Die Steuerung des Arbeitnehmerverhaltens im modernen Arbeitsverhältnis

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veröffentlicht am 13. Dezember 2023 | Lesedauer ca. 5 Minuten


„In 500 Meter rechts abbiegen“. Diesen oder vergleichbaren Satz eines Navigations­gerätes hat wohl jeder von uns einmal gehört. Es verwundert uns ebenfalls nicht, dass diese Aufforderung zur Umsetzung eines Verhaltens von einer Maschine kommt. Also alles kein Problem? Nun, es kommt drauf an. Werden wir nämlich im Arbeitsverhältnis von einer Maschine zu einem konkreten Verhalten aufgefordert, so wird dieser Um­stand eher als Bedrohung des Arbeitsplatzes empfunden. Dies gilt umso mehr, wenn diese Maschine als künstliche Intelligenz (KI) bezeichnet wird.


 

Dabei korreliert der Einsatz von KI nicht zwingend mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen. KI kann beispielsweise auch einen Teil der originären Rechte und Pflichten des Arbeitgebers , nämlich die Anweisung zur Ausführung eines bestimmten Verhaltens, übernehmen. Mit anderen Worten steuert eine Maschine das Verhalten der Arbeitnehmer. Der Einsatz von KI zur Steuerung des Arbeitnehmerverhaltens ist umfassend und kann jederzeit auf den individuellen Arbeitnehmer einwirken. In der englischsprachigen Literatur wurde – zum Beispiel von Jarrahi et al. – hierfür der Begriff „algorithmic management“ geprägt.
 


Beispiele moderner Verhaltenssteuerung

Ein besonders plastisches Beispiel für KI-basierte Verhaltenssteuerung benennen Forscher der Universität Berkeley Bernhardt/Suleiman/Kresge: Das von einem Callcenter verwendete Tool ist so konzipiert, dass es die gesamte virtuelle Umgebung, in der sich der Mitarbeiter während seiner Tätigkeit befindet, überwacht, diese aufzeichnet und zugleich Gespräche und andere Interaktionen zwischen den Callcenter-Mitarbeitern und Kunden analysiert. Auf dieser Grundlage gibt das System den Mitarbeitern auf einem Computer-Dashboard in Echtzeit Verhaltensanweisungen. Konkret weist die KI den Mitarbeiter – vergleichbar mit einem menschlichen Vorgesetzten – etwa an, dass diese mehr Einfühlungsvermögen zeigen sollen, eine effizientere Gesprächs­führung an den Tag legen müssen oder aber mehr Selbstvertrauen und Professionalität auszustrahlen.
 
Ein weiteres Beispiel für KI-basierte Verhaltenssteuerung kann etwa sein, dass direkte, „harte“ Weisungen durch sogenanntes „Nudging“ ersetzt werden. Hierbei handelt es sich um eine Art der subtilen Verhaltens­steuerung, die beispielsweise in Fitnesstrackern zum Einsatz kommt. In jüngerer Vergangenheit sind ebenfalls Lösungen entwickelt worden, um die Kommunikation unter Mitarbeitern zu verbessern.

 

Uneinheitliche Definition von KI

Ab wann es sich bei der technisch durchgeführten Steuerung des Arbeitnehmerverhaltens allerdings um künstliche Intelligenz handelt, divergiert in Abhängigkeit von der gewählten Definition. So dürften aus aktueller Perspektive beispielsweise nahezu alle Tools den sogenannten Turing Test (benannt nach dem Wissenschaftler Alan Turing) bestehen. Ob sie deshalb aber bereits als „echte KI“ zu qualifizieren sind, ist fraglich. Als starke KI im Sinne einer – untechnisch so betitelten – eigeständig denkenden KI sind diese Systeme jedenfalls nicht zu qualifizieren.
 
Künftig wird der Begriff der KI ebenfalls vom Europäischen Gesetzgeber definiert. So definiert ein der Europä­ischen Kommission am 21. April 2021 unterbreitete Vorschlag für eine Verordnung (…) zur Festlegung Harmo­nisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz (…) in Art. 3 in Verbindung mit Anhang I, dass KI eine Software sei, die mit einer oder mehreren der nachfolgend aufgeführten Techniken und Konzepte entwickelt worden ist und im Hinblick auf eine Reihe von Zielen, die vom Menschen festgelegt werden, Ergebnisse wie Inhalte, Vorhersagen, Empfehlungen oder Entscheidungen hervorbringen kann, die das Umfeld beeinflussen, mit dem sie interagieren.


Die Konzepte sind:

  • Konzepte des maschinellen Lernens, mit beaufsichtigtem, unbeaufsichtigtem und bestärkendem Lernen unter Verwendung einer breiten Palette von Methoden, einschließlich des tiefen Lernens (Deep Learning)
  • Logik- und wissensgestützte Konzepte, einschließlich Wissensrepräsentation, induktiver (logischer) Programmierung, Wissensgrundlagen, Inferenz- und Deduktionsmaschinen, (symbolischer) Schlussfol­gerungs- und Expertensysteme
  • Statistische Ansätze, Bayessche Schätz-, Such- und Optimierungsmethoden


Diverse rechtliche Anforderungen an die zugrunde liegenden technischen Systeme

Unabhängig davon, ob das verwendete System tatsächlich als KI im rechtlichen – oder wissenschaftlichen – Sinn zu qualifizieren ist, müssen diverse rechtliche Anforderungen erfüllt werden. Exemplarisch ist zunächst aus datenschutzrechtlicher Perspektive zu berücksichtigen, dass auch die Datenverarbeitung durch die KI beispielsweise auf einer Rechtsgrundlage beruhen (Art. 6 DSGVO) sowie die Rechte der betroffenen Personen gewährleisten (Art. 13ff. DSGVO) muss. Auch die übrigen Pflichten des Verantwortlichen sind weiterhin zu erfüllen. Welche Anforderungen konkret zu erfüllen sind, hängt vom Einzelfall ab. Hinzu kommt, dass Art. 22 Abs. 1 DS-GVO das Recht statuiert, gerade nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden. Überdies stellt sich die Frage, wie Arbeitgeber vollum­fänglich über Verarbeitungsvorgänge informieren, über die möglicherweise erst später eine Maschine entschei­det. Im Ergebnis sind die Probleme insoweit identisch zu denen, die in jedem digitalisierten Arbeitsverhältnis auftreten können.
 
Ist beim Arbeitgeber ein Betriebsrat gebildet, so ist bei der Einführung intelligenter Anreizsysteme regelmäßig die Mitbestimmung zu beachten. Insoweit hat der Betriebsrat beispielsweise, je nach Sachverhalt und verwen­detem System, einen Unterrichtungsanspruch gemäß § 80 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) oder ein Unterrichtungs- und Beratungsrecht im Zusammenhang mit der Planung von Arbeitsverfahren und Arbeits­abläufen einschließlich des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (§ 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG). Ferner sind Anwendungen, die das Verhalten der Arbeitnehmer steuern gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungs­pflichtig. Abschließend muss KI diskriminierungsfrei konzipiert sein. Abschließend darf das die Arbeitsan­weisung erteilende System auch nur über solche Rechte und Pflichten disponieren, zu denen der menschliche Vorgesetzte eine Anweisung treffen könnte.

 

Moderne Alternativen zur intelligenten Verhaltenssteuerung

Eine alternative Methode der Verhaltenssteuerung und Steigerung der Motivation kann allerdings bereits die Gewährung erhöhter Flexibilität für die Arbeitnehmer sein. Exemplarisch hierfür kann versucht werden, die Flexibilität durch Vertrauensurlaub oder sogenannte Null-Stunden-Verträge zu realisieren. Der Begriff Vertrau­ensurlaub ist ein der breiten Öffentlichkeit in Deutschland bisher unbekanntes Phänomen. Im internationalen – primär englischsprachigen – Raum ist der Vertrauensurlaub unter dem Begriff „unlimited paid time off (unli­mited PTO)“ bereits verbreiteter. Das Konzept sieht vor, dass Arbeitnehmer im Ergebnis – in Deutschland unter Berücksichtigung des Bundesurlaubsgesetzes (BurlG) – so viel Urlaub nehmen können, wie sie möchten. Hierdurch soll ebenfalls die Motivation gesteigert werden.  
 
Bei einem Null-Stunden-Vertrag schließen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hingegen eine Rahmenvereinbarung über eine konkrete Arbeitsleistung, ohne dass eine Pflicht zur Erbringung der Arbeit final definiert wird. Wie viel der Arbeitnehmer also tatsächlich arbeitet, hängt von einer weiteren Vereinbarung ab. Auch diese Art der Vertragsgestaltung soll Arbeitnehmer motivieren, wenn sie arbeiten, ihre Leistungsfähigkeit voll auszuschöpfen. Solche Verträge sollten allerdings nicht ohne vorherige rechtliche Prüfung abgeschlossen werden, da insoweit häufig die Gefahr einer unzulässigen Befristung besteht. 

Klassische Methoden der Steuerung des Arbeitnehmerverhaltens

Führen all die zuvor genannten entweder nicht zum gewünschten Ergebnis oder aber sind nicht gewünscht, so sollten Arbeitgeber selbstverständlich auf die klassischen Optionen der Verhaltenssteuerung zurückgreifen. Konkret darf der Arbeitgeber nämlich auch im digitalisierten Arbeitsverhältnis im Rahmen seines Direktions­rechtes Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen sowie vorbehaltlich höherer Rechts­quellen näher bestimmen (§ 106 Gewerbeordnung (GewO)). Alternativ kann er Arbeitgeber etwaige Pflichten ebenfalls durch den Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung oder aber mittels eines Code of Conduct sta­tuieren. Die Betriebsvereinbarung ist immer dann vorzugswürdig, wenn ein Mitbestimmungsrecht besteht.
 

Die Qual der Wahl“ des Arbeitgebers

Unter Berücksichtigung des zuvor Dargestellten stehen Arbeitgeber in der Praxis mithin vor der Aufgabe, ein für das Unternehmen faktisch gewinnbringendes und zugleich rechtssicheres Tool oder anderweitige Methode der Verhaltenssteuerung zu wählen. Faktisch müssen ferner verschiedene Tools und Methoden kombiniert werden. Bereits aus Gründen der Risikominimierung ist es empfehlenswert, wenn Arbeitgeber bereits frühzeitig prüfen (lassen), ob sich das anvisierte Tool aus rechtlicher Perspektive rechtssicher im Unternehmen einführen lässt, beziehungsweise welche Friktionen auftreten können.


Fazit

Verhaltenssteuerung im digitalisierten Arbeitsverhältnis sind „ein weites Feld“. Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt, die (rechtlichen) Probleme potenziell auch. Nichtsdestotrotz lohnt es sich in der Praxis, die im Unternehmen möglichen Maßnahmen zur Verhaltenssteuerung zu eruieren und sowohl zum Wohl der Arbeit­nehmer als auch des unternehmerischen Erfolges umzusetzen.

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