Frankreich: Die Mehrheit regiert alle Entscheidungen der SAS

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 3. Januar 2025 | Lesedauer ca. 4 Minuten


In seinem Beschluss vom 15. November 2024 (Nr. 23-16.670) präzisierte der frz. Kassationsgerichtshof die Modalitäten bezüglich der kollektiven Beschlussfassung in der Satzung einer französischen vereinfachten Aktiengesellschaft, kurz SAS. Abgesehen von gesetzlichen Ausnahmen​​[1​]​ wird der Satzung einer SAS jede Freiheit gelassen, um die „Formen und Bedingungen“ der kollektiven Beschlüsse der Gesell­​-schafter festzulegen, sowohl bei denjenigen, die di​​​​​​rekt in der Satzung definiert sind (Artikel L. 227-9, Absatz 1 des frz. Handelsgesetzbuchs) als auch bei denjenigen, die sich aus der Anwendung des Gesetzes ergeben (Artikel L. 227-9, Absatz 2 ebd.). So kann die Satzung einer SAS besondere Bedingungen in Bezug auf Beschlussfähigkeit und Mehrheit vorsehen, die je nach Art der kollektiven Beschlüsse unterschiedlich sein können.

​Kassationsgerichtshof bestätigt erstmals Ausnahme in der Rechtsprechung

Im vorliegenden Fall sah Artikel 17 der Satzung einer SAS vor, dass kollektive Beschlüsse mit einer „Mehrheit“ von einem Drittel der Stimmrechte gefasst werden. Auf dieser Grundlage war 2015 eine Kapitalerhöhung mit 46 Prozent der Stimmen für und 54 Prozent dagegen beschlossen worden.

Bei einem ersten Versuch, diesen Beschluss aufzuheben, hob der Kassationsgerichtshof das ablehnende Urteil des Berufungsgerichts Paris mit der Begründung auf, dass Beschlüsse, die die Gesellschafter einer SAS kollektiv treffen müssen, nicht mit einer geringeren Stimmenzahl „als der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen“ angenommen werden können (erstes Urteil vom 19. Januar 2022 (19-12.696 FS-D).

Mit diesem Grundsatz sollte die Kohärenz von​​ kollektiv gefassten Beschlüssen gewährleistet werden, indem verhindert wird, dass Beschlüsse von einer Minderheit angenommen werden können. Der Fall wurde daher 2023 erneut untersucht (um erneut in der Sache zu entscheiden), wobei das Berufungsgericht nicht der Ent­​scheidung der Handelskammer folgte.

​Einspruch des Berufungsgerichts: die liberale These

Das Berufungsgericht von Paris stellte am 4. April 2023 (Nr. 22/05320) fest, dass es „gemäß Artikel L. 227-9 des frz. Handelsgesetzbuchs den Gesellschaftern einer SAS - insofern keine ausdrücklichen Bestimmungen vorliegen - nicht nur frei steht, in der Satzung eine Mehrheitsregel festzulegen, die für die Annahme von Beschlüssen in den darin aufgeführten Angelegenhei​ten erforderlich ist, sondern auch die Bedingungen zu bestimmen, unter denen diese kollektiv zu fassenden Beschlüsse getroffen werden, sei es in den von der Satzung festgelegten oder in Absatz 2 genannten Angelegenheiten.“

Es hat sich also für eine wörtliche Auslegung entschieden, indem es der Freiheit, die der Gesetzgeber bei der Festlegung der Regeln für die Annahme kollektiver Beschlüsse von SAS gelassen hat, Vorrang einräumt. Dies ist eine als „liberal“ [2] bezeichnete These, nach der Artikel L. 227-9 den Gesellschaftern jede Freiheit einräumt, die Formen und Bedingungen für kollektive Beschlüsse festzulegen.

Zur Unterstützung dieser These kann angemerkt werden, dass der Gesetzgeber, der das Gesetz Nr. 94-1 vom 3. Januar 1994 zur Gründung der SAS verabschiedet hat, den Grundsatz, dass bestimmte Entscheidungen in einer Versammlung von den Gesellschaftern mit „einer Mehrheit getroffen werden müssen, die nicht geringer sein darf als die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen“, aus dem Gesetzentwurf gestrichen hat. Wie Generalanwalt Lecaroz betonte, hätte der Gesetzgeber, wenn er die Vertragsfreiheit der Gesellschafter hätte einschränken wollen, dies ausdrücklich getan, wie etwa bei der Beteiligungsfinanzierung oder bei grenz-­​überschreitenden Geschäften.

Diese Situation rechtfertigte also die Verweisung des Falls an die Vollversammlung des Kassationsgerichtshofs. Eine solche Verweisung kann angeordnet werden, wenn ein Fall eine Grundsatzfrage aufwirft, und ist sogar zwingend, wenn nach der Kassation eines ersten Urteils die vom Berufungsgericht erlassene Entscheidung mit denselben Klagegründen angefochten wird (Artikel L. 431-6 des frz. Gesetzes zur Organisation gerichtlicher Prozesse).​

Erneute Prüfung durch den Kassationsgerichtshof: die restriktive These

Die Vollversammlung des frz. Kassationsgerichtshof musste darüber entscheiden, ob die Satzung einer SAS vorsehen kann, dass kollektive Entscheidungen von einer Minderheit der abgegebenen Stimmen getroffen werden können.

Zu beachten ist, dass sich nach dem Urteil vom 19. Januar 2022 auch eine neue Frage gestellt hatte: Gilt das Erfordernis einer Mehrheit für die Annahme eines kollektiven Beschlusses der Gesellschafter einer SAS nur für kollektive Beschlüsse, die in Artikel L. 227-9 Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs aufgeführt sind?

Die Vollversammlung beantwortete beide Fragen in ihrem Urteil vom 15. November 2024 wie folgt:

„ [...] 10. Ein kollektiver Beschluss von Gesellschaftern kann nur dann als angenommen gelten, wenn er die meisten Stimmen zu seinen Gunsten vereint.

11. Jede andere Regel würde zu der Annahme führen, dass die Gesamtheit der Gesellschafter in ein und derselben Abstimmung zwei gegensätzliche Beschlüsse fassen kann.

12. Die Vertragsfreiheit, die für die vereinfachte Aktiengesellschaft gilt, kann nur unter Beachtung der in Absatz 10 genannten Regel ausgeübt werden.

13. Daraus folgt, dass ein kollektiver Beschluss der Gesellschafter einer vereinfachten Aktiengesellschaft, der enweder in der Satzung vorgesehen oder gesetzlich vorgeschrieben ist, nur dann gültig angenommen werden kann, wenn er mindestens die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereint, wobei jede gegenteilige Satzungsklausel als ungeschrieben gilt. [...]“

Der Kassationshof nimmt eine als „restriktiv“ [3​​]​ bezeichnete These an, der zufolge das Festhalten an einer Zustimmungsschwelle, die niedriger als die Stimmenmehrheit ist, zu Entscheidungen führen könnte, die möglicherweise widersprüchlich sind.

So kann ein kollektiver Beschluss der Gesellschafter einer vereinfachten Aktiengesellschaft, der in der Satzung vorgesehen (Artikel L. 227-9 Absatz 1) oder gesetzlich vorgeschrieben ist (Artikel L. 227-9 Absatz 2), nur dann rechtsgültig angenommen werden, wenn er mindestens die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt.

Folglich gilt jede Klausel in der Satzung, die diesem Grundsatz widerspricht, als ungeschrieben.

Zu beachten ist, dass das Urteil eine weitere Unklarheit beseitigt: Die Satzung einer SAS kann durchaus eine Mehrheitsregel vorsehen, die auf der Grundlage der anwesenden/vertretenen Stimmrechte oder aller in der Gesellschaft vorhandenen Stimmen berechnet wird (die „Ja“-Stimmen müssen in diesem Fall die Summe aller „Nein“-Stimmen und Enthaltungen sowie aller leeren Stimmzettel und ungültigen Stimmen und der Stimm­-​rechte der Abwesenden übersteigen). Eine konsequente und vernünftige Entscheidung.​

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​​[1] Quelle: Artikel L. 227-2-1, L. 236-38, L. 236-46 et L. 236-50​
[2] Quelle: Einschätzung von M. Lecaroz, Generalanwalt, Seite 5
​​[3] Quelle: Einschätzung von M. Lecaroz, Generalanwalt, Seite 5​

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