EU Listing Act – Steigerung der Attraktivität des Kapitalmarkts (Teil 2: Auswirkungen auf die Offenlegungspflichten von Insiderinformationen)

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 23. September 2024 | Lesedauer ca. 6 Minuten

 

Der EU Listing Act soll durch Erleichterungen beim Zugang zum Kapitalmarkt sowie bei den Zulassungsfolgepflichten die Attraktivität des europäischen Kapitalmarkts steigern. Neben den Erleichterungen im Prospektrecht, welche in Teil 1 dieser Artikelserie dargestellt wurden, soll auch das Insiderrecht der Marktmissbrauchsverordnung (MAR oder MMVO) angepasst werden. 


In diesem 2. Teil der Artikelserie legen wir Ihnen zunächst die Definition von Insiderinformationen dar. Große Schwierigkeiten bereiten hierbei in der Praxis gestreckte Sachverhalte, die in Zwischenschritten ablaufen – dies verdeutlichen wir beispielhaft anhand eines Unternehmenskaufs. Anschließend erläutern wir in diesem Zusammenhang die mit dem EU Listing Act zu erwartenden Erleichterungen. 
Mit der Einführung der Marktmissbrauchsverordnung (Englisch: Market Abuse Regulation; abgekürzt: MAR) hat der europäische Gesetzgeber im Jahr 2016 einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für das Insiderrecht geschaffen. Dreh- und Angelpunkt des Insiderrechts ist dabei der Begriff der Insiderinformation, mit deren Vorliegen eine Reihe von Pflichten und Verboten ausgelöst werden. Ziel des Insiderrechts ist die Vermeidung ungerechtfertigter Informationsvorteile, deren Ausnutzung sowie das Ermöglichen eines gleichberechtigten Informationszugangs (equal access) für alle Marktteilnehmer. Hierdurch soll informationelle Chancengleichheit der Anleger hergestellt und somit das Vertrauen in die Kapitalmärkte gestärkt sowie deren Funktionsfähigkeit sichergestellt werden.

Von entscheidender Bedeutung ist daher in der Praxis, welcher Sachverhalt eine Insiderinformation darstellt, wann diese vorliegt und wann diese veröffentlicht werden muss.

 Was ist eine Insiderinformation?​

​Der Begriff der Insiderinformation ist in Art. 7 MAR definiert und charakterisiert sich durch folgende vier Bestandteile:

  • Es handelt sich um eine präzise Information,
  • die nicht öffentlich bekannt ist,
  • direkten oder indirekten Bezug zum Emittenten bzw. dessen Finanzinstrumenten hat, und
  • erhebliches Kursbeeinflussungspotenzial hat.​
Das Kriterium des erheblichen Kursbeeinflussungspotentials ist in der Regel das entscheidende. Hierbei ist auf die Sichtweise eines verständigen Anlegers abzustellen, dahingehend, ob dieser auf Grundlage dieser Information Finanzinstrumente des Emittenten veräußern oder erwerben würde.

Die Definition der Insiderinformation soll durch den EU Listing Act unverändert bleiben. 

Von besonderer Relevanz ist in der Praxis das Vorliegen von sogenannten Zwischenschritten im Rahmen eines gestreckten Sachverhalts und die Möglichkeit des Aufschubs der Veröffentlichung von Zwischenschritten, sofern diese selbst eine Insiderinformation darstellen.

Zwischenschritte als Insiderinformationen

An der Definition des Zwischenschritts als Insiderinformation soll der EU Listing Act keine Änderung herbeiführen. Relevant ist vielmehr in diesem Zusammenhang eine Änderung mit der damit verbundenen Veröffentlichungspflicht.

Ein klassischer Fall eines Zwischenschritts als Insiderinformation ist die Rechtsprechung des EuGH im Geltl-Verfahren aus dem Jahr 2012. Gegenstand dieses Rechtsstreits war, dass der Ausstieg des Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG zum Jahreswechsel erst durch die Veröffentlichung des Aufsichtsrates bekannt gemacht wurde, obwohl der Vorstandsvorsitzende bereits zwei Monate zuvor seine Amtsniederlegungsabsicht gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden und den weiteren Mitgliedern des Vorstands mitgeteilt hatte. Infolge der Bekanntmachung durch den Aufsichtsrat stieg der Aktienkurs stark an. Hierdurch war sämtlichen Aktionären, die kurz zuvor ihre Aktien veräußerten, ein Schaden entstanden. Der EuGH kam in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis her-beigeführt werden soll, nicht nur der Umstand oder das Ereignis selbst eine präzise Information darstellen kann, sondern auch ein auf dem Weg dahin verwirklichter Zwischenschritt. Damit lag bereits in der Information des Vorstandsvorsitzenden an den Aufsichtsrat über die Niederlegungsabsicht seines Amtes eine Insiderinformation vor, welche einer Offenlegungspflicht unterlag. ​

Beispiel: Unternehmenskauf

Gestreckte Sachverhalte kommen in der Praxis sehr häufig vor. Ein weiteres klassisches Beispiel ist der Unternehmenskauf. Dieser gliedert sich zeitlich in mehrere Schritte – von den ersten Sondierungen, über den Abschluss eines LOI, die Durchführung einer Due Diligence und deren Abschluss, den Vertragsschluss und schließlich den Vollzug der Transaktion.  

Das Spannungsverhältnis ergibt sich hierbei daraus, dass die Parteien die geplante Transaktion nicht zu früh veröffentlichen möchten, um nicht falsche Erwartungen zu wecken und den Erfolg der Verhandlungen zu gefährden.

Allgemein anerkannt ist, dass der Vertragsschluss über den Kauf eines Unternehmens der Zeitpunkt ist, an dem die Transaktion als Insiderinformation nach Art. 7 MAR zu veröffentlichen ist und ein Aufschub der Veröffentlichung in der Regel nicht mehr gerechtfertigt ist. Problematischer sind die Schritte im Vorfeld des Vertragsschlusses. Ist es eine rein interne Entscheidung (z.B. mit einer potenziellen Zielgesellschaft Vorgespräche aufzunehmen) oder eine organisatorische Maßnahme (z.B. Prüf- und Vorbereitungshandlungen, erstmalige Beauftragung von Beratern) ohne Hinzutreten weiterer Umstände, geht man mangels Kursbeeinflussungspotenzials in der Regel noch nicht von einem insiderrechtlich relevantem Zwischenschritt aus. Ebenso verhält es sich beim Abschluss einer Geheimhaltungsvereinbarungen (Non-Disclosure Agreement) zwischen Bieter- und Zielgesellschaft. Es handelt sich vielmehr um Vorbereitungshandlungen in einem Stadium, bei dem noch unklar ist, ob es überhaupt zu Vertragsverhandlungen kommen wird. 

Anders kann hingegen im Einzelfall der Abschluss eines Letter of Intent (LOI) zu beurteilen sein. Hierbei hängt es davon ab, ob die Parteien essentielle Vertragspunkte bereits bindend regeln. Daher ist zu empfehlen, bereits ab dem Stadium der Unterzeichnung des LOI regel-mäßig zu prüfen, ob die folgenden Zwischenschritte Insiderinformationen darstellen.

Aufgrund der Vielzahl möglicher Fallgestaltungen bei M&A-Transaktion ist eine schematische Einordnung, wann es sich bei einem Zwischenschritt um eine mögliche Insiderinformation handelt, nicht möglich. Das Entstehen einer Insiderinformation hängt nicht von der Terminologie des erfüllten Zwischenschrittes ab, sondern ist anhand des Sachstands aus inhaltlicher Sicht und im Rahmen der Gesamtschau sämtlicher Umstände zu bewerten.

Was soll sich im Bereich der Ad hoc Publizität ändern?​

Es verbleibt zunächst bei dem Grundsatz in Art. 17 MAR, dass ein Emittent der Öffentlichkeit Insiderinformationen unverzüglich bekannt geben muss, wenn er von diesen unmittelbar betroffen ist. Auch die insiderrechtliche Prüfung von Zwischenschritten muss in Zukunft beibehalten werden, da diese weiterhin Insiderhandels- und Offenlegungsverboten unterliegen.

Keine Ad hoc-Pflicht von Zwischenschritten in gestreckten Verfahren

Nach dem EU Listing Act neu ist, dass künftig Zwischenschritte eines gestreckten Verfahrens nicht mehr Ad hoc pflichtig sein werden, sondern nur noch das Endergebnis zu veröffentlichen sein wird. Damit soll in Zukunft eine Unterscheidung von Insiderinformationen erfolgen, welche lediglich das Verbot von Insidergeschäften begründen, und solchen, welche die Ad hoc Offenlegungspflicht auslösen. 

Nach Art. 17 Abs. 7 MAR n.F. muss allerdings ein Zwischenschritt als Insiderinformation vor Eintritt des Endergebnisses veröffentlicht werden, sofern (z.B. aufgrund von Gerüchten) die Geheimhaltung der Insiderinformation nicht mehr gewährleistet werden kann. Damit wird zum einen die Offenlegung der Zwischenschritt-Insiderinformation untersagt. Zum anderen wird den Emittenten die Pflicht zur Gewährleistung der Geheimhaltung auferlegt, welche ihrerseits entsprechende organisatorische Maßnahmen in Hinblick auf unternehmensinterne Strukturen und Prozesse erfordert.

Die Europäische Kommission wird durch den EU Listing Act ermächtigt, durch delegierten Rechtsakt eine nicht abschließende Liste „einschlägiger Informationen“ festzulegen, „zu dem vom Emittenten nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass er die Information offenlegt”. Dadurch soll die Bestimmung des Veröffentlichungszeitpunkts für die Unternehmen erleichtert und die Rechtssicherheit erhöht werden.


Auswirkung auf die Praxis ​

Die geplante Änderung wird im Ergebnis keine weitgehende Auswirkung für Emittenten haben. In der Praxis wurde bei einer Unternehmenstransaktion bisher die Offenlegung des Zwischenschritts nach Art. 17 Abs. 4 MAR aufgeschoben, um eine vorzeitige Offenlegung des Endergebnisses zu vermeiden. Eine tatsächliche Erleichterung wird daher nicht wesentlich spürbar sein. 


Aufschub nach Art. 17 Abs. 4 MAR ​

Die gegenwärtige Rechtslage ermöglicht einen Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen, wenn:

  • ein berechtigtes Interesse des Marktteilnehmers vorliegt,
  • der Aufschub nicht geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen und
  • der Marktteilnehmer die Geheimhaltung dieser Information sicherstellt.
Diese Regelung zur Selbstbefreiung wird künftig konkretisiert. Dazu sollen sämtliche aus den derzeit in den ESMA-Leitlinien enthaltenen Fallgruppen aufgegriffen und direkt in die MAR aufgenommen werden. Insbesondere soll das Kriterium der Irreführungsmöglichkeit durch konkrete Anforderungen ersetzt werden. Hiernach darf die Insiderinformation nicht im Widerspruch zur letzten öffentlichen Bekanntmachung oder einer anderen Art von Kommunikation des Emittenten zu derselben Angelegenheit stehen. Zudem muss die aufzuschiebende Insiderinformation die Tatsache betreffen, dass die finanziellen Ziele des Emittenten wahrscheinlich nicht erreicht werden. Schließlich hat die Insiderinformation im Gegensatz zu den Markterwartungen (etwa aufgrund von vorherigen Interviews und Road-shows) des Emittenten zu stehen. ​

Fazit

Die angedachten Änderungen der MAR zielen darauf ab, das Insiderrecht zu vereinfachen und sind daher im Grunde zu begrüßen. Die schwierige Unterscheidung zwischen einer frühen Veröffentlichungspflicht einer Zwischenschritt-Information wegen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Endergebnisses und der gesonderten Veröffentlichungspflicht des Zwischenschritts entfällt künftig und wird „lediglich” durch die Pflicht der Geheimhaltung des Zwischenschritts ersetzt. Was im ersten Moment als Erleichterung erscheint, kann die Praxis gerade im Bereich von M&A-Transaktionen vor weiteren Schwierigkeiten stellen. In komplexen und lang andauernden Prozessen ist oftmals unklar, was das relevante „letzte Ereignis” darstellt und wie es definiert wird. Zudem sollen die Marktteilnehmer künftig mehr Hilfestellungen durch beispielhafte Listen und konkretisierten Anforderungen in der Handhabung der Vorschriften erhalten. Inwiefern die geplanten Änderungen durch die Europäische Kommission umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.​

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