Betriebsvereinbarungen als potentielle Stolpersteine bei einem M&A-Deal

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 23. September 2024 | Lesedauer ca. 6 Minuten

 

​Besteht im Target eines M&A-Deals ein Betriebsrat, wird das arbeitsrechtliche Regime dieses Unternehmens in der Regel ganz erheblich von Betriebsvereinbarungen geprägt sein. Durch ihren kollektiven Charakter können unwirksame oder fehlerhafte Betriebsvereinbarungen erhebliche wirtschaftliche oder operative Konsequenzen haben. Wird der Unternehmenskauf als Asset Deal strukturiert, kann der damit regelmäßig verbundene Betriebsübergang zu komplexen Fragen der Anwendbarkeit von Betriebsvereinbarungen in dem veräußerten Betrieb für die Zeit nach dem Betriebsübergang führen und eine Vereinheitlichung von Arbeitsbedingungen erschweren. Daher ist es essenziell, schon frühzeitig im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Due Diligence mögliche Problemstellungen zu identifizieren.​


Formale Fehler bei Betriebsvereinbarungen​

Bei der arbeitsrechtlichen Due Diligence wird bei der Prüfung von Betriebsvereinbarungen der Fokus auf dessen inhaltliche Gestaltung gerichtet sein. Allerdings sollten auch formale Aspekte bei der Prüfung nicht vergessen werden. Formale Fehler können zur Unwirksamkeit oder sogar Nichtigkeit einer Betriebsvereinbarung führen. Nichtige Betriebsvereinbarungen können erhebliche finanzielle Auswirkungen haben, z.B. wenn mit der nichtigen Betriebsvereinbarung eine andere, wirtschaftlich ungünstigere Vereinbarung abgelöst werden sollte.
 
Schon vergleichsweise „kleine” Fehler können weitreichende Folgen haben. So finden sich in Datenräumen immer wieder Betriebsvereinbarungen, die nicht von beiden Betriebsparteien unterzeichnet wurden. Zu beachten ist auch, dass für Betriebsvereinbarungen die Schriftform gilt. Die Betriebsparteien müssen die Betriebsvereinbarung also tatsächlich handschriftlich („wet ink”) oder in elektronischer Form unterzeichnet haben. Bei der Wahl der elektronischen Form ist darauf zu achten, dass die digitalen Unterschriften mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen worden sind und die Betriebsparteien dasselbe Dokument elektronisch signiert haben. Darüber hinaus sollte auch ein Auge darauf geworfen werden, ob die Betriebsparteien bei der Unterzeichnung ordnungsgemäß vertreten worden sind. Ist die Betriebsvereinbarung nicht vom Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnet worden – sondern bspw. durch andere Betriebsratsmitglieder –, sollten die Hintergründe dafür aufgeklärt werden. Auch auf Arbeitgeberseite gibt es bei der Vertretung Fehlerquellen. Der „Klassiker” dabei ist der allein unterzeichnende Geschäftsführer, der aber gerade nicht alleinvertretungsberechtigt ist.
 
Besteht in dem zu erwerbenden Unternehmen ein Gesamtbetriebsrat und/oder gehört das Unternehmen einem Konzern mit einem Konzernbetriebsrat an, kann sich die Frage stellen, ob die Betriebsvereinbarung überhaupt mit dem richtigen betriebsverfassungsrechtlichen Gremium abgeschlossen wurde. Handelt das unzuständige Gremium, ist die Betriebsvereinbarung nichtig. In der Praxis häufig anzutreffen, ist die Situation, dass die Betriebsparteien von einer unzutreffenden Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ausgegangen sind. Häufig werden Gesamtbetriebsvereinbarungen aus reinen Praktikabilitätsgründen abgeschlossen. Der Arbeitgeber will sich so Verhandlungen mit mehreren lokalen Betriebsräten ersparen. Dabei wird aber häufig übersehen, dass reine Zweckmäßigkeitserwägung nicht ausreichen, um die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist regelmäßig nur für solche Angelegenheiten gegeben, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen lokalen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Die Rechtsprechung ist bei der Annahme einer Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats eher zurückhaltend. Auch wenn der lokale Betriebsrat seine Zuständigkeit an den Gesamtbetriebsrat delegiert hat, sollte die Wirksamkeit der Delegation geprüft werden. Bei einer unwirksamen Delegation hat der Gesamtbetriebsrat als das unzuständige Gremium gehandelt. Auch bei der Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats stellt sich eine vergleichbare Situation. 

Inhaltliche Herausforderungen bei Betriebsvereinbarungen​

Wesentlicher Prüfungspunkt im Rahmen der arbeitsrechtlichen Due Diligence ist die inhaltliche Ausgestaltung von Betriebsvereinbarungen. Im Fokus stehen hier Betriebsvereinbarungen mit großen finanziellen (Z.B. variable Vergütungen, betriebliche Altersversorgung) oder operativen (z.B. Schichtsysteme) Auswirkungen. Bei Betriebsvereinbarungen, die finanzielle Leistungen für Arbeitnehmer vorsehen, sind Bestimmungen, die bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern von Leistungen ausschließen, besonders problematisch, da der Ausschluss diskriminierend sein kann. Ein typischer Fall sind Entgeltregelungen, die Teilzeitarbeitnehmer von bestimmten Entgeltleistungen, z.B. Jubiläumsgeldern, ausnehmen. Machen die betreffenden Arbeitnehmer die ihnen bisher unrechtmäßigerweise vorenthaltenen Leistungen später gegenüber dem Erwerber geltend, drohen diesem unter Umständen erhebliche finanzielle Einbußen.
 
Ein weiterer inhaltlicher Prüfungspunkt ist, ob die Betriebsvereinbarung gegen den so genannten Tarifvorbehalt verstößt. Betriebsvereinbarungen dürfen grundsätzlich keine Regelungen zu Arbeitsentgelten und sonstigen Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, treffen. Oft wird übersehen, dass der Tarifvorbehalt auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber gilt. Auch die Beantwortung der Frage, ob eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung tarifüblich ist, kann herausfordernd sein. Für bestimmte soziale Angelegenheiten, geregelt in § 87 Betriebsverfassungsgesetz, gilt ein abgeschwächter Tarifvorbehalt. Hier darf eine Betriebsvereinbarung keine Regelung zu einer Angelegenheit treffen, zu der ein in dem Betrieb geltender Tarifvertrag bereits eine Regelung trifft.
 
Ein Verstoß gegen den Tarifvorbehalt hat die Unwirksamkeit der Regelung in der Betriebsvereinbarung zur Folge. Dies kann zu unangenehmen Regelungslücken im arbeitsrechtlichen Regime des Unternehmens führen.

Das Schicksal von Betriebsvereinbarungen bei einem Betriebsübergang​

Wird der Unternehmenskauf als Asset Deal durchgeführt, führt dies regelmäßig zu einem Betriebsübergang. In diesem Fall ist ein besonderes Augenmerk auf die Prüfung der Folgen des Betriebsübergangs auf die Anwendbarkeit der Betriebsvereinbarungen des Veräußerers nach dem Betriebsübergang zu legen.
 
Wird der erworbene Betrieb oder der Betriebsteil bei dem Erwerber als selbstständiger Betrieb fortgeführt, gelten die bisher bestehenden lokalen Betriebsvereinbarungen grundsätzlich weiter.
 
Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn bei dem Erwerber bereits Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen zum selben Regelungsgegenstand bestehen und die Betriebsvereinbarungen nicht im Wege der Delegation, z.B. an den Gesamtbetriebsrat, abgeschlossen wurden.
 
Liegen diese Voraussetzungen vor, verdrängt die Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung in aller Regel die lokale Betriebsvereinbarung. Ob eine Verdrängung stattfindet, ist durch Auslegung zu ermitteln. Zum Teil ist es durchaus im Interesse des Erwerbers, wenn neu erworbene Betriebe nicht von einer bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung erfasst werden. Dies kann zum Beispiel bei einer Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung der Fall sein. Eine Gesamtbetriebsvereinbarung kann auch schon von vorneherein so ausgestaltet werden, dass neu erworbene Betriebe nicht in ihren Geltungsbereich fallen.
 
Wird der erworbene Betrieb oder der Betriebsteil in einen bestehenden Betrieb des Erwerbers eingegliedert, werden die Regelungen der Betriebsvereinbarungen des Veräußerers Inhalt des Arbeitsverhältnisse (Transformation) und gelten somit auch nach der Eingliederung fort. Etwas anderes gilt, wenn bei dem Erwerber eine Betriebsvereinbarung (lokale Betriebsvereinbarung, Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung) zum selben Regelungsgegenstand besteht. Diese löst die transformierte Regelung ab. Wird eine Betriebsvereinbarung Inhalt des Arbeitsverhältnisses, greift eine Veränderungssperre von einem Jahr ab dem Betriebsübergang. Diese Veränderungssperre hat zur Folge, dass (individualrechtlich) nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers von den Regelungen, die Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden sind, abgewichen werden kann. Dies kann eine Vereinheitlichung von Arbeitsbedingungen nach dem Asset Deal erschweren.

Welche Anpassungsmöglichkeiten für Betriebsvereinbarungen gibt es im Umfeld eines M&A-Deals?​

Werden im Rahmen einer Due Diligence Problemstellungen oder ein Anpassungsbedarf erkannt, stellt sich die Frage, ob diese Themen noch vom Veräußerer korrigiert werden können oder ob den Erwerber nach dem Closing die Anpassungslast trifft.
 
Schwierig wird es, wenn die Betriebsvereinbarung mit dem falschen Betriebsrategremium abgeschlossen worden ist. In aller Regel wird die Zeit für eine Neuverhandlung bis zum Abschluss der Transaktion fehlen. Ähnliches gilt auch für Probleme bei der inhaltlichen Gestaltung von Betriebsvereinbarungen, z.B. bei diskriminierenden Regelungen. Hier können Risiken ggf. beim Kaufpreis oder durch entsprechende Regelungen im Kaufvertrag berücksichtigt werden.
 
Wenn eine Betriebsvereinbarung rechtlich nicht zu beanstanden ist, diese aber das Zielunternehmen für den Käufer weniger attraktiv macht, kann der Verkäufer das Unternehmen „verkaufsfähiger”​ machen. Dazu kann der Veräußerer einvernehmlich mit dem Betriebsrat eine Anpassung der Betriebsvereinbarung vornehmen, die erst kurz von dem Closing wirksam wird. Die Arbeitsgerichte halten dieses Vorgehen grundsätzlich für zulässig. Dennoch muss darauf geachtet werden, dass die Anpassung nicht missbräuchlich ausgestaltet wird. Ebenso sind die Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
 
Nach dem Closing liegt der Ball im Feld des Erwerbers. Der Erwerber kann sodann mit dem zuständigen Betriebsrat eine ablösende Betriebsvereinbarung abschließen. Das Günstigkeitsprinzip gilt hier nicht, sodass auch eine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen möglich ist, vorausgesetzt, der Betriebsrat spielt mit. Auch in Arbeitsverhältnisse transformierte Regelungen können vor Ablauf eines Jahres durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden, da die Veränderungssperre in diesem Fall nicht greift. Schwieriger gestaltet sich die Ablösung von Versorgungszusagen. Hier ist eine Ablösung oder Anpassung nur in einem sehr engen Rahmen möglich.
 
Zudem sollte der Erwerber vor dem Abschluss des Kaufvertrags einen Blick auf seine eigene „Betriebsvereinbarungslandschaft“ werfen. Wie schon erwähnt, kann durch entsprechende Gestaltung einer Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung sichergestellt werden, dass die im Zuge eines Betriebsübergangs neu hinzukommenden Arbeitnehmer z.B. nicht an in einer Gesamtbetriebsvereinbarung geregelten großzügigen Jubiläumszahlungen teilnehmen. Schließlich kann auch durch eine gezielte Integration des erworbenen Betriebs oder Betriebsteils in den Erwerberbetrieb eine gewünschte Ablösung von (transformierten) Betriebsvereinbarungen des Veräußerers ermöglicht werden. Insofern sollte das Schicksal von Betriebsvereinbarungen auch bei der Strukturierung eines Deals stets im Blick behalten werden.

Fazit​

Allein aufgrund der durch Betriebsvereinbarungen begründeten finanziellen Verpflichtungen sollte im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Due Diligence hierauf ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Dies gilt umso mehr, wenn der Unternehmenskauf im Wege eines Asset Deals erfolgen soll. Wichtig ist es dabei für den Erwerber, auch die Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf die Anwendbarkeit seiner eigenen Betriebsvereinbarungen im Blick zu haben. Idealerweise definiert der Erwerber eine „Zielbetriebsvereinbarungslandschaft“​, die bei der Strukturierung der Transaktion berücksichtigt wird. Beherzigt man diese Punkte, kann verhindert werden, dass Betriebsvereinbarungen zu Stolpersteinen bei einem M&A-Deal werden.​

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