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veröffentlicht am 7. Dezember 2022 | Lesedauer ca. 4 Minuten
Das Jahr 2022 war aus weltpolitischer Perspektive vor allem das Jahr des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Das hat humanitäre, wirtschaftliche sowie auch rechtlich tiefe Spuren hinterlassen. Aus rechtlicher Sicht zeichnen sich vor allem die EU-Sanktionsmaßnahmen gegen Russland und Belarus besonders deutlich ab. Durch bislang acht Sanktionspakete und eine Reihe flankierender Bestimmungen hat der europäische Gesetzgeber die restriktiven Maßnahmen, die zum Teil bereits im Jahr 2014 als Reaktion auf die russische Annexion der Krim getroffen wurden, nach und nach erheblich ausgeweitet [1]. Ein Ende der russischen Aggression ist nicht in Sicht. Daher wird die Sanktionsgesetzgebung auch im Jahr 2023 weiterhin präsent sein. Ein Ausblick aus Sicht der Sanktions-Compliance.
Trotz der beträchtlichen Regelungsdichte sind bislang verhältnismäßig wenig behördliche bzw. gerichtliche Verfahren wegen Sanktionsverstößen öffentlich bekannt geworden. Auch wenn die Zahl der tatsächlich geführten Ermittlungsverfahren inzwischen nicht unerheblich sein dürfte, sind ausgerechnet die straf- bzw. bußgeldrechtlichen Risiken für Unternehmen bzw. deren verantwortlich handelnde Personen gegenwärtig häufig schwer abzuschätzen.
Das könnte sich im Jahr 2023 ändern: Der deutsche Gesetzgeber zieht nun in Sachen Sanktionsdurchsetzung nach und erhöht dadurch faktisch die Sorgfaltspflichten für und damit den Druck auf Unternehmen und die handelnden Personen Um den operativen Vollzug der EU-Sanktionen zu gewährleisten, plant der Gesetzgeber durch das sog. Sanktionsdurchsetzungsgesetz II, insbesondere eine sog. Zentralstelle Sanktionsdurchsetzung auf Bundesebene zur Durchsetzung des Sanktionsrechts in Deutschland einzurichten.
Zur Erfüllung ihrer Aufgaben soll die neue Bundesbehörde nach dem Regierungsentwurf mit zahlreichen gefahrabwehrrechtlichen Befugnissen ausgestattet werden. Die umfassen insbesondere
Die gesetzlichen Vorhaben erweitern damit einerseits den Kreis der Möglichkeiten für Handelsakteure, ihre eigene Sanktions-Compliance sicherzustellen, indem sie zusätzliche Ansprechpartner, Informationsquellen und Meldekanäle schaffen. Andererseits wird der Druck auf Unternehmen weiter erhöht, entschieden gegen Sanktionsverstöße vorzugehen, um – zusätzlich zu den bereits bestehenden Haftungsrisiken – einschneidende behördliche Überwachungsmaßnahmen zu vermeiden.Der Regierungsentwurf des Sanktionsdurchsetzungsgesetz II wurde zwischenzeitlich dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet. Wie die Bezeichnung nahelegt, handelt es sich um einen Entwurf, der jedenfalls noch der Abstimmung im Bundestag bedarf. Es bleibt daher grundsätzlich abzuwarten ob, wann und mit welchem konkreten Inhalt das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II in Kraft treten wird.
Gleichwohl sieht der Regierungsentwurf hinsichtlich des Inkrafttretens bereits den 1. Januar 2023 vor. Die betreffenden Unternehmen sind daher gut beraten, angesichts der wohl bevorstehenden gesteigerten Kontrolldichte und -intensität die eigenen Maßnahmen zur Vermeidung von Sanktionsverstößen auf den Prüfstand zu stellen und ggf. zu optimieren.
Bereits im September 2022 wurde die Verlängerung der personenbezogenen Sanktionen bis zum 15. März 2023 beschlossen. Mit einer weiteren zeitlichen Ausdehnung ist angesichts der aktuellen politischen Lage zu rechnen. Schließlich haben die globalen Sanktionsmaßnahmen die russische Wirtschaft schwer getroffen und damit eine gewisse Wirkung gezeigt.Auch die Verabschiedung neuer Sanktionsvorschriften ist zu erwarten. So reagiert der Rat der Europäischen Union auch zwischen den größeren Sanktionspaketen auf politische und tatsächliche Entwicklungen: Ende Oktober 2022 wurden etwa Sanktionen gegen drei Personen und eine Organisation verhängt, die mit dem Einsatz iranischer Drohnen in Russlands Angriffskrieg in Verbindung gebracht werden.
Zudem hat gerade das 8. EU-Sanktionspaket gezeigt, dass der europäische Gesetzgeber zunehmend bestrebt ist, Geschäfte zu sanktionieren, durch die bestehende Sanktionen umgangen werden (sog. Umgehungsverbote).Neben die Erweiterung der bisherigen Sanktionsmaßnahmen treten die sog. Sekundärsanktionen (Secondary Sanctions). Die vor allem aus dem US-Recht bekannten Sanktionsmaßnahmen betreffen – vereinfacht gesprochen – vor allem Unternehmen im Ausland. Eine typische Secondary Sanction stellt etwa ein Kontrahierungsverbot dar, also das Verbot für ein ausländisches Unternehmen mit inländischen Personen Verträge zu schließen. Am Beispiel der USA werden derartige Verbote etwa gegenüber ausländischen Unternehmen ausgesprochen, die Geschäfte mit Staaten wie dem Iran oder Nordkorea machen. Sie dürfen dann keine Verträge mehr mit US-Unternehmen schließen – eine mitunter sehr einschneidende Folge.Für die EU wird gegenwärtig diskutiert, ob derartige Secondary Sanctions nicht auch ein geeignetes Sanktionsinstrument als restriktive Maßnahme im Zusammenhang mit der russischen Aggression darstellen könnten.Während der Europäische Gerichtshof und deutsche Gerichte bereits bestimmte Secondary Sanctions für völkerrechts- bzw. verfassungswidrig gehalten haben, wird die Sanktionierung ausländischer Unternehmen, z.B. im Zusammenhang mit Verstößen gegen die jüngsten Restriktionen des Ölhandels mit Russland, aus Wirtschaftskreisen teilweise befürwortet. Auch jene Regelungen aus dem 8. EU-Sanktionspaket, die lediglich an die Umgehung der Sanktionsvorschriften als solche – und damit an keinerlei territoriales Moment mehr – anknüpfen [2], könnten als gewisse Öffnung des europäischen Sanktionsregimes in Richtung Secondary Sanctions gedeutet werden. Die weitere Entwicklung bleibt folglich auch im kommenden Jahr 2023 zu beobachten.
An den im vergangenen Jahr angeeigneten Routinen und implementierten Prozessen (z.B. Sanktionslistenscreening, Lieferanten- und Warenkonformitätsprüfung, Meldepflichten, Beachtung von Bereitstellungs- und Umgehungsverboten, Prüfung etwaiger Secondary Sanctions, etc.) ist auch im Jahr 2023 zwingend festzuhalten. Die gesteigerten Sorgfaltspflichten treffen alle auf dem Markt agierenden Unternehmer und Unternehmen. Es bleibt daher die Aufgabe eines jeden Einzelnen, sich einen wirtschaftlich sinnvollen und rechtlich zulässigen Weg durch das Sanktionsdickicht zu bahnen.
Dr. Stefan Lehner
Rechtsanwalt
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