen Beschäftigungsmöglichkeit und der Sozialauswahl. Arbeitgeber sollten das bei der Einführung von Cloudlösungen im Hinterkopf behalten und sich dabei auch arbeitsrechtlich begleiten lassen.
Ina-Kristin Hubert
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Associate Partner
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