EU-Chemikalienstrategie: Was Chemikalien- und Produkthersteller jetzt wissen müssen

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 13. Februar 2025 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Die EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit aus 2020 setzt neue Maßstäbe: Verstärkte Regulierungen zielen darauf ab, die Verwendung „schädlicher und schädlichster Chemikalien” in Verbraucherprodukten zu minimieren und stärker zu kontrollieren. Für Chemikalien- und Produkthersteller bedeutet dies, dass sie sich mit den sich ändernden Produktanforderungen sowohl im allgemeinen Chemikalienrecht als auch in den produktspezifischen Regulierungen auseinandersetzen müssen. Das Ziel: Minimierung der gesundheitlichen und ökologischen Risiken durch den Einsatz sicherer und nachhaltiger Substanzen. Verstehen Sie die Details, um Ihre Compliance sicherzustellen!



​​EU-Chemikalienstrategie: Wesentliche Änderungen für Hersteller​​

Die „EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“ („CSS“) soll den Einsatz schädlicher Chemikalien minimieren und gleichzeitig die Entwicklung sowie Nutzung  sicherer und nachhaltiger Chemikalien und Produkte fördern. Dies führt zu Änderungen und Verschärfungen in der REACH- & CLP-Verordnung. Betroffen sind darüber hinaus die Vorschriften für eine Vielzahl von Produkten, darunter Lebensmittelverpackungen, Spielzeug, Kosmetika, Reinigungsmittel und Elektronikgeräte.

 

Konzept der wesentlichen Verwendung

Chemikalien- und Produkthersteller müssen sich auf neue Wesentlichkeitskriterien bei der Sicherheits-beurteilung bzw. Risikobewertung einstellen. Insbesondere wird der Einsatz schädlichster Chemikalien in Verbraucherprodukten schrittweise reduziert. Eine Ausnahme für die Weiterverwendung solcher Chemikalien besteht nur, wenn diese als “wesentlich” gelten. Dies ist der Fall, wenn die Chemikalie für Gesundheit oder Sicherheit erforderlich ist oder eine kritische Rolle für das Funktionieren der Gesellschaft spielt. Außerdem darf keine tragbare, technisch und wirtschaftlich realisierbare Alternative zur Verfügung stehen.

 

Zur wesentlichen Verwendung und damit zur zulässigen Weiterverwendung zählen beispielsweise die Eindäm​­mung gesundheitlicher Notlagen durch Hygiene- und Reinigungsmittel, der Schutz kritischer Infrastruktur durch Brandschutzmittel und persönliche Schutzausrüstung oder auch der Schutz der biologischen Vielfalt durch den Einsatz von Bekämpfungsmitteln gegen invasive Arten. Darüber hinaus obliegen den Herstellern im Fall der Weiterverwendung wichtige Pflichten: Sie müssen eigenständig und fortlaufend prüfen, ob es trag­fähige Alternativen zu den aktuellen Stoffen gibt, was durch detaillierte Substitutionspläne und eine effektive Marktüberwachung unterstützt wird.

 

Konzept „Ein Stoff, eine Bewertung“

Das Konzept „Ein Stoff, eine Bewertung“ zielt darauf ab, eine transparente, einheitliche und kohärente Stoff-sicherheitsbeurteilung sowie Risikobewertung für Chemikalien durch verschiedene EU-Fachagenturen sicherstellen. Im Rahmen dieser Initiative wird die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) zunehmend in die Bewertungsprozesse der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bei Lebensmitteln und Lebensmittelverpackungen einbezogen. Ebenso ist eine verstärkte Beteiligung der ECHA bei den Bewertungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) vorgesehen.

 

Dadurch ergeben sich für Produkthersteller signifikante Änderungen in den Zuständigkeiten. Beispielsweise verlagert sich die Zuständigkeit für Ausnahmeanträge gefährlicher Stoffe in Elektrogeräten von der Europä­i­schen Kommission zur Europäischen Chemikalienagentur (ECHA). Zusätzlich entstehen bei der ECHA neue Möglichkeiten, Ausnahmegenehmigungen für die Verwendung von ansonsten verbotenen Stoffen in Spiel-zeugen zu beantragen.

 

Die EU-Chemikalienstrategie zielt neben der Minimierung des Einsatzes schädlicher Chemikalien und der Verbesserung der Stoffsicherheitsbeurteilung auch auf weitere wichtige Ziele ab, die durch eine Reihe von spezifischen Maßnahmen unterstützt werden.

 

Neue Ansätze in REACH und CLP zur Erfassung kritischer Chemikalien

Einer der ersten Schritte in dieser umfassenden Agenda ist die neue Herangehensweise in REACH und CLP zur Erfassung kritischer Chemikalien. Die schädlichsten Chemikalien, darunter hormonändernde (endokrine), persistente, bioakkumulierende, toxische und/oder mobile Stoffe (PBT/ vPvB und PMT/vPvM), werden durch das Verzeichnis besonders besorgniserregender Stoffe in REACH und die Gefahrenklassen der CLP-Verordnung systematisch und strukturierter erfasst.

 

Einführung der EU-Chemikalien-Datenbank

Zur Förderung eines durchgängigen Chemikalienmanagements über den gesamten Lebenszyklus hinweg soll ferner eine „EU-Chemikalien-Datenbank“  eingeführt werden. Diese Neuerung könnte für Unternehmen eine bedeutende Erweiterung der bestehenden REACH-Registrierungs- und Informationspflichten darstellen. Insbesondere könnten zusätzliche Anforderungen für Kunststoff-Polymere, Gefahrstoffe in Mengen bis zu 10 Tonnen sowie für den „ökologischen Fußabdruck“ von Chemikalien hinzukommen. Gleichzeitig wird die Datenbank den Zugang zu Stoffinformationen für nachgelagerte Akteure, wie Produkthersteller, Recycling- und Abfallunternehmen, erheblich erleichtern, indem sie umfassende Daten über Chemikalien in einer zentralen Plattform zur Verfügung stellt.

 

Förderung schadstofffreier Werkstoffkreisläufe

​Die Strategie „Schadstofffreie Werkstoffkreisläufe“ zielt darauf ab, die Entfernung schädlicher Chemikalien technisch zu ermöglichen und die Nutzung von Rezyklaten zu priorisieren. Die Schadstoffgrenzwerte für Rezyklate werden daher den Grenzwerten von Primärmaterialien angeglichen, was bereits in der neuen Verpackungsverordnung (EU) 2025/40 (PPWR) für Schwermetalle in Verpackungsmaterialien aus Rezyklaten berücksichtigt ist.

 

Null-Toleranz-Ansatz gegen illegale Chemikalien

Schließlich richtet sich der Fokus auf den „Null-Toleranz-Ansatz”, der eine verstärkte Marktüberwachung vorsieht, insbesondere in Bezug auf illegale Chemikalien bei Produktimporten aus Nicht-EU-Staaten. Diesbezüglich strebt die EU eine umfassende Strategie in den Bereichen ​Handels-,​ Zoll- und Produktsicher-heitsstrategie an, die sich besonders auf Direktimporte über Online-Plattformen aus China konzentriert.  

 

Erhöhte Anforderungen für Verbraucherprodukte unter der neuen EU-Chemikalienstrategie

Die EU-Chemikalienstrategie implementiert ein „allgemeines Präventivkonzept für das Risikomanagement”, das insbesondere bei Verbraucherprodukten zur Anwendung kommt.  Dieses Konzept sieht generell ein Verbot von schädlichen Chemikalien vor, mit nur begrenzten und streng regulierten Ausnahmen. Diese Neuerung stellt eine wesentliche Abkehr vom bisherigen risikobasierten Ansatz dar, welcher die Erfahrungen professioneller Anwender und die tatsächliche Exposition gegenüber Chemikalien in die Bewertung einbezog. Diese Änderung stieß bei Unternehmensverbänden auf erhebliche Kritik.

 

Reduktion und Beschränkung von Chemikalien mit „gefährlichen Eigenschaften“

Verbraucherprodukte sollen generell keine Chemikalien mehr enthalten, die als karzinogen, mutagen, endokrin wirkend oder persistent, bioakkumulierbar und/oder toxisch eingestuft sind. Dies schließt auch die sogenannten „Ewigkeitschemikalien” oder PFAS mit ein. Ab Oktober 2026 wird der Einsatz spezifischer PFAS in bestimmten Verbraucherprodukten, darunter Lebensmittelverpackungen aus Papier und Karton, Kosmetika und Textilien, schrittweise verboten.

 

Neue Informationspflichten über „besorgniserregende Stoffe“

Die neue Ökodesign-Rahmenverordnung (EU) 2024/1781 schreibt vor, dass Informationen über besorgnis​­er­re­gende Stoffe in Verbraucherprodukten (ausgenommen u.a. Lebensmittel, Arzneimittel und Fahrzeuge) trans­parent gemacht werden müssen. Diese Informationen müssen von Produktherstellern, -importeuren, oder -händlern im „digitalen Produktpass“ hinterlegt werden. Die Verordnung wird ab 2025 um detaillierte Nach­hal­tigkeits­​regelungen für Produkte wie z.B. Textilien, Möbel, Waschmittel und Elektronikgeräte erweitert, welche voraussichtlich zusätzliche Verpflichtungen für Unternehmen nach sich ziehen werden.

 

Kombinationseffekte von Chemikalien in Verbraucherprodukten

Chemikalien- und Produkthersteller müssen sich verstärkt mit den sogenannten „Kombinationseffekten” auseinandersetzen. Diese beschreiben die kumulativen negativen Auswirkungen einer Mischung aus teils alltäglichen Chemikalien, die aus unterschiedlichen Quellen stammen, auf die Gesundheit und die Umwelt. In behördlichen Stoffbeurteilungen und Risikobewertungen rücken diese Effekte zunehmend in den Vordergrund: ​

  • Der aktuelle Vorschlag zur Spielzeug-Verordnung aus Juli 2023 fordert bereits explizit die Berücksichtigung des „kombinierten oder kumulativen Vorhandenseins von Chemikalien“ im Rahmen der behördlichen Sicherheitsbewertung.
  • Die Kosmetik-Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 verlangt, dass die „voraussichtliche systemische Belastung durch einzelne Inhaltsstoffe in einer endgültigen Zusammensetzungberücksichtigt werden.
  • Hinsichtlich Lebensmittelzusatzstoffen und -verpackungen sind hingegen bislang keine konkreten Änderungsplanungen zur Erfassung von Kombinationseffekten erkennbar.
  • Auch im Vorschlag zur neuen Detergenzien-Verordnung aus April 2023 ist bislang keine Erfassung des Kombinationseffekts vorgesehen.

 

Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass, während einige Produktkategorien die Berücksichtigung von Kombinationseffekten bereits erfolgreich implementiert haben, bei anderen weiterhin die Frage besteht, warum eine entsprechende Anpassung noch aussteht.

 

Fazit

Seit ihrer Einführung im Jahr 2020 hat die EU-Chemikalienstrategie strengere regulatorische Anforderungen etabliert, die ein verstärktes Bewusstsein für sichere, nachhaltige und schadstofffreie Chemikalien und Materialien, besonders bei Verbraucherprodukten, erfordern. Obwohl die Umsetzung dieser Anforderungen bislang schleppend vorangeht, sind weitreichende Änderungen im Chemikalien- und Verbrauchsgüterrecht unausweichlich. Unternehmen sind daher dringend dazu aufgerufen, sich frühzeitig auf diese Entwicklungen einzustellen, um Compliance proaktiv zu gewährleisten und möglichen regulatorischen Sanktionen zuvorzukommen. Dank unseres multidisziplinären Ansatzes bei Rödl & Partner, der juristische Expertise im Produktrecht und Nachhaltigkeit mit naturwissenschaftlichem Know-how vereint, führen wir Unternehmen sicher durch die komplexen produktspezifischen ​Anforderungen.​​​​​​

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