Europäischer Gerichtshof (EuGH) sieht Werbung mit „hautfreundlichem“ Desinfektionsmittel als irreführend an

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 6​​. August​ 2024 | Lesedauer ca. 5 Minuten​​
   

Mit Urteil vom 20. Juni 2024 stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) klar, dass der Begriff „ähnliche Hinweise“ der Biozidverordnung jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte umfasse, der diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die irreführend ist, indem er die Risiken verharmlost oder sogar negiert, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben. Ein Desinfektionsmittel, das unter die Kategorie der Biozidprodukte fällt, mit dem Begriff „hautfreundlich“ zu bewerben, ist nach Auffassung der Richter irreführend und geeignet, die Risiken von Biozidprodukten zu verharmlosen.​

   


  
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 20. Juni 2024 über die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „ähnliche Hinweise“ im Sinne des Art. 72 Abs. 3 S. 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (im Folgenden: Biozidverordnung) entschieden. 
  
Der Begriff umfasst demnach jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte, der diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die irreführend ist, indem er diese Risiken verharmlost oder sogar negiert, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben. Biozidprodukte sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, Schadorganismen wie Schädlinge oder Bakterien zu vernichten oder auf sonstige Weise zu bekämpfen. Ein Desinfektionsmittel, das unter die Kategorie der Biozidprodukte fällt, mit dem Begriff „hautfreundlich“ zu bewerben, ist nach Auffassung der Luxemburger Richter irreführend und geeignet, die Risiken von Biozidprodukten für die Gesundheit von Mensch, Tier oder für die Umwelt zu verharmlosen.
  

„Hautfreundliches“ Desinfektionsmittel?​

Konkret dreht sich der Fall um das Desinfektionsmittel „BioLYTHE“, das von der Drogeriemarktkette dm-drogerie markt GmbH & Co. KG (im Folgenden: dm) zum Verkauf angeboten wurde. Auf dem Etikett befanden sich mehrere Angaben, darunter „Ökologisches Universal-Breitband Desinfektionsmittel“, „Haut-, Hände-, und Oberflächendesinfektion“, „Wirksam gegen SARS-Corona“ sowie „Hautfreundlich – Bio – Ohne Alkohol“. 
  
Die deutsche Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (im Folgenden: ZBUW) sah darin unlautere Werbung und erhob nach erfolgloser Abmahnung von dm Klage vor den deutschen Gerichten. Die Unzulässigkeit der Begriffe „bio“ und „ökologisch“ war zwischen den ersten beiden Instanzgerichten unstrittig. Die ZBUW sah jedoch auch die Bezeichnung „hautfreundlich“ als einen Verstoß gegen die Biozidverordnung. 
  
Nach der Biozidverordnung dürfen Biozidprodukte nicht in einer Art und Weise beworben werden, dass Verbraucher hinsichtlich der Risiken der Produkte für die Gesundheit oder Umwelt bzw. ihrer Wirksamkeit irregeführt werden. Bestimmte Begriffe dürfen auf gar keinen Fall enthalten sein – diese legt die Verordnung im Einzelnen fest. Dazu gehören unter anderem „unschädlich“, „natürlich“ oder „tierfreundlich“. 
  
Die maßgebliche Vorschrift der Biozid-Verordnung lautet: 
  
Artikel 72 – Werbung
  1. Jeder Werbung für Biozidprodukte ist zusätzlich zur Einhaltung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 folgender Hinweis hinzuzufügen: „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen.“ Diese Sätze müssen sich von der eigentlichen Werbung deutlich abheben und gut lesbar sein.
  2. (…)
  3. In der Werbung für Biozidprodukte darf das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. Die Werbung für ein Biozidprodukt darf auf keinen Fall die Angaben „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „ungiftig“, „unschädlich“, „natürlich“, „umweltfreundlich“, „tierfreundlich“ oder ähnliche Hinweise enthalten.
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Verboten sind nach Art. 72 Abs. 3 S. 2 der Biozidverordnung auch „ähnliche Hinweise“. Die ZBUW argumentierte, dass die Bezeichnung „hautfreundlich“ ein solcher „ähnlicher Hinweis“ im Sinne der Biozid-Verordnung sei. 
  
Das Landgericht Karlsruhe gab der Klage der ZBUW zunächst statt. Auf die Berufung von dm änderte das Oberlandesgericht Karlsruhe das Urteil jedoch teilweise ab. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Bezeichnung „hautfreundlich“ kein „ähnlicher Hinweis“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 S. 2 der Biozidverordnung sei, da diese Angaben die Risiken des Produkts nicht pauschal verharmlosen würden. 
  
Die ZBUW legte gegen dieses Urteil Revision beim Bundesgerichtshof ein. Dieser stellte fest, dass der Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 S. 2 der Biozidverordnung nicht klar definiert, was unter „ähnliche Hinweise“ zu verstehen ist. Der BGH vertrat die Auffassung, dass zulässige, nicht irreführende und spezifische Angaben in der Werbung für Biozidprodukte durch die Verordnung nicht ausgeschlossen seien, solange sie die Risiken des Produkts nicht pauschal verharmlosen. In Bezug auf das streitgegenständliche Desinfektionsmittel würde ein durchschnittlicher Verbraucher die Angabe „hautfreundlich“ lediglich als Hinweis auf eine spezifische Eigenschaft des Produkts verstehen, nicht aber weniger kritisch in Bezug auf den Einsatz des fraglichen Produkts machen.
  
Der BGH setzte das Verfahren zunächst aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob der Begriff „ähnliche Hinweise“ nur solche Begriffe umfasse, die genauso wie die ausdrücklich in Art. 72 Abs. 3 S. 2 der Biozidverordnung aufgezählten Begriffe die Risiken eines Biozidprodukts in pauschaler Weise verharmlosen, oder ob darunter alle Begriffe zu subsumieren seien, die hinsichtlich der Risiken des Produkts einen den ausdrücklich aufgezählten Begriffen vergleichbaren verharmlosenden, nicht aber zwingend auch einen generalisierenden Gehalt wie diese aufwiesen. 
  
Mit Urteil vom 20.6.2024 (C-296/23) haben die Luxemburger Richterinnen und Richter nun Stellung bezogen – und den Sachverhalt anders bewertet als die deutschen Gerichte.
  
Nach Ansicht des EuGH sei Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Biozidverordnung dahin auszulegen, dass der Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne dieser Bestimmung jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte umfasse, der – wie die in dieser Bestimmung genannten Angaben – diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit irreführend ist, indem er diese Risiken verharmlost oder sogar negiert ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben. 
  
Der EuGH stellt fest, dass die Verordnung keinen Hinweis darauf enthält, dass das Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte nur auf allgemeine Angaben beschränkt wäre. So kann sowohl ein allgemeiner als auch ein spezifischer Hinweis, der die Risiken von Biozidprodukten verharmlost, in Bezug auf das Vorliegen dieser Risiken irreführend sein.
  
Der Begriff „hautfreundlich“ enthalte auf den ersten Blick eine positive Konnotation, die die Erwähnung jeglicher Risiken vermeidet, so dass sie nicht nur geeignet ist, die schädlichen Nebenwirkungen des Desinfektionsmittels zu relativieren, sondern auch anzudeuten, dass das Produkt für die Haut sogar von Nutzen sein könnte. Eine solche Angabe sei irreführend, so dass das Verbot ihrer Verwendung in der Werbung für das Desinfektionsmittel gerechtfertigt sei. 
  
Das Ergebnis des Vorabentscheidungsverfahrens und die Auslegung durch den EuGH hat der BGH nun in seinem Urteil zugrunde zu legen. 
  

Ausblick ​​

Die Entscheidung des EuGH stellt sicher, dass Werbeaussagen, insbesondere für Produkte mit potenziellen gesundheitlichen Risiken, nicht irreführend oder verharmlosend sein dürfen. Sie betont die Notwendigkeit einer klaren Kommunikation der tatsächlichen Risiken von Biozidprodukten. 
  
Für Hersteller bedeutet dieses Urteil eine Aufforderung, ihre Werbestrategien und -formulierungen zu überprüfen. Hersteller, die ihre Produkte als „hautfreundlich“ oder mit ähnlichen positiven Konnotationen bewerben, müssen sicherstellen, dass solche Angaben durch wissenschaftliche Beweise gestützt sind und nicht die potenziellen Risiken des Produkts verschleiern. Unternehmen sollten einen strengen Maßstab an die Frage der Irreführung anlegen und im Zweifel rechtlichen Rat einholen.
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