BGH entscheidet zu unwirksamen AGB: Keine proaktive Rückzahlungspflicht von zu Unrecht einbehaltenen Geldbeträgen an Verbraucher

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 9. Oktober 2024 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundes­gerichts­hofs hat über die Frage entschieden, ob ein Verbraucherverband im Falle der Verwendung von unwirksamen AGB-Klauseln auch die Rückzahlung von über diese AGB vereinbarten und vereinnahmten Geldbeträge an die betroffenen Verbraucher fordern kann.




Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde

Der Kläger ist der Dachverband deutscher Verbraucherzentralen. Der Beklagte ist der Konzertveranstalter des „Airbeat One“ Festivals. Die Besucher des Festivals konnten zur Zahlung von Leistungen auf dem Festival­gelände ein Armband mit Bezahlfunktion (Cashless-Armband) für eine Gebühr von 2 Euro erwerben, das per Barzahlung oder Kreditkartenzahlung aufgeladen wurde. Ein nach dem Festival noch bestehendes Guthaben konnten sich die Besucher über einen Online-Account zurücküberweisen lassen, wofür eine Gebühr von 2,50 Euro (Payout-Fee) vom bestehenden Guthaben durch den Beklagten einbehalten wurde. In den Nutzungs­bedingungen des Beklagten hieß es: „Bei der Auszahlung des restlichen Guthabens nach dem Festival durch das Eventportal wird eine Rückerstattungsgebühr von 2,50 Euro​ fällig.“ Der Kläger hält die Erhebung einer Rückerstattungsgebühr für unlauter und nimmt den Beklagten auf Rückzahlung der Payout-Fee an die jeweils betroffenen Verbraucher in Anspruch, der ihm als (Folgen-)Beseitigungsanspruch aus §§ 8 I 1, 8 III Nr. 3 UWG gegen den Beklagten zustehe.​​

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Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht Rostock (Urteil vom 15. Dezember 2020, Az. 3 O 1091/19)hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung des Klägers zum Oberlandesgericht Rostock (Urteil vom 15. November 2023, Az. 2 U 15/21) blieb ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht nahm an, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Rückzahlung der durch den Beklagten einbehaltenen Gebühren an die betroffenen Verbraucher zu. Die Klausel über die Erhebung einer Rückerstattungsgebühr sei zwar als Allgemeine Geschäftsbedingung gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da der Beklagte mit der Rückerstattung nicht verbrauchter Geldbeträge keine eigenständige vergütungsfähige Leistung erbringe, sondern eine ohnehin bestehende vertragliche Verpflichtung erfülle. Die Verwendung der unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingung stelle auch eine unlautere geschäftliche Handlung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3 Abs. 1,  3a UWG dar. Der im Grundsatz bestehende (Folgen-)Beseitigungsanspruch des Klägers gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 UWG erstrecke sich jedoch nicht auf die Rückzahlung der zu Unrecht einbehaltenen Geldbeträge an die Verbraucher.

Das OLG begründet dies wie folgt: der wettbewerbsrechtlich relevante Störungszustand liege in einer Fehl​­vor­stellung der Verbraucher über den Vertragsinhalt; er werde beendet, wenn diese über ihr Recht zur Rück­for­derung zu Unrecht einbehaltener Geldbeträge in Kenntnis gesetzt würden. Die begehrte Rückzahlung berühre hingegen nicht die vom Schutzzweck des wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruchs umfassten Kollektiv­interessen der Verbraucher, sondern falle unter den Schutzzweck individueller Ansprüche nach dem Bürger­lichen Gesetzbuch. Nicht anders verhalte es sich, soweit sich der Kläger darüber hinaus auf eine Irreführung der Verbraucher stütze. Im Ergebnis verneinte damit das OLG eine Pflicht des Konzertveranstalters, den betroffenen Verbrauchern die zu Unrecht eingezogenen 2,50 Euro proaktiv zurückzuerstatten, sondern ließ es für den Beseitigungsanspruch genügen, wenn der Konzertveranstalter die Verbraucher auf ihr Rückforderungsrecht lediglich hinweise.

Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Rechtlicher Hintergrund

Die Verwendung unwirksamer AGB kann als Verstoß gegen den lauteren Wettbewerb angesehen werden, weil sich der Verwender hierdurch einen Marktvorsprung vor seinen redlichen Konkurrenten verschaffen kann (sog. „Vorsprung durch Rechtsbruch“). 

Folge eines solchen Verstoßes ist nach § 8 Abs. 1 UWG die Pflicht, die Verwendung einer solchen Klausel in künftigen Verträgen zu unterlassen und in Bezug auf Altverträge hieraus keine Rechte herzuleiten. Ob seitens der Verbraucherverbandes zudem auch ein (Folgen-)Beseitigungsanspruch geltend gemacht werden kann, der auf die Verpflichtung des Verwenders gerichtet ist, seine Kunden auf die Unwirksamkeit von Klauseln und etwaige Rückerstattungsansprüche hinzuweisen oder diese Rückerstattung vorzunehmen, war jahrelang streitig. Im Hinblick auf die Hinweispflicht wurde dies vom BGH und der übrigen Rechtsprechung seit dem Jahr 2018 bejaht (BGH BeckRS 2021, 8284 Rn. 55 = WM 2021, 838; GRUR 2018, 423 Rn. 42 ff.), einer darüber hinausgehenden Rückerstattungspflicht  hat der BGH heute nunmehr eine ausdrückliche Absage erteilt.


Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Auch der Bundesgerichtshof schließt sich den Vorinstanzen an und weißt die Revision des Klägers zurück. Dem Kläger stehe gegen den Beklagten kein Beseitigungsanspruch auf Rückzahlung der einbehaltenen Payout Fee an die betroffenen Verbraucher gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 Fall 1 unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3, 3a UWG in Verbindung mit § 307 Abs. 1 S.1, Abs. 2 BGB zu.

Die Vorinstanzen hätten zutreffend angenommen, dass die Nutzungsbedingungen des Beklagten Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellten und die darin enthaltene Klausel über die Erhebung einer Payout Fee in Höhe von 2,50 Euro bei Auszahlung nicht verbrauchten Guthabens gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sei. Gleichwohl könne der Kläger mit diesem wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch vom Beklagten nicht die Rückzahlung der Payout Fee an dessen Kunden verlangen. Ein solcher Anspruch stehe mit der Systematik des kollektiven Rechtsschutzes nach dem geltenden Recht nicht im Einklang.

Der Gesetzgeber habe im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb einen verschuldensabhängigen Gewinn​­ab­schöpfungs­­an­spruch zu Gunsten des Bundeshaushalts und einen ebenfalls verschuldensabhängigen Ver­braucher­­scha­dens­­er­satz vorgesehen. Im Jahr 2023 habe der Gesetzgeber durch das Verbraucherrechte­durchsetzungs­gesetz die Abhilfeklage eingeführt, mit der qualifizierte Verbraucherverbände gegen Unter​​­nehmer gerichtete Ansprüche von Verbrauchern auf Leistung geltend machen könnten. Das sich daraus ergebende Konzept des kollektiven Rechtsschutzes würde durch einen aus § 8 Abs. 1 S. 1 Fall 1 UWG abgeleiteten verschuldens­unab­hängigen Beseitigungsanspruch von qualifizierten Verbraucherverbänden unterlaufen, mit dem ein Unter­nehmer zur Rückzahlung der von ihm zu Lasten einer Vielzahl von Verbrauchern einbehaltenen Geldbeträge an die betroffenen Verbraucher verpflichtet werden könnte (Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 180/2024 vom 11. September 2024).

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Fazit

Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor, die Pressemitteilung ist aber schon hinreichend deutlich: Die Begrün­dung einer Rückzahlungspflicht aus § 8 Abs. 1 S. 1 Fall 1 UWG wäre für den Verbraucherverband letztlich der „bequemste“ Weg gewesen, die kollektive Auszahlung der zu Unrecht vereinnahmten Beträge an alle Verbrau­cher zu erreichen und für den beklagten Veranstalter der „worst case“, da er dann allen Verbrauchern – ohne dass sie selbst die Rückzahlung verlangten – die Payout Fee zurückerstatten müsste. Der BGH bestätigt jedoch mit seiner Entscheidung den mittelbar-kollektiven und nicht originär-individuellen Verbraucherschutz des UWG und lehnt folgerichtig einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Rückzahlung als Beseitigung des Störungszustands ab. Es ist nicht einzusehen, warum ein Verbraucherverband in Prozesstandschaft von Dritten (den Verbrauchern) Rechte durchsetzen können soll, aber selbst hinsichtlich der zu beseitigenden Folgen selbst keine Störung erlitten hat. Der BGH setzt mit seiner Entscheidung auch der mittlerweile vielfach genutzten Möglichkeit Grenzen, über das UWG  öffentliche Interessen im Wege der privaten Rechtsdurchsetzung zu verfolgen.

 

Wer sich jetzt freut, freut sich aber zu früh, da sich – wie die Pressmitteilung zutreffend zusammenfasst – die Verwender unwirksamer Klauseln schon in der Vergangenheit nicht in Sicherheit wiegen konnten und damit rechnen mussten, dass ihnen gegenüber UWG- und UKlaG-Ansprüche von Verbraucherverbänden und Mitbewerbern geltend gemacht werden

 

Sie hatten vielmehr in den meisten Fällen davon profitiert, dass einzelne geschädigte Verbraucher wegen derart geringer Beträge regelmäßig kein Verfahren anstrengen und das zitierte Abhilfeverfahren sich bislang noch wenig durchgesetzt hat. Es bleibt daher bei dem Risiko, dass die betroffenen Verbraucher ihren jeweiligen Rückzahlungsanspruch geltend machen oder über Dritte geltend machen lassen, ähnlich wie dies in anderen Sachverhalten schon üblich ist (etwa bei Fluggastrechten).


Mag der Unterlassungsanspruch von Verbraucherverbänden nach der neuen Rechtsprechung des BGH nicht so weit gehen, wie befürchtet worden ist, sollten Unternehmen einplanen, dass sie aufgrund unwirksamer AGB einer Vielzahl von individualvertraglichen Ansprüchen von Verbrauchern ausgesetzt sein können, die ebenfalls wirtschaftlich eingeplant und abgewickelt werden müssen.

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