Naturabhängige Stromlieferverträge: Änderungen an IFRS 9 und IFRS 7

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​​​​​​​veröffentlicht am 14. März 2025 | Lesedauer ca. 5 Minuten

 

Das IASB hat am 18. Dezember 2024 gezielte Änderungen zu IFRS 9 und IFRS 7 („Amendments to IFRS 9 and IFR​S 7: Contracts Referencing Nature-dependent Electricity“) veröffentlicht. Diese betreffen insbesondere die Klassifikation und Bewertung von Finanzinstrumenten im Zusammenhang mit von Umweltfaktoren – wie etwa den Wetterbedingungen – abhängigen Stromlieferverträgen (sog. physische oder virtuelle „Power Purchase Agreements“, PPAs) im IFRS-Abschluss. Zudem umfassen die Änderungen erweiterte Angabepflichten zu entsprechenden Verträgen.
 

 

Hintergrund der Änderungen

​In den letzten Jahren hat die Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen, insbesondere aus Wind- und Solarenergie, stark zugenommen. Diese Energiequellen sind naturabhängig, sodass die Stromproduktion mit den Wetterbedingungen und anderen Umweltfaktoren variiert. Diese Schwankungen stellen wiederum eine besondere Herausforderung für Unternehmen dar, die auf solchen Energiequellen basierende – physische oder virtuelle – Stromlieferverträge mit variablen Abnahmemengen abschließen. Um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen, hat das IASB Änderungen an IFRS 9 (Financial Instruments) und IFRS 7 (Financial Instruments: Disclosures) vorgenommen.

Die Änderungen gehen auf eine an das IFRS Interpretations Committee gerichtete Anfrage zurück, die sich auf die Anwendung der sog. „own use exemption“ des IFRS 9.2.4 im Kontext physischer PPAs – die auf die tatsächliche Lieferung von Strom gerichtet sind – bezog. Mangels klarer Regeln und der resultierenden heterogenen Handhabung in der Bilanzierungspraxis sowie der absehbar zunehmenden Relevanz der Thematik wurde diese an das IASB weiterverwiesen. Im weiteren Verlauf wurde die bilanzielle Behandlung virtueller PPAs – die auf Ausgleichszahlungen zwischen vertraglich vereinbarten Preisen und tatsächlichen Marktpreisen gerichtet sind – ergänzt und beides in ein übergreifendes Projekt überführt.

Neuerungen im Überblick

Die Neuerungen betreffen ausschließlich Verträge, die sich auf naturabhängigen Strom beziehen. Diese werden im neu eingeführten IFRS 9.2.3A definiert als Verträge, durch die ein Unternehmen Schwankungen in der zugrunde liegenden Strommenge ausgesetzt ist, weil die Quelle der Stromerzeugung von unkontrollierbaren natürlichen Bedingungen (wie z. B. dem Wetter) abhängt. Dies können Verträge über den Kauf oder den Verkauf naturabhängigen Stroms sein sowie auch Finanzinstrumente, die sich auf solchen Strom beziehen.

Die Änderungen an IFRS 9 und IFRS 7 betreffen drei wesentliche Bereiche:
  • ​Eng begrenzte Änderung der Anforderungen für die Anwendung der sog. „own use exemption“;
  • Ermöglichung der Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen (Hedge Accounting), wenn Verträge, die sich auf naturabhängigen Strom beziehen, als Sicherungsinstrumente verwendet werden;
  • Ergänzung neuer Offenlegungsanforderungen, damit Adressaten die Auswirkungen entsprechender Verträge auf die finanzielle Leistungsfähigkeit von Unternehmen nachvollziehen können.

Das IASB verfolgte das Ziel einer auch von den Stakeholdern geforderten raschen Lösung für die adressierten Themen bei gleichzeitiger Minimierung des Risikos unbeabsichtigter Folgen aus den Änderungen für andere Sachverhalte. Daher betont das IASB den eng definierten Anwendungsbereich der Änderungen und stellt klar, dass diese nicht analog auf andere Sachverhalte anwendbar sind.

Anwendung der „own use exemption“

Die „own use exemption“ sieht vor, bestimmte Verträge über den Kauf oder den Verkauf nicht-finanzieller Posten vom Anwendungsbereich des IFRS 9 auszunehmen und als schwebende Geschäfte zu behandeln, die andernfalls als Derivate abzubilden wären. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass entsprechende Verträge zum Zwecke der Eigennutzung geschlossen und gehalten werden (IFRS 9.2.4). Im Zusammenhang mit Verträgen, die sich auf naturabhängigen Strom beziehen, können unter anderem aufgrund von Schwankungen in den produzierten Strommengen kurzfristige Verkäufe überschüssigen Stroms nötig werden. Dies wirft Fragen zur Anwendbarkeit der „own use exemption“ auf.

Die Anwendung der „own use exemption“ für Verträge, die sich auf naturabhängigen Strom beziehen, wird durch die Änderungen an die Beurteilung eines neuen Kriteriums gekoppelt. Demnach muss das bilanzierende Unternehmen während der bestehenden Vertragslaufzeit ein „Nettokäufer“ („net purchaser“) von Strom sein (IFRS 9.B2.7 f.). Dies zielt auf die Frage ab, ob solche Verträge entsprechend des erwarteten Eigenbedarfs abgeschlossen und fortgeführt werden. Der zwischenzeitliche Verkauf von bei Anfall nicht unmittelbar selbst genutzten Strommengen steht der Anwendung der „own use exemption“ insofern nicht per se entgegen. Jedoch muss der vom bilanzierenden Unternehmen gekaufte Strom dessen Verkauf von ungenutztem Strom auf dem Markt ausgleichen, auf dem dieser verkauft wurde. Dabei ist ein regelmäßig bis zu 12 Monate währender angemessener Zeitraum („reasonable amount of time“) unter Berücksichtigung spezifischer (z. B. jahreszeit­abhängiger) Schwankungen zugrunde zu legen.

Bilanzierung von Sicherungsgeschäften

Wird ein Vertrag, der sich auf naturabhängigen Strom bezieht, zur Absicherung von Zahlungsströmen aus prognostizierten Stromkäufen und -verkäufen genutzt, erlauben die Änderungen nun die Designation eines variablen nominalen Betrags erwarteter Käufe und Verkäufe als gesichertes Grundgeschäft (Cashflow Hedge). Die übrigen Anforderungen des IFRS 9 an die Bilanzierung von Sicherungsgeschäften bleiben davon unberührt. Somit müssen die prognostizierten Käufe und Verkäufe grundsätzlich „hochwahrscheinlich“ („highly probable“) sein. Hängen die Zahlungsströme aus dem als Sicherungsinstrument designierten Vertrag vom Eintritt der erwarteten Transaktion ab, die als Grundgeschäft designiert wurde, wird angenommen, dass das Grundgeschäft „hochwahrscheinlich“ ist.

Das IASB betont den eng definierten Anwendungsbereich der Änderungen und verweist im Übrigen auf den bevorstehenden Post Implementation Review (PIR) der Regeln zum Hedge Accounting, der deren breiter angelegte Würdigung zum Ziel hat.

Anhangangaben

Die Angabepflichten für Finanzinstrumente in IFRS 7 werden um spezifische Vorgaben für Sachverhalte im Anwendungsbereich der Änderungen an IFRS 9 erweitert. Die Änderungen verpflichten Unternehmen, Informationen zu den Auswirkungen von Verträgen, die sich auf naturabhängigen Strom beziehen, auf Beträge, Zeitpunkte und Unsicherheiten künftiger Zahlungsströme sowie auf die finanzielle Leistungsfähigkeit offenzulegen. Dies gilt für entsprechende Verträge, für die auf Basis des neuen „Nettokäufer“-Kriteriums (siehe oben) die „own use exemption“ genutzt wird, und betrifft im Einzelnen:
  • Vertragsdetails hinsichtlich der Variabilität von Mengen sowie etwaigen Abnahmever-pflichtungen über den Eigenbedarf hinaus;
  • Informationen zu bilanziell nicht abgebildeten Verpflichtungen aus entsprechenden Verträgen hinsichtlich 
    • den künftig erwarteten Zahlungsströmen aus dem Kauf von Strom;
    • ​qualitativen Informationen zur Beurteilung, ob ein Vertrag belastend im Sinne des IAS 37 (Provisions, Contingent Liabilities and Contingent Assets) werden könnte;​
  • Qualitative und quantitative Information zu den Auswirkungen entsprechender Verträge auf die finanzielle Leistungsfähigkeit in der jeweiligen Berichtsperiode auf der Basis der Beurteilung des „Nettokäufer“-Kriteriums durch das Unternehmen. Dies umfasst unter anderem Informationen zu Kosten und Erlösen aus entsprechenden Verträgen.

Sofern die Änderungen an den Regelungen zum Hedge Accounting Anwendung finden, sind die Vorgaben des IFRS 7.23A zu beachten und die anzugebenden Informationen nach Risikoklassen zu disaggregieren.

Erstanwendung und Übergangsregelungen

​Die verpflichtende Erstanwendung betrifft Geschäftsjahre, die ab dem 1. Januar 2026 beginnen. Die vorzeitige Anwendung ist – vorbehaltlich des EU-Endorsements – grundsätzlich erlaubt. Das EU-Endorsement wird vor dem verpflichtenden Erstanwendungszeitpunkt erwartet.

Für betroffene Sachverhalte sind spezifische Übergangsregelungen vorgesehen. Demnach sind die Regelungen zur „own use exemption“ grundsätzlich retrospektiv, jedoch ohne verpflichtende Anpassung früherer Berichtsperioden anzuwenden. Verträge, die infolge der Änderungen nicht in den Anwendungsbereich des IFRS 9 fallen, dürfen im Erstanwendungszeitpunkt im Sinne des IFRS 9.2.5 unwiderruflich als erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert bewertet designiert werden. Die Regelungen zur Bilanzierung von Sicherungs­bezie­hungen sind prospektiv anzuwenden.

Fazit und Handlungsempfehlungen

​Die Nutzung erneuerbarer Energiequellen gewinnt mehr und mehr an Bedeutung und somit steigt auch die Relevanz von Verträgen, die in den Anwendungsbereich der Änderungen an IFRS 9 und IFRS 7 fallen können. Die Bilanzierung solcher Verträge wird durch die Änderungen konkretisiert. Im Ergebnis könnten sich mögliche Vereinfachungen ergeben, etwa wenn Verträge künftig in den Anwendungsbereich der „own use exemption“ des IFRS 9 fallen, die bislang dafür nicht in Betracht kamen und dann als Derivat abgebildet wurden. In diesen Fällen könnten künftig aufwendige und komplexe Fair-Value-Ermittlungen überflüssig werden. Zudem könnte die durch die Änderungen ermöglichte Anwendung von Hedge Accounting für die beschriebenen Fälle dazu genutzt werden, daraus andernfalls resultierende Ergebnisvolatilität zu reduzieren. Schließlich sind die erweiterten Angaben für Verträge im Anwendungsbereich der Änderungen zu beachten. Diese können sich auf interne Berichtsinstrumente und -strukturen auswirken und auch der daraus resultierende Aufwand im Erstellungsprozesses ist zu berücksichtigen.

Unternehmen, die schon heute entsprechende Verträge abgeschlossen haben oder dies künftig beabsichtigen, sollten sich vor diesem Hintergrund zeitnah mit den Änderungen an IFRS 9 und IFRS 7 auseinandersetzen und deren Auswirkungen analysieren – gegebenenfalls gemeinsam mit ihrem Berater und/oder ihrem Abschlussprüfer.​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​
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