Probleme des Lieferkettengesetzes in der Praxis

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veröffentlicht am 19. Januar 2021 | Lesedauer ca. 4 Minuten

von José A. Campos Nave und Clemens Bauer

  

Die Einführung eines Lieferkettengesetzes wird auch im Jahr 2021 durch die verantwortlichen Akteure in der Politik weiter verfolgt.

Während die Bundesregierung interne Einigungsversuche unternimmt, liegt in der aktuellen Situation ein Augenmerk auf der Frage, welche Verpflichtungen Unternehmen aufgebürdet werden können.

In Hinblick auf die geplanten Regelungsinhalte des deutschen Lieferkettengesetzes zeigt sich, dass Unternehmen in der Praxis vor verschiedenen Herausforderungen stehen.

  

  

 


Verpflichtung zur Einhaltung von Menschenrechten

Mit der Einführung eines „Bundesgesetzes über die Stärkung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten (Sorgfaltspflichtengesetz)“, plant die Bundesregierung eine Verpflichtung von Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und sozialen Mindeststandards in globalen Lieferketten zu etablieren.

 

Das Gesetz sieht eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für den Menschenrechtsschutz vor. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Sorgfaltspflichten definiert (bspw. Verbot von Kinderarbeit, Sicherstellung von ökologischen und sozialen Mindeststandards im Hinblick auf Arbeitsbedingungen), deren Einhatung durch die Umsetzung verschiedener Maßnahmen (Risiko-Analyse, Risiko-Management) gewährleistet werden soll.

 

In der Praxis ist die Kontrolle von globalen Lieferketten hoch komplex. Unternehmen sehen sich im Hinblick auf die Umsetzung der geplanten Regelungsinhalte des Lieferkettengesetzes mit hohen Hürden konfrontiert.

 

Für den Gesetzgeber gilt es, verschiedene Punkte zu berücksichtigen, damit das Lieferkettengesetz nicht zu einem „weiteren Papiertiger“ (F.A.Z. vom 16. Januar 2021) wird.

 

Problem: Haftung für Umstände, die durch Unternehmen nicht beeinflusst werden können

Erklärtes Ziel des Gesetzes ist es, Menschenrechtsstandards zu verwirklichen und grundlegende ökologische und soziale Mindeststandards zu sichern.

 

Die Sicherstellung von Menschenrechten ist jedoch primär eine hoheitliche Aufgabe der staatlichen Akteure und muss durch diese sichergestellt werden.

 

Viele der im Lieferkettengesetz festgelegten Sorgfaltstatbestände liegen – sollen diese nachhaltig verfolgt werden – außerhalb des Einflussbereichs der Unternehmen und können durch Dritte allenfalls mittelbar beeinflusst werden.

 

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Russwurm warnt entsprechend vor einer Übertragung von zu viel Verantwortung auf Unternehmen und fasst das Problem wie folgt zusammen: „Diskussionen mit Staaten sollten Staaten führen“.
 

Problem: Komplexität der Lieferketten

Die den Unternehmen im Rahmen des Lieferkettengesetzes zugesprochene Aufgaben bürden diesen die Pflicht auf, globale Lieferketten auf allen Zuliefererstufen zu überwachen.

 

Die Einhaltung der Standards verlangt genaue Kenntnis über die Umstände vor Ort. Gesetzgeberischen Maßnahmen sind deshalb durch die Komplexität der Wirklichkeit Grenzen gesetzt.

 

Eine Überwachung macht das Erstellen von Risikoanalysen und die Einrichtung von Maßnahmen und Sorgfaltsplänen sowie deren Umsetzung notwendig. Dies sind Anforderungen, die schwer durch privatrechtliche Akteure, insbesondere durch mittelständische Unternehmen zu schultern sind.

 

Beispielweise sind Unternehmen in der High-Tech-Industrie auf Rohstoffe (u.a. seltene Erden), häufig aus politisch instabilen bzw. nach westlichem Maßstab problematischen Ländern, angewiesen. Kontrollmaßnahmen von Unternehmen, wie in dem Gesetz vorgeschrieben, sind vor diesem Hintergrund in der täglichen Praxis häufig nicht umsetzbar. Eine Überwachung der Lieferkette verlangt transparente Strukturen und Situationen vor Ort, in denen Kontrolle auch tatsächlich möglich ist.

 

Unternehmerische Maßnahmen finden ferner eine Grenze in Fällen von Intransparenz und Korruption, insbesondere nach Maßstab der Rechtsstaatlichkeit des jeweiligen Landes. Hier fallen Entwicklungsländer, die in globalen Lieferketten eine wichtige Rolle spielen, im Vergleich zu Deutschland ab. Indizwirkung zu diesem Problemfeld geben Indikatoren wie beispielsweise der Corruption Perception Index (CPI), der von Transparency International erstellt wird und Länder nach dem Grad der Korruption in Politik und Verwaltung auflistet.

 

Eine Kontrolle der Lieferkette erscheint deshalb allenfalls praktikabel bei Anknüpfung an die konkreten Produktionsbedingungen der Zuliefererbetriebe vor Ort, findet aber Grenzen dann, wenn die Menschenrechtslage außerhalb des unternehmerischen Einflussbereichs steht.

 

In der Praxis behelfen sich Unternehmen mit NGOs sowie Prüforganisationen (u.a. TÜV Süd, internationale Beratungsunternehmen), die Dienstleistungen im Bereich Prüfung und Zertifizierungen anbieten.

 

Zusammenfassend scheint es unter Berücksichtigung dieser Umstände angezeigt, dass der Gesetzgeber die Sorgfaltspflichten auf Umstände beschränkt, über die Unternehmen Einfluss haben.
 

Problem: Keine einheitlichen sozialen Mindeststandards

Die Einhaltung von Standards verlangt eine genaue Kenntnisse der Rahmenbedingungen vor Ort. Unterschiedliche nationale Vorgaben in den verschiedenen Ländern der Wertschöpfungskette führen in der Praxis gleichsam zu der Frage, welcher Mindeststandard anzulegen ist.

 

Dieses Problem zu erkennen und Lösungsansätze zu entwickeln, stellt Unternehmen vor Herausforderungen.

 

Das zeigt sich am Beispiel des weltgrößten Schokoladenproduzenten, der mit dem Umstand befasst war, dass Hilfsarbeiten von Kindern der Kakaobauern aufgrund einer Gesetzesänderung als Fälle von Kinderarbeit zu qualifizieren waren.

 

Mit diesem Wissen wurde das Problem erkannt. Doch was der Schokoladenproduzent mittels einer kartographischen und soziodemographischen Erfassung seiner Zulieferer nebst universitärem Forschungsprojekt zur Bekämpfung der Kinderarbeit als Lösungsansatz entwickelt hat, überfordert einen gewöhnlichen Mittelständler.

 

Damit bleibt das Problem, dass nationale Standards, die vor Ort nicht rechtswidrig sind, nach deutschem Maßstab, beispielsweise aus Arbeitsschutzgesichtspunkten, fragwürdig sein können. Dies führt Unternehmen in einen Konflikt, bei dem im Zweifel der höhere Standard anzulegen ist – die für Deutschland normierten Mindeststandards strahlen auf andere Länder aus.

 

Zusammenfassend ist auch hier das Ziel des Lieferkettengesetzes ehrenwert, aber denkbar weit gefasst. In der praktischen Umsetzung reiht sich eine Ungewissheit an die Andere. Die Grenzen können mitunter fließend sein, was wiederum eine praktische Kontrolle unmöglich macht.

 

Problem: Wettbewerbsverzerrungen durch uneinheitliche Standards

Mit Blick auf Menschenrechte und Umweltstandards braucht es einheitliche Sorgfaltspflichten auf dem Markt, um Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Binnenmarkt zu verhindern.

 

Die EU-Kommission plant die Vorlage eines europäischen Lieferkettengesetzes im Frühjahr 2021. Eine EU-Richtlinie zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten soll den einheitlichen Rechtsrahmen für unternehmerische Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten bilden.  

 

Nach ersten Medienberichten geht der Entwurf inhaltlich über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus und umfasst alle Unternehmen, die unter das Recht eines Mitgliedstaates der EU oder den europäischen Binnenmarkt fallen. Erfasst werden mithin auch Unternehmen aus Drittstaaten.

 

Fazit

Der Gesetzgeber muss sich vor Augen führen, was Unternehmen leisten sollen und können und hierfür einen klaren Kriterienkatalog entwickeln, an dem sich eine etwaige Haftung bemessen lässt.

 

Viele tief im Mittelstand verwurzelte Unternehmen haben unter großem unternehmerischen Einsatz grenzüberschreitende Zuliefererketten geschaffen und dabei durch ihr Engagement einen individuellen und gleichzeitig zentralen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung in den jeweiligen Ländern geleistet.

 

Lieferketten basieren in der Praxis weniger auf Neokolonialismus als auf Vertrauensbeziehungen. Die Argumente der Befürworter des Lieferkettengesetzes, die eine Ausbeutung der Arbeiter vor Ort zu Hungerlöhnen anprangern, sind unterkomplex und gefährden die Akzeptanz und spätere Umsetzung des Gesetzes, dessen Ziele gemeinhin geteilt werden.

 

Folglich gilt, wie die Verbände BDI, BDA und DIHK in einer gemeinsamen Erklärung klargestellt haben: „Ein Lieferkettengesetz muss praktikabel sein, um vernünftig zu funktionieren.“

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