Das Antitrust-Compliance-Programm: ein Instrument zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen

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veröffentlicht am 22. Februar 2023 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Die korrekte Umsetzung des Wettbewerbsrechts durch die Unternehmen ist ein Gebot der Wettbewerbsfähigkeit, da potenzielle Strafen für Verstöße in allen Rechtsord­nun­gen hoch sind. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Vorschriften nämlich an den härtesten Sanktionen orientiert, die in Geldbußen ausgedrückt werden, die bis zu 10 Prozent des weltweiten Umsatzes betragen können, und zwar auf der Grundlage des Postulats, dass je schwerer die Strafen, desto mehr die Unternehmen ihr Verhalten anpassen werden.[1]



Abgesehen von nationalen Besonderheiten kann man, da diese Vorschriften vereinheitlich werden (OECD, EU) und unabhängig von der Größe des Sektors oder der wirtschaftlichen Umstände des Unternehmens gelten, von einem globalen „level playing field“ sprechen.
 
Die kürzlich verabschiedete EU „ECN+“-Richtlinie hebt die bisherige Sanktionsobergrenze (3 Mio. EUR) auf 10 Prozent des kumulierten weltweiten Umsatzes jedes Mitglieds einer Einrichtung an. Nach Ansicht der Französische Wettbewerbsbehörde („FWB“) ist das eine „kopernikanische Revolution“.
 
Im Zuge der massiv mit öffentlichen Mitteln finanzierten Konjunkturprogramme ist davon auszugehen, dass die Wettbewerbsbehörden bei der Umsetzung dieser Vorschriften unnachgiebiger sein werden.
 
Die unrechtmäßige Aneignung der Gewinne aus dem künftigen Wachstum durch wettbewerbswidrige Praktiken kann zu extrem harten Strafen führen.
 
Das Wettbewerbsrecht ist jedoch aufgrund seiner doppelten rechtlichen und wirtschaftlichen Dimension eines der komplexesten Gesetze überhaupt.
 
In diesem Kontext, in dem Wettbewerbsrisiken zu den größten Risiken zählen, denen sich Unternehmen ausgesetzt sehen, wird die Notwendigkeit, robuste Antitrust-Compliance-Programme[2] einzuführen, immer dringlicher.

 

Warum ein Antitrust-Compliance-Programm?

In der Theorie ist es eine Option, in der Praxis eine Notwendigkeit. In Frankreich sind Compliance-Programme nicht verpflichtend, im Gegensatz zum sog. „Sapin II“-Gesetz, das Unternehmen (mit mehr als 500 Beschäf­tigten und 100 Millionen Euro Umsatz) zwingt Anti-Korruptionsprogramm einzurichten.
 
Seit 2017 und der sogenannten „Bodenbelagsentscheidung“[3] hat die FWB die Praxis aufgegeben, die Strafe für ein Unternehmen zu reduzieren, wenn ein Anti-Korruptionsprogramm vorhanden war, was die Frage aufwirft, ob es überhaupt sinnvoll ist, so ein Programm zu implementieren.
 
Allerdings sollten Unternehmen ihre Kartellrechts-Compliance nicht auf die mögliche Reduzierung von Geld­bußen stützen, die sie von der Behörde erhalten könnten, sondern darauf abzielen, die Begehung von Ver­stößen, deren Folgen substanziell und strategisch sind, so weit wie möglich zu vermeiden.
 
Die Kartellrechts-Compliance und Kronzeugenregelungen sollten zwar nicht verwechselt werden, sind aber miteinander verbunden: Erstere kann ein Kartell frühzeitig aufdecken, was den Weg für eine Strafbefreiung einer Kronzeugenregelung ebnen würde. Die Verringerung der Strafe wäre dann dem Kronzeugenprogramm zu verdanken, das den Unternehmen zur Verfügung stand... und indirekt dem Antitrust-Compliance-Programm, das die „Alarmglocken läuten“ ließ. Schließlich sorgt ein Antitrust-Programm dafür, dass das Image und der Ruf des Unternehmens gewahrt bleiben, deren Verschlechterung oft den meisten Schaden anrichtet.
 
Laut der ehemaligen FWB-Vorsitzenden, Frau Isabelle de Silva, ist die Umsetzung eines Programms Teil der Unternehmensverantwortung (die gegenüber allen Beteiligten übernommen wird)[4]. Ein fehlendes oder ein unzureichend umgesetztes Programm setzt ein schuldiges Unternehmen daher strengeren Geldbußen aus, wenn die FWB der Ansicht ist, dass dies das Ergebnis der Absicht war, heimlich wettbewerbswidrige Praktiken einzuführen.
 
Dieser Ansatz erstreckt sich auch auf die Leitungsorgane, die sicherstellen müssen, dass das Programm an die Risiken des Unternehmens angepasst ist und mit anderen Programmen übereinstimmt.

 

Wie kann man ein glaubwürdiges und effektives Programm aufstellen?

In der Überzeugung, dass ein einziger Rahmen die Vielfalt der Ansätze zur Umsetzung eines Programms nicht erfassen kann, hat die FWB nach der Entscheidung „Bodenbeläge“ ihren Rahmen der eine potenzielle Bußgeldreduzierung (bis zu 10 Prozent) vorsah, durch spezifische Leitlinien ersetzt. So gibt es jetzt beispielsweise für KMU einen Leitfaden, der auf die Einsätze in ihrem Sektor zugeschnitten ist. Im Jahr 2020 hat die FCA eine Arbeitsgruppe geleitet, die sich aus einem Expertengremium zusammensetzt, um die wirksamsten Instrumente und besten Praktiken für die Einhaltung der Vorschriften zu ermitteln. In Anbetracht dieser Erkenntnisse sollte ein Programm die folgenden Säulen enthalten:

  • Das Engagement der Führungsebene, die die Kultur der Integrität, Transparenz und Compliance im Unternehmen verankert
  • Die Ernennung eines Compliance-Beauftragten (mit Unabhängigkeit und Ressourcen), der für die Steuerung und Umsetzung des Kartellprogramms innerhalb des gesamten Konzerns über ein Netzwerk von Korrespondenten verantwortlich ist.
  • Die Entwicklung einer Kartierung der Wettbewerbsrisiken, um diese Risiken zu identifizieren und zu priorisieren, wobei diese Kartierung die Grundlage für das Programm selbst bilden soll;
  • Die Einführung effektiver Informations-, Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen, auch für die Führungsebene;
  • Die Überwachung der Wirksamkeit des Programms anhand von Indikatoren und die eventuelle Einleitung von Korrekturmaßnahmen bei falscher Anwendung der Regeln oder um das Programm bei legalen Änderungen anzupassen.

 
Internationale Unternehmen müssen ihr Programm auch an lokale Besonderheiten anpassen, da die Gesamtaufsicht über das Programm von der dezentralen Struktur des Konzerns abhängt. Es scheint jedoch wünschenswert, ein Mindestmaß an Kontrolle und über die ordnungsgemäße Umsetzung des Programms durch alle Tochtergesellschaften des Konzerns einzuführen.


Die Position der Wettbewerbsbehörden in anderen Rechtsordnungen

Wie die französische Behörde war auch das Bundeskartellamt der Ansicht, dass das Vorhandensein eines Compliance-Programms – ex ante oder ex post – nicht als mildernder Umstand angesehen werden kann. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der deutsche Bundesgerichtshof in einem Fall aus dem Jahr 2017 im Bereich Steuerrecht/Korruptionsbekämpfung anerkannt hat, dass ein Compliance Management System bei der Festsetzung der Verwaltungsstrafe als mildernder Umstand angesehen werden kann, und zwar auch dann, wenn das System im Laufe des Verfahrens geändert wird. Während ein Teil der Lehre diese Argu­men­tation gerne auf das Wettbewerbsrecht übertragen sehen würde, hat sich das Bundeskartellamt zu dieser Frage noch nicht geäußert. Im Jahr 2021 hat der deutsche Gesetzgeber nun eine Regelung geschaffen, der zu Folge kartellrechtliche Compliance-Maßnahmen bei Kartellverfahren im Rahmen der Bußgeldzumessung zu berücksichtigen sind (§ 81d Abs. 1 S. 2 GWB). Es bleibt abzuwarten, wie das Bundeskartellamt die gesetzliche Neuregelung in der Praxis umsetzt.
 
Andere Behörden bevorzugen einen flexibleren Ansatz und akzeptieren, dass ein Antitrust-Compliance-Programm in bestimmten Fällen als mildernder Umstand angesehen werden kann.
 
Die CMA (UK) gewährt Strafnachlässe von bis zu 10 Prozent, wenn „top down“-Maßnahmen ergriffen wurden, die dem Risikoprofil des Unternehmens entsprechen.
 
Der AGCM (Italien)-Leitfaden sieht mehrere Santionskürzungstranchen (5-15 Prozent) vor, die auf Faktoren wie der konkreten Fähigkeit des Programms, Verstöße aufzudecken und zu beenden, oder den Abhilfemaßnahmen beruhen.
 
Die CNMC (Spanien) bevorzugt mehr Ex-ante-Programme. Die Meldung eines durch das Programm aufgedeckten Verstoßes und die aktive und effektive Zusammenarbeit mit dem CNMC können einen mildernden Umstand darstellen.
 
Ebenso kann die CB (Kanada) das Ex-ante-Programm bei der Festsetzung der Höhe der Strafe berücksichtigen.
In Anerkennung der Tatsache, dass „kein Compliance-Programm jemals kriminelle Aktivitäten von Mitarbeitern eines Unternehmens verhindern kann“, wendet das US-Justizministerium einen flexiblen Ansatz an, um bei einem „wirksamen“ Programm möglicherweise eine Reduzierung des Verschuldensgrad von drei Punkte zu gewähren.
 
Ein Programm kann ein mildernder, aber auch ein erschwerender Umstand sein. Im Vereinigten Königreich und in Italien wird es nur dann als erschwerender Umstand betrachtet, wenn es dazu diente, eine Straftat zu verbergen oder zu erleichtern, die Behörden über die Art der Straftat zu täuschen und/oder ein Verhalten an den Tag zu legen, mit dem die Ermittlungen umgangen werden sollten.
 
In Anlehnung an das Sprichwort „Vorbeugen ist besser als heilen“ scheint sich die Frage nach dem Nutzen eines Antitrust-Compliance-Programms heute nicht mehr zu stellen. Während einige Behörden ihre Einführung aufgrund der Aussicht auf geringere Strafen fördern, sind andere – wie z. B. Frankreich – der Ansicht, dass das Risikomanagement, das es ermöglicht, an sich schon ein ausreichender Grund für die Unternehmen ist, es zu nutzen.

 


[1] vgl. E. Combes: „quelles sanctions pour les cartels, une perspective économique“, in Revue Internationale de droit économique, 2006. Die Summe der von der Behörde zwischen 2009 und 2019 verhängten Geldbußen beläuft sich auf fast 5 Milliarden Euro.
[2] Im Rahmen dieses Artikels wird der Begriff „Antitrust-Compliance-Programm“ beibehalten, der dem Begriff „Programm zur Einhaltung der Wettbewerbsregeln“ entspricht.
[3] Beschluss vom 18. Oktober 2017, Nr. 17-D-20, vgl. insbesondere Absatz 464: „Die Behörde stellt im Übrigen klar, dass die Ausarbeitung und Umsetzung von Compliance-Programmen dazu bestimmt sind, sich in das laufende Management der Unternehmen einzufügen, insbesondere, wenn diese von erheblicher Größe sind. Die Verpflichtungen zur Umsetzung solcher Compliance-Programme sollen daher nicht generell eine Milderung der Strafen für Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht rechtfertigen, insbesondere wenn es sich um besonders schwere Verstöße wie Kartelle und den Austausch von Informationen über künftige Preise und die Geschäftspolitik handelt.“
[4] Äußerungen der Präsidentin der französischen Wettbewerbsbehörde auf dem von der Revue Concurrence veranstalteten Webinar vom 12. Januar 2021 mit dem Titel „2021 Antitrust Compliance Awards #1 Why Antitrust Compliance? Competition Agencies' Points Of View“.
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