Vorvertragliche Informationen in Franchiseverträgen nach französischem Recht

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​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 17​​​​​. September 2024 | Lesedauer ca. 7 Minuten


Der Artikel L. 330-3​ des französischem Handelsgesetzbuches sieht unter bestimmten Bedingungen eine besondere Informationspflicht des Franchisegebers vor, damit der Franchisenehmer in Kenntnis der Sachlage eine Verpflichtung eingehen kann. Diese Pflicht führt in der Praxis dazu, dass der Franchisegeber dem Franchisenehmer ein Dokument mit vorvertraglichen Informationen, das sogenannte „Document d’information précontractuel“ abgekürzt „DIP“, zur Verfügung stellt. Teilweise unvollständig oder mit wenig Sorgfalt verfasst, ist die Übergabe eines DIP mit genauen, vollständigen, überprüfbaren und aktuellen Informationen dennoch von entscheidender Bedeutung, um die Anträge nach Nichtigkeit des Franchisevertrags aufgrund von Willensmängeln zu begrenzen, die bei einem Rechtsstreit zwischen einem Franchisenehmer und seinem Franchisegeber häufig verwendet werden. Dieser Artikel soll dazu beitragen, Franchisegebern und künftigen Franchisegebern die Regeln und bewährten Praktiken in diesem Bereich in Erinnerung zu rufen, von denen wir beobachten, dass sie leider noch zu selten befolgt werden.​
  

​​1. Wer ist verpflichtet, ein DIP zu erstellen?

Artikel L. 330-3, Absatz 1, des französischen Handelsgesetzbuchs (Code de Commerce) sieht vor, dass „jede Person, die einer anderen Person einen Handelsnamen, eine Marke oder ein Firmenschild zur Verfügung stellt und von ihr ein Exklusivitäts- oder Quasi-Exklusivitätsrecht für die Ausübung ihrer Tätigkeit verlangt, vor der Unterzeichnung eines im gemeinsamen Interesse beider Parteien geschlossenen Vertrags verpflichtet ist, der anderen Partei ein Dokument mit wahrheitsgetreuen Informationen zur Verfügung zu stellen, welches es ihr ermöglicht, eine Verpflichtung in Kenntnis der Sachlage einzugehen.“
  
Die Pflicht zur Bereitstellung eines DIP setzt zwei Bedingungen voraus:
  • die Bereitstellung eines Handelsnamens, einer Marke oder eines Warenzeichens: Dies kann z.B. eine Markenlizenz zugunsten des Franchisenehmers sein;
  • eine Verpflichtung zur Exklusivität oder Quasi-Exklusivität, die vom Händler für die Ausübung seiner Tätigkeit verlangt, wie z.B. eine Lieferexklusivität, eine Geschäftsexklusivität oder auch eine Konkurrenzexklusivität des Franchisenehmers. Im Gegensatz dazu ist diese Bedingung nicht erfüllt, wenn nur eine territoriale Exklusivität vorliegt, die zugunsten des Händlers vereinbart wird und die dieser nicht schuldet. 
             
    Diese Bedingung muss im Hinblick auf den angebotenen Vertrag und nicht im Hinblick auf die Gesamtaktivität des Händlers beurteilt werden (in diesem Sinne Cass. com., 19. Jan. 2010, Nr. 09-10.980).
         
Der Anwendungsbereich dieses Artikels ist daher besonders weit gefasst, da die Verpflichtung zur Vorlage eines DIP nicht nur für den Franchisevertrag gelten kann, der sein bevorzugtes Anwendungsgebiet ist, sondern auch für andere Vertriebsverträge wie den Markenlizenzvertrag, den „contrat de concession commerciale“ oder den „contrat de commission-affiliation“. Da Artikel L. 330-3 des französischen Handelsgesetzbuchs keine Ausnahmen vorsieht, sollte auch die Aushändigung eines DIP an einen Handelsvermittler wie einen Handelsvertreter in Betracht gezogen werden, sobald die beiden oben genannten Bedingungen erfüllt sind. 
  

​2. Wann muss das DIP eingereicht werden?

​Gemäß dem oben genannten Artikel L. 330-3 des französischen Handelsgesetzbuchs müssen das DIP und der Entwurf des vorgeschlagenen Vertrags mindestens 20 Tage vor der Unterzeichnung des Vertrags an übermittelt werden.
  
Da das DIP gemäß diesem Artikel "vor der Unterzeichnung eines jeden Vertrags" erforderlich ist, schreibt die Rechtsprechung vor, dass es auch dem Kandidaten für die Verlängerung des Franchisevertrags zur Verfügung gestellt werden muss, selbst wenn es sich dabei um die stillschweigende Verlängerung des ursprünglichen Vertrags handelt (siehe aktuelles Beispiel CA Douai, 19. Mai 2022, Nr. 20/02801).
 
Das DIP muss ebenfalls zur Verfügung gestellt werden, "wenn vor der Unterzeichnung des oben genannten Vertrags die Zahlung einer Summe verlangt wird, insbesondere um die Reservierung eines Bereichs zu erhalten" (Art. L. 330-3 des Handelsgesetzbuchs).
  

​3. Welche Informationen muss das DIP enthalten?

​Die allgemeinen Bestimmungen des Artikels L. 330-3 des französischen Handelsgesetzbuchs sehen vor, dass das DIP „dessen Inhalt per Dekret festgelegt wird, insbesondere die Dauer und die Erfahrung des Unternehmens, den Zustand und die Entwicklungsaussichten des betreffenden Marktes, die Größe des Betreibernetzes, die Dauer, die Bedingungen für die Erneuerung, die Kündigung und die Abtretung des Vertrags sowie den Umfang der Exklusivrechte angibt.“
  
Die Informationen, die das Hauptunternehmen im DIP bereitstellen muss, sind in Artikel R. 330-1 des französischen Handelsgesetzbuchs genau aufgelistet.
  
Diese Informationen werden in die folgenden sechs Kategorien unterteilt (bezüglich der Franchise): 
  • Informationen über die Zentrale des Franchisegebers; 
  • Informationen über die lizenzierte Marke;
  • Bankdaten der Zentrale des Franchisegebers;
  • Informationen über die Entwicklung des Franchisegebers und des Netzwerks selbst; 
  • eine Präsentation des Betreibernetzwerks; 
  • die Angabe bestimmter Bedingungen des vorgeschlagenen Vertrags, die der Gesetzgeber dem potenziellen Franchisenehmer speziell zur Kenntnis bringen wollte, d.h. die Laufzeit, die Bedingungen für Verlängerung, Kündigung und Abtretung sowie der Umfang der Exklusivitätsrechte.
  
Hinsichtlich der Informationen über die Entwicklung der Zentrale des Franchisegebers und des Netzwerks selbst wird darauf hingewiesen, dass diese durch (i) die Jahresabschlüsse der letzten beiden Geschäftsjahre der Zentrale des Franchisegebers sowie durch (ii) eine Darstellung der allgemeinen und lokalen Marktlage für die Waren oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags sein sollen, und der Aussichten für die Entwicklung dieses Marktes ergänzt werden müssen.
  
Der allgemeine Marktbericht und der lokale Marktbericht müssen allgemeine und objektive Informationen über Angebot und Nachfrage enthalten. Sie sind nicht zu verwechseln mit der Marktstudie (mit einer Analyse von Angebot und Nachfrage), zu deren Erstellung der Franchisegeber in keiner Weise verpflichtet ist und die in die Verantwortung des Franchisenehmers, eines unabhängigen Händlers, fällt, der sie durchführen muss, um das wirtschaftliche Rentabilitätspotenzial seines Projekts zu bewerten. 
  
In diesem Zusammenhang ist der Franchisegeber auch nicht verpflichtet, dem potenziellen Franchisenehmer einen Business Plan zu übermitteln, was auch nicht empfehlenswert ist, da die Übermittlung von zu optimistischen Umsatzprognosen durch den Franchisegeber den Franchisenehmer hinsichtlich der Rentabilität seiner Verkaufsstelle irreführen und folglich die Nichtigkeit des Franchisevertrags nach sich ziehen könnte.
  
Wenn der Franchisegeber dennoch solche nicht obligatorischen Informationen weitergibt, muss er darauf achten, dass diese Informationen seriös und wahrheitsgemäß sind und nicht dazu da sind, die Zustimmung des Franchisenehmers zu untergraben.

​​4. Welche weiteren Informationen können von einem Franchisegeber verlangt werden?

​Gemäß dem ersten Absatz von Artikel 1112-1 des französischen Zivilgesetzbuches, der aus der Verordnung 2016-131 vom 10. Februar 2016 zur Reform des Vertragsrechts hervorgegangen ist, „muss die Partei, die eine Information kennt, deren Bedeutung für die Zustimmung der anderen Partei entscheidend ist, diese darüber informieren, sobald die andere Partei berechtigterweise diese Information nicht kennt oder ihrem Vertragspartner vertraut.“
    
In diesem Artikel heißt es weiter: „Von entscheidender Bedeutung sind Informationen, die in einem direkten und notwendigen Zusammenhang mit dem Inhalt des Vertrags oder der Eigenschaft der Parteien stehen.“
  
Die Rechtsprechung lässt regelmäßig die Kumulierung dieses allgemeinen Gesetzestextes mit dem Sondertext des Artikels R. 330-1 des französischen Handelsgesetzbuches zu, was zur Folge hat, dass der Franchisegeber verpflichtet ist, dem potenziellen Franchisenehmer Informationen zu erteilen, die für dessen Zustimmung entscheidend sind, auch wenn diese nicht in der Liste des Artikels R. 330-1 des französischen Handelsgesetzbuches aufgeführt sind.
  
Als aktuelles Beispiel hat das Berufungsgericht Paris in einem Urteil vom 27. März 2024 einen Franchisevertrag wegen arglistiger Täuschung für nichtig erklärt, nachdem er auf die Bestimmungen des Artikels 1112-1 des französischen Zivilgesetzbuches verwiesen hatte, indem er urteilte, dass „das arglistige Verschweigen der Firma Body Concepts die Firma Smart Relax über die Rentabilität, die die Nutzung des Konzepts „Smart Body“ hervorbringen konnte, in die Irre geführt hat. Dieses Verschweigen, das sich auf die Substanz des Franchisevertrags bezog, bei dem die Gewinnerwartung entscheidend ist, war ausschlaggebend für die Zustimmung der Firma Smart Relax, die sich nicht verpflichtet hätte oder zu anderen wesentlichen Bedingungen kontrahiert hätte, wenn sie die finanziellen Schwierigkeiten der Firmen, die das als Beispiel angeführte benachbarte Konzept „Point Soleil“ betreiben, und die laufenden Insolvenzverfahren, die sie betreffen, gekannt hätte.“ (CA Paris, 27. März 2024, Nr. 22/12665).
  

​5. Welche Risiken bestehen bei der Nichteinhaltung der Pflicht zur Abgabe eines DIP?

​Was die strafrechtlichen Sanktionen betrifft, so wird gemäß Artikel R. 330-2 des französischen Handelsgesetz­buchs das Versäumnis, das DIP und den erforderlichen Vertragsentwurf mindestens 20 Tage vor der Unter­zeich­nung des Vertrags zu übermitteln, laut Artikel 131-13 Nr 5° des französischen Strafgesetzbuchs für Ordnungswidrigkeiten, mit Geldstrafen von 1.500 Euro geahndet.

Was die zivilrechtlichen Sanktionen betrifft, so kann die Nichtvorlage eines DIP innerhalb der oben genannten Frist oder die Vorlage eines nicht wahrheitsgemäßen DIP zur Nichtigkeit des Franchisevertrags aufgrund eines Willensmangels führen. Dieser Verstoß gegen Artikel L. 330-1 des französischen Handelsgesetzbuchs führt jedoch nicht per se zur Nichtigkeit des Vertrags, da die Franchisenehmer verpflichtet sind, den daraus resultierenden Willensmangel zu qualifizieren und zu charakterisieren.
  
In einem aktuellen Urteil vom 21. Februar 2024 erklärte das Berufungsgericht Paris einen Franchisevertrag wegen Nichteinhaltung der 20-tägigen Frist für die Vorlage des DIP für nichtig, mit der Begründung, dass „die Gleichzeitigkeit der Vertragsunterzeichnung und der Vorlage des DIP sie [die Vertreter des Franchisenehmers] hinsichtlich der Einschätzung der Kosten ihres Engagements in die Irre geführt hat [...]. So konnten sie die Tragweite und den Nutzen ihres Engagements und die konkrete Durchführbarkeit des Projekts, das Gegenstand des Vertrags ist, nicht einschätzen. Da diese Elemente für die Zustimmung der Parteien ausschlaggebend sind, ist der Mangel charakterisiert und begründet die Nichtigkeit des Vertrags.“ (CA Paris, 21. Februar 2024, Nr. 22/12529).
  
Zur Erinnerung: Gemäß Artikel 1178 des französischen Zivilgesetzbuches führt die Nichtigkeit zur rückwirkenden Vernichtung des Vertrages und die Parteien müssen in den Zustand versetzt werden, in dem sie sich befunden hätten, wenn der Vertrag nicht geschlossen worden wäre. Die Nichtigkeit führt folglich zu Rückerstattungen auf beiden Seiten zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer, wobei der Franchisegeber die vom Franchisenehmer gezahlten Beträge (insbesondere die Eintrittsgebühr, die vom Franchisenehmer gezahlten Gebühren oder auch die Beteiligung an der Werbung) zurückerstatten muss.
  
Die Folgen einer Nichtigkeit eines Franchisevertrags, die potenziell ein Nichtigkeitsrisiko für andere Verträge darstellt, die der Franchisegeber auf der Grundlage desselben nicht konformen DIP geschlossen hat, können somit für das Netzwerk, das nur durch die Verträge zwischen der Zentrale des Franchise Netzwerks und seinen Mitgliedern existiert, verheerend sein.
  

​6. Schlussfolgerung: Welche bewährten Praktiken sollte der Franchisegeber bei der Bereitstellung eines DIP befolgen?

​Um die Gültigkeit seines Franchisesystems zu gewährleisten, muss der Franchisegeber daher insbesondere darauf achten, ein aufrichtiges DIP zu liefern, das vollständige (die in Artikel R. 330-1 des französischen Handelsgesetzbuchs, aber auch die für die Zustimmung des potenziellen Franchisenehmers gemäß Artikel 1112-1 des französischen Zivilgesetzbuchs ausschlaggebende), genaue und aktuelle Informationen enthält.
  
Die folgenden bewährten Praktiken können zu diesem Zweck vom Franchisegeber umgesetzt werden:
  • ​Lassen Sie sich bei der Erstellung des DIP von einem auf Vertriebsrecht spezialisierten Berater unterstützen: Das DIP sollte mit größter Sorgfalt verfasst werden und Erklärungen des potenziellen Franchisenehmers (z.B. über das Fehlen einer Wettbewerbsverbotsklausel, die ihn davon abhalten würde, den Franchisevertrag zu einem späteren Zeitpunkt zu unterzeichnen) sowie eine Geheimhaltungsverpflichtung seinerseits über vertrauliche Informationen enthalten, die für das Netz von Interesse sind und von denen er während der vorvertraglichen Phase Kenntnis erlangt hat. Diese ersten Vorsichtsmaßnahmen werden es ermöglichen, wirksamer gegen einen unzuverlässigen Bewerber vorzugehen, der den Beitrittsprozess zum Franchisesystem nur zu dem Zweck einleitet, Informationen zu erhalten, die für die Gründung eines Konkurrenzunternehmens nützlich sind;
  • spezialisierte Agenturen für die Erstellung von Marktberichten heranziehen: Diese verfügen über statistische Instrumente, die eine umfassende Information über die Marktlage ermöglichen, was bei manueller Durchführung nicht möglich ist;
  • den potenziellen Franchisenehmer dazu ermutigen, alle Informationen anzufordern, die er für seine Zustimmung als nützlich erachtet: Dadurch kann ein opportunistisches Verhalten eines Franchisenehmers vermieden werden, der sich erst bei einem Rechtsstreit auf einen Mangel der Zustimmung beruft; 
  • ein Verfahren zur regelmäßigen Aktualisierung des DIP einzuführen, da (i) unvollständige oder nicht aktuelle Informationen als nicht wahrheitsgemäß angesehen werden können und (ii) die Vorlage eines DIP auch bei einer – selbst stillschweigenden – Vertragsverlängerung erforderlich ist; 
  • seine DIPs elektronisch unterschreiben lassen: nicht nur, um die Bürokratie zu vermeiden, die mit der Aufbewahrung des DIPs in Papierform und der handschriftlichen Unterzeichnung und Paraphe auf jeder Seite des DIPs verbunden ist, sondern auch, weil elektronische Signaturplattformen es ermöglichen, den Beweis für den Inhalt des DIPs (ein einziges Originalexemplar) und sein Datum durch den Zeitstempel der Unterschrift zu bewahren.
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