Zunehmende Digitalisierung kollektiver Beschlüsse durch das französische Attraktivitätsgesetz

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 12. Dezember 2024 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Das Gesetz Nr. 2024-537 vom 13. Juni 2024 zur Erhöhung der Finanzierung von Unternehmen und der Attraktivität Frankreichs, bekannt als Attraktivitätsgesetz (Loi Attractivité), erweitert die Nutzung digitaler Ressourcen zur Unterstützung kollektiver Beschlüsse von Gesellschaften.​​



Einige Maßnahmen des Gesetzes, die zahlreiche Vorschläge aus dem HCJP-Bericht vom März 2022 [1] ​aufgreifen, gelten für alle Gesellschaftsformen mit Ausnahme der französischen société par actions simplifiée, „SAS“, da die Satzung dieser Gesellschaftsform bereits die freie Organisation einer schriftlichen Konsultation der Gesellschafter ermöglicht.

Die folgenden Ausführungen werden sich mit den Neuerungen für die Gesellschaften befassen, die in den Anwendungsbereich des Loi Attractivité fallen, abhängig von ihrer Gesellschaftsform.​

Aktiengesellschaft („SA“)​

Erweiterung des Bereichs der Telekommunikation für Verwaltungs- und Aufsichtsräte​​

​Das Gesetz vom 15. Mai 2001 [2]​ ermöglichte den Einsatz von Telekommunikationsmitteln für die Beschlussfassung im Verwaltungsrat einer französischen société anonyme, kurz „SA“, unter der Bedingung, dass die Geschäftsordnung des Verwaltungsrates dies erlaubt. Außerdem war dieses Verfahren nur für Beschlüsse möglich, die nicht den Jahresabschluss oder die Erstellung des Geschäftsberichts betrafen.
  
Das Loi Attractivité ermöglicht den Einsatz von Telekommunikationsmitteln für alle Beschlüsse des Verwaltungs- oder Aufsichtsrats. Diese Kommunikationsmittel müssen zumindest die Stimme der Teilnehmer übermitteln und technische Merkmale erfüllen, die eine kontinuierliche und simultane Übermittlung der Beschlüsse ermöglichen. Außerdem müssen diese Mittel die Identifizierung des Mitglieds ermöglichen. Nur die ausdrückliche Ablehnung in der Satzung oder der Geschäftsordnung kann die Teilnahme an Sitzungen des Verwaltungs- und Aufsichtsrates über ein bestimmtes Telekommunikationsmittel verhindern [3]​. Im Falle von Aufsichtsräten kann die Satzung oder die Geschäftsordnung jedoch die Verwendung dieser Kommunikationsmittel für eine begrenzte Anzahl von Beschlüssen beschränken [4]​.


Öffnung des Bereichs der schriftlichen Konsultation für Verwaltungs- und Aufsichtsräte​

Ursprünglich hatte das Gesetz vom 19. Juli 2019 [5]​ die Möglichkeit eingeführt, in der Satzung elektronische Konsultationsmittel für die Beschlussfassung des Verwaltungsrates zuzulassen. Dies betraf jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Beschlüssen.
  
Das Loi Attractivité übernimmt den Vorschlag Nummer 4 der Arbeitsgruppe des HCJP [6]​. Alle Beschlüsse des Verwaltungsrates können einer schriftlichen Konsultation auf elektronischem Wege unterliegen, vorausgesetzt, (i) diese Möglichkeit ist in der Satzung vorgesehen und (ii) ein Einspruchsrecht zugunsten der Mitglieder des Verwaltungsrats ist ebenfalls vorgesehen [7]​. Die Öffnung des Bereichs der elektronischen Konsultation wurde nicht vollständig auf die französische dualistische „SA“ (mit einem Vorstand und einem Aufsichtsrat) ausgedehnt. Tatsächlich erfolgt der Versand von Dokumenten an die Mitglieder des Aufsichtsrats immer noch in Papierform [8]​. ​


​Dematerialisierte Abhaltung von Versammlungen​

Das Gesetz über neue wirtschaftliche Regulierungen (kurz: NRE) vom 15. Mai 2001 [9]​ erlaubte es, in der Satzung die Teilnahme der Aktionäre an Versammlungen durch ein Telekommunikationsmittel vorzusehen. Die dematerialisierte Abhaltung einer Versammlung einer „SA“ erforderte eine in der Satzung festgehaltene Genehmigung. Um gegen die dematerialisierte Durchführung einer Versammlung Einspruch erheben zu können, musste der Aktionär den Besitz von mindestens 5 Prozent des Aktienkapitals der Gesellschaft nachweisen.
  
Das Loi Attractivité modifiziert diese Pflicht, eine solche Genehmigung vorher in der Satzung festzulegen. Insofern die Versammlung nicht vollständig dematerialisiert abgehalten wird, muss die Genehmigung des Einsatzes eines Telekommunikationsmittels für eine teilweise dematerialisierte Versammlung nicht mehr in der Satzung stehen [10]​.
  
Die Schwelle für Aktionäre, die Einspruch gegen die vollständig dematerialisierte Durchführung einer außerordentlichen Hauptversammlung einer nicht börsennotierten Gesellschaft einlegen wollen, wurde ebenfalls erhöht. Sie müssen nunmehr nachweisen, dass sie mindestens 25 Prozent des Kapitals der Gesellschaft besitzen, um ihr Recht auf Einspruch geltend zu machen [11]​. Dies hat zur Folge, dass der Zugang zum Einspruch erschwert wird.​

  

Gesellschaft mit beschränkter Haftung („SARL“)​

Die Konsultation der Gesellschafter einer französischen société à responsabilité limitée, kurz „SARL“, erfolgt auf drei Arten: die Versammlung, die schriftliche Konsultation und eine Urkunde, die die Zustimmung aller Gesellschafter feststellt. Das Loi Attractivité beabsichtigt, diese Methoden flexibler zu gestalten.​


Modalitäten für die Genehmigung des Jahresabschlusses und dematerialisierte Versammlungen

Mit dem Loi Attractivité kann die Satzung die jährliche Genehmigung des Jahresabschlusses durch eine schriftliche Konsultation oder eine Urkunde, die die Zustimmung aller Gesellschafter feststellt, erlauben [12]​. Bisher konnte die Genehmigung des Jahresabschlusses nur durch die physische Zusammenkunft einer Versammlung erfolgen. Es ist zu beachten, dass die Verwendung eines Telekommunikationsmittels für die Genehmigung des Jahresabschlusses in dematerialisierter Form nicht anwendbar ist.

Eine zweite Entwicklung ermöglicht es bereits jetzt, in der Satzung die Abstimmung per Briefwahl mittels eines Formulars der Gesellschafter für die Versammlungen festzulegen [13]​. Gesellschaften vom Typ „SARL“ müssen ihre Satzung ändern, um von dieser Änderung profitieren zu können.​


Schriftliche Konsultation auf elektronischem Wege und einstimmige Zustimmung aller Gesellschafter per Urkunde​

In Bezug auf schriftliche Konsultationen und die einstimmige Zustimmung der Gesellschafter per Urkunde [14]​ kann in der Satzung zugelassen werden, dass die Gesellschafter auf elektronischem Wege konsultiert werden und ihre Antwort zurücksenden [15]​​. Dafür ist jedoch eine Änderung der Satzung erforderlich.​


Andere Unternehmen („SC/SNC/SCA“)​​​​

Mit dem Loi Attractivité ist nun bei der société civile, kurz „SC“,  und der société en nom collectif, kurz „SNC“, der Einsatz von schriftlichen Konsultationen auf elektronischem Wege möglich, insofern die Satzung dies vorsieht  [16]​. Für die Genehmigung des Jahresabschlusses kann die „SC“ jedoch eine schriftliche Konsultation auf elektronischem Wege durchführen, während dies bei der „SNC“ nicht möglich ist.

Bezüglich der französischen société en commandite par actions, kurz „SCA“, erlaubt der neue Absatz 5 des Artikels L. 226-4 des frz. Handelsgesetzbuches nunmehr, dass die Satzung entscheidet, ob der Aufsichtsrat seine Beschlüsse durch schriftliche Konsultationen trifft, was auch elektronische Mittel einschließt [17]​.

Durch die Fortführung der während der Gesundheitskrise eingeführten Regelungen beabsichtigt das Loi Attractivité, die gesetzlichen und reglementarischen Beschränkungen hinsichtlich der Zusammenkunft und Organisation der Entscheidungsgremien von Gesellschaften zu überwinden. Der Zugang zur Digitalisierung von Verwaltungs- und Aufsichtsratssitzungen und kollektiven Beschlüssen von Gesellschaftern und Aktionären wird normalisiert. Darüber hinaus greift das Gesetz Finanzierungsfragen auf, indem es Aktien mit Mehrfachstimmrecht in börsennotierten Gesellschaften sowie Mechanismen zur Vereinfachung von Kapitalerhöhungen einführt [18]​.​


[1] Quelle: HCJP, „Bericht über die Anpassung der Unternehmensführung durch die Nutzung der Erfahrungen aus Gesundheitskrisen“, 30. März 2022, A. Couret und A. Outinn-Adam (Vorsitzende)
[2] Quelle: Gesetz Nr. 2001-420 vom 15. Mai 2001 über neue Wirtschaftsregulierungen
[3] Quelle: Frz. Handelsgesetzbuch, Art. L. 225-37, Abs. 3, Fassung in Kraft seit dem 14. September 2024, geändert durch Gesetz Nr. 2024-537 vom 13. Juni 2024 - Art. 18
[4] Quelle: Frz. Handelsgesetzbuch, Art. L. 225-82 Abs. 3, Fassung in Kraft seit 14. September 2024, geändert durch Gesetz Nr. 2024-537 vom 13. Juni 2024 - Art. 18
[5] Quelle: Gesetz Nr. 2019-744 vom 19. Juli 2019 zur Vereinfachung, Klärung und Aktualisierung des Gesellschaftsrechts
[6] Quelle: HCJP, „Bericht über die Anpassung der Unternehmensführung unter Nutzung der Erfahrungen aus Gesundheitskrisen“, 30. März 2022, A. Couret und A. Outinn-Adam (Vorsitzende), Vorschlag 4, S. 19
[7] Quelle: Handelsgesetzbuch, Art. L. 225-37, Abs. 3, Fassung in Kraft seit dem 14. September 2024, geändert durch Gesetz Nr. 2024-537 vom 13. Juni 2024 - Art. 18
[8] Quelle: Handelsgesetzbuch, Art. L. 225-82, Abs. 3, Fassung in Kraft seit dem 14. September 2024, geändert durch Gesetz Nr. 2024-537 vom 13. Juni 2024 - Art. 18
[9] Quelle: Gesetz Nr. 2001-420 vom 15. Mai 2001 über neue Wirtschaftsregulierungen
[10] Quelle: Handelsgesetzbuch, Art. L. 225-103-1 Abs. 1, Fassung in Kraft seit dem 14. September 2024, geändert durch Gesetz Nr. 2024-537 vom 13. Juni 2024 - Art. 18
[11] Quelle: Handelsgesetzbuch, Art. L. 225-103-1 Abs. 1, Fassung in Kraft seit dem 14. September 2024, geändert durch Gesetz Nr. 2024-537 vom 13. Juni 2024 - Art. 18
[12] Quelle: Handelsgesetzbuch, Art. L. 223-27, Abs. 1, Fassung in Kraft seit dem 14. September 2024, geändert durch das Gesetz Nr. 2024-537 vom 13. Juni 2024 - Art. 18
[13] Quelle: Ibid 14
[14] Quelle: Ibid 14
[15] Quelle: Ibid 14
[16] Quelle: Code civil, Art. 1853 - Handelsgesetzbuch, Art. L. 221-6, Fassung in Kraft seit dem 14. September 2024, geändert durch LOI n°2024-537 vom 13. Juni 2024 - Art. 18
[17] Quelle: Handelsgesetzbuch, Art. L. 226-4, Abs. 5, Fassung in Kraft seit dem 14. September 2024, geändert durch das Gesetz Nr. 2024-537 vom 13. Juni 2024 - Art. 18
[18] Quelle: A. Lecourt, „Attraktivität, Modernisierung, Vereinfachung... und einige Versäumnisse: Attraktivitätsgesetz“, RTD com. 2024, S. 675
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