Kommunale Beihilfen für Seniorenheime und Krankenhäuser weiterhin nicht zu beanstanden

​veröffentlicht am 10. März 2020 | Lesedauer ca. 5 Minuten | Autoren: Norman Lenger-Bauchowitz, Sebastian Heinke

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAWI) sind Dienste, die mit bestimmten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verbunden sind. Sie können entweder vom Staat oder von der privaten Wirtschaft bereitgestellt werden. Es werden 3 Kategorien von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unterschieden: wirtschaftliche, soziale und nicht wirtschaftliche. Die Gesundheitswirtschaft unterfällt regelmäßig der ersten Kategorie, denn durch sie werden grundlegende Dienstleistungen gegen Entgelt erbracht. Die Leistungen unterliegen dann den europäischen Binnenmarkt- und Wettbewerbsvorschriften.

 

Regelmäßig erhalten dauerdefizitäre Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, staatliche Ausgleichsleistungen, wenn sie mit der Erbringung von einer DAWI betraut wurden. Trotz dieser Leistungen können die durchführenden Unternehmen in finanzielle Schieflage geraten. Bei derartigen Schwierigkeiten kann die Kommission zusätzliche staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung genehmigen. Unter diesen Umständen sind die Leitlinien der Europäischen Kommission für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten zu berücksichtigen.

Krankenhäuser sowie Alten- und Pflegeeinrichtungen befinden sich zudem häufig in kommunaler Trägerschaft. Es stellt sich in der Konsequenz regelmäßig die Frage, ob Finanzhilfen an Unternehmen in öffentlicher Trägerschaft in diesem Zusammenhang als europarechtswidrige Beihilfen einzustufen sind. Schließlich könnte es zu einer Wettbewerbsverzerrung i. S. d. Art. 107 I Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kommen, mithin könnten private Anbieter durch staatliche Zuschüsse an Unternehmen – die sich ohnehin schon in öffentlicher Trägerschaft befinden – benachteiligt werden.

In diesem Zusammenhang wurde die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 24.3.2016, Az.: I ZR 263/14) zur öffentlichen Finanzierung kommunaler Kliniken, wonach lediglich lokal wirkende Förderungen mangels Handelsbeeinträchtigung schon keinen Verstoß gegen Art. 107 I AEUV begründen, durch eine Entscheidung des OLG Nürnberg (Urteil vom 21.11.2017 – 3 U 134/17) auch auf die finanzielle Unterstützung von Alten- und Pflegeheimen übertragen und weiter konkretisiert.

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (BPA) ging den Weg einer Unterlassungsklage gegen die oberpfälzische Stadt Regensburg, die zu 100 Prozent an einem steuerbegünstigten Bürgerstift beteiligt ist, das Seniorenpflegeheime betreibt.

Diese städtische Tochtergesellschaft erzielte in den Jahren 2010 bis 2016 Verluste in Millionenhöhe. Die Stadt leistete in der Folge zum Erhalt des Pflegeheims seit 2010 Kapitaleinlagen für den Betrieb von insgesamt 3.905.000 Euro, sowie 8.050.000 Euro für einen Neubau des Bürgerheims.

Zunächst stellte das Gericht heraus, dass die Stadt mit dem Betreiben des Altenheims eine öffentliche  Aufgabe der Sicherstellung der bedarfsgerechten Pflegeheimversorgung der Bevölkerung wahrnimmt und in diesem Zusammenhang von einer geschäftlichen Handlung auszugehen ist. Denn selbst, wenn keine Gewinnerzielungsabsicht gegeben ist, hat auch die Stadt Regensburg durch ihre 100-prozentige Beteiligung ein Interesse daran, dass das Pflegeheim kostendeckend, jedenfalls aber mit möglichst geringen Verlusten betrieben wird.

Eine nach Art. 107 Abs. 1 AEUV unzulässige staatliche Beihilfe, definiert als aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, liegt nach der Entscheidung bereits in Ermangelung des Tatbestandsmerkmals der Binnenmarkrelevanz nicht vor.

Das Gericht stellt in der Folge klar, dass Zuwendungen, die sich in rein lokalen Fördermaßnahmen erschöpfen, ohne Auswirkungen auf den Handel innerhalb der Union bleiben. Zwar kann eine staatliche Unterstützung auch dann Auswirkungen auf den Handel innerhalb der Union haben, wenn das begünstigte Unternehmen nicht unmittelbar am grenzüberschreitenden Handel teilnimmt, die Möglichkeit, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird, darf allerdings nicht nur hypothetischer Natur sein und nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegen.

Grundlage dieser Entscheidung sind die Grundsätze der Europäischen Kommission, wonach die Tätigkeit eines Beihilfeempfängers, der Güter oder Dienstleistungen nur in einem geografisch begrenzten Gebiet eines einzigen Mitgliedstaats anbietet und wahrscheinlich keine Kunden aus anderen Mitgliedstaaten anzieht und dessen Begünstigung allenfalls marginale Auswirkungen auf die Bedingungen für grenzüberschreitende Investitionen oder die grenzübergreifende Niederlassung haben, wegen ihrer rein lokalen Auswirkung nicht den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.

Dies ist etwa auch der Fall, wenn Zuwendungen an örtliche Krankenhäuser geleistet werden, die ausschließlich für die örtliche Bevölkerung bestimmt sind. In diesem Zusammenhang verweist das Gericht auf einen Fall einer Reha-Fachklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie im niedersächsischen Bad Nenndorf, deren Patienten ausschließlich aus dem Inland und zu über 90 Prozent aus Niedersachsen stammen und die Standardleistungen der Gesundheitsfürsorge anbietet.

Denn für den Patienten würde die Auswahl stark durch die verwendete Sprache des Leistungsanbieters und die Merkmale des nationalen Gesundheits- und Erstattungssystems bestimmt, weshalb die Kommission einen grenzüberschreitenden Wettbewerb um Patienten verneint. Da trotz der seit über 200 Jahren bestehenden, teilweise von der öffentlichen Hand finanzierten Gesundheits- und Rehabilitationseinrichtung im Umkreis von 100 Kilometern mehr als 20 Rehabilitationskliniken für Orthopädie betrieben werden, hat es die Kommission als naheliegend erachtet, dass die öffentlichen Zuwendungen einen Markteintritt oder ein Bestehen am Markt von Unternehmen mit vergleichbarem Angebot nicht erschweren.

Diese von der Kommission und dem BGH entwickelten Grundsätze hat das OLG Nürnberg in Bezug auf die Zuwendungen an das Pflegeheim angewendet. Insbesondere sei zwischen den Parteien unstreitig geblieben, dass das von der Stadt betriebene Bürgerheim ein örtlich geprägtes Einzugsgebiet abdecke und die Bewohner fast ausschließlich aus Regensburg oder dem näheren Umfeld stammen. Es wurden auch keine ausländischen Bewohner betreut. Zudem war nach den Entscheidungsgründen eine grenzüberschreitende Nachfrage der Pflegeleistungen nicht ersichtlich.

Interessant ist ferner, wie die genaue geografische Lage des Pflegeheims bei der Entscheidung berücksichtigt wurde. Die circa 90 Kilometer zur tschechischen Grenze als nächster innereuropäischer Grenze und die Lage des Bürgerheims im Innenstadtbereich ohne unmittelbare überregionale Straßenverbindungen und Einrichtungen des öffentlichen Personalverkehrs fanden Berücksichtigung. Dabei wurde dann auch die Anzahl der Pflege- und Altenheime in der Region Regensburg gewürdigt. Auch die rein lokal begrenzte Tätigkeit der Einrichtung spreche gegen eine beeinträchtigende Wirkung der Zuwendungen, so das Gericht.

Als weiteres Kriterium für eine fehlende Binnenmarktrelevanz wurde auch eine Entscheidung des OLG Stuttgart herangezogen (Urteil vom 23.3.2017, Az.: 2 U 11/14, Rn. 85). Wenn sich das Bettenangebot im Zuge des Ersatzneubaus von ursprünglich 180 auf 143 Betten reduziere, so zeige sich, dass Zuwendungen zum einen nicht zu einer Ausweitung des Tätigkeitsfeldes führen und zum anderen, dass die Anziehungskraft des Heims ohnehin gering ist. Dies mache grenzüberschreitende Auswirkungen noch unwahrscheinlicher.

Insofern entschied das Gericht, dass Einwände im Hinblick auf die Höhe der Kapitaleinlagen zugunsten der stätischen Gesellschaft sowie die Überschreitung der allgemeine De-minimis-Schwelle von 200.000 Euro um den Faktor 46 und auch die für DAWI geltende De-minimis- Schwelle um den Faktor 18,5 nicht einer lediglich marginalen und damit unbeachtlichen Beeinträchtigung des mitgliedstaatlichen Handels entgegenstünden.

Denn die Zuwendungen der Stadt Regensburg seien nicht geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, sodass die anderen kumulativen Voraussetzungen für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV, insbesondere die hier problematischen Tatbestandsmerkmale der Begünstigung und der Wettbewerbsverfälschung, nicht mehr geprüft werden mussten.

Mangels staatlicher Beihilfe konnte somit offenbleiben, ob es sich bei den gewährten Zuwendungen um Dienstleistungen von öffentlichem Interesse im Sinne des Art. 106 Abs. 2, 3 AEUV handelt, die von der Notifizierungspflicht des Art. 108 AEUV befreit sind.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des OLG Nürnberg wurde vom BGH durch Beschluss vom 26.7.2018 - I ZR 204/17 zurückgewiesen. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur fehlenden Binnenmarktrelevanz der in Rede stehenden Förderung der lokalen Altenhilfe durch die Beklagte würden keine zulassungsrelevanten Rechtsfehler erkennen lassen.

Das Urteil schafft Rechtssicherheit für Unternehmen in kommunaler Trägerschaft, die DAWI im Pflegebereich erbringen und auf die Unterstützung ihrer Träger angewiesen sind.

Es ist in diesem Zusammenhang beachtlich, dass die Höhe der Zuwendung durch das OLG Nürnberg im Ergebnis als unbeachtlich eingestuft wurde. Dass ein Überschreiten der Schwellenwerte der (DAWI-)De-minimis-Verordnung für sich genommen noch keinen Hinweis auf das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals Handelsbeeinträchtigung zulässt, ist zudem richtig und wird die kommunale Verantwortung in der Pflege stärken.

Aus kommunaler Sicht ist es weiterhin sinnvoll, vor Gewährung von Zuwendungen an Alten- und Pflegeheime in städtischen Tochtergesellschaften, für eine Betrauung mit DAWI-Leistungen gemäß Art. 106 AEUV nach DAWI-Freistellungsbeschluss, andernfalls für eine Notifizierung nach Art. 108 Abs. 3 AEUV zu sorgen.