Relocation von Entwicklern aus Belarus: Konsequenzen für den Unternehmenswert von High-Tech-Firmen

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veröffentlicht am 16. Dezember 2020 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Die jüngsten positiven Statistiken über den Ex­port von IT-Dienst­lei­stungen aus Bel­arus, die darauf hin­deuten, dass der High-Tech-Sektor nach einem lang­jährigen Tief im August und September die Produktion wieder angekurbelt hat, sollten mit Vor­sicht genossen werden. Denn trotz der günstigen steuer­lichen Verhält­nisse weist die Bran­che nicht die erwarteten Wachstums­raten auf. Im Jahr 2020 ist die Branche nach starken Jahren der Expansion nun von Personal­verlagerungen der Ent­wickler in andere Länder (meist in die baltischen Staaten, nach Polen oder in die Ukraine) gekenn­­zeich­net. Fraglich ist dabei, welche Aus­wirkungen das insbesondere auf Bewertungs­­as­pekte der transaktions­affinen High-Tech-Gesell­schaften haben könnte.



Der High-Tech-Park (HTP) in Minsk

Als High-Tech-Unternehmen in Belarus wird üblicherweise ein Unternehmen bezeichnet, das wissensintensive Güter oder Dienstleistungen erstellt. Speziell das belarussische High-Tech-Geschäft ist von zahlreichen Software-Entwicklungsfirmen geprägt, die in einer Art Sonderwirtschaftszone in Minsk angesiedelt sind, dem High-Tech-Park (HTP).

Der HTP ist eine nationale Drehscheibe fürs Lernen, Start-ups und der Routineproduktion im High-Tech-Sektor und bietet extraterritoriale rechtliche Sonderregelungen und steuerliche Vorzugsbedingungen für die dort ansässigen Unternehmen. Die High-Tech-Landschaft wird von exportorientierten Unternehmen dominiert, die B2B-Dienstleistungen anbieten (Outsourcing) oder als Entwicklungsabteilungen internationaler Konzerne fungieren.

Der HTP hat bisher fast 1.000 belarussische Unternehmen angezogen, die insg. 65.000 Fachkräfte beschäf­tigen und mehr als die Hälfte des belarussischen High-Tech-Sektors ausmachen.


Kennzeichen der Verlagerung

Turbulente Zeiten veranlassen belarussische Technologieunternehmen, die Verlagerung ihrer Aktivitäten in andere Länder zu erwägen. Die Verlagerung von High-Tech-Unternehmen wird in Belarus als „Relocation” bezeichnet und scheint an Dynamik zu gewinnen. Kurzfristig bedeutet Relocation den Umzug von Personal an einen anderen Ort, während die Produktions- und Verkaufsprozesse (falls zutreffend) so weit wie möglich ohne größere Veränderungen erhalten bleiben.

Aktuell dominieren die folgenden Unternehmen die Verlagerungstendenzen, wobei zu erwarten ist, dass das eine Welle auslösen könnte:

  • relativ große Unternehmen mit Büros in anderen Ländern, die einen Teil des belarussischen Personals, an dem sie festhalten, an einen anderen Ort versetzen können, während sie ihre Aktivitäten in Belarus aufrechterhalten, oder
  • neuere Start-ups, die es sich leisten können, ihr gesamtes Team zu verlagern.


Im Allgemeinen kann die Verlagerung eine der folgenden Formen annehmen:

  • Verlegung nur des Schlüsselpersonals. Die Entwicklungsteams werden zwischen zwei Ländern verteilt.
  • Verlegung nur des Schlüsselpersonals. Das Mittel- und Nachwuchspersonal wird in Belarus entlassen. Stattdessen wird lokales Personal am neuen Standort eingestellt.
  • Umzug des gesamten Entwicklungsteams.
  • Kombination der vorgenannten Vorgänge.


Konsequenzen der Relocation

Meistens bringt die Relocation keine Änderung der Umsatzgenerierung mit sich, sondern wirkt sich vielmehr auf den Leistungserstellungsprozess und die damit zusammenhängende Kostenbasis aus. Aber warum ist IT-Outsourcing in Belarus überhaupt so gefragt? Was müsste ein verlagerndes Unternehmen im Falle der Relocation aufgeben?

Abgesehen von den fachlichen Qualitäten und dem Lohnniveau der Softwareentwickler in Belarus, muss ein im HTP ansässiger Unternehmer im Falle einer Verlagerung auf folgende Anreize verzichten:

  • HTP-Ansässige sind id.R. von der Körperschaftsteuer (KSt.) und der Umsatzsteuer (USt.) befreit, stattdessen zahlen sie 1 Prozent der Einnahmen als HTP-Beitrag. Folglich gelten keine Verrechnungspreisregeln und Unterkapitalisierungsvorschriften.
  • Die Höchstberechnungsgrundlage von Sozialversicherungsbeiträgen ist im HTP an das Durchschnittsgehalt in Belarus gebunden und die Sozialversicherungsbeiträge übersteigen i.d.R keine 150 Euro pro Monat.
  • Für Mitarbeiter von im HTP ansässigen Unternehmen gilt ein ermäßigter persönlicher Einkommenssteuersatz von 9 Prozent, während im Regelfall in Belarus die persönliche Einkommenssteuer mit dem fixen Ein­kommens­­steuer­satz von 13 Prozent erhoben wird (indirekter Effekt: belarussische Fachkräfte neigen dazu, den Verlust, der ihnen durch Änderungen der persönlichen Einkommenssteuer entsteht, auf den Arbeitgeber abzuwälzen, indem sie ihre Vergütungserwartungen anpassen).
  • HTP-Ansässige haben das Recht, ein besonderes rechtliches Regime zu nutzen, das den Abschluss von Retentionsvereinbarungen, Aktienoptionsvereinbarungen, Verträgen über Wandelanleihen usw. ermöglicht.
  • Für das Kryptomining, die Verwendung von Kryptowährungen und die Besteuerung ähnlicher Aktivitäten gelten sehr milde Regeln.


Die Business Pläne (inkl. Anzahl der lokalen Mitarbeiter) der im HTP ansässigen Unternehmen müssen vorher mit der HTP-Führung abgestimmt sein. Unternehmen, die nun durch eine anstehende Personalverlagerung ihren geplanten Business Plan nicht erfüllen werden, werden durch den Verlust der genannten Privilegien folglich Strukturbrüche in der Planung aufweisen. Bei der Bewertung von Unternehmen, die im HTP ansässig oder verflochten sind, kann nun nicht oder nicht mehr vollständig auf frühere Planungen abgestellt werden. Einer Bewertung solcher Unternehmen muss insofern eine ausführliche und sorgfältige Analyse des Ist-Zustands und insbesondere der sich ändernden Planungsprämissen vorausgehen.

Zudem sollte nicht unterschätzt werden, welche Bedeutung die lokale, sehr junge und lebendige IT-Gemein­schaft von mehr als 100.000 Fachleuten für belarussische Entwickler hat. Aus dem Grund (aber auch wegen persönlicher, technischer oder rechtlicher Probleme) kann ein Teil des Schlüsselpersonals im Laufe der Verlagerung verloren gehen.

Auf der anderen Seite bringt die Verlagerung einige vielversprechende Auswirkungen mit sich, wie:

  • Erhöhung der Loyalität der umgesiedelten Mitarbeiter;
  • Einsparungen durch die Rückzahlung der Vorsteuer (VSt.), die nicht mit der zu zahlenden USt. verrechnet werden konnte (in Belarus wird eine ungenutzte VSt. normalerweise für die Zukunft angesammelt oder innerhalb desselben Steuerzeitraums als Betriebsausgabe geltend gemacht);
  • Nutzung der wesentlich niedrigeren Kapitalkosten, da die Kernproduktionsaktivitäten des Unternehmens in einem neuen Land mit niedrigeren Zinssätzen durchgeführt werden und auch die unternehmerischen Risiken teilweise von Belarus in ein neues Gastland verlagert wurden.

Darüber hinaus gibt es einige einmalige Kosten, die im Falle der Verlagerung zu berücksichtigen sind. Dazu gehören

  • Abfindungszahlungen und jede Art von direkter finanzieller Unterstützung für die umgesiedelten Mitarbeiter,
  • Gebühren für die vorzeitige Beendigung von Miet- und Kommunikationsverträgen,
  • primäre Kosten des neuen Arbeitsplatzes,
  • Investitionen in Hardware und Netzwerke,
  • migrationsrechtliche und Steuerberatung,
  • Zeit und Aufwand für den Wiederaufbau einer effizienten Zusammenarbeit,
  • begrenzte Headhunting-Aktivitäten für den Fall, dass einige lokale Fachleute eingestellt werden müssen.


Bei einer Unternehmensbewertung müssen die potenziellen Werteinflussfaktoren wie niedrigere Kapitalkosten, jedoch aber auch einmalige Kosten und veränderte Planungsprämissen im Falle einer Personalverlagerung berücksichtigt werden, um einen möglichst unverzerrten Unternehmenswert ermitteln zu können.


Dauerhafte Auswirkungen auf die laufenden Operationen

Im Gegensatz zu den Bilanzeffekten sind Veränderungen im Betrieb komplex und vielen externen Faktoren unterworfen. Es ist die Leistungsfähigkeit der Entwicklungsteams, die den Wert der Technologieunternehmen bestimmt. Gleichzeitig ist die Aufrechterhaltung des Produktivitätsniveaus sowie die Fähigkeit des Unter­nehmens, die Mitarbeiter im Falle einer Verlagerung an sich zu binden, keineswegs garantiert.

Eine gründliche Analyse der zwei folgenden Aspekte kann für das Verständnis der Auswirkungen, die eine geplante oder laufende Verlagerung auf die Produktionskapazitäten des Zielunternehmens haben kann, von entscheidender Bedeutung sein:

  • „Modus operandi” der von der Verlagerung betroffenen Entwicklungsteams und
  • rechtliche Maßnahmen, die darauf abzielen, Mitarbeiter im Hinblick auf die Verlagerung an das Unternehmen zu binden.


Ein Entwicklungsteam ist als atomare Produktionseinheit offensichtlich wertvoller für das Unternehmen als nur eine Gruppe von Mitarbeitern. Daher sollten die Aussichten für die Leistung der Teams nach der Verlagerung mit besonderer Sorgfalt untersucht werden. In dem Sinne wird die erste zu beantwortende Frage lauten: „Wer genau wird verlagert?” Wie bereits erörtert, kann es sich dabei sowohl nur um das Schlüsselpersonal als auch um die kompletten Entwicklungsteams handeln.

Vor dem Hintergrund der Pandemie haben die meisten belarussischen Software-Entwicklungsunternehmen bereits flexible Arbeitszeiten und Heimarbeitsplätze eingeführt und sind in vielerlei Hinsicht auf jede Form der Fernarbeit vorbereitet. Dennoch wird die Effizienz der Zusammenarbeit und der Betreuung innerhalb der Teams weitgehend von der gewählten Form der Verlagerung abhängen.

Neben den organisatorischen Fragen gibt es eine Reihe rechtlicher und bewertungstechnischer Fragen, die berücksichtigt werden sollten, d.h. die Verfügbarkeit von Abwerbeverbotsklauseln und Retentionsverein­barungen, Aktienoptionspläne, Arbeitserlaubnisse und parallele Beschäftigungsverhältnisse in Belarus. Letzteres kann für die Ansässigen des HTP von entscheidender Bedeutung sein, da sie verpflichtet sind, ihre Geschäftspläne in Bezug auf Einnahmen und Personalzahlen einzuhalten. Solche und andere relevante Fragen sollten bei der rechtlichen Due Diligence-Prüfung behandelt werden, die den Unternehmen, die Entwicklungs­teams aus Belarus verlagern, dringend empfohlen wird.


Fazit

Der Wert von High-Tech-Unternehmen, die sich für eine Verlagerung ihrer Entwicklungsteams aus Belarus entscheiden, hängt weitgehend von ihrer Fähigkeit ab, ihr Schlüsselpersonal zu binden und einen effizienten Arbeitsablauf innerhalb der Entwicklungsteams aufrechtzuerhalten. Ebenso wichtig ist das Verständnis der rechtlichen und steuerlichen Auswirkungen einer Verlagerung.

Einmalige Herausforderungen und Gewinne (falls vorhanden), die durch die Verlagerung entstehen, sollten bei einer Unternehmensbewertung quantifiziert und bei der Normalisierung der historischen Finanzzahlen und der Berechnung der Nettoverschuldung entsprechend ausgeglichen werden.


Die nachhaltigen Auswirkungen auf den laufenden Betrieb sollten sich ihrerseits in der Cashflow-Prognose und den Schätzungen des Betriebskapitals im Bewertungskalkül widerspiegeln. Letztere werden i.d.R. die folgenden Schätzungen beinhalten:

  • Veränderungen bei Lohnsätzen und persönlichen Einkommenssteuern (indirekter Faktor mit einer Zeitver­zögerung, die der durchschnittlichen Zeit bis zum Ende von Arbeitsverträgen entspricht);
  • Veränderungen bei den Körperschaftsteuern;
  • Veränderungen bei den Rentenplänen und der sozialen Sicherheit;
  • Kapitalkosteneffekte im Zusammenhang mit der Verlagerung von Risiken von Belarus in ein anderes Land.


Bei der Ermittlung des Unternehmenswertes entsprechender Unternehmen aus dem HTP sollte insofern eine ausführliche Bestands- bzw. Plan-Analyse bei einer Financial, Tax und Legal Due Diligence durchgeführt werden, um die Folgen einer Verlagerung abschätzen zu können. Künftige einmalige und nachhaltige potenzielle Mittelzu- bzw. -abflüsse können somit identifiziert und im Bewertungskalkül berücksichtigt werden.

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