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veröffentlicht am 22. Juli 2020 | Lesedauer ca. 6 Minuten
Bei drohender Insolvenz sieht sich der Geschäftsführer erheblichen persönlichen Haftungsrisiken ausgesetzt. Von ihm wird verlangt, die Vermögensmasse zum Schutz der Gläubiger zusammenzuhalten und keine Gläubiger zu bevorzugen. Er haftet daher für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife persönlich, sodass durch die Fortführung des Betriebs trotz Insolvenzreife schnell erhebliche Summen an Erstattungsansprüchen der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer entstehen können. Auch die Verletzung von Kapitalerhaltungsvorschriften kann für ihn, wie auch für die Gesellschafter, zur Haftungsfalle werden.
Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens ist eine gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger. Um dem Zweck gerecht zu werden, verfügt das Insolvenzrecht sowie das Gesellschaftsrecht über verschiedene Instrumente die Vermögensmasse zusammenzuhalten und die Gläubigergesamtheit vor einer Begünstigung einzelner Gläubiger zu schützen. Genannt seien dabei nicht nur die Vorschriften der Insolvenzanfechtung (die nicht Gegenstand des folgenden Beitrages sind), sondern u.a. die Kapitalerhaltungsvorschriften sowie die zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers, der eine solche Begünstigung veranlasst oder ermöglicht hat, indem er Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife getätigt hat.
In der Praxis fallen der tatsächliche Eintritt der Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) und der Insolvenzantrag zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens oftmals weit auseinander. Mit Fortführung des Unternehmens (trotz Insolvenz) setzt sich die Geschäftsführung erheblichen Haftungsgefahren aus und ist im schlechtesten Fall nach § 64 GmbHG zum Ersatz sämtlicher Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife verpflichtet.Unter bestimmten Voraussetzungen greift die Haftung sogar schon vor Eintritt der Insolvenzreife, wenn der Geschäftsführer Zahlungen an einen Gesellschafter veranlasst, die (erkennbar) zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten. Insofern wird auch der Vermögensabzug vor Eintritt der Insolvenzreife sanktioniert.
Um dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger vor Masseschmälerungen Rechnung zu tragen, erfolgt von der Rechtsprechung eine weite Auslegung des Zahlungsbegriffs i.S.d. § 64 S. 1 GmbHG. Von ihm werden insbesondere Geldzahlungen erfasst. Unerheblich ist, ob sie aus einem Barbestand oder einem positiven Kontoguthaben geleistet werden. Sie können auch bewirkt werden im Wege von Überweisungen auf ein Gläubigerkonto oder durch Abbuchungen vom Gesellschaftskonto im Lastschriftverfahren. Dass derartige Zahlungen an einzelne Gläubiger zum Nachteil der Gläubigergesamtheit sind, ist offensichtlich.Weniger offensichtlich ist jedoch, dass auch Einzahlungen Gläubiger benachteiligen können: Zahlt nämlich ein Dritter auf das Gesellschaftskonto, dass im Soll geführt wird, begünstigt es v.a. die Bank und steht nicht mehr der Gläubigergesamtheit zur Verfügung. Die Rechtsprechung stellt daher unter bestimmten Voraussetzungen Einzahlungen den haftungsbegründenden Auszahlungen im Sinne des § 64 S. 1 GmbHG gleich. Das kann sich für den Geschäftsführer als eine empfindliche Haftungsfalle erweisen.Entscheidend für das Vorliegen einer haftungsbegründenden „Zahlung” ist am Ende, ob es zu einer Schmälerung der Masse kommt. Das ist durch eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung zu ermitteln. Wenn im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang ein Ausgleich erfolgt (im Sinne eines reinen Aktivtauschs), dann soll das nicht haftungsbegründend wirken, wenn für die Gläubiger eine gleichwertige Gegenleistung zur Verfügung steht, die zu ihren Gunsten verwertet werden könnte.
Eine Haftungsausnahme besteht für Zahlungen, die auch nach Eintritt der Insolvenzreife „mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind”. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt die Geschäftsführung und entscheidend ist allein, ob die fragliche Zahlung im wohlverstandenen Interesse der Gläubiger ist. Daran werden allerdings von der Rechtsprechung strenge Anforderungen gestellt.Unter die privilegierten Zahlungen fallen Zahlungen, die zur Sicherung des Unternehmens dienen, soweit eine konkrete und realistische Sanierungschance besteht. Der Geschäftsführer soll dadurch aber nicht in die Lage versetzt werden gewissermaßen haftungs- und risikofrei, unter dem Vorwand einer beabsichtigten Sanierung, das Unternehmen bedenkenlos weiterzuführen und Zahlungen auszuführen.Substanzlose Sanierungsbemühungen ohne wirkliches Konzept und die bloße Hoffnung auf eine positive Entwicklung rechtfertigen die Zahlungen nicht und mithin spricht auch die allgemeine Notwendigkeit einer Zahlung für die Fortsetzung der Unternehmenstätigkeit den Geschäftsführer nicht per se von der Ersatzpflicht los. Er darf sich also nicht bei Eintritt der Insolvenzreife zum „Quasi-Insolvenzverwalter” aufschwingen und in der Krise dauerhaft bei der Abwicklung von Aufträgen agieren, indem er sich auf die Privilegierung der Zahlungen beruft.Es muss sich vielmehr um auf nachweisbarer, tatsächlicher und schlüssiger Basis beruhende begründete Aussichten handeln, die auf ein solides Sanierungskonzept zurückgehen. An ein solches Sanierungskonzept werden hohe Anforderungen gestellt. Daher sollte das unter Zuhilfenahme spezialisierter Berater erstellt werden. Zudem billigt der Gesetzgeber im höchsten Falle eine absolute Frist für eigene Sanierungsbemühungen von max. drei Wochen zu.
Zahlungen auf Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung, Steuerschulden und sonstige eine Pflichtenkollision auslösende Zahlungen können ebenfalls privilegiert sein. Auch hier ist der Anwendungsbereich jedoch sehr eng und im Zweifel Beratung einzuholen, welche Zahlungen erlaubt sind.
Bei Zahlungen nach Insolvenzreife werden sowohl die Erkennbarkeit der Insolvenzreife als auch das Verschulden des Geschäftsführers vermutet. Es reicht zur Exkulpation des Verschuldens nicht aus, dass der Geschäftsführer die Zahlungsunfähigkeit nicht gekannt hat. Vielmehr muss sich der Geschäftsführer aktiv von der Vermutung der Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit entlasten. Der Entlastungsbeweis gelingt – v.a. bei einer schon länger anhaltenden Schieflage des Unternehmens – nur sehr schwer.Die Geschäftsleitung hat die Finanzen des Unternehmens zu kennen und zu überwachen, muss also stets wissen, ob und wann eine Insolvenzantragspflicht entsteht. Daran zeigt sich also, dass Krisenmanagement Chefsache ist und sich der anzulegende Sorgfaltsmaßstab innerhalb einer Krise ständig erhöht.Allein, dass die Geschäftsführung an eine positive Perspektive oder Wendung und Sanierungschancen geglaubt hat ist nicht genug. Verfügt die Geschäftsführung nicht über die notwendige Sachkenntnis die Insolvenzreife zu erkennen oder zu beurteilen, so muss sie sich sachverständigen Rat einholen. Die letzte Verantwortung für die Finanz- und Liquiditätsplanung der Gesellschaft und die Prüfung etwaiger Insolvenzantragspflichten liegt immer noch bei dem Geschäftsführer. Die Einbeziehung eines Steuerberaters in die allgemeine laufende steuerliche Beratung (Abgabe von Steuererklärungen, Erstellung des Jahresabschlusse etc.) entbindet den Geschäftsführer nicht davon, die Finanzen selbst im Auge haben zu müssen, insbesondere die für die Beobachtung der Zahlungsfähigkeit erforderliche Liquiditätsplanung zu erstellen oder bei Anzeichen einer Unterbilanz eine weitergehende Prüfung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung entweder selbst vorzunehmen oder in Auftrag zu geben.
Wer nun glaubt er müsse sich keine Sorgen machen (schließlich bestehe doch eine D&O-Versicherung), sollte vorsichtig sein. Laut neuerer Rechtsprechung des OLG Düsseldorf aus dem Jahr 2018 sei ein solcher Erstattungsanspruch nicht als klassischer Schadensersatzanspruch/Haftungsanspruch einzustufen und daher nicht generell durch eine allgemeine D&O-Versicherung abgedeckt. In jedem Fall sollte eine bestehende Versicherung darauf überprüft werden, ob eine Deckung vereinbart wurde oder nicht.
Durch das bei der Corona-Krise erlassene COVInsAG wurde die Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife vorübergehend erleichtert. Für den Zeitraum ab dem 1. März 2020 bis (vorerst) 30. September 2020 wurde die Privilegierung für die Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind, ausgeweitet. Als privilegiert gelten auch solche Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen. Dazu zählen v.a. Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen.Allerdings werden von der Gesetzesregelung nach dem COVInsAG nur die Unternehmen privilegiert, für die aktuell zum Zeitpunkt der Zahlung die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages gemäß § 1 COVInsAG ausgesetzt ist. Daher für diejenigen Unternehmen, bei denen die Insolvenzreife auf den Folgen von Corona beruht und die sanierungsfähig sind.Insbesondere bei „Altfällen”, die bereits vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie insolvenzreif waren, gilt die Privilegierung nicht. Ebenso nicht begünstigt sind die Unternehmen, bei denen die wirtschaftliche Krise keinen ursächlichen Zusammenhang mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie aufweist.
Die Kapitalerhaltungsgrundsätze bei Kapitalgesellschaften (z.B. § 30 GmbHG) dienen primär dem Gläubigerschutz. Sie sind das Spiegelbild der Haftungsbeschränkung der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen. Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen darf nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden. Geschieht das doch, bestehen Rückgewähransprüche der Gesellschaft gegen den empfangenden Gesellschafter. Im Insolvenzfalle werden die Ansprüche der Gesellschaft vom Insolvenzverwalter geltend gemacht.Ausnahmen bestehen, wenn ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag bestand oder wenn die Leistung durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind. Freilich verlagert sich das Problem auf die Leistungsfähigkeit des Gesellschafters und die Frage der Vollwertigkeit des Anspruchs. Zahlungen bei Gesellschafterdarlehen sind ebenfalls privilegiert. Sie unterliegen vorrangig dem Insolvenzanfechtungsrecht.Zahlungen, die das Kapitalerhaltungsgebot verstoßen, müssen vom Empfänger erstattet werden. Ist er nicht zur Erstattung in der Lage, haften neben ihm auch die übrigen Gesellschafter im Verhältnis ihrer Geschäftsanteile wie auch der für die Auszahlung verantwortliche Geschäftsführer. Ein Gesellschafterbeschluss, der den Geschäftsführer zur Zahlung anweist, entbindet den Geschäftsführer nicht von seiner Haftung, jedenfalls soweit diese Gelder für die Befriedigung von Gläubigern erforderlich sind.
Die persönliche zivilrechtliche Haftung der Leitungsorgane sanktioniert einen Verstoß gegen die Insolvenzantragspflichten, flankierend zu deren strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Werden die persönlichen Haftungsrisiken des Geschäftsführers und die zweifelhafte Deckung durch Versicherungsschutz betrachtet, zeigt sich, dass v.a. bei Missachtung der Insolvenzantragspflichten durch die Betriebsfortführung schnell Summen auflaufen, die existenzbedrohende Höhe annehmen können. Präventiv kann dem nur durch eine sorgfältige Überwachung der Unternehmensfinanzen auf etwaige Insolvenzantragsgründe entgegengewirkt werden. Sanierungsversuche nach Überschreiten der Insolvenzantragspflichten sollten daher durch ein tragfähiges Sanierungskonzept begleitet werden und unter Einhaltung des durch die Rechtsprechung geforderten Sorgfaltsmaßstabes erfolgen.
Horst Grätz
Rechtsanwalt
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Dr. Anne Mushardt
Rechtsanwältin, Wirtschaftsjuristin (Univ. Bayreuth)
Associate Partner
Restrukturierungs- und Insolvenzberatung
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