Lockdown in Shanghai: Öffnung und Rückkehr zur Normalität

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veröffentlicht am 8. Juni 2022 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Es lässt sich nur erahnen, wie groß die Freude und Erleichterung unter den etwa 25 Millionen Bewohnern Shanghais war, als am Montag den 30. Mai 2022 die Stadt­regierung die Beendigung des harten Lockdowns für die allermeisten Wohnviertel der Stadt mit Wirkung zum 1. Juni 2022 verkündete. Nachdem die Finanz- und Wirt­schafts­metropole über zwei Monate mit der Bewältigung der hochansteckenden Omikron-Variante zu kämpfen hatte, soll jetzt das gesellschaftliche Leben und die Wirtschaft so schnell wie möglich wieder in geordnete Bahnen gelenkt werden. Dies ist auch bitter nötig, da der wirtschaftliche Schaden, aber auch Vertrauensschaden, bereits erheblich sind. Zur Überraschung nicht Weniger hat sich die Shanghaier Regierung nun das Ziel gesetzt, die in den letzten zwei Monaten geltenden Beschränkungen so schnell wie möglich wieder abzubauen.


 

Bisherige Regelungen zur Betriebswiederaufnahme für Unternehmen

Die Shanghaier Regierung hatte im Laufe des Monats Mai bereits zahlreiche Maßnahmen und Richtlinien er­lassen, die der zügigen und gleichzeitig sicheren Wiederaufnahme des Betriebs in unterschiedlichen Sektoren dienen sollten. So wurde Unternehmen in verschiedenen Sektoren nach und nach die Betriebswiederaufnahme ermöglicht, in der Regel aber mit sehr fordernden Voraussetzungen (siehe etwa Richtlinien zur Betriebs­wieder­aufnahme von Industrieunternehmen). Dementsprechend zeigten Umfragen unterschiedlicher ausländischer Handelskammern, dass deren Mitgliedsunternehmen den Betrieb entweder gar nicht aufnehmen können oder sich nach erfolgreicher Betriebsaufnahme zahlreichen Problemen ausgesetzt sahen, die unmittelbar mit dem von der Regierung geforderten „closed-loop“-Konzept zusammenhingen (v.a. Materialengpässe, fehlendes Personal, schwierig umzusetzende Hygiene- und Arbeitsschutzkonzepte). Aber auch Unternehmen aus anderen Sektoren als der industriellen Fertigung haben bisher entweder gar nicht oder nur sehr zurückhaltend von der Möglichkeit der Rückkehr in den Arbeitsalltag Gebrauch gemacht. Hohe staatliche Anforderungen sowie schlicht physische Barrieren durch den stadtweiten Lockdown stellten beachtliche Hürden dar. So bestanden etwa große Probleme für Arbeitnehmer, gemäß den geltenden Vorschriften einen gültigen PCR-Test innerhalb der letzten 48 Stunden vorzuweisen. Dieser war bisher aber zwingend notwendig, um öffentliche Einrichtungen wie Gebäude, Verkehrsmittel oder selbst das eigene Wohnviertel zu betreten.
  

Das gilt seit dem 1. Juni 2022

Den Bewohner Shanghais wurden zunächst einige Verbesserungen hinsichtlich ihrer Bewegungsfreiheit und Möglichkeiten der Teilhabe am öffentlichen Leben gegeben. Sämtliche Gebiete mit einem niedrigen Risiko­niveau werden unverzüglich geöffnet und Verwaltungen der jeweiligen Wohnviertel ist es ausdrücklich unter­sagt, Zugangsbarrieren, gleich welcher Art, für die Bewohner zu errichten. Eine wichtige Ausnahme gilt für den Nachweis eines aktuellen PCR-Tests vor Betreten von öffentlichen Einrichtungen, Plätzen und Gebäuden (wozu auch Wohnviertel zählen). Dieser Test darf nicht länger als 72 Stunden zurückliegen, was eine leichte Ver­bes­serung im Vergleich zu den vorher geforderten 48 Stunden darstellt. Für Reisen aus Shanghai muss weiterhin entweder ein negativer PCR-Testreport innerhalb der letzten 48 Stunden sowie ein negativer Antigentest innerhalb von 24 Stunden oder alternativ ein negativer PCR-Testreport innerhalb der letzten 24 Stunden nach­gewiesen werden. Für Reisen nach Shanghai ist ein negativer PCR-Testreport innerhalb von 48 Stunden vor­geschrieben. Zum Zweck des „normalisierten“ Testens wurden stadtweit ca. 15.000 mobile Teststationen errichtet, die ein reibungsloses Testen ermöglichen sollen. Dies scheint zumindest in der Übergangszeit noch nicht optimal zu gelingen, da sich vielerorts noch sehr lange Schlangen und Wartezeiten bilden.
  
Die Gebiete innerhalb der Stadt mit dem Status „lockdown“, „controlled“, „medium risk“ oder „high risk“ sind von der Öffnung ausgenommen und es gelten die bisherigen Beschränkungen. 
  
Darüber hinaus wurde mit Wirkung zum 1. Juni 2022 der gesamte öffentliche Nahverkehr nahezu vollständig wiederhergestellt. Zum Verlassen der Stadt über die Straße ist vorerst nach wie vor eine besondere Geneh­mi­gung erforderlich.
 

Änderungen bei Industrieunternehmen

Bedeutsame Änderungen wird es für Industrieunternehmen geben. Die am 31.5.2022 veröffentlichte 3. und aktuellste Auflage der „Richtlinien für die Betriebswiederaufnahme von Industrieunternehmen in Shanghai“ soll nun dem geänderten Kurs in Richtung Öffnung, Stabilisierung und Wiederherstellung der lokalen Wirt­schaft angemessen Rechnung tragen. Als eine der wichtigsten Änderungen ist der Wegfall der Genehmi­gungs­pflicht zur Betriebswiederaufnahme zu nennen. Ebenfalls weggefallen ist die Pflicht zur Beantragung des elektronischen Passes für Mitarbeiter und Fahrzeuge (通行证). Vielmehr sollen nun alle Industrieunternehmen grundsätzlich gleich behandelt werden und nur in Ausnahmefällen bestimmte, auf einer Negativliste aufge­führte Gebiete oder Sektoren besonderen Anforderungen unterliegen. 
  
Unternehmen müssen nach wie vor ein umfassendes Hygiene- und Arbeitsschutzkonzept bereithalten und entsprechende Maßnahmen in der Betriebsstätte umsetzen.  hat sich die Schärfe der Anforderungen deutlich gemindert. So muss beispielsweise die Betriebsstätte nicht mehr zwingend gemäß einem Farbcode (grün, blau, gelb, rot), sondern vielmehr nach den tatsächlichen Gegebenheiten und Risikobereichen im Unternehmen unterteilt werden. Auch ist der Betrieb im „closed-loop“ nicht mehr vorgeschrieben. Unternehmen müssen stattdessen – im Einklang mit den stadtweit geltenden Regelungen - strikte Zugangskontrollen in Form des Scannens eines für das Unternehmen speziell erstellten QR-Codes (场所码) bzw. eines neu eingeführten Gerätes zum Scannen des persönlichen Gesundheitscodes sowie zur Temperaturmessung (数字哨宾) einrichten und sonstige Hygienemaßnahmen (Maskenpflicht, Desinfektion, etc.) sicherstellen. In puncto Logistik gelten die Lockerungen nur für innerstädtische Transporte. Bei provinzübergreifenden Lieferungen wird in der Regel weiterhin die Beantragung eines speziellen Passes erforderlich sein.
  
Um Unternehmen das Durchforsten der seit Beginn des Lockdowns erlassen Vorschriften zu erleichtern, hat die Shanghaier Regierung eine sehr nützliche Plattform mit dem Titel „EasyServe“ (益企服) errichtet. Dieses über die WeChat-App abrufbare Miniprogramm gibt einen guten Überblick über nationale, stadtweite und gebietsspezifische Regelungen und enthält daneben auch hilfreiche Informationen zur Betriebs­wieder­auf­nahme und weiteren für Unternehmen relevanten Aspekten. 
  
Schließlich wird Shanghai der geschwächten Wirtschaft mit einem umfangreichen Rettungspaket unter die Arme greifen. Die Details zum „Aktionsplans zur Beschleunigung der Erholung und Wiederbelebung der Wirtschaft in Shanghai“ können Sie im Beitrag „Aufhebung des Lockdowns und schnellere Entlastung für Unternehmen” nachlesen.
  

Ausblick

Shanghai bewegt sich nach einer nicht enden wollenden Lockdownphase langsam in Richtung Normalität zurück. Auch wenn für die Einwohner und Unternehmen der Stadt die jüngsten Entwicklungen guten Grund zur Hoffnung geben, sollte dies nicht zu euphorisch betrachtet werden. Nach offiziellen Aussagen besteht jederzeit die Gefahr eines erneuten Ausbruchs, welcher unter Chinas Null-Covid-Politik unverändert mit Isolierung und Lockdowns beantwortet werden wird, wenngleich wohl nicht in dem Ausmaß der letzten zwei Monate.  Auf der anderen Seite spricht der Ton der jüngsten Maßnahmen und Regelungen deutlich dafür, dass die Regierung sich der enormen wirtschaftlichen Schäden sowohl kurz- als auch langfristig bewusst geworden ist und nun verstärkt daran gearbeitet wird, eine Ausnahmesituation wie den jüngsten Lockdown mit allen Kräften zu vermeiden. Denn obwohl sich China seiner momentan noch herausragenden Stellung in der globalen Wert­schöpfung bewusst ist, wird der Staat zweifellos aufmerksam beobachten, wie die Geduld der Wirtschafts­gemeinschaft im In- und Ausland langsam an ihre Grenzen stößt.
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