Der Immobilienmarkt im Umbruch: Ursachen, Risiken und Potenziale in Deutschland auf einen Blick

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veröffentlicht am 12. März 2024 | Lesedauer ca. 4 Minuten
von Christoph Hirt, Florian Geerling und Janina Müller
  

Es herrscht Unsicherheit in dem einst attraktiven Investitionsmarkt: Die deutsche Immobilienlandschaft erfährt aktuell Turbulenzen, wie sie seit der Lehmann-Pleite 2008 nicht verzeichnet wurden. Jahre der Niedrigzinspolitik, demographisch vorhersehbarer Trends und stabiler Wirtschaftsleistung haben ein Gefühl von Selbstsicherheit im Markt gefördert. Die auf Niedrigrendite eingerichtete Branche zeigt sich derzeit nur schwer im Stande, den vielfältigen Veränderungen entgegen zu treten, die mit der Corona-Pandemie begannen und nicht zuletzt mit Energie- und Zinswende immer volatilere Ergebnisse und Prognosen verzeichneten.


In diesem Beitrag gehen wir näher auf die Ursachen und Treiber der aktuellen Heraus­forderungen am deutschen Immobilienmarkt ein und zeigen mögliche Chancen und Risiken für Immobilienunternehmen und Investoren auf. 

 

  Künstliche Intelligenz im Handel: Chancen und Herausforderungen 


Derzeit lassen sich auf dem deutschen Immobilienmarkt teils gegenläufige Entwicklungen beobachten. Viele Trends, die den Markt in den letzten Jahren dominierten, scheinen sich in Rekordgeschwindigkeit umzukehren:

  • Während es noch nie mehr Vielfalt an unterschiedlichen Konzepten für Wohn-/Einzelhandels- und Büro-Bau­projekte gab, zeichnet sich eine Konsolidierung der großen Immobilienentwickler und -investoren ab. Prominente und medienwirksame Insolvenzen führen im Markt zu einer Umverteilung und Umstrukturierung innerhalb der Branche.
  • Die daraus resultierenden Baustopps stehen im starken Kontrast zur vorherrschenden Wohnungsnot, insbeson­dere in den Ballungszentren.
  • Während Kauf- und Angebotspreise und Transaktionsvolumen für Immobilien im Jahr 2023 sanken, wuchsen die Marktmieten weiter auf Rekordniveau.
  • Energiewende und soziale Wohnbestreben fordern Investitionen in einem Markt, der bereits während der Zeit des Niedrigzins unter den steigenden Baukosten zu ächzen begann.


Gesamtwirtschaftliche Situation in Deutschland

All dies geschieht inmitten wirtschaftlicher Turbulenzen. Deutschland steht an einem Scheideweg zwischen Krise und möglicher Entlastung, die Konjunktur ist nach wie vor geschwächt. Auswertungen des statistischen Bundes­amtes zeigen, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Q3 2023 um 0,1 Prozent gesunken ist. Es herrscht aktuell eine Atmosphäre erhöhter Besorgnis, die sich in steigenden Preisen, geopolitischen Spannungen und einem allgemeinen Gefühl der Unsicherheit ausdrückt. Als Ursache hierfür gilt allgemein das Eintreffen der Corona-Pandemie in Deutschland im Jahr 2020 und die darauffolgende globale Disruption insbesondere von Lieferketten, weiter ver­stärkt durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022. In Deutschland traten diese Ereignisse in einer prekären wirtschaftlichen Lage auf, die bereits durch den demografischen Wandel und die Energiewende geprägt war.

Im Allgemeinen gehen Unsicherheiten im Hinblick auf die weitere volkswirtschaftliche Entwicklung mit Risiko- und somit Preisabschlägen einher. In Bezug auf den Immobilienmarkt und die Entwicklung der Immobilienpreise lassen sich aus der derzeitigen vermeintlichen Stagnation der deutschen Volkswirtschaft jedoch keine direkten Auswirkun­gen ablesen. Der momentane Umbruch innerhalb der deutschen Immobilienwirtschaft lässt sich vielmehr durch Analyse branchenspezifischer Markttreiber, insbesondere von Inflation und Zinswende und Diskrepanz von Kaufpreis- und Mietpreisentwicklungen erklären.


Zinswende als Folge der Inflation

Die zeitweise eingeschränkte Verfügbarkeit von Gas führte im Jahr 2022 zu explodierenden Energiepreisen und neben den erhöhten Staatshaushaltsausgaben durch Corona-Hilfen und Preiserhöhungen durch pandemiebedingte Lieferschwierigkeiten galt dies als Haupttreiber der Rekordinflation in Deutschland. Als Reaktion auf die steigende Inflation änderte die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Zinspolitik und hob die Zinsen deutlich an. So wurde der Hauptrefinanzierungssatz der EZB von 0 Prozent im Juni 2022 auf 4,5 Prozent im September 2023 angehoben. Die steigenden Leitzinsen und die damit einhergehenden erhöhten Finanzierungskosten führten zur größten Zinswende der jüngeren Geschichte.


Entwicklung Bauzinsen, Inflation und Leitzins, Staatsanleihen bis Ende 2023 (in %)

Quelle: Statista, Deutsche Bundesbank; Analyse Rödl & Partner

Während die Profitabilität von geplanten und bereits begonnenen Neubau-Projektentwicklungen durch erhöhte Bau- und Finanzierungskosten bereits kurzfristig in Frage gestellt wird, werden auch langfristig ausgerichtete Eigentümer von Bestandsimmobilien wie Immobilienfonds, strategische Investoren oder Privateigentümer im Zuge von verteu­erten Refinanzierungen mittelfristig mit erhöhten Rentabilitäts-Herausforderungen konfrontiert. Dies lässt sich be­reits am Transaktionsvolumen auf dem Investmentmarkt für Immobilien in Deutschland ablesen, der in 2023 um 53 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist.


Diskrepanz zwischen Mieten und Kaufpreisen

Eine weitere Trendwende am Immobilienmarkt zeigt sich in der historisch gewachsenen Diskrepanz zwischen Marktmieten und Kaufpreisen. Im Zuge der Niedrigzinspolitik in den Folgejahren nach der Finanzmarktkrise sind die indexierten Kaufpreise im Vergleich zu den indexierten Mieten überproportional gestiegen. Somit konnten Immobi­lienentwickler nach 2010 mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sich Investitionen rein aus steigender Neubewertung rentieren (getrieben durch den Transaktionsmarkt) statt aus dem operativen Betrieb (getrieben durch Mietsteigerungen). Erstmals seit über einem Jahrzehnt wurden im Jahr 2023 die Immobilien­bewertungen jedoch großflächig nach unten korrigiert, während die Mietpreise weiter stiegen.


Miet- vs. Kaufpreis-Index (2004 = 100)

Quelle: empirica-Preisdatenbank (Basis: VALUE Marktdaten); Analyse Rödl & Partner


Auswirkungen auf Finanzierungskapazitäten

Als Konsequenz rückläufiger Immobilienbewertungen erhöhen sich die Verschuldungsquoten von Immobilienunter­nehmen und reduzieren somit deren Verschuldungskapazitäten, da die Unternehmen Schwierigkeiten haben, zu­sätz­liches (teureres) Fremdkapital aufzunehmen und gleichzeitig ihre bestehenden Schulden zu bedienen.

Geringere Transaktionsvolumina, als Indikator einer eingeschränkten Marktliquidität, sowie der allgemeine Druck auf die Immobilienpreise führen außerdem dazu, dass Verkäufe von (Teil-)Portfolios zur Ablösung auslaufender Finanzierungen im Vergleich zu den Jahren vor 2023 erschwert möglich sind. Zwar müsste die hohe Nachfrage nach Wohnraum und die steigenden Mieten insbesondere in Ballungszentren als preiserhöhendes Korrektiv wirken, jedoch können diese Faktoren derzeit nur teilweise die gestiegenen Renditeanforderungen und (insbesondere im Falle von Projektentwicklern) Unsicherheiten in den Baukosten kompensieren.

Für alle Beteiligten stellt sich die zentrale Frage, wie schnell und wie stark sich Zinserhöhungen aus (Re-)Finan­zierungen auf ihr Geschäft bzw. ihre Investitionen auswirken. Die Logik der vergangenen Jahre, in denen teilweise über Wertsteigerungen statt über Mieten erzielte höhere Gewinne als Basis für eine noch höhere Fremdverschul­dung genutzt wurden, funktioniert im neuen Zinsumfeld nicht mehr.


Fazit

Projektentwickler sowie bestandshaltende Immobilienunternehmen stehen vor der Aufgabe, ein nachhaltiges und durchfinanziertes Geschäftsmodell zu schaffen, welches kurz- und mittelfristig für Eigen- und Fremdkapitalgeber attraktive Renditen erzielt. Die Instrumente, die Immobilienunternehmen zur Bewältigung dieser Herausforderungen zur Verfügung stehen, umfassen operative, finanzielle und strukturelle Hebel, je nach dem spezifischen Kontext eines Unternehmens. Es lohnt sich, eine genaue und transparente Analyse der Portfolios auf mögliche Über-/Unter­bewertungen mit Hinblick auf die zukünftigen Treiber im Markt vorzunehmen, welche sich aller Erwartung nach wieder verstärkt an der operativen Leistungsfähigkeit der individuellen Objekte orientieren werden und weniger an transaktionsgetriebenen Faktoren.

Investoren in Immobilienunternehmen sollten insbesondere bei hoch verschuldeten Unternehmen die Risiken im Hinblick auf die Werthaltigkeit der Immobilien und Sicherheiten sowie der fristgerechten Bedienung von (Fremd-)Kapital und Zinsen analysieren. Hierzu gehören auch Parameter, die in den letzten Jahren bei (Re-)Finanzie­rungs­prozessen etwas in den Hintergrund getreten sind, aber in Zukunft wieder eine wichtigere und letztlich ent­scheidende Rolle spielen. Dazu gehören die (Rest-)Laufzeiten bestehender Finanzierungsinstrumente, die Liqui­di­täts­reserven der Unternehmen und die freie Verfügbarkeit von (zusätzlichen) Sicherheiten.

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