Influencer den Handelsvertretern gleichgesetzt: Handels- und arbeitsrechtliche Implikationen in Italien

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 22. Juli 2024 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Das Arbeitsgericht Rom hat in seinem Urteil vom 4. März 2024 (Rechtssache 38445/2022) Influencer, die dauerhaft und kontinuierlich für ein Unternehmen arbeiten, mit Handelsvertretern gleichgesetzt. Dies ist ein beispielloses Urteil mit Folgen in vielerlei Hinsicht
 
  

Der Tatbestand

Die Klägerin, eine im Online-Handel mit Nahrungsergänzungsmitteln tätige Gesellschaft, hatte verschiedene Personen, darunter sogenannte Influencer, damit beauftragt, ihre Produkte in den sozialen Medien zu bewerben, und ihnen einen individuellen Rabattcode zur Verfügung gestellt, den sie mit ihren Followern teilen sollten. Gemäß der vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Gesellschaft und den Influencern, hatten diese Anspruch auf ein festes Honorar für die Veröffentlichung von Inhalten und auf eine prozentuale Vergütung für jede Nutzung ihres Rabattcodes durch die Verbraucher.

Im Rahmen einer Prüfung bei der Gesellschaft, kam die Enasarco -die nationale Zusatzrentenkasse für Handelsagenten und Vertreter- zum Schluss, dass die Rechtsverhältnisse zwischen dem Unternehmen und den Influencern als Agenturverträge gemäß Artikel 1742 des italienischen Zivilgesetzbuches zu qualifizieren seien, und forderte zur Zahlung der ihr geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge sowie Bußgelder in Höhe von 70.264,94 Euro auf.

Das Unternehmen legte gegen diese Maßnahme Beschwerde ein. 

Das Urteil des Arbeitsgerichts Rom 

Der Handelsvertretervertrag wird von den Artikeln 1742 ff. des italienischen Zivilgesetzbuches geregelt: Es handelt sich um einen Vertrag, bei dem "eine Partei auf Dauer die Aufgabe übernimmt, für die andere gegen Entgelt den Abschluss von Verträgen in einem bestimmten Bereich zu fördern". 

Nach einer kurzen Darstellung der wesentlichen Merkmale des Handelsvertretervertrags und insbesondere dessen, was ihn von der gelegentlichen Geschäftsvermittlung (Procacciatore d’affari) unterscheidet -nämlich die Kontinuität und Stabilität der Tätigkeit des Handelsvertreters und der Tätigkeit der Influencer-, stellte der Gerichtshof folgendes fest:
  • Im vorliegenden Fall lagen dauerhafte und nicht nur gelegentliche Rechtsverhältnisse vor. Die Verträge mit den Influencern waren nämlich von unbestimmter Dauer, und die Enasarco wies zudem anhand von Provisionsabrechnungen und der systematischen Ausstellung von Rechnungen für die durch ihre Marketingtätigkeit vermittelten Geschäfte nach, dass die Rechtsverhältnisse seit mehreren Jahren bestanden;
  • der Zweck des Vertrags mit dem Influencer war nicht nur Marketing, sondern der Verkauf der beworbenen Produkte an die Follower des Influencers. Das Vorhandensein eines individuellen Rabattcodes (eine sehr gängige Praxis), der nur über die Social Media Seiten des Influencers zu erreichen ist, bedeutet, dass diese Bestellung direkt auf den Influencer zurückgeführt werden und die Bestellung daher als direkt von ihm vermittelt angesehen werden kann. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts ist für die Zwecke der "Förderung und des Abschlusses von Verträgen" ein Kausalzusammenhang zwischen der Werbetätigkeit des Vertreters und dem Abschluss des Geschäfts ausreichend, die tatsächliche Suche nach dem Kunden oder eine Handlung mit vorgegebenem Inhalt (wie z. B. Marketing oder die Vorbereitung von Verträgen), sei hingegen nicht als wesentlich anzusehen; 
  • "Die fehlende Zuweisung eines bestimmten Gebiets kann das Vorliegen eines Handelsvertretervertrags nicht ausschließen" (Kassationsgerichtshof 18303/2007), und unter einem "bestimmten Gebiet" ist jedenfalls nicht nur das geografische Gebiet zu verstehen, sondern auch der Teil des Marktes, der bei Influencern durch die Gemeinschaft der Follower bestimmt wird;
  • Es ist unerheblich, dass Influencer nicht die Empfänger von Richtlinien und Anweisungen sind, da der Markt in der Internetwelt hochgradig standardisiert ist und der Kauf mit einem "Klick" zu Standardbedingungen erfolgt;
  • Das Fehlen der Exklusivität gemäß Artikel 1743 des italienischen Zivilgesetzbuches ist unerheblich, da die Exklusivität kein wesentliches Element des Handelsvertretervertrags ist und von den Parteien durchaus abbedungen werden kann.

Auf dieser Grundlage hat das Arbeitsgericht das Vorliegen der typischen Elemente eines Handelsvertretervertrags gemäß den Artikeln 1742 ff. des Zivilgesetzbuchs bestätigt.

In Anbetracht der obigen Ausführungen erscheint es angebracht, die notwendigen Anforderungen an Influencer bzw. Handelsvertreter und Unternehmen, die sich solcher Personen bedienen wollen, hervorzuheben und auf allgemeine Vorsichtsmaßnahmen hinzuweisen, die jedoch von Fall zu Fall beurteilt werden sollten, um Sanktionen oder Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

Handelsrechtliche Implikationen​

Um die Erlaubnis zur Ausübung der Handelsagenten/-vertretertätigkeit zu erhalten, muss die betreffende Person bestimmte Anforderungen (moralische und berufliche Voraussetzungen) erfüllen und die Aufnahme der Tätigkeit bei der zuständigen Handelskammer anzeigen. Die moralischen Anforderungen, die der Handelsvertreter kumulativ erfüllen muss, sind: Er muss im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sein, darf nicht für Straftaten gegen die öffentliche Verwaltung verurteilt worden sein, darf nicht mit einem Berufsverbot belegt oder entmündigt worden sein und darf nicht in Konkurs gegangen sein. Die beruflichen Anforderungen hingegen sind alternativ: (i) ein Sekundarschulabschluss mit kaufmännischer Ausrichtung oder ein Abschluss in kaufmännischen oder juristischen Fächern oder eine andere geeignete Qualifikation; (ii) die erfolgreiche Teilnahme an einem spezifischen, von der Region anerkannten Berufslehrgang; (iii) eine mindestens zweijährige Tätigkeit im Bereich Handel/Verkauf.

Diese Anforderungen sind für alle Formen der unternehmerischen Tätigkeit unerlässlich: als natürliche Person, als Einzelunternehmen oder in Gesellschaftsform.  

Die Handelskammer prüft die Erfüllung der Voraussetzungen und die abgegebenen Eigenerklärungen. Darüber hinaus prüft sie mindestens alle fünf Jahre, ob die Voraussetzungen für die Tätigkeit weiterhin erfüllt sind.

Die Ausübung der Tätigkeit eines Handelsagenten/-vertreters, ohne Anzeige des Tätigkeitsbeginns unter Nachweis der notwendigen Voraussetzungen, wird gemäß Artikel 9 des Gesetzes 204/85 mit einer Verwaltungssanktion von 516,00 € bis 2.065,00 € und gemäß Artikel 2630 des italienischen Zivilgesetzbuches mit einer Sanktion von 103 € bis 1.032 € geahndet. Es wird darauf hingewiesen, dass dieselbe Sanktion für Auftraggeber gilt, die einen Agentur- oder Handelsvertretungsvertrag mit einer Person abschließen, die nicht über die entsprechende, durch Eintragung in das Handelsregister bescheinigte Voraussetzungen verfügt (Artikel 9 L. 204/85).

Die Gleichsetzung von Influencern mit Handelsvertretern, sofern sie nicht über die notwendigen Voraussetzungen verfügen, hat daher zur Folge, dass der Abschluss von Handelsvertreterverträgen gemäß Artikel 1472 des italienischen Zivilgesetzbuches für beide Parteien nicht straffrei möglich ist. Hinzu kommt das Problem der Nichtzahlung der Enasarco-Beiträge durch beide Parteien. 

​Arbeitsrechtliche Implikationen​

Alle an einen Handelsvertreter gezahlten Provisionen (unter Ausnahme der Erstattung von Spesen) unterliegen der Beitragspflicht gegenüber der Enasarco.

In Fällen wie dem Vorliegenden führt die Neueinstufung des Rechtsverhältnisses automatisch zur Auslösung der Beitragspflicht zuzüglich Zinsen und Sanktionen.

Es sei weiterhin darauf hingewiesen, dass der derzeitige Satz für Handelsvertreter von Einzelunternehmen oder Personengesellschaften 17 Prozent beträgt, wovon die Hälfte (8,5 Prozent) vom Unternehmer und die andere Hälfte vom Vertreter getragen wird. Der Enasarco-Satz im Falle eines Handelsagenten/-vertreter, der mittels einer Kapitalgesellschaft tätig ist, beträgt 4 Prozent, wovon 3 Prozent auf den Auftraggeber und 1 Prozent auf den Handelsvertreter entfallen.
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