Das Warten auf die Godot-Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie

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veröffentlicht am 8. Dezember 2021 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Lange angekündigt, Referentenentwurf dann aber vorübergehend „auf Eis” gelegt. Ähnlich absurd wie das genannte Theaterstück von Samuel Beckett, gestaltet sich derzeit die Lage für international tätige Unter­nehmen. Hintergrund dafür ist die EU-Whistleblowing-Richtlinie, die bereits im Dezember 2019 verabschiedet wurde und die eine Umsetzungsfrist für Mitgliedsstaaten bis Ende des Jahres 2021 beinhaltet. Somit wären alle Mitgliedsstaaten gehalten, das sog. Hinweisgeberschutzgesetz bis Ende des Jahres 2021 in nationales Recht umzu­setzen.



Unklare Rechtslage vs. Unternehmenscompliance

Es stellt sich nun die Frage, ob das vorläufige Scheitern des Referentenentwurfs Auswirkung auf international tätige Unternehmen hat. Die Frage kann klar mit „Ja” beantwortet werden. Das liegt zum einen daran, dass sich international tätige Unternehmen nun bereits realisierten Gesetzen zum Hinweisgeberschutz in den Ländern Dänemark und Italien gegen­über­sehen, die zum Ende des Jahres 2021 in Kraft treten werden; und zum anderen in Deutschland die Rechtslage zum Hinweisgeberschutzgesetz an sich noch nicht geklärt ist.

Die Absurdität der Situation wird dadurch deutlich, dass die Unternehmen selbst ohne jegliche nationale Rechtsgrundlage und ohne tatsächliche Kenntnis darüber, ob die nationale Gesetzgebung über die Regularien der EU-Richtlinie hinausgehen werden, die Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie infolge guter Compliance nun in Eigenregie angehen sollen.


Vermeidung von Insellösungen

Um Verunsicherungen bei den Mitarbeitern zu vermeiden, sollte man sich trotz oder gerade wegen der unklaren rechtlichen Uneinheitlichkeit mit der Einrichtung eines Hinweisgeber-Meldesystems befassen – unabhängig davon, ob die geschäftlichen Aktivitäten Dänemark bzw. Italien umfassen.  Diese inkonstante Rechtslage sollte nicht die Entscheidungsgrundlage der Hinweisgeber bilden. Aus dem Grunde sollte sich jedes international agierende Unternehmen der Möglichkeit eines Meldekanals und v.a. auch die sich dadurch ergebenden Chancen gewahr werden.


Vorantreiben des Paradigmenwechsels

Die Einrichtung eines Meldekanals und somit die Unterstützung zum Erhalt interner, aber auch externer Hinweise, wird künftig im unternehmerischen Umfeld die Normalität abbilden. Dazu ist sicherlich an der ein oder anderen Stelle noch ein Paradigmenwechsel erfor­der­lich. Es ist aber nicht abzustreiten, dass ein derartiger Sinneswandel die Erkenntnis befeuern wird, dass Whistleblower gerade keine Denunzianten sind, sondern sich tatsächlich dazu überwinden müssen, ihr Wissen preiszugeben. Gerade dieses Wissen und die eingehenden Hinweise der Hinweisgeber werden dazu führen, dass in den Unternehmen Prozesse und Abläufe auf den Prüfstand gestellt werden. Das ist eine neue Etappe zur Ausrichtung eines zukunftsorientieren Unternehmens.

Außerdem ist das auch Ausdruck der jeweils bestehenden Unternehmenskultur. Darin spiegelt sich auch, auf welche Art und Weise dieser sog. Integrity Channel angelegt ist und v.a., wie eine derartige Implementierung im Unternehmen proaktiv und wertschätzend kommuniziert wird.


Orientierung am Mindestinhalt der EU-Whistleblowing-Richtlinie

Bei der Implementierung eines Hinweisgebermeldekanals bedarf es des Augenmaßes, aber immer den klaren Blick auf die Anforderungen und den Mindestinhalt der EU-Whistleblowing Richtlinie gerichtet.


Anwendbar für

  • Nahezu alle Unternehmen ab 50 Mitarbeitern oder Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohner ab 17. Dezember 2021. Eine Ausnahme bilden Finanz­dienst­leis­tungs­unter­nehmen, für die grundsätzlich und unabhängig von der Mitarbeiterzahl Meldewege einzurichten sind.
  • Es besteht eine „Umsetzungsschonfrist” für Unternehmen zwischen 50 und 249 Mitarbeitern; hier tritt die Verpflichtung zur Einrichtung von Meldekanälen erst 24 Monate später (zum 17. Dezember 2023) in Kraft.


Anforderungen an ein effektives Hinweisgebersystem:

Ziel ist es, Hinweisgeber-Meldekanäle (sog. Integrity Channels) zu schaffen und den Hinweisgeber vor Repressalien zu schützen.

 
Zur Implementierung des effektiven Whistleblowingsystems werden folgende Aspekte als zwingend angesehen:

  1. Als zentraler und vorzugswürdiger Punkt wird die Einrichtung eines internen Meldekanals genannt. Dem Whistleblower muss ermöglicht werden, Gesetzesverstöße, aber auch Verstöße gegen interne Guidelines zu melden.
  2. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Wahrung der Anonymität des Whistleblowers. Der Schutz der Identität des Hinweisgebers ist das A und O.
  3. Sichere Datenaufbewahrung über spezielle Zugriffsberechtigungen sind der Königsweg, d.h. der Meldekanal ist vor Zugriffen Dritter und unbefugter Personen zu schützen.
  4. Konformität nach DSGVO ist zwingend zu gewährleisten! Insoweit ist sicherzustellen, dass der gesamte Meldeprozess –  vom Eingang des Hinweises, über die Bearbeitung, Verarbeitung und Speicherung bzw. Löschung der erhobenen Daten –  den Anforderungen des Datenschutzrechts zu entsprechen hat.
  5. Wahrung der fristgemäßen Rückmeldung an den Whistleblower. Dem Hinweisgeber ist nicht nur innerhalb von sieben Tagen nach Eingang seiner Meldung eine Empfangsbestätigung zuzuleiten, sondern darüber hinaus innerhalb von drei Monaten nach Erteilung der Empfangsbestätigung über ergriffene Maßnahmen bzw. dem Stand interner Ermittlungen zu informieren.
  6. Informationspflicht zu Meldewegen, d.h. das Unternehmen muss darüber aufklären, welche Möglichkeiten zur Abgabe eines Hinweises bestehen (interner bzw. externer Meldeweg) und welche Alternativen im Einzelnen bestehen. Die Informationen sollten darüber hinaus leicht zugänglich sein.
  7. Über etwaige externe Meldewege an Behörden ist der Whistleblower in Kenntnis zu setzen.

    

Schutz vor Repressalien als Ziel

Durch die Maßnahmen soll der Hinweisgeber vor Repressalien geschützt werden. D.h. er darf nicht, aufgrund dessen, dass er einen Hinweis abgeben möchte oder abgegeben hat, in irgendeiner Form arbeitsrechtlich oder auf anderem Wege Repressalien erleiden oder mit entsprechenden Maßnahmen rechnen müssen. Die Ver­gangenheit zeigte, dass gerade Hinweisgeber, die interne Missstände in Unternehmen anprangerten und dem Management zur Kenntnis gaben, häufig mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und Anfeindungen zu rechnen hatten. Dem tritt die Whistleblowing-Richtlinie nun entgegen.


Best practise der Umsetzung ist die Zukunftsorientierung

Zum Aspekt „best practise“ und Zukunftsorientierung lässt sich festhalten, dass derartige Hinweisgeber-Meldewege nicht, wie bisher, als „Kummerkasten“ oder mittels persönlichen Gesprächs oder unter Verwendung eines „roten Telefons“, sondern über ein digitales Tool gesteuert werden können. Die digitalen Tools lösen damit auch bereits die Nachverfolgung, die Aufzeichnung des jeweiligen Bearbeitungsstandes und die Dokumentation – alles Themen, die die EU-Richtlinie ebenso vorschreibt.


Klärung von Vorfragen als Herausforderung

Doch eine derartige Einführung eines Hinweisgebermeldesystems stellt die deutschen Unternehmen auch vor gewisse Heraus­forde­rungen. Insbesondere geht es dabei um arbeits- und datenschutzrechtliche Vorgaben, die bereits im Vorfeld der Implementierung eines Hinweisgeberschutzsystems zu klären sind, um die Impl­emen­tierung nicht zu gefährden.

Das nimmt auch immer Zeit in Anspruch. Und zum Jahresende, zu dem alle und v.a. international agierende Unternehmen nochmals zum Endspurt ansetzen, wird das Thema häufig noch einmal aus Zeitmangel zurückgestellt. Dennoch erlauben Sie einen eindrücklichen Appell: Das (Zu-)Warten auf die Klärung der Rechtslage wird nicht wie das Warten auf Godot vergebens sein!

Zwar gibt es derzeit noch kein deutsches Gesetz zum Hinweisgeberschutz, aber es ist davon auszugehen, dass unter dem internationalen Druck und dem Unmut, dass Unternehmen zum Handeln gezwungen werden, ein solches nicht lange auf sich warten lassen wird. Vielmehr kann sogar davon ausgegangen werden, dass sich ein Tätigwerden des deutschen Gesetzgebers im Jahr 2022 nicht übermäßig lange auf sich warten lassen wird.

Umso wichtiger ist es, rechtzeitig alle Mitarbeiter über die proaktive Implementierung eines Integrity Channels zu informieren und, natürlich abhängig auch von der Landessprache, in der die Benutzung des Meldekanals zu schulen.


Fazit

Nicht nur die Einbettung des Hinweisgebermeldekanals in die jeweilige Unter­neh­mens­kul­tur, sondern v.a. die Weitsicht des deutschen Unternehmertums, proaktiv und zukunftsgerichtete Entscheidungen zu treffen, wird es erleichtern, die Schaffung von Whistleblowing-Meldekanäle gerade nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern sich zeitnah um deren Einführung zu kümmern.  

Die Vorgehensweise schafft zudem dem Wettbewerbsvorteil, dann die eingeführten Strukturen ggf. nur noch rudimentär an die Anforderungen eines deutschen Hinweisgeberschutzgesetzes anpassen und keinen Kaltstart hinlegen zu müssen. Insofern kann sich das Erkennen und der umsichtige Umgang mit absurden Situationen durchaus positiv gestalten.

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