Verdachtsberichterstattung

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​​​​​​​​​veröffentlicht am 9. Oktober 2024 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Produktfehler, Steuerhinterziehung, Verstöße gegen Sanktionsbestimmungen oder gegen das Kartell- und Wettbewerbsrecht, gegen Umweltschutzbestimmungen oder andere Straftaten gehören zum Zeitgeschehen. Darüber zu berichten ist Aufgabe der Medien. Überwiegend wird hierüber jedoch schon zu einem Zeitpunkt berichtet, an dem der Sachverhalt nicht feststeht, sondern nur ein entsprechender Verdacht im Raum steht. Ob über solche Verdachtssituationen identifizierend berichtet werden darf, entscheidet sich nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung.​​​​


Wird über einen schlichten Verdacht öffentlich berichtet, greift dies in die Rechte des Betroffenen erheblich ein. Der Betroffene wird in das Licht der Öffentlichkeit gezerrt, obschon noch nicht feststeht, ob der Vorwurf zutrifft. Die öffentliche Äußerung eines Verdachts ist für den Betroffenen sehr belastend. Bei jeder Verdachts­äußerung besteht die Gefahr einer öffentlichen Vorverurteilung. Und die Lebenserfahrung zeigt, irgendetwas bleibt immer hängen.

Medien haben die Aufgabe, über das Zeitgeschehen zu berichten, wozu auch die erwähnten Situationen gehö­ren. Dabei muss es den Medien auch möglich sein, nur über das Bestehen eines Verdachts zu berichten, da sie ansonsten ihrer Funktion als Wachhund der Öffentlichkeit nicht gerecht werden könnten. Viele Affären wären nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, hätten die Medien nicht über entsprechende Verdachts­si­tua­tio­​nen berichtet und durch solche Veröffentlichungen Druck ausgeübt, die Angelegenheit aufzuklären. Zu denken ist beispielsweise an das berühmte Beispiel der Watergate-Affäre.

Weil die öffentliche Berichterstattung über einen schlichten Verdacht einen erheblichen Eingriff in die Inter­essensphäre des Betroffenen darstellt, hat die Rechtsprechung strenge Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtsberichterstattung entwickelt. Eine Verdachtsberichterstattung ist nur zulässig, wenn folgende Voraus­setzungen erfüllt sind:

  1. Es muss ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegen, der für den Wahrheitsgehalt der Information (des Verdachts) spricht und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleiht.
  2. Es muss sorgfältig recherchiert worden sein, wozu auch gehört, dass der Betroffene mit den Vorwürfen (dem Verdacht) umfassend und konkret konfrontiert wurde und ihm Gele​genheit zur Stellungnahme gegeben wurde.
  3. Ferner darf nicht vorverurteilt berichtet werden. Die Berichterstattung muss vielmehr ausgewogen sein.
  4. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

Ist auch nur eine der genannten Voraussetzungen nicht hinreichend erfüllt, ist die Verdachtsberichterstattung unzulässig. Kann ein Medienunternehmen im Streitfall beispielsweise nicht nachweisen, dass ein Min­​dest­be­stand an Beweistatsachen vorliegt, ist eine gleichwohl erfolgte Berichterstattung rechtswidrig.

Unzulässig ist eine Berichterstattung auch dann, wenn nicht hinreichend recherchiert, insbesondere wenn dem/den Betroffenen keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Liegt eine Stellungnahme des/der Betroffenen vor, ist diese selbstverständlich in der Berichterstattung angemessen zu berücksichtigen. Entspre­chendes gilt auch der Erfüllung der weiteren Voraussetzung, dass die Berichterstattung nicht vorverurteilend sein darf.

Von der Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen kann nur ausnahmsweise abgesehen werden. Dies kann der Fall sein, wenn der Betroffene bereits im Vorfeld eindeutig erklärt oder zu erkennen gegeben hat, keine Stellungnahme zu Vorwürfen abgeben zu wollen oder sich bereits in einem bestimmten Sinne zu den Vor­würfen geäußert hat. Liegen solche Einlassungen jedoch zeitlich zurück oder hat sich der Sachverhalt zwi­schen­zeitlich verändert, bedarf es der (erneuten) Konfrontation. Dies hat der Bundesgerichtshof etwa in dem Fall angenommen, in dem der frühere Leiter der Motorenentwicklung bei der Audi AG zunächst Interview​­an­fragen zu dem sogenannten „Abgasskandal“ abgelehnt hatte, dann aber in Untersuchungshaft kam. Aus der Ablehnung einer Stellungnahme vor seiner Inhaftierung könne, so der Bundesgerichtshof, nicht geschlossen werden, dass er auch in der neuen Situation keine Stellungnahme abgegeben hätte. Aus den veränderten Um­ständen ergab sich mithin die Verpflichtung, den Betroffenen erneut zur Stellungnahme aufzufordern.

Die Konfrontationspflicht hat für den Betroffenen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Durch die Auffor​­derung zur Stellungnahme erfährt der Betroffene, dass das Medium eine Berichterstattung beabsichtigt und in welche Richtung die bevorstehende Berichterstattung mutmaßlich gehen wird. Es ist dem Betroffenen damit möglich, anhand des konkreten Sachverhalts zu prüfen, wie auf die Anfrage reagiert werden soll. Die Band­breite reicht hier von keinerlei Reaktion über pauschales Dementi bis hin zu einer sehr detaillierten und sehr substantiierten Darstellung der wahren Sachlage. Ist an den Vorwürfen nichts dran, kann sich gerade eine sehr ausführliche Darstellung des Sachverhalts anbieten. Da die Medienunternehmen verpflichtet sind, die Stellung­nahme in der Berichterstattung zu berücksichtigen, kann dies im Einzelfall eine beabsichtigte Berichterstattung „sprengen“, so dass das Medienunternehmen eventuell gänzlich auf eine Berichterstattung verzichtet.

Werden die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten, können dem Betroffenen Ansprüche auf​​
  • Unterlassung
  • Beseitigung (Richtigstellung, Widerruf etc.)
  • Auskunft
  • Schadensersatz​
  • Geldentschädigung 

zustehen. Ferner kommen – auch bei zulässiger Berichterstattung – Ansprüche auf
  • Nachtrag​
  • Gegendarstellung

in Betracht.

Der Unterlassungsanspruch und der Gegendarstellungsanspruch können auf dem Wege der einstweiligen Ver​­fügung geltend gemacht werden. Sie können mithin zeitnah zur Berichterstattung durchgesetzt werden. Dem­gegenüber sind die weiteren Ansprüche nur im Wege einer zeitaufwendigen Hauptsacheklage möglich.

Fazit​

Eine Verdachtsberichterstattung greift erheblich in die Rechte des Betroffenen ein und kann schwerwiegende Auswirkungen entfalten. Eine Verdachtsberichterstattung ist daher nur unter strengen Voraussetzungen zu­lässig. Dabei kommt für den Betroffenen insbesondere dem Umstand große Bedeutung zu, dass ihm vor einer Verdachtsberichterstattung Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen ist. Aufgrund der erforderlichen Kon­frontation erhält der Betroffene Kenntnis von dem wesentlichen Inhalt der beabsichtigten Berichterstattung und kann daher versuchen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den drohenden Schaden zu begrenzen.

Ist die Berichterstattung bereits erfolgt, ist zu prüfen, ob diese rechtswidrig war und deswegen Ansprüche etwa auf Unterlassung geltend gemacht werden sollen. Bei dieser Entscheidung ist auch zu berücksichtigen, dass Berichte in Online-Medien durch Suchmaschinen jederzeit leicht auffindbar sind und daher – anders als die gedruckte Zeitung – permanent beeinträchtigend sein können. Da eine Verdachtsberichterstattung zumeist mit einer konkreten Krisensituation des Betroffenen einhergeht, gehört es zum Handwerkszeug eines jeden Unter­nehmens, auf eine solche Situation vorbereitet zu sein.
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