Brexit und Umsatzsteuer: Wichtige Änderungen

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zuletzt aktualisiert am 20. Januar 2021 | Lesedauer ca. 4 Minuten
 

Neben den USA und Frankreich ist das Vereinigte Königreich Großbritannien mit Nordirland Deutschlands wichtigster Handelspartner. Im grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr hat der nun vollzogene Brexit auch Auswirkungen auf die Umsatzbesteuerung, da das Vereinigte Königreich nun als sog. Drittland qualifiziert wird. 
 

 

Großbritannien seit 1. Januar 2021 Drittland: Änderungen im grenzüberschreitenden Warenverkehr

Auch das zuletzt noch angepasste Austrittsabkommen zur Regelung der gemeinsamen Beziehungen nach dem Brexit, auf das sich die EU und UK am 24. Dezember 2020 geeinigt haben (vgl. Richtlinie (EU) 2020/1756 vom 20.11.2020, ABl. EU 2020, Nr. L 396, 1), ändert grundsätzlich nicht das ursprünglich geschlossene Austritts­abkommen in Bezug auf die Umsatzsteuer. Das Vereinigte Königreich mit Nordirland ist und bleibt also auch nach Abschluss des neuen Abkommens aus Sicht der EU Drittland, mit den Ausnahmen für Nordirland beim Warenverkehr, wie unten beschrieben. Auch die übrigen Regelungen, die im Austrittsabkommen im Hinblick auf die Umsatzsteuer getroffen wurden, gelten weiterhin (vgl. zuletzt auch BMF-Schreiben vom 10. Dezember 2020, Az. III C 1- S 7050/19/10001 :002).
 
Der Status als EU-Mitgliedstaat und damit als sog. Gemeinschaftsgebiet im umsatzsteuerlichen Sinne ist für Großbritannien mit dem Brexit in der Umsatzbesteuerung verloren gegangen; d.h. grenzüberschreitende Lieferungen in das Vereinigte Königreich sind keine (steuerfreien) innerge-meinschaftlichen Lieferungen mehr, sondern (steuerfreie) Ausfuhren. Das hat – trotz Steuerbefreiung in beiden Fällen – andere Belegnachweise, ausfuhranmeldungs-/zolltechnische Anpassungen sowie Deklarationsanpassungen zur Folge (z.B. in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen oder Jahreserklärungen; Extrastat-Meldung statt Intrastat-Meldung, aber keine Zusammenfassende Meldung mehr).
 
Diese Unterscheidung zwischen EU-Land und Drittland schlägt sich bei den Unternehmen also insbesondere in der praktischen Umsetzung nieder, da unternehmensinterne Prozesse und ERP-Einstellungen (Steuerfindung und Steuerschlüssel) entsprechend anzupassen, andere Belegnachweise vorzuhalten und diese Umsätze entsprechend in den umsatzsteuerlichen Erklärungen zu differenzieren sind. Aber bereits zu Beginn des wirtschaftlichen Handeln sind nun bei Vertragsverhandlungen und Preiskalkulationen z.B. etwaige Zölle und Einfuhrumsatzsteuern, Kosten und Organisation für die zollrechtliche Abwicklung zu berücksichtigen, vor allem, wer die Abfertigung zum freien Verkehr in UK oder im Inboundfall in Deutschland übernimmt bzw. übernehmen kann. 
 
Zu beachten ist die Ausnahme, die noch kurz vor Jahreswechsel mit Nordirland in Bezug auf den Warenverkehr zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gefunden wurde: Gemäß Richtlinie (EU) 2020/1756 des Rates der Europäischen Union vom 20. November 2020 (in Kraft getreten am 26. November 2020, ABl. EU 2020, Nr.  L 396, 1) unterliegen Warenlieferungen zwischen der Europäischen Union und Nordirland weiterhin den Mehrwertsteuer-Vorschriften der EU; es wird eine besondere Identifikationsnummer dort (mit Ländercode/ Präfix „XI“) vergeben. Das heißt nach dem 31. Dezember 2020 ausgeführte Warenlieferungen von Deutschland aus nach Nordirland sind bei Vorliegen der Voraussetzungen weiterhin als in Deutschland steuerbare, aber steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen zu behandeln. Ab 1. Januar 2021 enthalten nordirische USt-ID-Nr. den Ländercode „XI“.
 
Ggf. sind noch Vereinfachungen möglich, etwa im Bereich von Lagerstrukturen. Statt Konsignationslager – mit den derzeit in Großbritannien vorgesehenen Vereinfachungen – sind die Nutzung von Zolllagerverfahren und damit ggf. weiterer Vermeidung umsatzsteuerlicher Registrierungen denkbar.

 
Diese wirtschaftliche Konsequenz stellt sich grundsätzlich bei Umsätzen und Leistungsbeziehungen ein, die den Leistungsort (den Ort der Steuerbarkeit eines Umsatzes) nach Großbritannien „legen” und keine Vor­steuer­abzugsmöglichkeit vorsehen – bei denen sich also die unterschiedlichen Steuersätze effektiv auswirken.
 
In der Branche des Versandhandels ist es – wenn die jeweilige Lieferschwelle von einem Versandhändler derzeit nicht überschritten wurde – wirtschaftlich wohl im Ergebnis negativ, wenn der Lieferant oder Kunde die Einfuhrbesteuerung im Vereinigten Königreich übernehmen würde bzw. müsste (falls keine sog. Klein­sendungen vorliegen; eine solche Vereinfachung für Kleinsendungen fällt demnächst im Inboundfall bzw. in der EU weg). Zwar ist (positiv) in Deutschland eine steuerfreie Ausfuhrlieferung auch an Privatkunden möglich (im Unterschied zu einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung, die nur im B2B-Geschäft möglich ist), d.h. es würde keine deutsche Umsatzsteuer (19 Prozent, ermäßigt 7 Prozent) anfallen, aber ggf. eine Großbritannien-(Einfuhr-)Umsatzsteuer (derzeit 20 Prozent, ermäßigt 5 Prozent). Damit werden sich wohl ohne entsprechende Preisanhebungen Margenreduzierungen einstellen. 
 
Die Regelungen zum sog. innergemeinschaftlichen Verbringen eines Gegenstands eines Unternehmens aus Deutschland nach Großbritannien zu seiner eigenen Verfügungsmacht – also in Fälle, in denen (noch) kein Endkunde feststeht (z.B. Warenbewegung in ein ausländisches Lager oder an eine ausländische Betriebsstätte) – müssten rein umsatzsteuerlich nicht mehr erfasst werden, da lediglich ein rechtsgeschäftsloses Verbringen vorliegt. Auch wenn diese unternehmensinternen Warenbewegungen umsatzsteuerlich nicht meldepflichtige Ausfuhren sind, müssen sich Unternehmer um eine etwaige Einfuhr in das Vereinigte Königreich Gedanken machen. Lieferungen mit Warenbewegungen von Großbritannien nach Deutschland wären für den Waren­empfänger in Deutschland keine innergemeinschaftlichen Erwerbe mehr, sondern – sofern in Deutschland die Ware abgefertigt wird – eine Einfuhr des Zollschuldners.
 
Auch sog. grenzüberschreitende Reihengeschäfte (mit den dann jeweiligen Regelungen zur Ausfuhr und Einfuhr) und das dann nicht mehr mögliche innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäft sind nach dem Brexit mit Änderungen betroffen, wenn die jeweilige Warenbewegung in Deutschland oder Großbritannien beginnt oder endet. 

  
Änderungen im Dienstleistungsverkehr

An dem (Bestimmungsland-) Grundsatz ändert sich aus deutscher umsatzsteuerlicher Sicht insofern nichts, als bei Leistungserbringung an einen Unternehmer (B2B) der Umsatz an dem Ort steuerbar ist, an dem der Leistungsempfänger sein Unternehmen betreibt – unabhängig davon, ob dessen Unternehmenssitz im EU-Ausland oder Drittland liegt. Ein Nachweis der Unternehmereigenschaft erfolgt dann nicht mehr anhand der von den EU-Mitgliedstaaten erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, sondern anhand anderer geeigneter Unterlagen, z.B. einer Unternehmerbescheinigung.
 
Zu beachten sind einige Vorschriften in § 3a UStG zum Leistungsort, etwa bei Veranstaltungs- oder Messe­leistungen, die bei Leistungserbringung eine Steuerbarkeit am Sitz/Wohnsitz des drittländischen Kunden vorsehen und damit ggf. Großbritannien-Umsatzsteuer mit einer Verpflichtung zur umsatzsteuerlichen Registrierung im Vereinigten Königreich auslösen können.
 
Im Bereich von M&A-Transaktionen, z.B. beim Share Deal, sind positive Gestaltungen im Bereich des deutschen Vorsteuerabzugs aus Transaktionskosten möglich, wenn der Anteilserwerber ein Drittländer (dann ggf. ein Großbritannien-Erwerber) wäre. Denn bei einer an sich steuerfreien Anteilsveräußerung wäre ein Vorsteuerabzug für damit zusammenhängende Kosten möglich, wenn sich der Umsatz unmittelbar auf Gegenstände bezieht, die in das Drittlandsgebiet ausgeführt werden. So ist Großbritannien so attraktiv wie in bestimmten Fällen derzeit einige Kanalinseln, z.B. Jersey.
 
Nachteilig wirkt der Brexit bei bestimmten Dienstleistung im B2C-Geschäft, z.B. bei erbrachten Telekommu­nikations-, Fernseh- oder auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen (z.B. bestimmte Download-Leistungen) an Privatkunden. Hier ist nicht mehr das vereinfachte Meldeverfahren im Mini One Stop Shop (MOSS) der EU möglich, so dass für EU-Unternehmer bei UK-Privatkunden nun zwingend eine Registrierung für umsatzsteuerliche Zwecke in UK erforderlich wird, dort dann auch Erklärungen abzugeben sind. Auch die für dieses Jahr geplanten weiteren Änderungen zur Ausdehnung des MOSS zu einem One Stop Shop Verfahren (OSS), das für die EU-Mitgliedstaaten Vereinfachungen zur Meldung im Ansässigkeitsstaat vorsieht (vor allem im B2C-Versandhandel / innergemeinschaftlichen Fernverkauf), womit sich Registrierungspflichten im Ausland vermeiden/reduzieren lassen, greifen für das UK-Geschäft nicht, so dass Registrierungen in UK vielfach nun in diversen Geschäftszweigen erforderlich werden. Eine Registrierung für umsatzsteuerliche Zwecke in UK dauert derzeit (infolge erhöhten Bearbeitungsaufkommens auf Seiten der dortigen Finanzbehörde) vier bis acht Wochen.  

  
Sonstige Änderungen: z.B. Vorsteuer-Vergütungsverfahren

Für Drittstaaten kommt es für die Zulässigkeit des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens auf die Gegenseitigkeit an. Wird im Ansässigkeitsstaat des Antragstellers Umsatzsteuer oder eine ihr gleichgestellte Steuer erhoben und z.B. deutschen Unternehmern vergütet – wovon für Großbritannien auch bei einem Brexit nach wie vor derzeit ausgegangen wird – kann eine Erstattung von gesetzlich geschuldeter und entrichteter UK-Umsatzsteuer im Vergütungsverfahren dort beantragt werden. Die Antragsfrist läuft umgekehrt für deutsche Umsatzsteuer aus 2020 infolge Drittland-Status der Erstattung über das BZSt für UK-Unternehmen nur bis zum 30. Juni des Folgejahres, nicht bis zum 30. September des Folgejahres.
 
Allgemein ist Großbritannien formal nicht weiter an EU-Verordnungen gebunden und hätte so keine Umsetzungspflicht der umsatzsteuerlichen unionsrechtlichen Richtlinienregelungen. Es könnte und „müsste” auch umsatzsteuerliche Sachverhalte nicht mehr dem Europäischen Gerichtshof vorlegen. Inwiefern hier größere, rein nationale Anpassungen im Umsatzsteuerrecht und -gesetz in Großbritannien künftig vorgenommen werden, muss weiter schlichtweg abgewartet werden.

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