EuGH: Durchbruch für Sammelklage-Inkasso bei Kartellschadensersatz?

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​​​​​​​​​veröffentlicht am 29. Januar 2025 | Lesedauer ca. 3 Minuten

Hat der EuGH den Weg für Sammelklagen bei Kartellschadensersatzansprüchen freigemacht​? Das LG Dortmund wollte in Sachen Rundholzvermarktung vom EuGH wissen, ob das Unionskartellrecht gebietet, Sammelklage-Inkassomodelle für Kartell­scha­dens­ersatzansprüche zuzulassen. Bestimmte Interessengruppen feiern das Urteil schon als Erfolg für Abtretungsmodelle. Tatsächlich hat sich der EuGH in seinem Ur­teil vom 28. Januar 2025 (C 253/23, ECLI:EU:C:2025:40) aber differenziert geäußert. Die entscheidenden Fragen beantwortet der EuGH nicht selbst. Sie müssen von den natio­nalen Gerichten beantwortet werden.
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Hintergrund

Ein „Rechtsdienstleister“ klagte gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf Schadensersatz wegen des sog. Rundholzkartells. 32 Sägewerke hatten ihre Schadensersatzansprüche an den Dienstleister abgetreten, der diese gebündelt geltend machte. Das LG Dortmund musste sich mit dem Einwand befassen, dass das RDG dem Dienstleister das Sammelklage-Inkasso nicht gestatte. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die nationale Rechtsprechung, die das RDG in dem Sinne auslege, dass den durch einen Kartellrechtsverstoß Geschädigten die Inanspruchnahme eines Sammelklage Inkassos verboten ist, mit dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar sein dürfte. Das LG Dortmund arbeitete bei seiner Vorlagefrage mit den beiden (vom EuGH hinterfragten) An­nahmen, dass Abtretungsmodelle bei Kartellschadensersatz im deutschen Recht per se verboten seien und wirksame Alternativen zur kollektiven Durchsetzung von Schadensersatzansprüche nach deutschem Recht nicht bestehen.

Ausführungen des EuGH

Nach den Verweisen auf die bekannte „Jedermann“-Rechtsprechung des EuGH hält dieser im Urteil zunächst fest, dass es keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten gibt, einen Sammelklagenmechanismus einzuführen. Ebenso ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen einer Abtretung eines Kartellschadens­ersatz­anspruchs durch den Geschädigten im Vorfeld einer entsprechenden Sammelklage zu regeln. Dabei müssen die Mitgliedstaaten aber den Effektivitäftsgrundsatz beachten, nämlich „dass alle nationalen Vorschriften und Verfahren für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen so gestaltet sind und so angewandt werden, dass sie die Ausübung des Unionsrechts auf vollständigen Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schadens nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.“

Der EuGH stellt im Ergebnis fest, dass ein Verbot des Sammelklage-Inkassos gegen das Unionsrecht verstoßen kann. Ein solches Verbot ist dann mit dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar und damit unzulässig, wenn (i) es nach nationalem Recht keine zum Sammelklage-Inkasso alternativen und wirksamen Mechanismen​ der gebündelten Geltendmachung von Kartellschadensersatzsansprüchen gibt und (ii) die im nationalen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Erhebung einer individuellen Klage die Durchsetzung des Kartell­schadens­ersatz­sanspruchs unmöglich machen oder übermäßig erschweren. 
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Ob das der Fall ist und das deutsche Recht gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt, beantwortet der EuGH nicht. Das ist Sache des nationalen Gerichts, das die Optionen für die Geltendmachung von Kartellschadens­ersatz nach nationalem Recht umfassend würdigen muss. Dabei weist der EuGH unter anderem auf die im Verfahren diskutierten alternativen Auslegungs- und Handlungsmöglichkeiten zur Durchsetzung von Kartell­schadensersatz nach deutschem Recht hin (z.B. echtes Factoring). Ergänzend führt der EuGH aus, dass die Komplexität von Schadensersatzklagen und die damit einhergehenden Verfahrenskosten für sich genommen nicht die Schlussfolgerung zulassen, dass die Durchsetzung durch eine individuelle Klage praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert ist. Zu einer solchen Schlussfolgerung könne „das vorlegende Gericht nämlich nur dann gelangen, wenn es auf der Grundlage der Würdigung sämtlicher rechtlicher und tatsächlicher Umstände des Einzelfalls zu der Feststellung gelangte, dass konkrete Gesichtspunkte des nationalen Rechts der Er­hebung solcher individueller Klagen entgegenstehen“.

Kommt das LG Dortmund zu dieser Schlussfolgerung, müsste es dem EuGH zufolge versuchen, das RDG unionrechtskonform auszulegen. Sollte sich das als unmöglich erweisen, müsste es die gegenständlichen Regelungen des RDG unangewendet lassen.

Fazit

Das Urteil dürfte noch nicht den Durchbruch für Sammelklage-Inkasso in Deutschland bedeuten. Wesentliche Aspekte müssen nun vom LG Dortmund und aller Voraussicht nach von den Folgeinstanzen bewertet werden. Das gilt insbesondere für die Frage, ob es nach deutschem Recht tatsächlich keine wirksamen Alternativen zu Sammelklage-Inkasso bei Kartellschadensersatzansprüchen gibt.

Anspruchsteller sollten sich also bewusst sein, dass bei derartigen Modellen Rechtsunsicherheit verbleibt.
Zu beachten ist zudem, dass die vom EuGH hier beantworteten Vorlagefragen nur sog. „Stand-alone-Klagen“ betreffen, bei denen der Kartellrechtsverstoß (wie im gegenständlichen Verfahren Rundholzvermarktung) nicht bindend festgestellt ist. Die meisten Kartellschadensersatzverfahren in Deutschland betreffen klassische „Follow-on-Klagen“ nach Kartellbußgeldentscheidungen mit Bindungswirkung der Bußgeldbescheide. Auch hierzu stellte das LG Dortmund eine Vorlagefrage, die der EuGH jedoch für unzulässig hielt.​
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