Neue EU-Sanktionen gegen Belarus – wesentliche Verschärfungen als Reaktion auf die Verwendung als „Umgehungsland“ und Haftung für belarussische Tochtergesellschaften

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​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht​​ am 9. Juli 2024 | Lesedauer ca. 8 Minuten


Die Sanktionen gegen Belarus waren bislang in vielen Bereichen wesentlich weniger weitreichend als die gegen Russland. Während die Russlandsanktionen regelmäßige Verschärfungen und Ergänzungen erfahren haben (so wurde am 24.6.2024 bereits das 14. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet) gab es in den vergangenen zwölf Monaten bezüglich Belarus nur wenige, geringfügige Ergänzungen. 
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Allerdings sind nun am 30. Juni 2024 neue EU-Sanktionsregelungen für Belarus in Kraft getreten, welche in einigen Bereichen eine wesentliche Verschärfung und Annäherung an die russischen Sanktionen darstellen und teilweise sogar über bisherige russische Sanktionen hinausgehen. 

  
Erklärtes Ziel war es dabei nach Aussagen der EU-Präsidentschaft, zukünftig zu vermeiden, dass Belarus als Weg zur Umgehung von Russlandsanktionen missbraucht wird und somit die Wirkung der Sanktionen gegen beide Länder effektiver zu machen.
 
Darüber hinaus sind aber auch wichtige Klarstellungen zu umstrittenen Themen enthalten – wie etwa die Frage des Maßstabs für die Verantwortlichkeit von EU-Unternehmen für das sanktionswidrige Handeln von Tochtergesellschaften in Belarus sowie die strafmildernde Wirkung von Selbstanzeigen. 
 
Hervorzuheben sind insbesondere folgende Neuregelungen: 
  1. Sanktionierung spezifischer Dienstleistungen gegenüber bestimmten belarussischen Personen (insb. der belarussische Staat und seine Repräsentanten)
  2. Verpflichtung von EU-Unternehmen zur Einführung von Kontrollmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhinderung von Sanktionsumgehungen durch belarussische Tochtergesellschaften
  3. Verpflichtung zur Verwendung einer so genannten „No-Belarus-Klausel“ in Verträgen von EU-Exporteuren für bestimmte Waren 
  4. Ausweitung von Importverboten und des Ausfuhrverbots für Güter mit doppeltem Verwendungszweck und fortschrittliche Güter und Technologien sowie weitere Ausfuhrbeschränkungen für Güter, die insbesondere zur Stärkung der industriellen Kapazitäten von Belarus beitragen könnten sowie von Luxusgütern
  5. Verbot von Transitlieferungen über belarussisches Territorium für sensible Güter 
  6. Verhängung eines umfassenderen Verbots des Gütertransports auf der Straße innerhalb des EU-Gebietes für belarussische Transportunternehmen
  7. Um den Abzug von Investitionen vom belarussischen Markt zu erleichtern, gibt es neue Ausnahmen von den geltenden Einfuhr- und Ausfuhrverboten. Hiernach ist die Lieferung oder die Weitergabe bestimmter Güter oder ihre Einfuhr in die Union zu diesem Zweck bis zum 2. Januar 2025 gestattet
  8. Eine vollständige und rechtzeitige Selbstanzeige eines Verstoßes gegen restriktive Maßnahmenkann kann zukünftig strafmildernd berücksichtigt werden

Ausführliche Darstellung

Dienstleistungsverbote

Spezifische Dienstleistungen, die gegenüber bestimmten belarussischen Personen erbracht werden, sind zukünftig für Unternehmen und sonstige Personen aus EU-Mitgliedsstaaten untersagt.
  
Hierbei handelt es sich um folgende Dienstleistungen:
  • Buchführung, Wirtschaftsprüfung, einschließlich Abschlussprüfung, Buchhaltung oder Steuerberatung, Unternehmens- und Managementberatung oder Public-Relations-Dienstleistungen
  • Architektur- und Ingenieurleistungen
  • Rechtsberatung und IT-Beratung
  • Markt- und Meinungsforschungsdienste, technische Prüf- und Analysedienste und Werbedienstleistungen
  • Software für die Verwaltung von Unternehmen und Software für die industrielle Entwicklung und Fertigung
  • verwandte Dienstleistungen wie technische Hilfe, Vermittlungsdienste, Finanzierung usw. 
  
Das Verbot gilt jedoch nur für Dienstleistungen, die gegenüber folgenden Empfängern erbracht werden:
  • die Republik Belarus, ihre Regierung, ihre öffentlichen Einrichtungen, Körperschaften oder Agenturen
  • jede natürliche oder juristische Person, Organisation oder Einrichtung, die im Namen oder auf Anweisung der Republik Belarus, ihrer Regierung, ihrer öffentlichen Organe, Gesellschaften oder Agenturen handelt
  
Selbst für Dienstleistungen, die gegenüber den genannten Empfängern erbracht werden, existieren jedoch folgende Ausnahme- und Übergangsregelungen: 
  • Diese Beschränkungen sind nicht anwendbar auf die Erbringung von Dienstleistungen, die für die Beendigung von vor dem 1. Juli 2024 geschlossenen Verträgen, die nicht mit den neuen Beschränkungen übereinstimmen, oder von Nebenverträgen, die für die Ausführung solcher Verträge erforderlich sind, bis zum 2. Oktober 2024 unbedingt erforderlich sind.
  • Ausnahmeregelung für Tochterunternehmen bis zum 2. Januar 2025 – die Verbote gelten bis zum 2. Januar 2025 nicht für die Erbringung von Dienstleistungen, die für die ausschließliche Nutzung durch in Belarus niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen bestimmt sind, die im Eigentum einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung stehen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates, eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraums, der Schweiz oder eines Partnerlandes gegründet wurde oder von dieser allein oder gemeinsam kontrolliert werden.
  • Das Dienstleitungsverbot gilt nicht für Steuer-, Wirtschaftsprüfungs-, Buchführungs- und Rechtsdienstleistungen,  
    • wenn die Erbringung der Dienstleistungen für die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung in Gerichtsverfahren und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf unbedingt erforderlich ist, 
    • wenn die Erbringung der Dienstleistungen unbedingt erforderlich ist, um den Zugang zu Gerichts-, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat oder die Anerkennung oder Vollstreckung eines in einem Mitgliedstaat ergangenen Urteils oder Schiedsspruchs zu gewährleisten, vorausgesetzt, die Erbringung der Dienstleistungen steht im Einklang mit den Zielen dieser Verordnung.
  • ​Untersagte Dienstleistungen können jedoch auch zukünftig für bestimmte Zwecke erbracht werden, sofern die zuständigen Behörden die Erbringung dieser Dienste unter den ihnen angemessen erscheinenden Bedingungen genehmigen.
  

Erleichterter Abzug von Investitionen

Um Wirtschaftsteilnehmer aus der Union den Abzug von Investitionen vom belarussischen Markt zu erleichtern, werden mit dem Beschluss (GASP) 2024/1864 befristete Ausnahmen von den Verboten in Bezug auf die Einfuhr und Ausfuhr von Gütern sowie vom Verbot der Erbringung bestimmter Dienstleistungen, die mit der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 verhängt wurden, eingeführt. 
  
Die Ausnahme ermöglicht den Verkauf, die Lieferung oder die Weitergabe bestimmter Güter oder ihre Einfuhr in die Union bis zum 2. Januar 2025 und gilt nur für Güter, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der betreffenden Verbote bereits physisch in Belarus befanden. Die Dienstleistungen können nur für die aus dem Abzug der Investitionen hervorgehenden juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen und ausschließlich zu deren Gunsten erbracht werden.
  

Erhöhte Sorgfaltspflichten für EU-Unternehmen

EU-Muttergesellschaften müssen nach der neuen Verordnung nach besten Kräften sicherstellen, dass ihre Tochtergesellschaften in Drittländern nicht an Aktivitäten beteiligt sind, die zu einem Ergebnis führen, das durch die Sanktionen verhindert werden soll.
  
EU-Unternehmen, die Gefechtsfeldgüter an Drittländer verkaufen, müssen ab dem 2. Januar 2025 Sorgfaltsprüfungsmechanismen einführen, mit denen die Risiken einer Wiederausfuhr nach Belarus ermittelt, bewertet und gemindert werden können. 
  

„No-Belarus Klausel“

EU-Exporteure sind verpflichtet in ihren Verträgen ab dem 1. Juli 2024 eine so genannte „No-Belarus-Klausel“ aufnehmen. Eine solche Klausel muss die Wiederausfuhr von sensiblen Gütern und Technologien, von Gefechtsfeldgütern, Schusswaffen und Munition nach Belarus oder die Wiederausfuhr zur Verwendung in Belarus vertraglich untersagen. 
  

Ausfuhrverbote

Es wurde eine Ausweitung des Ausfuhrverbots für Güter mit doppeltem Verwendungszweck und fortschrittliche Güter und Technologien sowie weitere Ausfuhrbeschränkungen für Güter, die insbesondere zur Stärkung der industriellen Kapazitäten von Belarus beitragen könnten, vorgenommen. 
  
Weitere Beschränkungen werden auch für die Ausfuhr von Gütern und Technologien für die Seeschifffahrt sowie von Luxusgütern nach Belarus eingeführt.
  

Importverbote

Direkte oder indirekte Einfuhr, der Kauf oder die Weitergabe von Gold und Diamanten aus Belarus sowie von Helium, Kohle und mineralischen Produkten einschließlich Rohöl in die EU wurde verboten. Die letztgenannte Maßnahme wird durch ein neues Ausfuhrverbot für Güter und Technologien ergänzt, die für die Erdölraffination und die Verflüssigung von Erdgas geeignet sind. 
  
Verträge, die vor dem 1. Juli 2024 abgeschlossen wurden, dürfen noch bis zum 2. Oktober 2024 erfüllt werden. In hinreichend begründeten Fällen, in denen es z.B. um die Gesundheit und Sicherheit von Menschen geht, können Ausnahmen beantragt werden. Sollten bestimmte Lieferungen und Dienstleistungen für die Abwicklung von Geschäften in Belarus nötig sein, können bis zum 31. Dezember 2024 Ausnahmen beantragt werden.
  

Transport und Verkehr

Das Verbot der Beförderung von Gütern auf der Straße im Gebiet der EU mit in Belarus zugelassenen Anhängern und Sattelanhängern wird ausgeweitet. Dieses gilt nun auch dann, wenn diese von außerhalb von Belarus zugelassenen Lastkraftwagen gezogen werden. 
  
Betreibern in der EU, die zu 25 Prozent oder mehr im Besitz einer belarussischen natürlichen oder juristischen Person sind, ist es zukünftig verboten, Güter auf EU-Straßen zu befördern. Dies gilt auch für den Transitverkehr. 
  
Untersagt ist die Durchfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, von Gütern und Technologien, die zur militärischen und technologischen Aufrüstung von Belarus oder zur Entwicklung seines Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen könnten, von Gütern, die zur Stärkung der belarussischen Industriekapazitäten beitragen könnten, von Gütern und Technologien zur Verwendung in der Luft- und Raumfahrtindustrie sowie von aus der EU ausgeführten Waffen über das Hoheitsgebiet von Belarus.  
  

Exkulpation durch „Bemühungen nach besten Kräften“

Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union sollen sich nach besten Kräften bemühen, zu gewährleisten, dass außerhalb der Union niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die sich in ihrem Eigentum oder unter ihrer Kontrolle befinden, nicht an Tätigkeiten teilnehmen, mit denen die restriktiven Maßnahmen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 untergraben werden. 
  
Unter „Bemühungen nach besten Kräften“ sollen alle Maßnahmen verstanden werden, die geeignet und notwendig sind, um das Ziel zu erreichen, das Untergraben der in der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 enthaltenen restriktiven Maßnahmen zu verhindern. Diese Maßnahmen können beispielsweise die Umsetzung geeigneter Strategien, Kontrollen und Verfahren beinhalten, um Risiken zu mindern und wirksam zu managen, wobei Faktoren wie das Drittland der Niederlassung, der Wirtschaftszweig und die Art der Tätigkeit der juristischen Person, Organisation oder Einrichtung, die sich im Eigentum oder unter der Kontrolle des Wirtschaftsteilnehmers aus der Union befindet, zu berücksichtigen sind. 
  
Gleichzeitig sollte „Bemühungen nach besten Kräften“ so verstanden werden, dass sie nur Maßnahmen umfassen, die für den Wirtschaftsteilnehmer aus der Union angesichts seiner Art, seiner Größe und der relevanten tatsächlichen Umstände, insbesondere des Grads der wirksamen Kontrolle über die außerhalb der Union niedergelassene juristische Person, Organisation oder Einrichtung, durchführbar sind. 
  
Zu solchen Umständen gehört der Fall, dass der Wirtschaftsteilnehmer aus der Union aus nicht von ihm verursachten Gründen, wie etwa den Rechtsvorschriften eines Drittlands, nicht in der Lage ist, Kontrolle über eine in seinem Eigentum befindliche juristische Person, Organisation oder Einrichtung auszuüben.
  

Schutz von EU-Unternehmen

Wirtschaftsbeteiligten aus der EU soll es zukünftig möglich sein, Schadensersatz für Schäden zu verlangen, die belarussische Einzelpersonen und Unternehmen aufgrund der Umsetzung der Sanktionen und der Enteignung verursacht haben, sofern der betreffende Staatsangehörige eines Mitgliedstaats oder das betreffende Unternehmen keinen wirksamen Zugang zu Rechtsbehelfen hat, z.B. im Rahmen des einschlägigen bilateralen Investitionsabkommens.
  

Selbstanzeige

Legt eine natürliche oder juristische Person freiwillig, vollständig und rechtzeitig einen Verstoß gegen restriktive Maßnahmen offen, sollten die zuständigen nationalen Behörden diese Selbstanzeige bei der Verhängung von Sanktionen gebührend berücksichtigen können.
  

Rechtsgrundlagen

Grundlagen für die neuen Sanktionsregelungen sind die folgenden am 30. Juni 2024 in Kraft getretenen Rechtsakte:​
  • Verordnung (EU) 2024/1865 des Rates vom 29. Juni 2024 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 765/2006
  • Beschluss (GASP) 2024/1864 des Rates vom 29. Juni 2024 zur Änderung des Beschlusses 2012/642/GASP
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