EU-Beihilferecht: Aktuelle EUG(H)-Rechtsprechung bei direkten Steuern

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veröffentlicht am 8. April 2020 | Lesedauer ca. 6 Minuten


Unternehmen begrüßen i.d.R. staatliche Beihilfen und es sollte davon auszugehen sein, dass sich dabei das dadurch begünstigte Unternehmen in Rechts­sicher­heit wiegen kann. In den letzten Jahren stehen aber steuerbegünstigende natio­nale Regelungen auf Seiten der Europäischen Kommission und der Unionsge­richte vermehrt auf dem Prüfstand, ob es sich dabei nicht um EU-beihilferechtswidrige Steuermaßnahmen handeln könnte. Das verunsichert Unternehmen dahingehend, ob sie bei ihren unternehmerischen Entscheidungen auf die fortwährende Rechtsgültig­keit von steuerbegünstigenden Regelungen vertrauen dürfen.

 


Seit geraumer Zeit entspricht es der ständigen Rechtsprechung des EuGH, das Steuerrecht der Mitgliedstaaten auch aus beihilferechtlicher Sicht zu prüfen. Nationale Steuervergünstigungen müssen sich vor dem in Art. 107 Abs. 1 AEUV geregelten Beihilfeverbot bewähren. Das sieht vor, dass staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigen und damit den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Folge der Einstufung als rechtswidrige Begünstigung ist die Versagung und ggf. Rückforderung der Beihilfe.

Insbesondere durch die strikte Vorgehensweise der Europäischen Kommission gewinnt die Norm sowohl im deutschen Steuerrecht als auch in den übrigen Mitgliedstaaten zunehmend an Bedeutung. Das veranlasst zudem die nationalen Gerichte, steuerliche Regelungen vermehrt dem EuGH vorzulegen, um sie einer beihilfe­rechtlichen Würdigung zu unterziehen. Dabei herrscht trotz der beiden in 2018 abgeschlossenen Verfahren zur Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG und der Konzernklausel des § 6a GrEStG weiterhin Ungewissheit über die grundsätzliche beihilferechtliche Behandlung steuerlicher Begünstigungsregeln.


Prüfung der rechtswidrigen Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV

Im Mittelpunkt der beihilferechtlichen Beurteilung einer steuerlichen Maßnahme steht das Merkmal der Selektivität, d.h. der Begünstigung „bestimmter” Unternehmen oder Produktionszweige. Bei der Selektivitäts­prüfung gilt es festzustellen, ob die Maßnahme von der allgemeinen Steuerregelung abweicht und dem Begünstigten damit einen selektiven Vorteil gegenüber anderen Steuerpflichtigen verschafft. Der EuGH geht bei dieser Prüfung dreistufig vor:

  • In einem ersten Schritt wird die allgemeine Regelung, d.h. das Referenzsystem ermittelt.
  • Im zweiten Schritt ist zu analysieren, ob die zu beurteilende Steuerregelung vom Referenzsystem, d.h. der allgemeinen Regelung abweicht, indem sie eine unterschiedliche Behandlung von sich in vergleichbaren Situationen befindenden Steuerpflichtigen mit sich bringt.
  • Zuletzt wird untersucht, ob die Selektivität der Maßnahme durch die Natur oder den Aufbau des Steuersystems zu rechtfertigen ist.


Der sog. „Drei-Stufen-Test” stößt insbesondere wegen des oftmals schwer festzulegenden Referenzrahmens auf Kritik, hat jedoch in der Entscheidung des EuGH vom 19. Dezember. 2018 (Az. C-374/171) zur Konzern­klausel des § 6a GrEStG erneut Bestätigung gefunden. Die weiteren Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV sind bei der Beurteilung steuerlicher Maßnahmen regelmäßig von untergeordneter Bedeutung, zumal die steuer­liche Entlastung dem begünstigten Unternehmen stets einen Kostenvorteil verschafft, der den Wettbe­werb verfälscht.


EuGH-Beihilfeverfahren im deutschen Steuerrecht

In den letzten Jahren war das deutsche Steuerrecht in der unionsrechtlichen Beihilfethematik insbesondere von zwei EuGH-Entscheidungen geprägt: der Entscheidung zum Kommissionsbeschluss hinsichtlich der Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG und der Entscheidung zur Vorlagefrage des BFH bezüglich des Beihilfecharakters des § 6a GrEStG. In beiden Verfahren hat der EuGH eine unionsrechtswidrige Beihilfe verneint.

Im Fall der Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG hat der EuGH bereits auf der ersten Stufe eine unions­rechtswidrige Beihilfe verneint. Nach seiner Auffassung hatte die EU-Kommission ein falsches Referenzsystem zugrunde gelegt, da der Verlustuntergang bei einem Anteilseignerwechsel nicht die Regel, sondern die Aus­nahme darstellt. Die Sanierungsklausel stellt lediglich die Normalbesteuerung wieder her und ist damit entgegen der Ansicht der EU-Kommission nicht als rechtswidrige Beihilfe einzuordnen. Im Ergebnis ist damit die im Jahr 2011 für nichtig erklärte Regelung ab dem Veranlagungszeitraum 2008 rückwirkend wieder anzuwenden.

Im Gegensatz zur Sanierungsklausel hat der EuGH im Fall der beihilferechtlichen Prüfung des § 6a GrEStG eine Beihilfe hingegen erst auf der dritten Stufe der Selektivitätsprüfung negiert. Im Ergebnis bestätigt der EuGH eine Abweichung der in § 6a GrEStG etablierten Konzernklausel von der Normalbesteuerung und sieht darin eine unionsrechtswidrige Beihilfe. Aus seiner Sicht lässt sich aber die selektive Nichterhebung von Grunder­werbsteuer bei Konzernumstrukturierungen (§ 6a GrEStG) mit der Vermeidung von Doppelbesteuerungen rechtfertigen. Das Urteil ist aufgrund der erstmaligen Anerkennung eines Rechtfertigungsgrundes bei einer nationalen deutschen steuerlichen Regelung von grundlegender Bedeutung für die Rechtfertigung weiterer steuerlicher Begünstigungsmaßnahmen.

Die strikte Vorgehensweise der EU-Kommission im Kampf gegen unionsrechtswidrige nationale Steuerrege­lungen sorgt in Bezug auf eine Vielzahl weiterer deutscher Begünstigungsnormen für beihilferechtliche Bedenken. So werden bspw. die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Verschonungsregelungen der §§ 13a, 13b ErbStG für Unternehmensvermögen unter dem Aspekt des Beihilferechts diskutiert. Im Vorfeld der Einführung des § 3a EStG, der eine Freistellung von Sanierungsgewinnen vorsieht, hat der Gesetzgeber ein Notifizierungsverfahren (= Genehmigungsverfahren der EU-Kommission für geplante beihilferechtliche Maßnahmen) eingeleitet. Die EU-Kommission hat die Maßnahme per „Comfort Letter” als sog. „ Altbeihilfe” eingestuft und damit der Verabschiedung des § 3a EStG ihre Zustimmung erteilt.


Tax Rulings und Verrechnungspreise im Lichte des Beihilferechts

Bereits in den Jahren 2015 und 2016 warf die EU-Kommission eine neue beihilferechtliche Diskussion um die sog. „Tax Rulings” von Steuerbehörden auf, die das EuG durch seine Urteile im Jahr 2019 schließlich weiter ins Rollen brachte. Im Ausgangspunkt hat die EU-Kommission hierbei geprüft, ob die nationalen Finanzver­waltungen von Belgien, den Niederlanden und Luxemburg durch ihre Steuervorbescheide multinationalen Konzernen eine Beihilfe gewährt haben, indem sie bestimmte Verrechnungspreise billigten, die nicht markt­üblich sind. Die EU-Kommission hat daraufhin jeweils ein Beihilfeverfahren gegen die Rechtssachen in Belgien (Az. T-131/16 und T-263/16 in der Sache Magnetrol), in den Niederlanden (Az. T-760/15 und T-636/16 in der Sache Starbucks) und Luxemburg (Az. T-755/15 und 759/15 in der Sache Fiat Chrysler Finance Europe) eröffnet, weil sie die Auffassung vertritt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz den Maßstab der Verrechnungs­preisberechnung bilden müsse, da andernfalls eine Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen im Sinne des Beihilfeverbots vorliegen würde. Entsprechen die zwischen Konzernunternehmen vereinbarten Preise nicht dem Fremdvergleich, könne demnach ein selektiver Vorteil für die Unternehmen begründet werden.

Das EuG hat in den Rechtssachen Magnetrol in Belgien und Starbucks in den Niederlanden zugunsten der betroffenen Mitgliedstaaten und der Steuerpflichtigen entschieden und eine unionsrechtswidrige Beihilfe verneint. Im belgischen Sachverhalt hat sich das EuG aber inhaltlich nicht mit der streitgegenständlichen belgischen Steuermaßnahme („Profit Excess Tax Exemption ”) auseinandergesetzt und nahm weder zum Beihilfecharakter noch zu der zutreffenden Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes Stellung. Vielmehr kritisierte das EuG, dass die EU-Kommission die Feststellung einer EU-rechtswidrigen Beihilfe durch die Erteilung von Tax Rulings nicht allein auf eine stichprobenhafte Auswertung einzelner Tax Rulings stützen dürfe. Es bedarf einer methodischen Begründung, warum die ausgewerteten Tax Rulings geeignet sind, die systematische Gewährung selektiver Steuervorteile nachzuweisen. Die EU-Kommission hat darauf mit der Ankündigung von Einzelprüfverfahren der Steuervorbescheide gegenüber einer Vielzahl an multinationalen Konzernen reagiert, die die „Profit Excess Tax Exemption” gewährt bekommen haben. Zudem hat sie Rechts­mittel gegenüber den nicht durch das EuG entschiedenen Punkten eingelegt, sodass das Verfahren beim EuGH anhängig ist (Az. C-337/19 P).

Bei den Rechtssachen Starbucks in den Niederlanden und Fiat Chrysler Finance Europe in Luxemburg nahm das EuG zum Fremdvergleichsgrundsatz und der Überprüfung der konzernintern angewendeten Verrechnungs­preismethoden Stellung. Aus seiner Sicht ist in beiden Rechtssachen der Fremdvergleichsgrundsatz ein geeignetes und zulässiges Instrument im Kontext der Beihilfeaufsicht der EU-Kommission. Zugleich räumt er den Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten aber auch einen Einschätzungsspielraum bei der Angemessen­heitsprüfung von Verrechnungspreisen ein. In der Rechtssache in den Niederlanden konnte nach Auffassung des EuG die EU-Kommission die Gewährung eines selektiven Vorteils bei Anerkennung der Verrechnungspreise im Steuervorbescheid nicht nachweisen. Selbst gewisse Abweichungen von den anzuwendenden Ver­rech­nungs­­preismethoden würden nicht per se auf das Vorliegen eines selektiven Vorteils im Sinne des Beihilfe­rechts schließen lassen, sodass das EuG zugunsten der Niederlande und des Steuerpflichtigen entschieden hat. Die EU-Kommission hat auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet.

Demgegenüber hat das EuG in der Rechtssache Fiat Chrysler Finance Europe in Luxemburg (T-755/15 und 759/15) zu Lasten des Mitgliedstaats und des Steuerpflichtigen entschieden. Das EuG stimmte der Auffassung der EU-Kommission zu, dass die von der luxemburgischen Finanzverwaltung ermittelte Kapitalrendite für konzerninterne Finanzierungstätigkeiten nicht fremdüblich ist. Die Rechtssache ist beim EuGH anhängig (C-885/19 P und C-898/19 P).


Rückforderung einer unionsrechtswidrig gewährten steuerlichen Beihilfe

Hat die EU-Kommission entschieden, dass eine unionsrechtswidrige Beihilfe vorliegt, hat der betroffene Mitgliedstaat alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Beihilfe vom begünstigten Unternehmen zurückzufordern. Die Rückforderung umfasst die Beihilfe in voller Höhe einschließlich Zinsen, ab dem Zeitpunkt, ab dem die rechtswidrige Beihilfe dem begünstigten Unternehmen zur Verfügung steht, bis zu ihrer tatsächlichen Rückzahlung. Die Rückforderung muss innerhalb von vier Monaten nach Inkrafttreten der Entscheidung der EU-Kommission durchgesetzt werden.

Die Rückforderung hat dabei unverzüglich und nach den Verfahren des betroffenen Mitgliedstaates zu erfol­gen, sofern dadurch die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kommissionsentscheidung ermöglicht wird. Die Anwendung des nationalen Verfahrensrechts darf weder die Tragweite noch die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen. Im Ergebnis bedeutet das für eine unionsrechtswidrig gewährte steuerliche Beihilfe, dass die Rückforderung der zu Unrecht gewährten steuerlichen Beihilfe wegen des Vorrangs des Unionsrechts grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Bestandskraft der betroffenen Steuerbescheide oder bereits eingetretener Festsetzungsverjährung durchzusetzen ist. Ein Gleiches gilt für die nationalen Grundsätze der Bestandskraft oder des Vertrauensschutzes. Nach Artikel 17 Absatz 1 VerfVO gilt jedoch eine absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren.
 
Da beihilferechtliche Entscheidungen der EU-Kommission nicht unmittelbar gegenüber den begünstigten Unternehmen ergehen, ergibt sich für sie regelmäßig nur bei unmittelbarer und individueller Betroffenheit eine Klagebefugnis. Von einer unmittelbaren Betroffenheit ist wohl auszugehen, da die Mitgliedstaaten den selektiven Vorteil zurückfordern müssen. Eine individuelle Betroffenheit sollte nur dann gegeben sein, wenn das Unternehmen bereits im Zeitpunkt der Rückforderungsentscheidung der EU-Kommission von dem steuerlichen Vorteil profitiert hat. Neben der Klage könnte das Unternehmen gleichfalls einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung stellen. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, bliebe nur eine Nichtigkeitsklage des betroffenen Mitgliedstaats beim EuG.


Fazit

Das Beihilferecht ist im Ergebnis dahingehend zu befürworten, weil es dem schädlichen Steuerwettbewerb in der EU vorbeugt. Es bleibt aber weiterhin ein Unsicherheitsfaktor in der Steuerplanung des Steuerpflichtigen, auch wenn einige der letzten Entscheidungen des EuG(H) zum Beihilferecht für den Steuerpflichtigen positiv entschieden worden sind. Es bleibt auch deshalb ein Risikofaktor, weil derzeit mitunter diskutiert wird, ob belastende Regelungen (z.B. das neue österreichische Digitalsteuergesetz) nicht auch eine unions­rechts­widrige Beihilfe für die Unternehmen bedeuten könnten, die von den belastenden Regelungen ausgenommen sind (z.B. weil bestimmte Schwellenwerte bei der Digitalsteuer nicht erreicht werden und solche Unternehmen von öffentlichen Lasten befreit wären). Es wäre deshalb wünschenswert, wenn die Rechtssicherheit für Unterneh­men gewahrt werden könnte und eine rechtzeitige Klärung der Vereinbarkeit des Steuerrechts mit dem Beihilferecht erfolgen würde.

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