Vorvertragliche Haftung in China – Vorsicht bei LoI und MoU

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veröffentlicht am 8. Dezember 2022 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Auch vor dem Ausbruch der Covid-Pandemie, aber insbesondere in Zeiten der Covid-Pandemie, in denen persönliche Begegnungen und Verhandlungen mit potenziellen Geschäftspartnern mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden oder kaum möglich sind, erlangen sogenannte Letters of Intent (LoI) oder Memoranda of Understanding (MoU) eine noch größere Bedeutung. Viele potenzielle Geschäftspartner in China wünschen eine Unterzeichnung solcher Dokumente. Hierbei bleibt jedoch häufig unklar, welche rechtlichen Wirkungen ein LoI oder MoU haben kann, wenn es nicht zum Abschluss des geplanten Geschäfts kommt, beispielsweise die Gründung eines Joint Ventures, die Beauftragung eines Unternehmens mit der Produktion oder die Vergabe eines Vertriebsrechtes. In der Regel werden solche Dokumente auf deutscher oder europäischer Seite meist als reine „Absichtserklärungen“ ohne rechtliche Bindungswirkung verstanden.



Aber wie ist die Rechtslage in China?

Gemeinhin unterliegen LoI oder MoU mit chinesischen Interessenten dem chinesischen Recht. An dieser Stelle lohnt sich daher ein rechtsvergleichender Blick auf entsprechende zivilrechtliche Regelungen des deutschen Rechts und des chinesischen Rechts.
 
Das deutsche Recht kennt das sog. „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ (culpa in contrahendo – cic; vg. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB). Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass durch eine Vertragsanbahnung oder einem diesem vergleichbaren geschäftlichen Kontakt ein Vertrauensverhältnis dergestalt entstehen kann, dass die Partner einander gegenüber zur Sorgfalt verpflichtet sind. Der Grund für die Haftung besteht in der „Gewährung von in Anspruch genommenen Vertrauen“. Die Verletzung einer Pflicht aus diesem Vertrauensverhältnis kann daher (bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen) zu einer Haftung des pflichtverletzenden Partners für einen der Gegenseite entstandenen Schaden führen. Es handelt sich um einen Schadensersatz für den Verlust, der dadurch entstanden ist, dass der geschädigte Partner vernünftigerweise auf das Verhalten der anderen Partei vertraut hat.  
 
Das chinesische Recht verfügt mit diesen deutschen Regelungen vergleichbare gesetzliche Bestimmungen in Artikel 500 des Zivilgesetzbuches (ZGB). Dieser lautet wie folgt (eigene Übersetzung):

 

  

„Die Partei, auf die im Zuge von Vertragsverhandlungen einer der folgenden Umstände zutrifft und der anderen Partei einen Schaden zufügt, haftet auf Schadensersatz:

(i) bösgläubiges Verhandeln unter dem Vorwand, einen Vertrag zu schließen;

(ii) das vorsätzliche Verschweigen einer wesentlichen Tatsache oder die Erteilung falscher Auskünfte in Bezug auf den Vertragsabschluss;

(iii) jedes andere Verhalten, das gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt.“

 

 

Die Alternativen 1 und 2 betreffen insbesondere Situationen, in denen eine Partei in der bösgläubigen Absicht handelt, die andere Partei zu hindern, einen geschäftlichen Vorteil zu erzielen, in dem die andere Partei beispielsweise auf eine eigene Umsetzung der Geschäftsidee oder auf Verhandlungen mit Dritten verzichtet. Alternative 3 stellt einen sehr weit gefassten Auffangtatbestand dar, der dem Gericht im Falle einer streitigen Auseinandersetzung einen weiten Ermessenspielraum einräumt.

 

Was bedeutet das für LoI und MoU?

Vereinbaren die Verhandlungspartner ein derartiges Dokument und das Hauptgeschäft kommt nicht zustande, können dennoch Verpflichtungen aus diesen Dokumenten erwachsen. Bereits ein Abbruch von Vertragsver­handlungen ohne Vorwarnung oder Angabe von Gründen kann tatbestandlich unter Artikel 500 ZGB fallen. Das Risiko hierfür steigt jedoch erheblich, wenn das Hauptgeschäft nicht zustande kommt, obwohl zuvor wesent­liche Bedingungen desselben in einem LoI oder MoU festgehalten wurden.
 
Zur Illustration soll nachfolgendes Beispiel dienen: Unternehmen X aus Deutschland beabsichtigt in China ein Unternehmen mit der Produktion von Vorprodukten zu beauftragen. Es nimmt daher Kontakt zu dem chine­sischen Unternehmen Y auf. Im Zuge der Verhandlungen wird über Laufzeit des Vertrages, technische Details und Qualität der Vorprodukte, ggf. Erteilung von Lizenzen, Stückzahlen, Lieferzeiten, Preise, Zahlungsbedin­gungen usw. verhandelt. Die Verhandlungspartner halten die wesentlichsten Punkte in einem MoU fest. Für Unternehmen Y überraschend teilt Unternehmen X diesem plötzlich mit, an einer Zusammenarbeit nicht mehr interessiert zu sein. Es stellt sich im Nachhinein heraus, dass Unternehmen X mit weiteren Wettbewerbern von Unternehmen Y verhandelt und sich aus verschiedenen Gründen für eine Zusammenarbeit mit Unternehmen Z entschieden hat. Unternehmen X hat diese Parallelverhandlungen mit Wettbewerbern gegenüber Unternehmen Y als auch den anderen Verhandlungspartnern nicht offengelegt. Ein solches Verhalten kann aus chinesischer Sicht einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen und damit die Voraussetzungen des Artikel 500 erfüllen, so dass eine Schadensersatzverpflichtung bestehen kann.

Welche Schäden können entstehen?

Bei dem oben genannten Beispiel können Unternehmen Y direkte als auch indirekte Schäden entstanden sein, wobei das Ausmaß eines möglichen Schadens sehr erheblich sein kann. Zu den direkten Schäden können beispielsweise die Kosten für die Verhandlungen einschließlich der Kosten für Berater zählen, die Kosten für Reisen, die Kosten für die Umstellung der Anlagen und der Produktion von Mustern. Indirekte Schäden können beispielsweise dadurch entstanden sein, dass Unternehmen Y Verhandlungen mit anderen möglichen Ge­schäfts­partnern abgebrochen hat (Verlust anderer Aufträge, Verlust auf Zugang zu anderen Märkten), Nicht­realisierung möglicher Kosteneinsparungen wegen Ausfalls des ursprünglich geplanten Technologie­transfers oder auch mögliche entgangene Gewinne. Ob und wenn ja, in welcher Höhe ein Gericht einen Schadenser­satzanspruch bejaht, ist natürlich vom Einzelfall abhängig. Grundsätzlich besteht jedoch ein Risiko, dass das ausländische Unternehmen zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt wird.

 

Kann die Geltung von Artikel 500 ZGB ausgeschlossen werden?

Wie bereits eingangs angesprochen gehen ausländische Unternehmen bei Vertragsverhandlungen mit mögli­chen Geschäftspartnern in China häufig davon aus, dass LoI oder MoU unverbindlich sind und daher keine Haftung begründet werden kann. Zudem wird häufig festgehalten, dass die Auslegung des Dokuments nicht dem chinesischen, sondern dem ausländischen Recht unterliegen soll. Hiergegen spricht jedoch, dass die Einhaltung des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht dem Willen der Verhandlungspartner unterliegt, sondern von Gesetzes wegen besteht. Zudem gilt der Grundsatz von Treu und Glauben insbesondere für das Verhalten der Parteien und weniger für deren schriftliche Vereinbarung. Ein chinesisches Gericht wird vorrangig das Verhalten der Parteien seiner Beurteilung, ob ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegt, zugrunde legen. Dementsprechend wird das Gericht auch einen möglichen Haftungsausschluss in einem solchen Dokument ignorieren. Zudem besteht bei einem solchen Haftungsausschluss auch das Risiko, dass das Gericht diesen als Teil eines Plans versteht, dem chinesischen Geschäftspartner böswillig zu schaden, z.B. indem dieser durch die Verhandlungen davon abgehalten wird, mit anderen Dritten über ähnlich gelagerte Geschäfte zu verhandeln.

 

Was empfiehlt sich für die Praxis?

Werden Verhandlungen in China begonnen, gilt der Grundsatz von Treu und Glauben mit den genannten möglichen Rechtsfolgen bei einer Verletzung desselben, falls kein Vertrag zwischen den Parteien zustande kommt. Dies sollte dem ausländischen Geschäftspartner bewusst sein. Kommt kein Vertrag zustande, sollten die Gründe hierfür daher sorgfältig dokumentiert werden.
 
In dem LoI oder MoU sollte daher explizit festgelegt werden, dass es sich um eine unverbindliche Interessens­bekundung handelt und auch die Vertragsverhandlungen keinen Anspruch auf einen Erfolg garantieren. Das sollte aber zum Beispiel auch dadurch untermauert werden, dass klargestellt wird, dass die Verhandlungen nicht exklusiv geführt werden, dass Vertragsverhandlungen ohne Angabe von Gründen abgebrochen werden können, ohne dass hieraus Ansprüche der Gegenseite entstehen, dass die Parteien die ihnen durch die Verhandlungen entstehenden Kosten (z.B. Reisekosten, Beratungskosten) selbst tragen oder mögliche Dispositionen im Zuge der Verhandlungen (z.B. Einsatz von Maschinen und Personal zur Produktion von Mustern) auf eigene Kosten und eigenes Risiko vornehmen.
 
Hängt die Entscheidung, ob es nach Verhandlungen zu einem Vertragsschluss kommt, von vorherigen Prüfun­gen ab, z.B. der Durchführung einer Due Diligence-Prüfung, sollten in einem LoI oder MoU diese Schritte und ein etwaiger Exit aus den Vertragsverhandlungen genau festgelegt werden. Hierbei sollten die Bedingungen der Verhandlungen einschließlich eines möglichen Abbruchs und die einzugehenden Verpflichtungen beider Seiten möglichst präzise festgehalten werden. Zudem sollte vor Vereinbarung eines LoI oder MoU eine Verschwiegenheitsvereinbarung abgeschlossen werden.
 
Im Zusammenhang mit LoI und MoU sollte zudem bedacht werden, dass es sich aus Sicht der chinesischen Unternehmen bereits um eine vertragliche Vereinbarung handelt und nachfolgende substanzielle Änderungen meist nicht gewollt sind bzw. auf Unverständnis stoßen können. Im Zuge der Formulierung solcher Dokumente sollte daher unmissverständlich klargestellt werden, dass diese nicht die endgültige Vereinbarung zwischen den Parteien darstellen, sondern diese endgültige Vereinbarung erst im Anschluss zwischen den Parteien abgeschlossen werden wird.

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