System der polnischen Gerichtsbarkeit

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veröffentlicht am 4. Mai 2021 | Lesedauer ca. 5 Minuten




Internationale Zuständigkeit

Für Fälle mit Auslandsberührung zu anderen Mitgliedsstaaten der EU gilt in Polen, wie in Deutschland, in den meisten Fällen europaweit vereinheitlichtes Zuständigkeitsrecht nach den EU-Verordnungen zur Zuständigkeit in Zivilsachen.


Anerkennung und Vollstreckung europäischer Titel und ausländischer Schiedssprüche

Die Anerkennung der in einem Mitgliedstaat erlassenen Entscheidungen des Gerichts in den anderen Mitgliedstaaten erfolgt der nach den Vorschriften der Brüssel Ia-Verordnung. Die Urteile bzw. gerichtliche Vergleiche werden dabei nicht erneut überprüft.


Vollstreckungsmaßnahmen werden gemäß den nationalen Vorschriften durchgeführt. Ein Vollstreckungstitel (z.B. ein Gerichtsurteil oder Vergleich) sowie eine Bescheinigung gemäß Art. 53 Brüssel Ia-Verordnung müssen vereidigt übersetzt und vorgelegt werden, um die Vollstreckung zu beginnen.


In Polen erfolgt die Anerkennung und Erklärung der Vollstreckbarkeit eines ausländischen Schiedsspruchs nach dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958. Sofern das polnische Gericht den ausländischen Schiedsspruch anerkennt und für vollstreckbar erklärt, folgt das Zwangsvollstreckungsverfahren gemäß den Vorschriften des polnischen Vollstreckungsverfahrens.


Aufbau Gerichtsbarkeit und Gerichtswege in Polen

Das polnische Prozessrecht sieht folgende Typen der Zuständigkeit vor:


Örtliche Zuständigkeit

  • Allgemeine örtliche Zuständigkeit: Allgemeine örtliche Zuständigkeit bedeutet, dass die Klagen vor dem erstinstanzlichen Gericht mit örtlicher Zuständigkeit am Wohnsitz des Beklagten zu erheben sind (Ort, an dem sich die natürliche Person dauerhaft aufhält und Ort an dem sich den Sitz der juristischen Person befindet).
  • Alternative territoriale Zuständigkeit: Gemäß den Bestimmungen über die alternative örtliche Zuständigkeit kann der Kläger nach eigenem Ermessen entweder vor dem allgemein zuständigen Gericht oder einem anderen laut Gesetz zuständigen Gericht klagen. Die Möglichkeit ist insbesondere in folgenden Fällen vorgesehen:
    • Unterhalts- und Vaterschaftsklagen;
    • Vermögensansprüche gegen ein Unternehmen;
    • Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis;
    • deliktische Ansprüche;
    • Ansprüche aus Miete oder Pacht von Immobilien.
  • Ausschließliche örtliche Zuständigkeit: Die Vorschriften des polnischen Zivilprozessordnung, die die ausschließliche örtliche Zuständigkeit vorsehen, sind zwingend anzuwenden. Bspw. können die Klagen auf Herausgabe von Eigentum oder Geltendmachung anderer dinglicher Rechte an Immobilien sowie an Immobilienbesitz nur vor dem Gericht erhoben werden, das am Ort der Immobilie zuständig ist. In Erbangelegenheiten, in den Fällen bezüglich Pflichtteilen, Vermächtnisse, testamentarischer Anordnungen oder Verfügungen, können die Kläger die Klagen nur vor dem Gericht erheben, das am letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers zuständig ist. Sollte der Aufenthaltsort in Polen nicht fest zu stellen sein, dann vor dem Gericht, das am Ort des Nachlasses oder eines Teils des Nachlasses zuständig ist. Weitere Beispiele der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit sind Klagen im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft in einer Genossenschaft, einer Gesellschaft oder einer Vereinigung. Die Klagen können nur vor dem Gericht erhoben werden, das am Ort des formellen Geschäftssitzes zuständig ist. Klagen in Ehesachen können nur vor dem Gericht erhoben werden, das an dem Ort zuständig ist, an dem die Ehegatten zuletzt wohnhaft waren, auch wenn nur noch einer von ihnen seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem Zuständigkeitsbereich hat.

Sachliche Zuständigkeit des Gerichts

Im Regelfall sind die Bezirksgerichte die Gerichte der 1. Instanz („Sąd Rejonowy”). Es besteht ein geschlossene Katalog der Sachen, die aber durch das Landesgericht („Sąd Okręgowy”) als Gericht der 1. Instanz anerkannt werden. Zwischen den Rechtssachen sind insbesondere die Klagen in Bezug auf die immateriellen Rechte, Urheberschutzrechte, Scheidungssachen, Ansprüche aus den persönlichen Rechte, Vermögensrecht mit dem Wert über 75.000 polnische Złoty.


Eine Entscheidung des Gerichts (Urteil oder Beschluss), die ein Gericht gesprochen hat, kann bei dem Gericht der 2. Instanz („Sąd Okręgowy” oder „Sąd Apelacyjny”) angefochten werden, insbesondere in der Form der Berufung oder Beschwerde. Wird gegen ein Urteil der 1. Instanz das Rechtsmittel der Berufung eingelegt, muss ein höheres Gericht in 2. Instanz den gesamten Fall grundsätzlich noch einmal prüfen, aber das erneute Beweisverfahren ist sehr beschränkt. Sollte das Gericht der 2. Instanz zu der Überzeugung kommen, dass wesentliche Fehler des Verfahrens vor dem 1. Instanz an die Durchführung der Beweise liegen, so wird das Urteil der 1. Instanz aufgehoben und wird das erneute Beweisverfahren dem Gericht der 1. Instanz angeordnet. Ansonsten kann ein Effekt der Berufung die inhaltliche Änderung des Urteils der 1. Instanz oder die Aufrechterhaltung des Urteils der 1. Instanz sein.


Das Urteil der 2. Instanz ist ab sofort rechtskräftig und vollstreckbar. Gegen dem Urteil der 2. Instanz kann eine außerordentliche und zu den bestimmten Fällen beschränkte Form der Beschwerde – d.h. Kassation an den Gerichtshof in Warschau erhoben werden. Der Gerichtshof prüft nur ob alle Rechtsvorschriften des materiellen Rechts richtig angewandt worden sind oder ob zu den gravierenden prozessualen Fehlern in der 2. oder 1. Instanz gekommen ist.


Prozesskosten

Grundsätzlich sind Gerichtsverfahren mit Kosten verbunden. Die Gerichtskosten umfassen Gebühren (Eintrittsgebühr) und Auslagen (Reisekosten der Zeugen, Gutachten der Sachverständigen). Die Gerichtskosten muss die Partei zahlen, die eine Klage erhoben hat, für die Gebühren fällig werden oder Auslagen getätigt werden müssen. Falls die fällige Gebühr nicht entrichtet wird, fordert das Gericht zu einer Zahlung innerhalb einer Woche auf. Andernfalls wird die Klage zurückgewiesen. Die Hohe der Gebühr richtet sich prozentuell nach dem Streitwert oder wird in manchen Fällen als feste Gebühr vorgesehen.


Die Honorarzahlungen an Anwälte werden zwischen dem Mandanten und seinem Rechtsvertreter vereinbart. Es besteht aber eine Verordnung in Bezug auf die Anwaltshonorare in den gerichtlichen Sachen, die das Niveau des Honorars eines Anwalts je nach Typ der gerichtlichen Angelegenheit bestimmt. Im internen Verhältnis ist die Partei und sein Anwalt an die Verordnung nicht gebunden, aber Erstattung den Anwaltskosten im gerichtlichen Verfahren erfolgt nur gemäß der in der Verordnung bestimmten Höhe des Honorars.


Kostentragungspflicht/Kostenerstattungspflicht

Die Kosten des Verfahrens (Gebühren, Auslagen und Anwaltskosten) trägt die Partei, die das Verfahren verliert. Das bedeutet, dass eine Verpflichtung (und zwar im Urteil) besteht, dass die verlierende Seite die bisher durch die gewinnende Partei vorausgelegten Kosten am Ende des Verfahrens erstattet. In bestimmten Fällen kann das Gericht entscheiden, dass die Kosten nur teilweise (wenn z.B. der Kläger nicht den vollständigen Erfolg gehabt hat) zugesprochen oder gegeneinander aufgehoben werden (insbesondere wenn die Klage erfolglos blieb oder gemäß Prinzip der Gerechtigkeit sollte die verlierende Seite mit den Kosten nicht belastet sein).


Durchschnittliche Verfahrensdauer

Auf die Frage, wieviel Zeit ein Gerichtsverfahren in Anspruch nimmt, gibt es keine allgemeinverbindliche Antwort. In Polen werden auch nur selten Studien durchgeführt, um die Verfahrensdauer aufzuzeigen. In der Zeit der weltweiten Pandemie Covid-19 ist es noch schwieriger, die durchschnittliche Verfahrensdauer zu bestimmen. In der ganzen Welt hat sich die Verfahrensdauer verlängert, da die Gerichte nicht richtig funktioniert haben. Nach Ende des „Lockdowns“ gibt es nun die Regeln für die Funktionsweise des Gerichts, die die Richtlinien zur Bekämpfung einer Epidemie berücksichtigen, d.h. weniger Personen im Gericht, Belüftung und Desinfektion in Gerichtssälen, Quarantäne für eingehende Post sowie Einschränkungen bei direkten Kontakten mit Gerichtsmitarbeitern. Solche Einschränkungen führen auch zur Verlängerung der Verfahren.


Die letzte komplexere Datenlage vom Minister für Justiz wurde für das Jahr 2017 erstellt. In erster Instanz dauert das Verfahren mind. 4 und bis 8/12 Monate – abhängig vom Gerichtsort. Die Vollstreckung dauert von 7 bis über 15 Monate. Das Verfahren vor dem Gericht der 2. Instanz kann ca. 12 bis 18 Monate dauern. Im Fall der Kassationsbeschwerde muss mit einer Dauer von mind. 10 bis 20 Monaten gerechnet werden.


Einstweiliger Rechtsschutz

Einstweiliger Rechtsschutz sichert die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer nachfolgenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren. In jedem Zivilprozess kann eine Sicherheit verlangt werden, was bedeutet, dass eine Sicherheit sowohl in Fällen, die vor Gericht verhandelt werden (in ordentlichen Verfahren oder in getrennten Verfahren), als auch in nichtstreitigen Verfahren gewährt werden kann. Ein Antrag auf Erteilung einer Sicherheit kann sowohl in dem Fall gestellt werden, wenn die Entscheidung, die nach dem Prüfungsverfahren getroffen wird, vollstreckbar ist oder der Zwangsvollstreckung nicht unterliegt. Der Gegenstand der Sicherheit kann eine Geldforderung und eine nicht geldliche Forderung vermögensrechtlicher oder nichtvermögensrechtlicher Art sein.


Das Gericht kann auf Antrag einer Partei oder eines Beteiligten eine Sicherheitsanordnung erlassen, wenn die Person einen plausiblen Anspruch und ein rechtliches Interesse an der Sicherheitsleistung hat. Das Rechtsschutzinteresse ist so zu verstehen, dass der Mangel an Sicherheit die Vollstreckung der in dem Fall getroffenen Entscheidung verhindert oder ernsthaft behindert oder die Erreichung des Zweckes des Verfahrens auf andere Weise verhindert oder behindert. Andererseits sollte die Sicherheitsmethode so weit entsprechen, dass die berechtigte Person angemessen geschützt und die verpflichtete Person nicht überlastet wird. Die Sicherheit kann daher nicht darauf abzielen, den Anspruch zu befriedigen.

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