Neue Möglichkeiten der Compliance Defense in der Tschechischen Republik

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veröffentlicht am 22. Februar 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Im September vergangenen Jahres erließ die tschechische Wettbewerbsbehörde (das sog. „Amt für Wettbewerbsschutz“) eine bahnbrechende Entscheidung, in der zum ersten Mal die Einführung eines wirksamen Compliance-Programms als mildernder Umstand bei der Verhängung einer Geldbuße für wettbewerbswidriges Verhalten berück­sichtigt wurde. Im Anschluss daran veröffentlichte die Wettbewerbsbehörde ihr neues programmatisches Dokument mit dem Titel „Grundsätze für die Berück­sich­tigung eines Compliance-Programms“. All das zeigt eine völlig neue Herangehensweise an die Bedeutung der Wettbewerbs-Compliance in der Tschechischen Republik und stellt gleichzeitig den ersten relevanten Schritt zur Einführung des Wettbewerbskon­zepts der Compliance Defense dar.



Unter einer Compliance Defense wird im Zusammenhang mit der Wettbewerbs-Compliance im Allgemeinen die rechtliche oder anderweitig garantierte Möglichkeit für einen Wettbewerber verstanden im Rahmen seiner verfahrensrechtlichen Verteidigung (Defense) die Existenz eines internen Systems von Maßnahmen zur Ein­haltung von Wettbewerbsvorschriften (Competition Compliance) geltend zu machen, damit dieser Umstand als mildernder Umstand gewertet werden kann, der zu einer Herabsetzung der Höhe der für ein nachgewiesenes wettbewerbswidriges Verhalten verhängten Geldbuße führen kann.  

Die grundlegende Bedeutung des neuen Ansatzes der tschechischen Wettbewerbsbehörde liegt in den oben genannten Zusammenhängen, insbesondere in der Tatsache, dass die Wettbewerbsbehörde nach jahrelangem Zögern beschloss, ihre präventive Rolle deutlich zu stärken und damit zu beginnen, im Rahmen der Kultivierung des Wettbewerbsumfeldes angemessene und wirksame interne Maßnahmen von Wettbewerbern im Rahmen ihrer Compliance-Programme zu berücksichtigen.

Es ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, der sowohl mit der europäischen Wettbewerbspolitik als auch mit einem ähnlichen Ansatz in einer Reihe anderer EU-Mitgliedstaaten übereinstimmt, wo eine Compli­ance Defense in einigen Fällen sogar eine angemessene rechtliche Grundlage hat. Ein konkretes Bei­spiel hier­für ist das deutsche Wettbewerbsrecht, das seit Januar 2021 auf § 81d Absatz 1 des Gesetzes gegen Wettbe­werbsbeschränkungen (GWB) beruht. Nach der gesetzlichen Bestimmung sind bei der Bemessung der Höhe einer Geldbuße für wettbewerbswidriges Verhalten unter anderem die Bemühungen des Wettbewerbers zur Verhinderung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens und möglicher Schäden sowie die nach einem wettbe­werbswidrigen Verhalten getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung oder Vermeidung der Folgen des wettbe­werbswidrigen Verhaltens zu berücksichtigen.
 
Für die Einführung des Konzepts der Compliance Defense im tschechischen Wettbewerbsumfeld ist ferner wichtig, dass sich der neue Ansatz in der Entscheidungspraxis der tschechischen Wettbewerbsbehörde eben­falls auf die Wettbewerbspolitik der Europäischen Kommission stützen kann, die sich bereits Anfang 2012 in ihrem Positionspapier „Compliance matters“ für eine Unterstützung interner Compliance-Programme ausge­sprochen hat.


Grundsätze für die Berücksichtigung eines Compliance-Programms

Wie bereits erwähnt, wurden kurz nach der Grundsatzentscheidung der tschechischen Wettbewerbsbehörde vom September 2022 auf deren Website die allgemeinen „Grundsätze für die Berücksichtigung eines Compliance-Programms“ veröffentlicht.

Es ist zunächst anzumerken, dass es sich um ein informatives Dokument handelt, das vorerst keine standar­disierte oder qualifizierte Form im Sinne einer Soft-Law-Quelle (Mitteilung oder Methodik) hat und daher in erster Linie als öffentliche Ankündigung und Absichtserklärung der Behörde hinsichtlich ihres weiteren Vor­gehens in der Teilfrage der Festsetzung von Geldbußen für wettbewerbswidriges Verhalten zu betrachten ist. In dieser Hinsicht ist zu erwarten, dass vor allem die Methodik der Behörde zur Regelung des Vorgehens bei der Festsetzung der Höhe von Geldbußen für Verstöße gegen das Gesetz über den Schutz des wirtschaftlichen Wettbewerbs in naher Zukunft erhebliche Änderungen erfahren wird; und zwar im Sinne einer Erweiterung der Liste der mildernden Umstände, die eine zusätzliche Minderung des Grundbetrags einer Geldbuße ermöglichen.    
    
Was den eigentlichen Inhalt der gegenständlichen Grundsätze anbelangt, so ist offenkundig, dass sie als grundlegende und relativ knappe Information darüber konzipiert sind, wie die Wettbewerbsbehörde die Bedeutung interner Regeln für die Umsetzung von Compliance-Programmen versteht und welche Rahmenbe­dingungen für die Berücksichtigung von Maßnahmen aus einem Compliance-Programm als mildernder Umstand bei der Festsetzung der Höhe von Geldbußen gelten.

Gemäß den angeführten Grundsätzen ist die Behörde bereit, sowohl bestehende als auch neu eingeführte Compliance-Programme bei ihrer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, und sie definiert die Bedingungen für deren mögliche Berücksichtigung als mildernde Umstände wie folgt:

  • die Angemessenheit des Compliance-Programms im Verhältnis zur Größe und Marktmacht des Wettbewerbers und der Art des Marktes, auf dem er aktiv ist;
  • die erfolgreiche Inanspruchnahme eines Vergleichsverfahrens oder einer Kronzeugenregelung in einem Verfahren vor der Behörde; und zugleich
  • ob im Falle eines bereits bestehenden Compliance-Programms ein wettbewerbswidriges Verhalten ohne Wissen der Vertretungsorgane oder des Managements des betreffenden Wettbewerbers begangen wurde.


Weitere Entwicklung der Compliance Defense in der Tschechischen Republik

Wie der Inhalt der angeführten Grundsätze für eine Berücksichtigung eines Compliance-Programms zeigt, bleibt die Haltung der Behörde zu der Möglichkeit der Anwendung einer Compliance Defense vorerst zurück­haltend und für Unternehmen als betroffene Wettbewerber sogar einschränkend. Das ist jedoch verständlich, da die Behörde ohne eine entsprechende rechtliche Regelung oder zumindest Soft-Law-Regelungen – unsicheres – Neuland betritt. Bis auf Weiteres können nämlich weder eine bisherige Entscheidungspraxis der Behörde selbst noch rechtliche Schlussfolgerungen aus der einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungs­gerichtsbarkeit in relevanter Weise herangezogen werden.
    
Was die Weiterentwicklung des Konzepts der Compliance Defense in der Tschechischen Republik betrifft, so wird es hauptsächlich darum gehen, wie die Regeln für die individuelle Beurteilung der Frage lauten werden, ob und inwieweit die im Rahmen eines Compliance-Programms ergriffenen internen Maßnahmen angemessen, verhältnismäßig und wirksam waren bzw. sind – selbstverständlich unter Berücksichtigung der Größe des Unter­nehmens und seiner Mitarbeiterzahl, des Gegenstands seiner Geschäftstätigkeit, der Art der betreffenden Märkte und anderer Umstände.
    
Ungeachtet der oben genannten Unklarheiten ist wesentlich, dass nun endlich auch in der Tschechischen Republik eine ausreichende Grundlage dafür geschaffen wurde, dass die Compliance Defense sukzessive zu einer wirklich umfassenden Plattform für den Einsatz der Wettbewerbs-Compliance als eines der grundleg­enden Instrumente zur Prävention von wettbewerbswidrigem Verhalten wird.

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