Gegen Winterdepression hilft eine investitionsfreundliche Politik

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veröffentlicht am 12. März 2024 | Lesedauer ca. 3 Minuten
 

„Es gibt keinen Anlass zu jammern“, sagt Kanzler Olaf Scholz. Und Finanzminister Christian Lindner meint, er könne die Klagen über den Standort Deutschland nicht mehr hören. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt und viele fragen sich, wie wir aus dem Tal wieder herauskommen. Der entscheidende Anstoß dazu muss von der Politik kommen, indem sie Lösungen zu drängenden Herausforderungen vorlegt.

Rainer Kirchdörfer kommentiert

Prof. Rainer Kirchdörfer ist Partner der Sozietät Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz in Stuttgart. Er ist Honorarprofessor an der privaten Universität Witten-Herdecke und Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik. Die Stiftung Familienunternehmen und Politik ist die fachliche Autorität in allen Belangen der Familienunternehmen und der zentrale Ansprechpartner für Politik und Medien. Sie nimmt die Interessen der Familienunternehmen auf nationaler und europäischer Ebene wahr.
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Deutschland hat viele Stärken, daran sollte die Politik anknüpfen: Die Vielfalt an mittelständischen Unterneh­men, Handwerk, Selbstständigen, großen und international tätigen Familienunternehmen und Konzernen zeichnet unser Land aus. Darum beneidet uns das Ausland. Doch seit mehr als einem Jahrzehnt vernach­lässigen die verschiedenen Bundesregierungen die Wirtschaft. Unternehmen werden immer mehr Steine in den Weg gelegt: etwa durch eine ausufernde Bürokratie oder durch eine nicht mehr wettbewerbs­fähige Energiepolitik. Ein Beispiel: Über das Jahr 2023 hinweg diskutierte Deutschland über einen vergünstigten Industriestrompreis. Die Regierung entschied sich aus nachvollziehbaren Gründen dagegen und präsentierte dafür ein belastbares Konzept zur Senkung der Strompreise. Dieses Strompreispaket ist wegen der Haushaltsnotlage zum Teil wieder Makulatur: 2024 stellen die Familienunternehmen fest, dass sie an ihren deutschen Standorten weltweit die höchsten Strompreise zu bezahlen haben. Deutschlands Wettbewerbs­fähigkeit erodiert.

Die Familienunternehmen sind für ihre Standorttreue bekannt. Gerade weil sie so eng mit unserer Heimat verbunden sind, weisen sie in aller Deutlichkeit auf Fehlentwicklungen hin. „Familienunternehmen kehren Deutschland den Rücken“, titelte Ende Dezember die „Welt am Sonntag“. Unter Bezug auf eine Studie der Stiftung Familienunternehmen kam die Zeitung zu einem alarmierenden Ergebnis: 56 Prozent der befragten Familienbetriebe erwarten, dass sie hierzulande in den kommenden fünf Jahren weniger investieren werden. Bei den großen, international agierenden Familienunternehmen liegt der Anteil sogar bei 75 Prozent.

Die Abwanderung von Unternehmen ins Ausland findet jeden Tag statt. Wichtige Investitionen werden über Jahre geplant. Hier orientieren sich große Familienunternehmen immer stärker an ausländischen Standorten. Deutschland bleibt als Heimatmarkt zwar wichtig, doch Ausbau und Wachstum finden häufig außerhalb Deutschlands statt. Damit können wir uns nicht zufriedengeben. Wenn sich die Deindustrialisierung gerade auch bei den Familienunternehmen verstärkt, sind das die Unternehmen, die überproportional zum Steuerauf­kommen, zur Technologieentwicklung, zur Aus- und Weiterbildung und zur Beschäftigung in unserem Land beitragen.

Die Bundesregierung versucht die Standortschwächen mit Subventionen zu kompensieren. Beispiele dafür sind immense Förderungen für Chip- und Batteriehersteller. Dank milliardenschwerer Steuergeschenke zieht es ausländische Tech-Konzerne ins Land. Begründet wird dies damit, wichtige Technologien in Deutschland zu halten. Wichtig wäre aus Sicht der Familienunternehmen, die knappen Mittel auch dafür einzusetzen, um die Rahmenbedingungen für alle Unternehmen zu verbessern. Dazu gehört zum Beispiel eine funktionierende Infrastruktur mit leistungsfähigen Stromnetzen. Deutschland braucht eine Fitnesskur. Die Politik sollte wegen der Haushaltsnotlage zuerst die Dinge angehen, die kein oder wenig Geld kosten. Gesetze dürfen nur noch bürokratiearm und nach Möglichkeit digital umgesetzt werden. Das gilt vor allem auch für Maßnahmen auf EU-Ebene. Eine verschärfte EU-Lieferkettenrichtlinie, die den Außenhandel mit neuen Haftungsrisiken belegt, darf nicht kommen. Was nutzt ein punktueller Bürokratieabbau, wenn mit neuen Gesetzen immer noch mehr neue Belastungen hinzukommen?

Priorität sollte jetzt haben, die Investitionsbedingungen zu verbessern. Dafür sind Bund und Länder gleicher­maßen verantwortlich. Die Hängepartie beim Wachstumschancengesetz, das zumindest kleine Verbesserungen bei den steuerlichen Rahmenbedingungen erwarten lässt, zeigt, wie mühsam die Verständigung in der föderalen Ebene ist. Bund und Länder müssen wieder an einem Strang ziehen. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähig­keit ist eine gesamtstaatliche Aufgabe.

Notwendig ist ein Kraftakt. Deutschland fällt im Vergleich auch deshalb zurück, weil andere Industrieländer ihre Hausaufgaben besser machen. Seit 2006 legt die Stiftung Familienunternehmen alle zwei Jahre den Länderindex Familienunternehmen vor. Es ist das größte Standortbarometer der Familienunternehmen, das auf wissenschaftlicher Grundlage vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim erarbeitet wird. Das Ergebnis: Deutschland kann mit Spitzenstandorten in Nordamerika, Westeuropa und Skandinavien kaum noch mithalten. In der aktuellen Rangliste befindet sich Deutschland auf Platz 18 von 21 Industrieländern. Während andere Staaten in Infrastruktur investieren oder ihr Steuersystem reformieren, kommt Deutschland nicht voran – und das seit Langem. Seitdem der Länderindex Familienunternehmen 2006 zum ersten Mal erschien, ist Deutschland um sechs Plätze abgerutscht.

Mehrere Regierungen hierzulande haben sich von der Vorstellung leiten lassen, eine gute Wirtschaftsent­wicklung sei ein Selbstläufer. Doch dafür muss Politik die Voraussetzungen schaffen. Nur wenn die vielen liegengebliebenen Aufgaben angepackt werden, wird sich die Stimmung verbessern.

Der Bundeskanzler liegt falsch: Es gibt viel Grund zum Jammern! Immerhin erkennt der Finanzminister den Handlungsbedarf und fordert eine Wirtschaftswende. Die gesamte Regierung täte gut daran, die Klagen über die Rahmenbedingungen am Standort Deutschland ernst zu nehmen.
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