EuGH: Freie Einsehbarkeit des Transparenzregisters für die Öffentlichkeit ist europarechtswidrig

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veröffentlicht am 24. November 2022 | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

Der EuGH hat mit Urteil vom 22. November 2022 – nach den ablehnenden Schlussanträgen des Generalanwalts überraschend – entschieden, dass die freie Einsehbarkeit des Transparenzregisters für die Öffentlichkeit gegen Art. 7 (Achtung des Privat- und Familienlebens) sowie Art. 8 (Schutz personenbezogener Daten) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCh) verstößt. Die freie Einsehbarkeit des deutschen Transparenzregisters für die Öffentlichkeit dürfte daher in naher Zukunft enden.

 

   

Hintergrund

Seit dem 1. August 2022 haben (nahezu) sämtliche Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ihre wirtschaftlich Berechtigten an das Transparenzregister zu melden. Wirtschaftlich Berechtigter ist grundsätzlich die natürliche Person in deren Eigentum oder unter deren Kontrolle eine Gesellschaft letztlich steht. Die im Transparenzregister einzutragenden Daten des wirtschaftlich Berechtigten umfassen nach § 19 Abs. 1 GwG derzeit:

  • sämtliche Vor- und Nachnamen;
  • das Geburtsdatum;
  • den Wohnort;
  • sämtliche Staatsangehörigkeiten; sowie
  • Art und Umfang des wirtschaftlichen Interesses.

Seit dem 1. Januar 2020 kann das Transparenzregister durch die Öffentlichkeit frei eingesehen werden (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GwG). Zuvor war eine Einsichtnahme nur möglich bei Darlegung eines berechtigten Interesses. Das beschränkte die Einsichtnahme im Wesentlichen auf Organisationen, die im Bereich der Geldwäsche tätig waren, sowie Journalisten, wenn sie zu Geldwäsche recherchierten.

 

Die Schaffung des freien Zugangs zum Transparenzregister für die Öffentlichkeit wurde von der Praxis und insbesondere den wirtschaftlich Berechtigten selbst sehr kritisch gesehen. Zwar waren nicht sämtliche an das Transparenzregister zu meldende Angaben des wirtschaftlich Berechtigten durch die Öffentlichkeit im Register einsehbar (bspw. erhielt die Öffentlichkeit lediglich in Deutschland zwar Zugriff auf Geburtsmonat und Geburtsjahr, nicht aber Geburtstag). Dennoch befürchteten viele wirtschaftlich Berechtigte, die Möglichkeit zur freien Einsichtnahme in das Transparenzregister könnte sie der Gefahr der Begehung von Straftaten gegen sie aussetzen.

 

Die Verhinderung der Einsichtnahme in das Transparenzregister durch die Öffentlichkeit war bisher nur durch Stellung eines Antrags auf Beschränkung der Einsichtnahme möglich. Hierfür ist erforderlich, dass der Einsichtnahme in das Transparenzregister schutzwürdige Interessen des wirtschaftlich Berechtigten entgegenstehen. Diese Voraussetzungen liegen insbesondere vor, wenn der wirtschaftlich Berechtigte durch die Eintragung im Transparenzregister der Gefahr einer Straftat ausgesetzt wird oder bei minderjährigen und geschäftsunfähigen wirtschaftlich Berechtigten. Die Praxis des zuständigen Bundesanzeigers war hier eher restriktiv. Der Bundesanzeiger forderte bislang insbesondere das Vorliegen einer konkreten Gefahr für den wirtschaftlich Berechtigten, Opfer einer Straftat zu werden. Diese konnte sich insbesondere aus in der Vergangenheit versuchten oder konkret geplanten Straftaten gegen den wirtschaftlich Berechtigten ergeben. Die Anforderungen an die schutzwürdigen Interessen zur Beschränkung der Einsichtnahme waren ebenfalls Gegenstand der nun vom EuGH entschiedenen Verfahren. Leider wurde diese Frage jedoch vom EuGH vorliegend nicht entschieden, da es wegen der Europarechtswidrigkeit der freien Einsichtnahme der Transparenzregister durch die Öffentlichkeit auf die Möglichkeit einer Beschränkung der Einsichtnahme nicht mehr ankam.

 

Die Entscheidung des EuGH

In der Entscheidung vom 22. November 2022 stellt der EuGH fest, dass Art. 1 Nr. 15 Buchst. c) der sog. 5. Geldwäscherichtlinie (Richtlinie (EU) 2018/843) gegen Europarecht verstößt und damit unwirksam ist, soweit er den freien Zugang zum Transparenzregister durch die Öffentlichkeit erlaubt. Art. 1 Nr. 15 Buchst. c) wurde durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GwG in deutsches Recht umgesetzt. Das Urteil ergeht im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens in den Rechtssachen Sovim SA (Rechtssache C-601/20) und WM (Rechtssache C-37/20). Sovim SA und die natürliche Person „WM" hatten jeweils zunächst in Luxemburg gegen die Ablehnung eines Antrags auf Beschränkung der Einsichtnahme durch das luxemburgische Transparenzregister geklagt. Das zuständige Bezirksgericht Luxemburg (Tribunal d'arrondisement de Luxembourg) hatte die Verfahren jeweils dem EuGH vorgelegt.

 

Zur Begründung seiner Entscheidung führt der EuGH aus, die freie Einsehbarkeit des Transparenzregisters durch die Öffentlichkeit stelle einen „schwerwiegenden Eingriff" in Art. 7 und 8 der EuGRCh dar. Das ergibt sich nach Auffassung des Gerichts daraus, dass sich durch die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellten Informationen ein „mehr oder weniger umfassendes Profil mit bestimmten persönlichen Identifizierungsdaten [sowie] der Vermögenslage des Betroffenen" erstellen lässt. Hinzu kommt, dass die Daten der wirtschaftlich Berechtigten durch die freie Einsehbarkeit der Transparenzregisters auch Personen ungehindert zugänglich sind, die sich nicht zum Zwecke der Geldwäschebekämpfung „über die materielle und finanzielle Situation eines wirtschaftlichen Eigentümers Kenntnis verschaffen wollen".

 

Dieser schwerwiegende Eingriff ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht durch die mit ihm verfolgten Ziele der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gerechtfertigt. Die Europäische Kommission hatte im Verfahren argumentiert, der Begriff des „berechtigten Interesses" für die Einsichtnahme in das Transparenzregister sei in der Praxis wegen seiner Unbestimmtheit schwer handhabbar gewesen. Die freie Einsichtnahme durch die Öffentlichkeit sei mithin das mildeste Mittel zur Erreichung mit ihr verfolgten Ziele der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Dieses Argument ließ der EuGH nicht gelten. Er forderte die Kommission vielmehr auf, eine einheitliche, europaweit gültige Definition dieses Begriffes zu schaffen und Unklarheiten durch eine präzisere Definition zu beseitigen. Die gänzliche Streichung des Erfordernisses eines berechtigten Interesses und damit die Gewährung des Zugangs zu den Transparenzregistern für die freie Öffentlichkeit sei unter diesen Umständen nicht erforderlich.

 

Überdies ist die freie Einsehbarkeit der Transparenzregister durch die Öffentlichkeit nach Auffassung des EuGH nicht angemessen. Er stellt dazu fest, dass die durch die Mitgliedstaaten der Öffentlichkeit zugänglich zu machenden Daten der wirtschaftlich Berechtigten in der 5. Geldwäscheverordnung nicht hinreichend bestimmt sind. Auch obliegt die Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung nicht vorrangig der Öffentlichkeit, sondern den hierfür zuständigen Behörden und den geldwäscherechtlich Verpflichteten (bspw. Banken, Versicherungen, Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater). Sie müssen daher im Rahmen der Erfüllung ihrer geldwäscherechtlichen Pflichten in jedem Fall freien Zugang zum Transparenzregister haben. Die Vorteile einer freien Einsehbarkeit des Transparenzregisters im Vergleich zu einer Einsichtnahme lediglich bei berechtigtem Interesse kompensieren dagegen die mit dieser Änderung verbundene zusätzliche Schwere des Eingriffs in die EuGRCH nicht.

 

Auswirkungen auf die Praxis

Das Urteil des EuGH ist bereits mit seiner Verkündung rechtskräftig. Die Entscheidung wirkt auch über die konkret entschiedenen Verfahren hinaus, da der EuGH einen Teil der 5. Geldwäscherichtlinie für ungültig erklärt hat (sog. erga omnes Wirkung). Ihm kommt daher umfassende Bindungswirkung sowohl auf EU-Ebene als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten zu. Sowohl die nationalen Gerichte als auch die nationalen Verwaltungsorgane haben das Urteil daher umzusetzen. Sie dürfen eine europarechtswidrige nationale Vorschrift wie nunmehr § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GwG nicht anwenden.

 

Luxemburg hat den freien Zugang der Öffentlichkeit zum nationalen Transparenzregister bereits unmittelbar nach Verkündung des Urteils gesperrt. Die freie Einsehbarkeit des deutschen Transparenzregisters für die Öffentlichkeit dürfte ebenfalls in naher Zukunft enden. Zudem könnte sich das Urteil auch auf das Legislativverfahren der geplanten EU-Geldwäscheverordnung auswirken, die nach derzeitigem Entwurfsstand eine erhebliche Erweiterung der wirtschaftlich Berechtigten vorsieht (siehe hierzu im Einzelnen: Link, NZG 2022, 893).

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