Berechnung der angemessenen Abfindung bei aktien­rechtlichen Strukturmaßnahmen: Ein Ländervergleich

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veröffentlicht am 16. Dezember 2020 | Lesedauer ca. 6 Minuten


Im Zusammenhang mit aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen stellt sich regelmäßig die Frage nach der angemessenen Abfindung für die Minderheitsaktionäre, die auf­grund eines Squeeze-Outs ihr Aktieneigentum verlieren oder bei Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags zumindest nicht mehr am künftigen Unternehmenserfolg partizipieren. Die Höhe der Abfindung hängt vom Unternehmenswert ab. Wie er be­stimmt wird, ist von der länderspezifischen Gesetzgebung und Rechtsprechung sowie der gängigen Bewertungspraxis im jeweiligen Land abhängig.



Bewertungsanlässe und Bewertungsmethoden

Bei einem Squeeze-Out hat der Hauptaktionär das Recht, die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verlangen. Ein solcher Ausschluss der Minderheitsaktionäre darf ab einer gewissen länderspezifischen Schwelle, bspw. 90 oder 95 Prozent des Aktienkapitals, vom Mehrheitsaktionär durchgeführt werden. Der Squeeze-Out wird im europäischen Gesetz betreffend Über­nahmeangebote (§ 15 Richtlinie 2004/25/EG) allgemein definiert. In Deutschland ermöglicht das Aktiengesetz (§ 327a AktG) Mehrheitsaktionären mit einer Schwelle von mind. 95 Prozent des Aktienkapitals den Ausschluss der verbleibenden Aktionäre gegen eine angemessene Barabfindung. Mit einem Squeeze-Out zielen Mehrheits­aktionäre meist auf Vereinfachungen und Kosteneinsparungen (bspw. ein Delisting der Aktien oder keine Organisation von Hauptversammlungen) ab.

Zudem kann in Deutschland mittels eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags (§ 291 AktG, kurz BGAV) die Leitung einer AG durch den Hauptaktionär übernommen werden und die AG verpflichtet werden, ihre Gewinne an ein anderes Unternehmen abzuführen Die Durchführung eines BGAV erfordert eine Präsenz­mehrheit von 75 Prozent des Grundkapitals an der beschlussfasenden Hauptversammlung.


Minderheitsaktionäre können sich für eine jährliche und fixe Ausgleichszahlung (sog. „Garantiedividende”) oder für eine Barabfindung entscheiden. Mit dem BGAV zielen Mehrheitsaktionäre im Wesentlichen auf die Realisierung von Synergien in einem möglichst weitgehenden Umfang ab.


Zwecks Ermittlung der angemessenen Abfindung können unterschiedliche Bewertungsmethoden heran­gezogen werden. In einem Diskontierungsverfahren als fundamentale Bewertungsmethode wird der Barwert von prognostizierten Erfolgsgrößen des zu bewertenden Unternehmens unter Berücksichtigung eines Diskontierungszinssatzes berechnet. In Abhängigkeit von den diskontierten Größen und den dazugehörigen äquivalenten Diskontierungszinssätzen wird bspw. zwischen dem vereinfachten „Dividend Discount Model” (DDM), dem international stark verbreiteten „Discounted Cash-Flow” (DCF) Verfahren und dem insb. in Deutschland angewendeten Ertragswertverfahren unterschieden.

Bei Multiplikator-Verfahren werden Bezugsgrößen von Vergleichsunternehmen, z.B. Umsatz oder EBITDA, in Relation zu deren beobachtbaren Marktpreisen gesetzt und die so ermittelten Relationen auf das zu bewertende Unternehmen übertragen. Die notwendigen Marktpreise können auf Basis von aktuellen Aktien­kursen (bei Börsen-Multiplikatoren) oder historischen Transaktionen (bei Transaktions-Multiplikatoren) abgeleitet werden.


Alternativ kann die Bewertung eines Unternehmens auch vereinfachend unter Berücksichtigung des durch­schnittlichen Börsenkurses innerhalb eines gesetzlich vordefinierten Zeitraums durchgeführt werden.


Deutschland

Für die Berechnung der angemessenen Barabfindung ist bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen in Deutschland fast ausschließlich der Bewertungsstandard IDW S1 („Grundsätze zur Durchführung von Unter­nehmens­bewertungen”) ausschlaggebend, entwickelt vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW). Demzufolge hat das Ertragswertverfahren gemäß IDW S1 im gerichtlichen Spruchverfahren absoluten Vorrang.

Demzufolge wird der Unternehmenswert als Barwert der künftigen dem Unternehmen entziehbaren Überschüsse berechnet. Zum einen setzt die plausible Prognose der zu erwartenden Überschüsse eine aktuelle Unternehmensplanung voraus. Im Anschluss zu der Detailplanungsphase wird eine Rentenphase – sog. „ewige Rente” – modelliert. Zum anderen ist ein geeigneter, insbesondere risikoadäquater Diskontierungszinssatz zu verwenden. Der zutreffende Risikozuschlag erfordert eine tiefe Analyse des Risikoprofils der vergleichbaren Unternehmen sowie der historischen und erwarteten Unternehmensrenditen. Bei einer solchen objektivierten Unternehmensbewertung gemäß IDW S1 werden bestimmte Typisierungen in Bezug auf das zu bewertende Unternehmen, den Anteilseigner der Gesellschaft sowie die Vorgehensweise vorgenommen, um eine Nachvoll­ziehbarkeit der Bewertung zu gewährleisten. Bspw. werden die persönlichen Steuern auf der Ebene der Anteilseigner typisiert herangezogen. Zudem erfolgt die Berücksichtigung etwaiger Synergien aus der Strukturmaßnahme nach bestimmten Kriterien.

Börsen- und Transaktions-Multiplikatoren spielen bei solchen Bewertungsanlässen eine untergeordnete Rolle und können lediglich zwecks Plausibilisierung des Ertragswerts herangezogen werden. Auf Basis der Multiplikatoren der sog. „Peer Group”-Unternehmen werden implizit Wertbandbreiten, und keine punktuellen Werte – wie im Fall von Diskontierungsverfahren – abgeleitet. Das ist aus Sicht des IDW mit der gesetzlichen Anforderung einer „vollen” Entschädigung für die Minderheitsaktionäre nicht vereinbar. Gemäß IDW S1 können solche Vergleichswertverfahren die Fundamentalverfahren nicht ersetzen.

Der nach dem Ertragswert ermittelte Unternehmenswert pro Aktie wird schlussendlich mit dem Börsenkurs verglichen. Wenn der Börsenkurs frei von Verzerrungen ist, bzw. keine Marktenge (§ 5 WpÜG-Angebotsver­ordnung) vorliegt, bildet er die Untergrenze der angemessenen Barabfindung ab (BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999 – 1 BvR 1613/94 i.S. „DAT/Altana”). Der abfindungsrelevante Börsenkurs wird als volumen­gewichteter Durchschnittskurs der letzten drei Monate vor Ankündigung der aktienrechtlichen Struktur­maßnahme gesetzlich definiert (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2010 – II ZB 18/09 i.S. „Stollwerck”).


Österreich

Analog zur Vorgehensweise in Deutschland ist in Österreich der Bewertungsstandard KFS/BW 1 („Fach­gutachten zur Unternehmensbewertung”) bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen maßgeblich. Der KFS/BW 1 wurde von der Kammer der Wirtschaftstreuhänder entwickelt und wird im gerichtlichen Gremialverfahren angewendet.

Der KFS/BW 1 sieht analog zum IDW S1 eine Vorrangigkeit der Diskontierungsverfahren vor. Zudem richten sich u.a. die Plausibilisierung der Unternehmensplanung, die Berücksichtigung von hinreichend konkretisierten Maßnahmen vor dem Bewertungsstichtag, und die Behandlung von Synergien nach vergleichbaren Prinzipien wie in Deutschland. Jedoch unterschieden sich die zwei Bewertungsstandards sowie die Vorgehensweise der Ermittlung von Abfindungen bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen an mehreren relevanten Stellen.

Im KFS/BW 1 steht das international angewendete DCF-Verfahren, in den zwei Varianten als Entity- oder Equity-Ansatz (und nicht das Ertragswertverfahren, wie in Deutschland) im Vordergrund. Bei den DCF-Verfahren werden Zahlungsüberschüsse (Cash-Flows) anstelle von Einnahmenüberschüsse (Gewinne) diskontiert. Zudem ist im KFS/BW 1 eine Grobplanungsphase vor der Rentenphase explizit vorgesehen, wenn das Unternehmen sich nach der Detailplanungsphase nicht im Gleichgewichtszustand aufgrund von bspw. längerfristigen Produktlebenszyklen oder überdurchschnittlichen Wachstumsraten befindet.

Weiterhin wird gemäß KFS/BW 1 keine Typisierung des persönlichen Steuersatzes vorgegeben. Bei Kapital­gesellschaften werden im Vergleich zum IDW S1 vereinfachend keine persönlichen Steuern angesetzt. Somit ist auch die Ermittlung der Diskontierungszinssätze nach KFS/BW 1 vor persönlichen Steuern im Einklang mit der internationalen Praxis.


Auch bei der Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes gibt es im Vergleich zur deutschen Bewertungspraxis Abweichungen. Die Ermittlung der Marktrisikoprämie erfolgt üblicherweise indirekt durch Abzug von Markt­renditeforderungen der Kapitalmarktteilnehmer abzüglich des zum Bewertungsstichtag vorherrschenden Basiszinsniveaus. Die Aktienrenditeforderungen werden dabei üblicherweise über implizite zukunftsorientierte Marktrenditemodelle abgeleitet während der IDW einen pluralistischen Ansatz aus vergangenheitsorientierten und zukunftsorientierten Ableitungen favorisiert. Auch beim Basiszins können abweichend zur deutschen Vorgehensweise, bei der barwertäquivalente Basiszinsen mit Hilfe der Svensson Methode ermittelt werden, Spot-Rates mit Laufzeiten von 30 Jahren herangezogen werden.

Hinsichtlich der Plausibilisierung des DCF-Unternehmenswerts, erachtet der KFS BW 1 die Analyse von Multiplikatoren und von Vorerwerbspreisen, soweit vorliegend, als zwingend notwendig. Im IDW S1 ist eine solche Plausibilisierung optional.

Der Börsenkurs hingegen stellt gemäß KFS BW 1 keine Wertuntergrenze dar, sondern ist lediglich als Plau­sibilitätsmaßstab heranzuziehen. Eine mit Deutschland vergleichbare Rechtsprechung zum Börsenkurs liegt in Österreich nicht vor.


Frankreich

Im Vergleich zu Deutschland und Österreich, wo sich die erforderliche Unternehmensbewertung an berufs­ständische Bewertungsstandards der Wirtschaftsprüfer bzw. Wirtschaftstreuhänder richtet, wird bei den aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen in Frankreich den allgemeinen Empfehlungen der „Autorité des Marchés Financiers” (AMF) zwecks Ermittlung der angemessenen Barabfindung gefolgt. Sie geben lediglich einen Multi-Kriterien-Ansatz vor. Es liegt im Ermessen des Bewerters, die relevanten Kriterien und die angemessenen Methoden im Einzelfall auszuwählen und zu beurteilen. Anders als in Deutschland oder Österreich, wo sich die Bewertungsstandards sehr stark auf die Diskontierungsverfahren fokussieren, gibt es in Frankreich kein vorrangiges Bewertungsverfahren, sondern eine Methodenvielfalt.

Folgende Bewertungsmethoden können bei der Ermittlung der angemessenen Abfindung berücksichtigt werden:

  • Net Asset Value,
  • DCF-Verfahren,
  • Discount Model,
  • Multiplikatoren,
  • Vorerwerbspreise und
  • die Börsenkursanalyse.


Wenn das zu bewertende Unternehmen mehrere Tochtergesellschaften umfasst, können sie nach unterschied­lichen Methoden einzeln bewertet und danach zum gesamten Unternehmenswert als „sum-of-the-parts” aggregiert werden.


In einem ersten Schritt untersucht der Bewerter, ob die einzelnen Methoden im konkreten Fall anwendbar sind. In einem zweiten Schritt werden die zutreffenden Bewertungsmethoden angewendet und soweit möglich, Wertbandbreiten abgeleitet. Schlussendlich werden alle Ergebnisse in einer Gesamtschau analysiert. Es liegt im Ermessen des Bewerters, eine Rangordnung der Methoden festzusetzen, die Wertbandbreiten zu verdichten und ggf. die nicht aussagekräftigen Ergebnisse einzelner Methoden auszuschließen, um die Angemessenheit der Abfindung zu beurteilen.


Italien

In Italien werden die „Principi Italiani di Valutazione” (PIV) von dem Organismo Italiano di Valutazione” (OIV), eine unabhängige gemeinnützige Stiftung, herausgegeben. Sie umfassen eine Vielzahl von Bewertungs­methoden nicht nur im engen Sinne der Bewertung von Unternehmen, sondern im breiten Sinne der Bewertung von unterschiedlichen Vermögensgegenständen u.a. immaterielle Vermögegenstände, Immobilien, Finanzinstrumente usw.


Jedoch wird im Zusammenhang mit aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen bei gelisteten Gesellschaften der Börsenkurs als maßgebliche Bewertungsmethode festgelegt. Die angemessene Abfindung für die aus­scheid­enden Minderheitsaktionäre wird unter Bezugnahme auf das arithmetische Mittel der Schlusskurse innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Bewertungsstichtag bestimmt. Weitere Bewertungsmethoden dürfen angewendet werden, allerdings stellt der Durchschnittskurs die Untergrenze für die Abfindung dar, einerseits, und in der Abfindung dürfen nicht künftige Vorteile infolge der aktienrechtliche Strukturmaßnahme berücksichtigt werden, andererseits.


Fazit

Zusammenfassend sind bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen in besonderem Maß landesspezifische Besonderheiten und Vorgaben zu beachten.

So weichen bereits die üblicherweise bzw. zwingend anzuwendenden Bewertungsmethoden in den einzelnen Ländern voneinander ab. Zusammenfassend kommen in den oben diskutierten Ländern üblicherweise folgende Bewertungsverfahren zur Anwendung:

* Zu Plausibilisierungszwecken anwendbar

In Frankreich liegt es im Ermessen des Bewerters, Bewertungsmethoden auszuwählen, anzuwenden und Bewertungsergebnisse zu verdichten. Demgegenüber berechnen Bewerter in Deutschland einen besonders spezifischen und komplexen Ertragswert und stellen ihn dem Börsenkurs als Wertuntergrenze gegenüber. Hingegen ist für Bewerter in Italien die Abfindungsberechnung vergleichsweise einfach da üblicherweise ausschließlich auf den durchschnittlichen Börsenkurs abgestellt wird.

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