Eskalation der Bürokratie droht: Neue Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen

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veröffentlicht am 6. Dezember 2023 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Im Rahmen des Wachstumschancengesetzes hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) die Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag der Ampel wahr gemacht: In Deutschland wird nach der in der EU verpflichtenden Mitteilungspflicht für grenzüber­schreitende Steuergestaltungen (Directive on Administrative – DAC 6) nun auch rein national eine solche für innerstaatliche Steuergestaltungen eingeführt. Alle Appelle, angesichts der sehr mäßigen „Erfolge”" von DAC 6 und deren Relation zum riesigen Aufwand für Unternehmen und Intermediäre, aber auch für die Finanzverwaltung auf eine weitere Belastung der Wirtschaft zu verzichten, wurden nicht gehört. So werden in Zukunft Berater, andere Intermediäre und alle Steuerpflichtigen mit dieser neuen Meldepflicht rechnen müssen.



Die Neuregelungen finden sich in

  • §§ 138l neu Abgabenordung – AO (Meldepflicht, Definition innerstaatliche Steuergestaltung, Kennzeichen, Definition Nutzer, Einschränkung der Meldepflicht auf bestimmte nutzer- oder gestaltungsbezogene Merkmale)
  • § 138m neu AO (Vorrangige Meldepflicht Intermediär, Meldepflicht Nutzer, Übergang Meldepflicht bei Verschwiegenheitsverpflichtung, Informationspflichten)
  • § 138n neu AO (Meldeverfahren, Frist, Inhalt Datensatz, DE-Registrier- und Offenlegungsnummer, Be­sonder­hei­ten marktfähige Gestaltungen)


Innerstaatliche Meldepflicht – Zwilling zu DAC 6

Zu begrüßen ist, dass die innerstaatliche Meldepflicht nah an die DAC 6-Umsetzung in Deutschland angelehnt ist. Die auch im FDP-geführten BMF ungeliebte innerstaatliche Mitteilungspflicht erscheint praktisch als Zwilling zu den grenzüberschreitenden Meldepflichten. Identisch geregelt sind:

  • Definition der Steuergestaltung, des steuerlichen Vorteils (im Inland erforderlich), Einführung eines Main-Benefit-Tests und dessen Definition; Öffnungsklausel für White List bzgl. unschädlichen, nicht meldepflichtigen Steuergestaltungen
  • Definition von Nutzern und Intermediären sowie deren Inlandsbezug
  • Vorrangige Meldepflicht der Intermediäre, Meldepflicht von Nutzern bei fehlendem inländischen Intermediär und bei Inhouse-Gestaltungen, gesplittete Meldepflicht von Intermediär und Nutzer bei Vorliegen einer beruflichen Verschwiegenheitspflicht, Nebeneinander von Meldepflichten/Escape
  • Inhalt der Meldung
  • Meldung bei marktfähigen Gestaltungen
  • Meldeverfahren beim BZSt inkl. Vergabe von DE-Registriernummer und DE-Offenlegungsnummer, Infor­ma­tions­pflich­ten; Ausnahme: Frist für die Meldung beträgt 2 Monate anstelle von 30 Tagen bei DAC 6
  • Angabepflicht in der Steuererklärung


Kennzeichen für eine innerstaatliche Meldepflicht

Eine Steuergestaltung ist innerstaatlich mitteilungspflichtig, wenn sie folgende Kriterien erfüllt (kumuliert):

  • Keine grenzüberschreitende Gestaltung nach §§ 138d Abs. 2, 138e AO; die DAC 6-Meldung ist also immer vorrangig zu prüfen und vorzunehmen, eine Doppelmeldung erfolgt nicht;
  • Gestaltung betrifft ESt/KST/SolZ, GewSt, (VSt), ErbSt, GrESt, d.h. die USt ist wie bei DAC 6 nicht miterfasst;
  • Vorliegen eines Kennzeichens nach § 138l Abs. 3 AO;
  • Erfüllung des Main-Benefit-Tests, d.h. es ist keine Meldepflicht gegeben, wenn außersteuerliche Gründe für die Gestaltung ganz überwiegend ausschlaggebend sind;
  • Erfüllung mindestens eines nutzer- oder gestaltungsbezogenen Schwellenwertes.


Kern der Neuregelungen ist die Definition von Kennzeichen, die zu einer Meldepflicht führen (Umkehrschluss: ohne Vorliegen eines dieser Kennzeichen keine Meldepflicht; bei Erfüllung mehrerer Kennzeichen sind alle erfüllten zu melden).
Eine Reihe von Kennzeichen sind identisch mit DAC 6:

  • Vorliegen einer Vertraulichkeitsklausel
  • Vereinbarung eines Erfolgshonorars, gemessen am erzielten Steuervorteil
  • Standardisierung bzgl. Struktur oder Dokumentation der Gestaltung
  • Unangemessene Schritte bei Erwerb eines verlusttragenden Unternehmens, einschließlich Geschäftseinstellung, Wiederbelebung und Verlustnutzung
  • Einkünfteumwandlung in nicht oder niedriger besteuerte Einkünfte
  • Zirkuläre Transaktionen mit substanzarmen Strukturen oder Transaktionen, die sich gegenseitig aufheben


Daneben gibt es drei neue materielle Kennzeichen, die nur im innerstaatlichen Kontext relevant sind. Alle drei sind mit dem Main-Benefit-Test verbunden, d.h. nur bei Vorliegen eines entscheidungserheblichen Steuer­vor­teils zu beachten:

  • Mehrfache Berücksichtigung eines steuerlichen Sachverhalts bei einem/mehreren Steuerpflichtigen
  • Durch aufeinander abgestimmte Rechtsgeschäfte werden zweckgerichtet steuerwirksame Verluste und/oder ganz/teilweise steuerfreie Einkünfte erzeugt; das Kennzeichen ist inspiriert von gezielt herbeigeführten steuerfreien Aktiengewinnen/Verlusten aus Derivaten im Investmentbereich, könnte aber auch z.B. das sog. Dividendenstripping betreffen
  • Ein an der Gestaltung Beteiligter unternimmt unangemessene rechtliche Schritte, um für sich oder einen Dritten einen steuerlichen Vorteil im Bereich des Steuerabzugs vom Kapitalertrag zu erzeugen. Damit sollen Gestaltungen auf dem Kapitalmarkt ähnlich Cum-ex getroffen werden, bei denen der Gewinn in der Einsparung der Kapitalertragsteuer liegt und Wertänderungsrisiken durch Sicherungsgeschäfte aus­ge­schlossen werden.


Nutzer- und gestaltungsbezogene Meldeschwellen

Die Meldepflicht wird zusätzlich geknüpft an bestimmte nutzer- und gestaltungsbezogene Merkmale. Eine solche Eingrenzung auf wesentliche, für den Fiskus bedeutsame Gestaltungen kennt DAC 6 nicht. Mindestens ein Merkmal muss für das Eingreifen der Meldepflicht erfüllt sein.


Nutzerbezogen sind folgende Schwellenwerte zu beachten:

  • Umsatzschwelle: 50 Mio. Euro Umsatz (in zwei von drei vorausgehenden Jahren)
  • Einkünfteschwelle bei natürlichen Personen: 2 Mio. Euro (in zwei von drei vorausgehenden Jahren)
  • Einkommensschwelle für Körperschaften: 2 Mio. Euro (in zwei von drei vorausgehenden Jahren).


Unabhängig vom Über- bzw.- Unterschreiten dieser Schwellen werden erfasst:

  • konzernzugehörige Nutzer, wenn der Konzern insgesamt die genannten Größenschwellen überschreitet
  • Beherrschung durch ausländische Strukturen
  • Investmentfonds/Spezialinvestmentfonds
  • Anleger von Spezialinvestmentfonds
  • Anleger von Investmentfonds mit nicht mehr als 100 Anlegern und einer jeweiligen Anlagesumme von mind. 100.000 Euro


Gestaltungsbezogen gelten zusätzlich spezielle Schwellenwerte:

  • Erwerb von Todes wegen/Schenkung mit voraussichtlichem Wert ≥ 4 Mio. Euro
  • Unmittelbarer/mittelbarer Anteilserwerb einer grundbesitzenden Gesellschaft mit Grundstückswert ≥ 5 Mio. Euro


Die Mitteilungspflicht bezieht sich ggf. nur auf die Nutzer, für die die nutzer- oder gestaltungsbezogenen Merkmale erfüllt sind.


Inkrafttreten

Das Gesetzgebungsverfahren zum Wachstumschancengesetz ist mit der am 17. November 2023 vollzogenen Verabschiedung durch den Bundestag noch nicht abgeschlossen. Am 24. November 2023 hat der Bundesrat das Gesetz abgelehnt und den Vermittlungsausschuss angerufen. Dabei hat er umfangreichen Än­derungs­be­darf angemeldet. Wegen des erheblichen Vollzugsaufwandes für die innerstaatliche Meldepflicht plädiert der Bundesrat für einen Verzicht auf dieses bürokratische Monster. Man wird also abwarten müssen, ob im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens die innerstaatliche Mitteilungspflicht für Steuergestaltungen doch noch ab­ge­wen­det werden kann oder ihre Auswirkungen noch abgemildert werden können.

Wann die neue Meldepflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen, sollte sie den Bundesrat passieren, in Kraft tritt, ist noch nicht eindeutig zu bestimmen. Der BMF kann diesen Zeitpunkt in einem BMF-Schreiben bekannt geben. Der Stichtag muss mindestens ein Jahr nach Verkündung des BMF-Schreibens liegen. Gestaltungen, die nach dem Stichtag zur Verfügung gestellt oder realisiert werden, unterliegen dann der Mitteilungspflicht. Von einer Rückwirkung der Meldepflicht, wie nach Inkrafttreten von DAC 6, als auch alle Gestaltungen ab Ge­setzes­ver­kün­dung bis zum Inkrafttreten nachträglich meldepflichtig waren, wurde abgesehen.

Das Bußgeld für Verstöße bei der innerstaatlichen Meldepflicht beträgt 10.000 Euro (statt 25.000 Euro bei DAC 6).


Änderungenbei den Mitteilungspflichten cross border und innerstaatlich

Neben der neuen Meldepflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen gibt es noch drei wichtige Neuerungen in den bestehenden Vorschriften, die dann auch innerstaatlich gelten:

  • Mitgemeldete weitere Intermediäre und Nutzer müssen der Mitmeldung vorab zustimmen (Einwilligung)
  • Die – auch freiwillige – Meldung eines Nutzers führt zur Befreiung auch für den meldepflichtigen Intermediär
  • Das BZSt kann vom zur Verschwiegenheit verpflichteten Intermediär den Nachweis verlangen, ob und wann er seiner Mitteilungspflicht gegenüber dem Nutzer (Belehrung über Verschwiegenheit, Auf­he­bungs­mög­lich­keit, Übergang der Meldepflicht, zur Verfügung zu stellende Daten) nachgekommen ist. Damit kann geprüft werden, ob ein Meldeversäumnis des Nutzers von diesem verschuldet ist oder auf eine Nicht-Belehrung oder verspätete Information durch den Intermediär zurückzuführen ist.


Bitte beachten Sie:

  • In vielen Fällen kann das Anwendungsschreiben des BMF zur Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen eine erste Orientierung zur Anwendung der neuen Vorschriften bieten.
  • Das BMF kann noch einen Hebel ansetzen, um die innerstaatliche Meldepflicht möglichst „smart“ aus­zu­ge­stal­ten: Wenn eine umfangreiche White List erlassen wird, können die meldepflichtigen Fälle deutlich begrenzt und Unternehmen doch noch angemessen entlastet werden.
  • Die Umsetzung in der Praxis wird für Unternehmen, die eigene Meldesysteme für DAC 6 entwickelt haben, eine Fortentwicklung der Systeme mit sich bringen. Unternehmen, die sich erstmals ernsthaft mit der Meldepflicht beschäftigen, werden entscheiden müssen, wie sie sich technisch für die Einhaltung der Compliance-Anforderungen und die Datenerfassung und Übermittlung aufstellen wollen.

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