Mehr Mut zu Bauchentscheidungen!

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Prof. Dr. Gerd Gigerenzer kommentiert

Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, Geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, ist habilitierter Psychologe. Seine Forschungs­schwerpunkte sind u.a. Modelle begrenzter Rationalität, soziale Intelligenz, ökologische Rationalität, Risiko­verhalten und Entscheidungstheorie. Gerd Gigerenzer hat zahlreiche internationale Auszeichnungen erhalten, so auch den renommierten Preis der „American Association for the Advancement of Science” (AAAS) im Bereich Verhaltenswissenschaften. Sein populär­wissenschaftliches Buch „Das Einmaleins der Skepsis” (2002) fand international Beachtung und wurde 2002 zum „Wissenschafts­buch des Jahres” gewählt. „Bauchentscheidungen” wurde im Jahr 2007 als „Wissen­schafts­buch des Jahres” ausgezeichnet. 2013 erschien „Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft”.

Intelligenz stellen wir uns als eine überlegte, bewusste Tätigkeit vor, die von den Gesetzen der Logik bestimmt wird. Doch ein Großteil unseres geistigen Lebens vollzieht sich unbewusst und beruht auf Prozessen, die nichts mit Logik zu tun haben: Bauchgefühle oder Intuitionen. Die Frage ist nicht, ob überhaupt, sondern in welchen Situationen wir uns auf Intuition verlassen sollten. Intuition ist ein gefühltes Wissen, das plötzlich ins Bewusstsein gelangt, dessen tiefere Gründe man selbst nicht kennt und das dennoch stark genug ist, uns zum Handeln zu bewegen. 
 
Im abendländischen Denken galt die Intuition einst als sicherste Form der Erkenntnis, während sie heute als fragwürdige und unzuverlässige Richtschnur des Handelns belächelt wird. Engeln und spirituellen Wesen schrieb man Intuition von unfehlbarer Klarheit zu – allem bloß menschlichen Denken überlegen. Philosophen meinten, die Intuition ermögliche uns die „Anschauung” der selbstevidenten Wahrheit in Mathematik und Moral. Doch heute, mit dem Bauch statt mit dem Bewusstsein verknüpft, ist die Intuition von göttlicher Gewissheit zum bloßen Gefühl abgestiegen. In Wahrheit sind Bauchgefühle weder unfehlbar noch töricht.
 
Fast jeder kennt es aus der Alltagspraxis: Wir sollen eine Entscheidung treffen und, anstatt sorgfältig das Für und Wider gegeneinander abzuwägen, handeln wir spontan, „aus dem Bauch heraus”. Wir folgen Intuitionen in den unterschiedlichsten Situationen: Wenn es um Sportwetten geht, die richtige Zahnpasta oder die berufliche Karriere, wenn wir uns verlieben oder spüren, dass der DAX steigen wird. Das Verblüffende daran: Oft erzielen wir damit die besten Ergebnisse. An zahlreichen Beispielen – vom Quiz à la „Wer wird Millionär?” über die Arbeit eines Drogenfahnders bis zum Verhalten beim Kauf von Markenartikeln – lässt sich veranschaulichen, wie wir hochkomplexe Strukturen und Abläufe anhand weniger Kriterien in kürzester Zeit bewältigen. Durch die genaue Betrachtung spontaner Entscheidungen aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Psychologie, der Anthropologie, der Biologie, der Informatik sowie der Ökonomie können wir nachweisen, wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft.
 
Blicken wir in die spannende Welt der im „Global Village” agierenden Unternehmer: Wer von Ihnen würde sich z. B. bei einer wichtigen Investitionsentscheidung außerhalb des Heimatmarktes auf einen einzigen Grund verlassen? Bedenken Sie: Immerhin hat die Weichenstellung, bei der es ja um nicht mehr und nicht weniger geht als um das Ja oder Nein zu einer substantiellen Expansionsstrategie, möglicherweise gravierende Auswirkungen auf Mitarbeiter, Gewinn- und Verlustrechnung, Reputation und die Zukunft des Unternehmens selbst.
 
Wenn etwas die Lehren von Rationalität einigt, dann die These, dass man alle relevanten Informationen sammeln, abwägen und zusammenrechnen müsse, um zu einem endgültigen Urteil zu gelangen. Doch unter Missachtung aller offiziellen Ratschläge stützen wir unsere intuitiven Urteile oft auf einen einzigen Grund. Nach einer Redensart ist einem Menschen nicht zu trauen, der zu viele gute Entschuldigungen hat.
 
Bauchentscheidungen ersparen uns nicht nur sehr viel Zeit, sondern führen unter bestimmten Voraussetzungen auch zu besseren Ergebnissen als Entscheidungen, die erst nach langem Abwägen aller zur Verfügung stehenden Informationen getroffen werden. Paradox formuliert, besteht die Lebenskunst in einer Welt der Informationsüberflutung heute demnach darin, intuitiv zu wissen, was sich nicht zu wissen lohnt.​
 

Aus dem Entrepreneur

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