Die Goodwill-Bilanzierungspraxis deutscher Unternehmen: Eine empirische Analyse

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zuletzt aktualisiert am 4. September 2019 | Lesedauer ca. 4 Minuten
 

Die Goodwill-Bestände von deutschen kapitalmarktorientierten Unternehmen steigen seit Einführung des Impairment-Only-Approaches im Jahr 2004 stetig an. Kritiker warnen in Anbetracht der teilweise sehr hohen Goodwill-Bestände in den Bilanzen bereits vor einer „Goodwill-Blase”. Prof. Dr. Edgar Ernst, Präsident der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), erachtet es bspw. problematisch, „dass sich der Wertverlust, der sich im Laufe der Zeit beim Goodwill genauso einstellt wie bei Autos oder Büromöbeln, nicht in der Bilanz wiederfindet” (Interview im manager magazin, Ausgabe April 2019).
 

  
Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit1 beleuchtete Nadine Grandel mittels einer empirischen Analyse ausführlich die Goodwill-Bilanzierungspraxis deutscher börsennotierter Unternehmen des DAX, MDAX und SDAX in den Jahren 2006 bis 2016 und leitete daraus Handlungsempfehlungen für die Erst- und Folgebilanzierung, nicht nur von nach IFRS-bilanzierenden Unternehmen, ab.
 

 

Auftürmung des Goodwill durch zahlreiche Akquisitionen und geringe Abschreibungen

Von den insgesamt 130 untersuchten Unternehmen weisen im Jahr 2016 insgesamt 92 Prozent Goodwill-Bestände in ihren IFRS-Konzernabschlüssen aus. Die gesamten Goodwill-Bestände der im DAX, MDAX und SDAX notierten Unternehmen sind von 2006 bis 2016 von rd. 175 Mrd. auf rd. 338 Mrd. Euro gestiegen, was einem Wachstum von 94 Prozent entspricht (Details siehe Grafik).
 
 
 
Als Ursache sind im Kontext der positiven konjunkturellen Entwicklung der Wirtschaft in Deutschland nach der Überwindung der Finanzkrise 2008/2009 die zahlreichen Transaktionen aufzuführen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben. Die Analyse der durchgeführten Goodwill-Abschreibungen in den Jahren 2006 bis 2016 zeigt aber auch, dass jährlich im Durchschnitt lediglich rd. zwei Prozent der Goodwill-Bestände abgeschrieben wurden, was einer hypothetischen Nutzungsdauer von durchschnittlich rund 50 Jahren entspricht.
 
Die hypothetische Nutzungsdauer liegt signifikant über der in HGB-Abschlüssen zugrunde gelegten Nutzungsdauer, die i.d.R. zwischen 5 bis 15 Jahren liegt. Dort ist der Geschäfts- oder Firmenwert über dessen voraussichtliche Nutzungsdauer und in Zweifelsfällen über zehn Jahre planmäßig abzuschreiben.
 
Die Detailauswertung der durchgeführten Abschreibungen ergibt zudem, dass sich das gesamte Abschreibungsvolumen eines Jahres meist auf eine sehr kleine Anzahl von Unternehmen beschränkte, die einen vergleichsweise hohen Anteil ihres Goodwill-Bestands abgeschrieben haben. Exemplarisch hierfür kann das Jahr 2015 herangezogen werden, in dem die Uniper SE 94 Prozent, die E.ON SE 75 Prozent und die Deutsche Bank AG 52 Prozent ihrer Goodwill-Bestände abgeschrieben haben.
 
Diese Abschreibungspraxis kann auf Strategien der bewusst opportunistischen Nutzung von Ermessens­spielräumen im Rahmen des jährlichen Goodwill Impairment Tests hindeuten, die in der Literatur mit „Big Bath Accounting” und „Clear the Decks” beschrieben werden. Das ist insbesondere auf zwei Effekte zurückzuführen: Zum einen könnten Unternehmen versuchen, Goodwill-Abschreibungen (zu) lange hinauszuzögern bzw. ganz zu vermeiden, um dann doch abschreiben zu müssen oder aber bewusst in Perioden mit ohnehin schlechten Ergebnissen abzuschreiben. Zum anderen zeigen sich in der empirischen Analyse Beispiele für die in der Literatur beschriebene Strategie, dass größere Goodwill-Abschreibungen insbesondere zum Amtsantritt eines neuen Vorstands durchgeführt werden. Das könnte einerseits deshalb erfolgen, um das Unternehmen von etwaigen „Altlasten” zu befreien oder andererseits, um somit das Risiko von Goodwill-Abschreibungen für künftige Perioden zu minimieren.
 

Einige Branchen weisen eine bedenkliche Relation von Goodwill zu Eigenkapital aus

Wie bereits in der Grafik zur Entwicklung der Goodwill-Bestände dargestellt, kam es in der Gesamtbetrachtung über alle untersuchten Unternehmen hinweg zu einer vergleichsweisen starken Erhöhung der absoluten Goodwill-Bestände. In Relation zur kumulierten Bilanzsumme stieg der Anteil der Goodwill-Bestände aller Unternehmen von drei Prozent in 2006 auf fünf Prozent in 2016 allerdings nur geringfügig an. Auch die Relation der Goodwill-Bestände zum kumulierten Eigenkapital sind nur relativ leicht von 32 Prozent in 2006 auf 36 Prozent in 2016 angewachsen.
 
Die Gruppierung der untersuchten Unternehmen in einzelne Branchen zeigt jedoch, dass sich die Relevanz von Goodwill-Beständen zwischen den Branchen sehr stark unterscheidet und im Betrachtungszeitraum teilweise erhebliche Veränderungen stattfanden (Details siehe Grafik).
 

 

Insbesondere in den Branchen „IT & Medien” sowie „Versorgungsunternehmen” hat sich der Anteil der Goodwill- Bestände im Vergleich zum bilanziellen Eigenkapital von 2006 auf 2016 deutlich erhöht. Während Unternehmen wie die ProSiebenSat1 Media SE und die SAP SE ihren Goodwill durch zahlreiche Akquisitionen vermehrt haben, ist der Anteil der Goodwill-Bestände in Relation zum Eigenkapital bei einigen Energieversorgungsunternehmen aufgrund einer Verminderung des Eigenkapitals stark angestiegen. So hatte die E.ON 2016 insbesondere aufgrund der Ausgliederung von Uniper und damit zusammenhängenden Sonderabschreibungen einen Rekordverlust von EUR 16 Milliarden zu verzeichnen. Mit 79 Prozent des bilanziellen Eigenkapitals weisen die kumulierten Goodwill- Bestände der Unternehmen der Branche „Versorgungsunternehmen” den höchsten Anteil im Jahr 2016 aus.
 
Eine nähere Betrachtung zeigt zudem, dass im Jahr 2006 bereits bei 5 Prozent der untersuchten Unter-nehmen die Höhe der Goodwill-Bestände das bilanzielle Eigenkapital sogar überstieg. Der Anteil erhöhte sich bis zum Jahr 2016 auf insgesamt zehn Prozent der analysierten Unternehmen.
 
Das ist durchaus kritisch zu betrachten, da im Fall einer konjunkturellen Trübung oder Krise eine vollständige Abschreibung des Goodwill das Eigenkapital aufzehren kann und die übrigen Aktiva nicht ausreichen, eine Überschuldung zu verhindern. Aber auch eine teilweise Wertberichtigung des Goodwill kann in Zeiten eines Rückgangs der operativen Ergebnisse zu einer kritischen Situation für die betroffenen Unternehmen führen.
 
Finanzanalysten und Banken ziehen zudem im Rahmen ihrer Bilanzanalyse um Goodwill-Bestände bereinigte Eigenkapitalquoten heran. Somit kann ein hoher Goodwill-Bestand in Relation zum Buchwert des Eigenkapitals eine direkte Auswirkung auf das Rating eines Unternehmens und dadurch indirekt auf dessen Kreditfähigkeit haben. Das IASB diskutiert derzeit potenzielle Regeländerungen beim Goodwill Impairment Test in einem Forschungsprojekt (vgl. hierzu den Beitrag „Goodwill Impairment Test: Regeländerungen voraus”. Dabei liegt auch der Vorschlag auf dem Tisch, künftig eine Zwischensumme von Goodwill im Eigenkapital einzuziehen, sodass die Auswirkung des Goodwill auf den Abschluss auf einen Blick ersichtlich wird.
 

Wie sollte eine vernünftige Goodwill-Bilanzierung aussehen?

Angesichts der Ergebnisse der empirischen Analyse sowie der gegenwärtig getrübten Konjunkturaussichten ist davon auszugehen, dass die Goodwill-Bilanzierungspraxis künftig noch stärker in den Fokus der Jahresabschlussprüfung sowie von DPR-Prüfverfahren rückt. Darüber hinaus lassen sich folgende Empfehlungen für die Erst- und Folgebilanzierung des Goodwill ableiten:
  • Bereits bei der Erstbilanzierung von Unternehmensakquisitionen sollte kein zu hoher Bestandteil des Kaufpreises auf Goodwill allokiert werden. Die Allokation auf immaterielle Vermögenswerte führt i.d.R. dazu, dass die gehobenen stillen Reserven im Vergleich zum Goodwill über eine begrenzte Nutzungsdauer abgeschrieben werden und bilanzielle Risiken minimiert werden.
  • Auch wenn nach HGB bilanzierende Unternehmen nicht von einer „Goodwill-Blase” bedroht sind, sollte keine zu lange Nutzungsdauer für den Goodwill angesetzt werden, um das Risiko einer außerplanmäßigen Wertberichtigung des Goodwill möglichst gering zu halten.
  • Um keine Bugwelle an Risiken vor sich herzuschieben, sollte eine Bilanzierungspolitik nach dem „Big Bath Accounting” vermieden werden und eine Goodwill-Abschreibung dann vorgenommen werden, wenn die Ursache dafür entstanden ist. Eine Verschiebung führt häufig zu noch größeren Problemen und kann bei Zusammentreffen mit konjunkturellen Einbrüchen einen prozyklischen Effekt erzeugen, während zeitlich verteilte, kleinere Abschreibungen weniger negative Implikationen befürchten lassen.

 
1 „Auswirkungen der Goodwill-Bilanzierungspraxis nach IFRS auf Bilanzstruktur und Finanzkennzahlen – Eine branchenspezifische Analyse börsennotierter Unternehmen in Deutschland” (2018); wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science im Studiengang International Accounting, Controlling und Taxation an der ESB Business School Reutlingen 

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