Frankreich: Die Verfassungsmäßigkeit der satzungsmäßigen Ausschlussklausel wurde bekräftigt

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veröffentlicht am 14. Februar 2023 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Mit einem Beschluss vom 9. Dezember 2022[1] erklärte das französische Verfassungs­gericht die Vorschriften des französischen Handelsgesetzbuchs nach denjenigen die Gesellschafter einer französischen vereinfachten Aktiengesellschaft (société par actions simplifiée „SAS“) in der Satzung vorsehen können, dass ein Gesellschafter unter den in der Satzung vorgesehenen Bedingungen zur Veräußerung seiner Aktien verpflichtet sein kann („satzungsmäßige Ausschlussklausel“) als verfassungsmäßig. Das Verfassungsgericht stellte insbesondere fest, dass das von dem Artikel 17 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte („EMBR“) geschützten Eigentumsrechts nicht verletzt wurde. 

   
Zur Erinnerung wurde das französische Verfassungsgericht mit vier vorrangigen Fragen der Verfassungsmäßig­keit (question prioritaire de constitutionnalite „QPC“), in denen die Konformität der Artikeln L. 227-16, Absatz 1 und L. 227-19, Absatz 2 des französischen Handelsgesetzbuchs („frz. HGB“) mit dem verfassungsmäßig ge­schützten Eigentumsrecht[2] hinterfragt wurde, befasst[3].
 
Der Artikel L. 227-16; Abs. 1 des frz. HGB legt den Grundsatz der satzungsmäßigen Ausschlussklausel in einer SAS und der freien Bestimmung ihrer Anwendung in der Satzung fest. Der Artikel L. 227-19, Abs. 2 des frz. HGB sieht seinerseits seit dem Inkrafttreten des Soilihi-Gesetzes am 21. Juli 2019[4] vor, dass die satzungsmäßige Ausschlussklausel nur durch einen kollektiven Beschluss der Gesellschafter, der unter den in der Satzung vorgesehenen Bedingungen und Formen gefasst wird, angenommen oder geändert werden kann. Das Ziel des Soilihi-Gesetzes bestand darin, den Gesellschaftern einer SAS mehr Anpassungsfähigkeit und Freiheit anzu­bieten sowie bestimmte Blockadesituationen bei der Annahme oder Änderung einer satzungsmäßigen Aus­schlus­sklausel zu vermeiden. Vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes konnten die Gesellschafter einer SAS die satzungsmäßige Ausschlussklausel nur mit Einstimmigkeit annehmen oder ändern. In der heutigen Praxis sieht die Satzung meist vor, dass die satzungsmäßige Ausschlussklausel nur mit der für außerordentliche Beschlüsse vorgesehenen Mehrheit angenommen oder geändert werden kann, d.h. mit einer qualifizierten Mehrheit (z.B. 3/4 der Aktien, die das Grundkapital bilden) und seltener mit Einstimmigkeit
 
Es ist hier wichtig, an die ständige Rechtsprechung des französischen Kassationsgerichtshofs zu erinnern, wonach der Gesellschafter, über dessen Ausschluss es gewählt wird, an der Abstimmung über den Beschluss teilnehmen können muss[5]. Der Artikel 1844, Absatz 1 des französischen Zivilgesetzbuchs sieht nämlich vor, dass „jeder Gesellschafter über das Recht verfügt, an kollektiven Beschluss teilzunehmen.“ Die Satzung kann das Ausschlussverfahren zwar frei gestalten, sie darf aber nicht vorsehen, dass der vom Ausschluss betroffene Gesellschafter nicht an den Beschluss teilnehmen kann[6], noch dass seine Stimme bei der Berechnung der Stimmen nicht berücksichtigt wird[7] oder noch, dass er sogar bei der Generalversammlung, die über seinen Ausschluss entscheiden soll, nicht anwesend sein darf.
 
Der Sachverhalt, der zur Weiterleitung der QPC an das französische Verfassungsgericht durch das französische Kassationsgerichtshof führte, war folgender: Ein Arbeitnehmer war Gesellschafter einer SAS („der Kläger“). Nach der Satzung dieser SAS war der Status eines Gesellschafters von dem eines Arbeitnehmers oder sozialen Mandatsträgers der Gesellschaft abhängig. Die Satzung enthielt daher eine satzungsmäßige Ausschlussklausel, nach der der Verlust der Eigenschaft als Arbeitnehmer oder Mandatsträger der Gesellschaft ein Grund für den Ausschluss des Gesellschafters war. Da der Kläger entlassen worden war, waren die Gesellschafter zu einer Hauptversammlung geladen und hatten für seinen Ausschluss gestimmt, nachdem sie zuvor dafür gesorgt hatten, die satzungsmäßige Ausschlussklausel zu ändern, die bis dahin vorsah, dass der von dem Ausschluss betroffene Gesellschafter nicht an der Abstimmung teilnehmen durfte.
 
Der Kläger, der somit an der Abstimmung über seinen Ausschluss teilgenommen hatte, erhob vor dem Handels­gericht Paris die Nichtigkeit der Änderung der satzungsmäßigen Ausschlussklausel sowie des Ausschlussbe­schlusses. Gleichzeitig reichte er vier QPC ein und machte geltend, dass die Artikeln L. 227-16 Absatz 1 und L. 227-19 Absatz 2 des frz. HGB nicht mit dem verfassungsmäßig geschützten Eigentumsrecht konform seien. Er war der Ansicht, dass die Tatsache, dass ein Gesellschafter aufgrund einer Satzungsklausel, der er nicht zugestimmt hatte, gezwungen werden kann, seine Aktien zu veräußern, eine Verletzung des in Artikel 17 der EMBR geschützte Eigentumsrechts darstelle, und argumentierte insbesondere, dass ein Eingriff in dieses unantastbare und heilige Recht nur im Falle einer gesetzlich vorgesehenen öffentlichen Notwendigkeit (d.h. ein Grund öffentlichen Interesses) und nach Gewährung einer vorherigen Entschädigung möglich ist, die angesichts der Schwere des Eingriffs als gerecht angesehen wird.
 
Das Verfassungsgericht bekräftigt, dass die satzungsmäßigen Ausschlussklauseln und ihre Annahme- und Änderungsmodalitäten, wie sie im frz. HGB vorgesehen sind, keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das ver­fassungsmäßig geschützte Eigentumsrecht darstellen. Um dies zu bekräftigen, ist das Verfassungsgericht der Ansicht, dass:
  • der Zweck der hinterfragten gesetzlichen Vorschriften ausschließlich darin besteht, einer SAS zu ermögli­chen, einen Gesellschafter auszuschließen, und nicht darin, ihm sein Eigentum zu entziehen: der Ausschluss ist keine Enteignung!
  • die Vorschriften des frz. HGB ein Ziel von allgemeinem Interesse verfolgen, nämlich jeder SAS zu ermögli­chen, den Zusammenhalt ihrer Aktionäre und damit die Fortführung ihrer Tätigkeit zu gewährleisten. Da die satzungsmäßige Ausschlussklausel in der Satzung angenommen oder geändert werden kann, ohne dass die Einstimmigkeit der Gesellschafter erforderlich ist[8], wird jede Blockadesituation, die sich aus dem potenziell vom Ausschluss betroffenen Gesellschafter ergeben könnte, eher vermieden. Aus diesem Grund ist das Soilihi-Gesetz ab seinem Inkrafttreten auf alle satzungsmäßigen Ausschlussklauseln, die zuvor angenommen wurden, anwendbar[9]. Das allgemeine Interesse wird hier mit dem Gesellschaftsinteresse vermischt.
 
Das Verfassungsgericht geht noch weiter und erinnert an den notwendigen Rahmen für die Umsetzung von satzungsmäßigen Ausschlussklauseln, um einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Eigentumsrecht zu vermeiden:
  • Nach der ständigen Rechtsprechung des französischen Kassationsgerichtshofs, die jede missbräuchliche Anwendung des satzungsmäßigen Ausschlusses einschränkt, müssen die Bedingungen und das Verfahren für den Ausschluss ausdrücklich in der Satzung festgelegt und von den Gesellschaftern befolgt werden. Das französische Verfassungsgericht fügt hinzu, dass die Ausschlussgründe darüber hinaus in der Satzung abschließend aufgezählt werden müssen (z.B.: Verlust der Eigenschaft des Gesellschafters als Mandatsträger der Gesellschaft, wiederholte Abwesenheit bei den Hauptversammlungen usw.) und mit dem Gesellschafts­interesse und der öffentlichen Ordnung in Einklang stehen müssen. Dieser Grundsatz der abschließenden Aufzählung von den Ausschlussgründen in der Satzung muss jedoch relativiert werden. Das französische Kassationsgericht hat nämlich kürzlich in Bezug auf eine Gesellschaft mit variablem Kapital entschieden, dass die Satzung dieser Gesellschaft lediglich vorsehen kann, dass ein Gesellschafter aus wichtigen Grün­den durch einen Beschluss der Gesellschafter in einer außerordentlichen Hauptversammlung ausgeschlos­sen werden kann. Daher erkennt das französische Kassationsgerichtshof an, dass eine satzungsmä­ßige Ausschlussklausel die Ausschlussgründe nicht aufzählen muss und nur auf wichtige Gründe verweisen kann. Ein Missbrauch der Klausel wird jedoch weiterhin systematisch bestraft.
  • Die Aktien des ausgeschlossenen Gesellschafters müssen von der Gesellschaft oder den anderen Gesell­schaftern zu einem „angemessenen“ Preis zurückgekauft werden, der entweder nach einer in der Satzung festgelegten Methode, durch eine Vereinbarung zwischen den Parteien oder durch einen unter den Bedin­gungen des Artikels 1843-4 des französischen Zivilgesetzbuches bestellten Sachverständigen bestimmt wird.
  • Sowohl der Ausschlussbeschluss als auch der Kaufpreis können von dem ausgeschlossenen Gesellschafter vor Gericht angefochten werden.
 
Das gesetzliche und rechtliche System der satzungsmäßigen Ausschlussklauseln, die dazu führen, dass ein Gesellschafter seine Aktien unter bestimmten, in der Satzung genau festgelegten Bedingungen veräußern muss, weist daher alle vom Verfassungsrecht geforderten Garantien auf und stellt keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Eigentumsrecht dar.
 
Angesichts dieser Entscheidung wird die SAS, deren Satzung eine Ausschlussklausel vorsieht, dringend gera­ten, darauf zu achten, dass die oben genannten Gültigkeitsbedingungen auch wirklich erfüllt sind. Unser Team von Anwälten steht Ihnen selbstverständlich zur Verfügung, um Sie bei diesem Schritt zu begleiten.
 


[1] Frz. Verfassungsgericht, 9.12.2022, Nr. 2022-1029, QPC
[2] Artikeln 2 und 17 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 1789
[3] Frz. Kassationsgerichtshof, Kammer für Handelssachen, QPC, 12.10.2022, Nr. 22-40013
[4] Gesetz Nr. 2019-744 vom 19.7.2019 zur Vereinfachung, Klärung und Aktualisierung des Gesell-schaftsrechts, sog. Soilihi-Gesetz
[5] Frz. Kassationsgerichtshof, Kammer für Handelssachen, 23.10. 2007, Nr. 06-16537, Arts et entre-prises; Frz. Kassationsgerichts­hof, Kammer für Handelssachen, 9.2.1999, Nr. 96-17661
[6] Artikel 1844, Abs. 4 des frz. Zivilgesetzbuches
[7] Frz. Kassationsgerichtshof, Kammer für Handelssachen, 21.4.2022, Nr. 21-10355
[8] Artikel L. 227-19, Abs. 2 des frz. HGB
[9] Frz. Kassationsgerichtshof, Kammer für Handelssachen, QPC, 12.10.2022, Nr. 22-40013
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