Whistleblowing in Großbritannien

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veröffentlicht am 28. Juni 2022 | Lesedauer ca. 6 Minuten

  

  1. Whistleblowing in Großbritannien»
  2. Benachteiligung »
  3. Welche Offenlegungen sind abgedeckt? »
  4. Hinweisgeber-Regelwerke »
  5. Offenlegung von Informationen »
  6. Das Erfordernis des öffentlichen Interesses »
  7. Begründete Überzeugung, dass ein Fehlverhalten vorliegt »
  8. Verfahren für die Offenlegung von Informationen »
  9. Offenlegung gegenüber der zuständigen Meldestelle »
  10. Kann Whistleblowing einen Vertrauensbruch darstellen? »
  11. Abberufung und Rechtsbehelfe »

     

1. Whistleblowing in Großbritannien

Das Whistleblowing-Recht im Vereinigten Königreich ist im Employment Rights Act 1996 (ERA 1996), in der durch den Public Interest Disclosure Act 1998 (PIDA) geänderten Fassung, verankert. Wenn ein Arbeitnehmer entlassen wird, weil er eine „geschützte Offenlegung“ vorgenommen hat (d. h. „gesungen“ hat), ist diese Ent­lassung automatisch ungerechtfertigt.

Es gibt einige spezifische gesetzliche Pflichten zur Meldung von Missständen, z. B. die Pflicht von Arbeitnehmern, die Unternehmensleitung über Gesundheits- und Sicherheitsrisiken gemäß Bestimmung Nr. 14 der Management of Health and Safety at Work Regulations 1999 (SI 1999/3242) zu informieren und die Pflicht der Treuhänder des Rentensystems die Aufsichtsbehörde über bestimmte Sachverhalte gemäß dem Pensions Act 2004 zu informieren. Es kann auch ausdrückliche vertragliche Verpflichtungen geben, die durch den Ar­beits­vertrag, den Verhaltenskodex oder eine Anweisung der Unternehmensleitung auferlegt werden. 

2. Benachteiligung

Arbeitnehmer dürfen keine Nachteile erleiden, weil sie eine „geschützte Offenlegung” vorgenommen haben (Artikel 47B(1), ERA 1996). Die Definition des Begriffs „Arbeitnehmer” im PIDA ist weiter gefasst als im ERA 1996 und umfasst u. a. Angestellte, Leiharbeiter, Freiberufler, Heimarbeiter und Praktikanten. 

Handelt es sich bei der klagenden Partei um einen Arbeitnehmer und erfolgt die Benachteiligung in Form einer – tatsächlichen oder durch schikanöse Behandlung herbeigeführten – Entlassung, so kann der Arbeitnehmer nicht gegen seinen Arbeitgeber auf Benachteiligung klagen (Artikel 47B (2)), sondern stattdessen eine Klage auf ungerechtfertigte Entlassung einreichen (Artikel 103A, ERA 1996). Allerdings:

  • Der Arbeitnehmer kann bis zum Zeitpunkt der Entlassung noch eine gesonderte Klage gegen den Arbeitgeber wegen einer Benachteiligung erheben
  • Der Arbeitnehmer kann – neben der Kündigungsschutzklage gegen den Arbeitgeber – gegen jeden Mitar­beiter, der an der Entscheidung über seine Entlassung beteiligt war, eine Kündigungsschutzklage erheben, wobei der Arbeitgeber stellvertretend haftet.
  
Ein Arbeitnehmer, der kein Angestellter ist, kann aufgrund der Kündigung seines Vertrags eine Klage wegen einer Benachteiligung einreichen und in solchen Fällen darf die Entschädigung nicht höher sein als diejenige, die ein Gericht bei einer ungerechtfertigten Entlassung zugesprochen hätte (Artikel 49(6), ERA 1996). Wenn der Erwerbsstatus des Klägers unklar ist, kann es ratsam sein, alternativ Klagen wegen Benachteiligung und unge­rechtfertigter Entlassung zu erheben.
 

3. Welche Offenlegungen sind abgedeckt?

Um Schutz zu erhalten, muss ein Hinweisgeber eine qualifizierte Meldung gemäß Artikel 43B(1) ERA gemacht haben. Eine „qualifizierte Offenlegung” ist jede Offenlegung von Informationen, die nach der begründeten Überzeugung des Arbeitnehmers, der die Offenlegung vornimmt, im öffentlichen Interesse erfolgt und auf einen oder mehrere der folgenden Missstände hinweist:

  1. dass eine Straftat begangen worden ist, gerade begangen wird oder begangen werden könnte;
  2. dass eine Person einer ihr auferlegten rechtlichen Pflicht nicht nachgekommen ist, nicht nachkommt oder wahrscheinlich nicht nachkommen wird;
  3. dass ein Justizirrtum stattgefunden hat, gerade stattfindet oder wahrscheinlich stattfinden wird;
  4. dass die Gesundheit oder Sicherheit einer Person gefährdet ist, gefährdet wird oder gefährdet werden könnte;
  5. dass die Umwelt geschädigt wurde, geschädigt wird oder geschädigt werden könnte, oder
  6. dass Informationen, die darauf hindeuten, dass ein Sachverhalt, der unter einen der vorstehenden Absätze fällt, vorsätzlich verschwiegen wurden, werden oder wahrscheinlich verschwiegen werden.

Eine Offenlegung von Informationen gilt nicht als qualifizierte Offenlegung, wenn die Person, die die Offen­le­gung vornimmt, damit eine Straftat gemäß Artikel 43B(3) des ERA 1996 begeht. 

Es gibt keine vorgeschriebene Mindestdienstzeit, um eine Klage wegen Whistleblowing einzureichen; der Schutz gilt ab dem ersten Tag, und es gibt keine Obergrenze für die Entschädigungssumme, die bei solchen Klagen gewährt werden kann.

4. Hinweisgeber-Regelwerke

Die Rechtsvorschriften über Whistleblowing verpflichten die Arbeitgeber nicht zur Einführung eines Hinweis­geber-Regelwerks (obwohl für börsennotierte Unternehmen und Unternehmen des Finanzdienst­leistungs­sektors besondere Vorschriften gelten, die die Einführung eines solchen Regelwerks vorschreiben können). 

Das Vorhandensein eines Hinweisgeber-Regelwerks zeugt davon, dass der Arbeitgeber ein offenes Ohr für die Belange der Arbeitnehmer hat. Ein Regelwerk ist eine gute Weise, um die Arbeitnehmer zu ermutigen die Missstände zu melden, aber jedes Unternehmen muss seine Arbeitnehmer über dieses Regelwerk informieren und sicherstellen, dass sie wissen, wie sie eine Offenlegung vornehmen können. Einige Unternehmen im Vereinigten Königreich haben sich dafür entschieden, ihre Regelwerke über ihr Intranet oder über einen News­letter für die Mitarbeiter zu veröffentlichen. Es ist eine gute Idee für Unternehmen, die Informationen regel­mäßig an alle Mitarbeiter zu versenden, um sicherzustellen, dass sie alle an das Regelwerk und die Verfahren erinnert werden und um alle neuen Mitarbeiter zu benachrichtigen. Schulungen auf allen Unternehmensebenen über die wirksame Umsetzung von Regeln zur Meldung von Missständen fördern eine unterstützende und offe­ne Kultur.

5. Offenlegung von Informationen

Der Begriff „Offenlegung” ist in den Rechtsvorschriften nicht definiert und hat einen weiten Anwendungs­be­reich, der schriftliche oder mündliche Offenlegungen einschließen kann. Es muss eine Offenlegung von Infor­mationen erfolgen, die in jeglicher Form von aufgezeichneten Informationen erfolgen kann. Bis vor kurzem wur­de in der Rechtssache Cavendish Munro Professional Risks Management Ltd. gegen Geduld die Auffassung vertreten, dass eine geschützte Offenlegung Informationen enthalten muss und nicht nur eine Besorgnis äußern oder eine Anschuldigung erheben darf. In einem kürzlich entschiedenen Fall stellte das Gericht jedoch fest, dass auch eine Aussage, die als Anschuldigung bezeichnet werden kann, eine Information darstellen und eine qualifizierte Offenlegung bewirken kann und in dem Kontext, in dem sie gemacht wurde, bewertet werden muss (Kilraine gegen London Borough of Wandsworth).

6. Das Erfordernis des öffentlichen Interesses

Eine am oder nach dem 25. Juni 2013 vorgenommene Offenlegung ist nur dann eine qualifizierte Offenlegung, wenn der Arbeitnehmer vernünftigerweise glaubt, dass die Offenlegung „im öffentlichen Interesse” liegt.

In jüngster Zeit gab es zahlreiche Rechtssachen, in denen die Prüfung des „öffentlichen Interesses” untersucht wurde. Während dies stark von den Umständen des Einzelfalls abhängt, hat das Gericht bestätigt, dass eine Offenlegung, die im privaten Interesse des Arbeitnehmers liegt auch im „öffentlichen Interesse” liegen kann, wenn sie auch den (privaten) Interessen anderer Arbeitnehmer dient. Dies wurde in der Rechtssache Chester­ton Global Ltd gegen Nurmohamed festgestellt. Ferner wurde hervorgehoben, dass Bedenken, die aus reinem Eigeninteresse geäußert werden, nicht geschützt sind wie in der Rechtssache Parsons gegen Airplus Interna­tional Ltd. bestätigt wurde.

7. Begründete Überzeugung, dass ein Fehlverhalten vorliegt

Damit es sich bei einer Offenlegung um eine qualifizierte Offenlegung handelt, muss der Arbeitnehmer die begründete Überzeugung haben, dass die offengelegten Informationen auf einen der relevanten Missstände hindeuten (Artikel 43B(1), ERA 1996). Solange der Arbeitnehmer subjektiv davon überzeugt ist, dass der rele­vante Missstand eingetreten ist oder wahrscheinlich eintreten wird, und seine Überzeugung nach Ansicht des Gerichts objektiv begründet ist, spielt es keine Rolle, dass sich die Überzeugung später als falsch herausstellt oder dass die behaupteten Tatsachen keinen rechtlich relevanten Missstand darstellen, wie in Babula gegen Waltham Forest College [2007] IRLR 346 (CA) hervorgehoben wurde.

8. Verfahren für die Offenlegung von Informationen

Um in den Genuss des Schutzes zu kommen, muss ein Arbeitnehmer bei der Vornahme einer „qualifizierten Offenlegung” gemäß einem der festgelegten Verfahren handeln. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass die Infor­mationen offen gelegt werden gegenüber:

  • dem Arbeitgeber oder der Person, die für den relevanten Missstand verantwortlich ist;
  • einem Rechtsberater;
  • Ministern der Regierung;
  • dem Arbeitgeber des Arbeitnehmers;
  • einer Meldestelle, die durch eine Anordnung des Secretary of State als zuständig angegeben wird;
  • einer Person, die nicht in der oben genannten Liste erfasst wurde, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind, wobei die Bedingungen in besonders schwerwiegenden Fällen unterschiedlich sein können.


Es gibt ein genaues Verfahren, das befolgt werden muss, und das auch von der Person bzw. Stelle abhängt, gegenüber der die Information offen gelegt wird. 

9. Offenlegung gegenüber der zuständigen Meldestelle

Eine qualifizierte Offenlegung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer die Offenlegung gegenüber einer zuständigen Meldestelle vornimmt und vernünftigerweise glaubt, dass:

  • der Missstand unter eine Beschreibung von Angelegenheiten fällt, für die diese Meldestelle zuständig ist, und
  • die offengelegten Informationen und alle darin enthaltenen Anschuldigungen im Wesentlichen der Wahrheit entsprechen.


Bei den zuständigen Meldestellen handelt es sich um Aufsichtsbehörden und andere Organe, denen ein Arbeitnehmer anstelle seines Arbeitgebers oder zusätzlich zu diesem eine geschützte Offenlegung vornehmen kann.


10. Kann Whistleblowing einen Vertrauensbruch darstellen?

Nach dem Artikel 43J(1) des ERA 1996 sind Vertragsklauseln, die die Vornahme einer geschützten Offenlegung ausschließen, unwirksam. Wenn also eine Offenlegung von Informationen an eine andere Stelle als den Arbeit­geber als geschützte Offenlegung gilt, kann kein Verstoß gegen ausdrückliche oder stillschweigende vertrag­liche Pflichten vorliegen.

Selbst wenn die Voraussetzungen für eine geschützte Offenlegung nicht erfüllt sind, kann eine gewohnheits­rechtliche Verteidigung gegen den Vertrauensbruch bestehen, wenn die Informationen ansonsten in ausrei­chen­dem Maße im öffentlichen Interesse liegen.

11. Abberufung und Rechtsbehelfe

Ein Arbeitnehmer gilt automatisch als ungerechtfertigt entlassen, wenn der Grund oder der Hauptgrund für die Entlassung darin besteht, dass er eine geschützte Offenlegung vorgenommen hat. Wenn ein Arbeitnehmer entlassen wurde, weil er eine geschützte Offenlegung vorgenommen hat: 

  • gilt die für eine Kündigungsschutzklage nach Artikel 108(1) ERA 1996 normalerweise erforderliche Wartezeit nicht (Artikel 108(3) ERA 1996);
  • ist seine Entlassung automatisch ungerechtfertigt (Artikel 103A, ERA 1996);
  • gelten die Bestimmungen über den einstweiligen Rechtsschutz gem. Artikel 128 bis 132 des ERA 1996;
  • ist es nicht erforderlich, dass die betreffende geschützte Offenlegung dem entlassenden Arbeitgeber mitgeteilt wurde. 

Es gelten die üblichen Rechtsbehelfe für ungerechtfertigte Entlassungen. Die übliche Entschädigungs­ober­gren­ze für ungerechtfertigte Entlassungen gilt jedoch nicht für Whistleblowing-Fälle, was einer der Gründe dafür ist, dass solche Klagen für Arbeitnehmer attraktiv sind und von den Arbeitgebern gefürchtet werden. Nachstehend sind die verfügbaren Rechtsbehelfe aufgelistet:

  1. Einstweiliger Rechtsschutz – Einstweiliger Rechtsschutz kann gewährt werden, wenn ein Arbeitnehmer be­hauptet, dass seine Entlassung automatisch ungerechtfertigt ist.
  2. Entschädigung – Wurde einer Person ein Nachteil zugefügt, so kann das Gericht eine Entschädigung zu­sprechen, die es für gerecht und angemessen hält. Es gibt keine Obergrenze für die Höhe der Entschädigung, die gewährt werden kann.
  3. In Entlassungsfällen kann das Gericht anordnen, dass ein Arbeitnehmer in seiner Funktion wieder eingesetzt oder wieder eingestellt wird. Für Arbeitnehmer, die keine Angestellten sind, ist die Entschädigung der einzige Rechtsbehelf. Die Entschädigung in Kündigungsfällen ist unbegrenzt.
  4. Höhere Zusatzentschädigung – Wenn ein Arbeitgeber einer Wiedereinsetzungs- oder Wiedereinstellungs­anordnung nicht nachkommt, kann das Gericht eine höhere Zusatzentschädigung i.H.v. 26 bis 52 Wochen­löhnen (gedeckelt) aussprechen. Diese wird nicht gezahlt, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass es nicht möglich war, der Anordnung nachzukommen.
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