Compliance und Integrität als Führungsaufgabe und Kulturgestaltung

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veröffentlicht am 5. Oktober 2021 / Lesedauer ca. 4 Minuten

 

Das Thema „Corporate Compliance” ist allgegenwärtig. Mittlerweile haben viele mittelständische Unternehmen damit begonnen, professionelle Compliance-Management-Systeme (CMS) aufzubauen, Compliance-Beauftragte (sog. „Chief Compliance Officer”) zu benennen sowie Mitarbeiter und Führungskräfte in Sachen Korruptionsprävention, Kartellrecht und anderen Themen zu schulen. Manche haben zudem Hinweisgeber-Systeme eingerichtet oder einen externen Ombudsmann beauftragt, an den sich Mitarbeiter vertraulich wenden können, um auf mögliches Fehlverhalten hinzuweisen. Einige Unternehmen unterziehen das CMS bereits externen Überprüfungen (ISO 37301, ISO 37001 oder IDW PS 980), um sich selbst sicher sein zu können, dass die Compliance-Maßnahmen wirksam implementiert sind und auch, um dem Aufsichtsrat sowie anderen Stakeholdern zeigen zu können, dass das Unternehmen die relevanten Compliance-Risiken im Griff hat.  

Prof. Dr. rer. pol. Stephan Grüninger kommentiert

Prof. Dr. rer. pol. Stephan Grüninger ist Wissenschaftlicher Direktor des „Konstanz Institut für Corporate Governance” (KICG) und Inhaber der W3-Professur für Allgemeine Betriebs­wirtschaftslehre mit Schwerpunkt „Managerial Economics” an der HTWG Konstanz (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung). Außerdem leitet er das „Forum Compliance & Integrity” sowie das „Forum Compliance Mittelstand”. Die Initiativen der Zentrum für Wirtschaftsethik gGmbH sollen der Förderung und Verbreitung einer werteorientierten Compliance in Unternehmen dienen. Prof. Dr. Stephan Grüninger engagiert sich außerdem im wissenschaftlichen Beirat des DICO (Deutsches Institut für Compliance e. V.) sowie als Vorstandsvorsitzender des DNWE (Deutsches Netzwerks Wirtschaftsethik e. V.). Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen: Zu seinen Werken zählt bspw. das Standardwerk „Handbuch Compliance-Management”. Im Oktober 2021 startet er ein neues Forschungsprojekt am KICG mit dem Titel „Compliance & Integrity als Führungsaufgabe und Kulturgestaltung: Empowerment – Enablement – Effectiveness“.

 

Der Erfolg von Compliance-Maßnahmen im Unternehmen ist gemeinhin dann anzunehmen, wenn mit deren Implementierung und Umsetzung „systemisches Fehlverhalten” ausgeschlossen („prevent”) werden kann und sichergestellt ist, dass individuelles bzw. transaktionsbezogenes Fehlverhalten in der Mehrheit der Fälle entdeckt wird („detect”). Außerdem müssen die richtigen Konsequenzen (Sanktionen, Geschäftsprozess­änderungen, Anpassung von Kontrollen, Änderungen im Compliance-Management-System) aus entdecktem Fehlverhalten gezogen werden („respond”).
 
Im Zusammenhang mit der Frage nach der Wirksamkeit von CMS wird zunehmend klar, dass nur ein Konzept, das auf „Compliance als Führungsaufgabe” setzt, diesen Erfolg erbringen kann. Der jahrelang in vielen Unternehmen verfolgte Ansatz „Compliance als Stabsaufgabe” ist gescheitert  –  und er musste scheitern. Auch ein noch so ausgefeiltes CMS kann sich schlicht nicht entfalten, wenn sich die Unternehmensleitung nicht klar positioniert, die Diskussion zu Zielkonflikten im Geschäftsalltag (v. a. Gewinn versus Compliance) nicht zulässt und insbesondere die Führungs­mannschaft nicht ausreichend in Sachen Integrität und Compliance ausbildet. Selbstverständlich wird es für ein wirksames CMS neben den soeben genannten Maßnahmen immer auch wichtig sein, angemessene Ressourcen in einer die Linienfunktionen fachlich unterstützenden Compliance-Funktion vorzuhalten. Aber: Compliance selbst muss als Führungsaufgabe entwickelt werden!
 
Die Führungskräfte sind verantwortlich für regelkonformes und ethisches Geschäftsgebaren. Wie etwa soll ein Mitarbeiter einer zentralen Compliance-Abteilung eines deutschen Industrie­unternehmens beurteilen können, ob eine Einladung an einen Geschäftspartner zu einer Sport­veranstaltung, ausgesprochen vom Managing Director der südafrikanischen Landesgesellschaft, eine illegale Beeinflussung darstellt? Schließlich ist die Intention der Einladung ein entscheidender Parameter für die Beurteilung der Situation. Aber genau diese Beurteilung kann der Mitarbeiter der zentralen Compliance-Abteilung nicht vornehmen. Er wird darum so vorgehen (müssen), dass er das inhärente „legal risk” beurteilt, was i. d. R. dazu führt, dass der Einladung nicht stattgegeben werden kann  –  da oberhalb einer sehr geringwertigen Bagatellgrenze immer die Möglichkeit der illegalen Beeinflussung abstrakt gedacht werden kann. Ein so gelagerter Entscheidungsprozess schafft aber systematisch Anreize zu seiner Umgehung, da man nicht auf (legale und legitime) Maßnahmen bei der Kundenbetreuung verzichten möchte.


Dieser einfache Fall zeigt, dass die Sicherstellung der Rechtsförmigkeit und Redlichkeit des Unternehmenshandelns nur gelingen kann, wenn alle wissen,

  • welche Standards gelten sollen,
  • wie die Kultur des Unternehmens ist und in welche Richtung sie weiterentwickelt werden soll,
  • was als anständig und was als „ein gutes Geschäft” anzusehen ist.

 

Darüber muss sich zunächst die Unternehmensleitung im Klaren sein und das dann konsistent über die Hierarchie in die Organisation und an alle Mitarbeiter verbindlich vermitteln.

 
Ich plädiere daher für einen Ansatz, der auf Management Education und Development setzt  –  d. h. dass die Führungskräfte und Mitarbeiter ausgebildet werden („Empowerment“): Einerseits durch Wissensvermittlung zu den verschiedenen Themen (Anti-Bribery und Corruption, Anti-Trust, Fraud, Embargo, Product Safety, Human Rights etc.), andererseits v. a. durch eine Kompetenzentwicklung zur Strukturierung und Bearbeitung Compliance-bezogener und ethischer Dilemmata. Jeder Manager benötigt heutzutage Know-how in Sachen Compliance und Integrity, um nachhaltig erfolgreich für sich selbst und das Unternehmen handeln zu können. Der Ansatz „Compliance als Führungsaufgabe” erfordert mehr Zeit sowie Geduld, sicherlich auch oftmals Mut; und die Ausbildung der Manager kostet Geld. Im Gegensatz zum Ansatz „Compliance als Stabsaufgabe” hat er jedoch den unschlagbaren Vorteil, dass er funktionieren kann.

 
Erfolgsvoraussetzungen für das Gelingen eines solchen Ansatzes sind allerdings auch die organisations­strukturellen und -kulturellen Bedingungen („Enablement“), die Anreize und Möglichkeiten für eine ethische Unternehmens- und Mitarbeiterführung bieten müssen. Gibt es die vielzitierte „Speak-up Culture“ wirklich? Können Compliance-Konflikte und ethische Dilemmata offen angesprochen und vernünftig bearbeitet werden? Das Bekenntnis der Unternehmensleitung (z. B. via Videobotschaften) reicht regelmäßig nicht aus, um eine robuste ethische Unternehmenskultur zu schaffen, die gewissermaßen die Grundlage dafür darstellt, dass und wie genau Compliance-Maßnahmen und -Instrumente wirken. Stattdessen braucht es transparente sowie verlässliche Kommunikationsstrukturen, die dafür sorgen, dass keiner in der Organisation „ausbüchsen“ kann und sich die oberen Leitungsebenen zu relevanten Themen und Problemstellungen stellen können und stellen müssen. Die Bekämpfung der Diffusion von Verantwortung („organisierte Unverantwortlich­keit“) ist eine der wichtigsten Aufgaben bzw. größten Herausforderung für eine zielführende und wirksame Compliance („Effectiveness“) in Unternehmen.

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