Kann der Aufsichtsrat in der Krise die Vorstandsvergütung herabsetzen?

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​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 14. April 2025 | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

Angesichts der weiterhin herausfordernden Wirtschaftslage rücken die Einsparung von Kosten bei einigen Unternehmen in den Fokus. In Krisensituationen gewinnt daher bei Aktiengesellschaften die Frage, unter welchen Umständen eine Herabsetzung der Vergütung des Vorstands – ggf. auch kurzfristig – möglich ist, an Bedeutung.

 
Der Gesetzgeber hat für diese Situation dem Aufsichtsrat die Möglichkeit des § 87 Abs. 2 AktG an die Hand gegeben. Eine jüngere Entscheidung des BGH vom 22. Oktober 2024 – II ZR 97/23 befasst sich mit Fragestellungen rund um diese Norm und präzisiert, wie die Verschlechterung der finanziellen Lage einer Gesellschaft und die Unbilligkeit der Weitergewährung der Vorstandsvergütung zusammenhängt. In der Entscheidung wird unter anderem dargelegt, welche Kriterien Aufsichtsräte und Insolvenzverwalter bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Herabsetzung der Vergütung des Vorstands berücksichtigen müssen und in welchem Umfang sie entsprechende Maßnahmen ergreifen dürfen.​


Zusammensetzung und Herabsetzung der Vorstandsvergütung​

Die Festlegung der Vorstandsvergütung erfolgt durch den Aufsichtsrat. Dieser hat bei börsennotierten Aktiengesellschaften die Aufgabe, ein transparentes und nachvollziehbares Vergütungssystem zu entwickeln, das die langfristige und nachhaltige Entwicklung des Unternehmens fördert. Für alle Aktiengesellschaften gilt, dass die Vergütung angemessen sein muss und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen darf. Dabei sind sowohl die individuellen Leistungen der Vorstandsmitglieder als auch die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft zu berücksichtigen. 

Um diese Ziele zu gewährleisten, legt der Aufsichtsrat typischerweise eine mehrgliedrige Vergütungsstruktur fest. Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern besteht daher in der Regel aus einem festen Grundgehalt sowie variablen Komponenten wie Aktienoptionen, die an die Leistung und den Erfolg des Unternehmens gekoppelt sind. Oft wird bei den Boni zudem unterschieden zwischen sog. Short-Time-Incentives (STI) und Long-Time-Incentives (LTI).

Nach § 87 Abs. 2 AktG besteht für den Aufsichtsrat die Möglichkeit, die Vergütung der Vorstandsmitglieder herabzusetzen, wenn sich die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung der Bezüge verschlechtert, sodass die Weitergewährung der Bezüge für die Aktiengesellschaft unbillig wäre. Diese Herabsetzung kann sowohl das feste Gehalt als auch die variablen Vergütungsbestandteile betreffen. Sie wird entsprechend auch im Vorstandsdienstvertrag, welcher im Übrigen nicht berührt wird, umgesetzt. Ziel dieser Regelung ist es, sicherzustellen, dass die Vergütung auch in Krisenzeiten im Einklang mit der finanziellen Leistungsfähigkeit des Unternehmens steht und die Interessen der Gesellschaft gewahrt bleiben. Jedoch bestehen weiterhin hohe Hürden an eine kurzfristige Herabsetzung der Vorstandsvergütung, wie auch der nachstehende Sachverhalt zeigt.

Sachverhalt​

Dem vom BGH entschiedenen Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: 

Der Kläger schloss am 14. November 2019 mit einer Aktiengesellschaft einen Dienstvertrag als Vorstandsmitglied mit Dienstantritt am 1. Januar 2020 ab. Der Vertrag sah eine feste jährliche Vergütung über EUR 240.000 sowie eine ergebnisabhängige Sondervergütung (Tantieme) vor. Noch vor Dienstantritt, am 23. Dezember 2019, wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der AG eröffnet. Der Insolvenzverwalter kündige den Dienstvertrag und setze die Vergütung des Klägers auf EUR 8.000 monatlich herab, wobei die Tantiemen entfielen. Am 5. Februar 2020 wurde der Kläger von der Dienstpflicht freigestellt. 

Der Kläger hielt diese Herabsetzung für unrechtmäßig und forderte die ausstehende Vergütung ein. 

Entscheidung des BGH​

Zunächst bestätigt der BGH ausdrücklich, dass das Herabsetzungsrecht nach § 87 Abs. 2 AktG nicht durch das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters aus § 113 InsO verdrängt wird. Vielmehr erfasst der Anwendungsbereich der Norm auch die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Vergütungsanpassung bleibt als eigenständiges Instrument zur Wahrung der Gläubigerinteressen bestehen.

 

Weiter äußert sich der BGH klar, dass für diese Zeit das Recht auf Herabsetzung der Vergütung nicht wie üblich vom Aufsichtsrat, sondern vom Insolvenzverwalter ausgeübt wird. Als Treuhänder der Gläubiger ist der Insolvenzverwalter berechtigt, Maßnahmen zur Sicherung der Insolvenzmasse zu ergreifen, wozu auch die Reduzierung unangemessener Vorstandsbezüge gehört.

 

In inhaltlicher Sicht verdeutlichte der BGH, dass bei der Prüfung der Billigkeit im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG sämtliche Umstände des Einzelfalls umfassend gegeneinander abzuwägen sind. Entscheidend ist nicht, ob die Herabsetzung unbillig ist, sondern, ob die Weitergewährung der vereinbarten Bezüge für die Gesellschaft unbillig ist. Dabei ist insbesondere der Grad der Verschlechterung der finanziellen Lage der Gesellschaft im Vergleich zum Zeitpunkt der ursprünglichen Vergütungsfestsetzung sowie die Zurechenbarkeit dieser Lageveränderung auf das Vorstandsmitglied von Bedeutung. Eine Herabsetzung der Vorstandsvergütung ist vor allem dann gerechtfertigt, wenn deren Fortzahlung die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft weiter verschärft und deren Fortbestand gefährdet. Dies ist der Fall, wenn die Gesellschaft bereits in einer finanziellen Krise steckt und eine unveränderte Bezahlung zu einer unzumutbaren Belastung für das Unternehmen oder die Insolvenzmasse führen würde.

 

Die vorstehenden Grundsätze gelten unabhängig davon, ob das Vorstandsmitglied die wirtschaftliche Krise verursacht hat oder nicht. Diesbezüglich stellt der BGH unter Heranziehung des Wortlauts der Norm klar, dass die Zurechenbarkeit der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft an das Vorstandsmitglied keine zwingende Voraussetzung für eine Herabsetzung der Vorstandsvergütung ist. Die Zurechenbarkeit ist vielmehr als ein Gesichtspunkt im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung des offenen Tatbestandsmerkmals der „Unbilligkeit“ zu berücksichtigen. Damit ist für die Herabsetzung der Vergütung entscheidend, ob die Weiterzahlung der ursprünglichen Vergütung unter den gegebenen Umständen die Interessen der Gesellschaft und ihrer Gläubiger gefährden würde.


Fazit​

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs setzt den Kurs seiner bisherigen Rechtsprechung fort und konkretisiert die Maßstäbe an die Gesamtabwägung im Rahmen der Herabsetzung von Vorstandsvergütungen nach § 87 Abs. 2 AktG. Der BGH erteilt dem Versuch, eine zwingende Zurechenbarkeit der Lageverschlechterung als Tatbestandsvoraussetzung der Vergütungskürzung zu fordern, eine Absage. Er betont, dass es für die Unbilligkeit der Weitergewährung allein auf die Unzumutbarkeit für die Gesellschaft ankommt und die individuelle Zurechnung nicht entscheidend ist.

 

Der BGH macht somit deutlich, dass der Aufsichtsrat in Krisenzeiten eine Vergütungspolitik zu verfolgen hat, die den Fortbestand des Unternehmens sichert und die Gläubigerinteressen wahrt. Für die Praxis ergibt sich daraus, dass der Aufsichtsrat oder der Insolvenzverwalter die Vergütung der Vorstände in der wirtschaftlichen Krise nach Durchführung einer Gesamtabwägung anpassen können bzw. ggf. müssen. Jedoch sind an diese Gesamtabwägung hohe Hürden zu stellen. Der Aufsichtsrat muss nachvollziehbar zu dem Ergebnis kommen, dass die Fortgewährung der bisherigen Bezüge für die Gesellschaft unbillig ist.​

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