Bundesarbeitsgericht: Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht!

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zuletzt aktualisiert am 26. Oktober 2022 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Ein klassischer Pyrrhussieg für die Arbeitgeber: Zwar stellt das Bundesarbeitsgericht („BAG“) nunmehr klar, dass dem Betriebsrat kein Initiativrecht bzgl. der Einführung eines (elektronischen) Arbeitszeiterfassungssystems zusteht. Im gleichen Atemzug stellt es indes klar, dass Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet seien, ein System zur Erfassung der Arbeitszeit einzuführen (BAG, Beschl. v. 13.09.2022 – 1 ABR 22/21).



Ausgangsfall – Gewonnen und doch (viel mehr) verloren

In dem vom BAG zu entscheidenden Fall ging es darum, ob dem Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz („BetrVG“) ein Initiativrecht hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zustehe. Das Arbeitsgericht („ArbG“) Minden wies den Antrag des Betriebsrats ab und stellte dabei unter anderem fest, dass ein Initiativrecht des Betriebsrats auch nicht mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs („EuGH“) vom 14.05.2019 zur Arbeitszeiterfassung begründet werden könne (ArbG Minden, Beschl. v. 15.09.2020 – 2 BV 8/20; vgl. EuGH, Urt. v. 14.05.2019 – C-55/18). Das Landesarbeitsgericht („LAG“) Hamm gab dem Betriebsrat recht (LAG Hamm, Beschl. v. 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20).

Vor diesem Hintergrund mag es auf den ersten Blick wie ein Sieg des Arbeitgebers anmuten, wenn das BAG ausweislich der Pressemitteilung feststellt, dass der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen könne, ihm mithin kein diesbezügliches Initiativrecht zustehe.

Der Sprengstoff für die Arbeitgeber liegt jedoch in dem Begründungsweg, den der 1. Senat des BAG zum Erreichen dieses Ergebnisses beschreitet. Denn das Initiativrecht des Betriebsrats wird vom BAG mit der Begründung verneint, dass ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG nur bestehe, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt sei. Eine solche gesetzliche Pflicht zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems leitet das BAG aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (nachfolgend: „ArbSchG“) her.

Folgen für die Praxis

Auch wenn die Entscheidung des BAG für die Arbeitgeber in Deutschland – insbesondere auch mit Blick auf die modernen Arbeitsformen, wie z.B. Workation und viele Formen der Remote – mehr als misslich ist und sicherlich die Arbeitgeber in Bezug auf die Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems unter gewissen Druck setzt, sollten unseres Erachtens zum jetzigen Zeitpunkt noch keine vorschnellen Schlüsse gezogen werden oder gar vorschnell gehandelt werden.

Denn solange die Entscheidungsgründe des Beschlusses noch nicht abgefasst und veröffentlicht sind, steht nicht fest, ob und wenn ja, in welchem Umfang den diesen Maßgaben hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung entnommen werden können. Die Entscheidung könnte weitreichende Folgen für die Arbeitgeber haben, genauso wäre es aber auch möglich, dass die Folgen für die Arbeitgeber nicht so weitreichend sind, wie es aktuell in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird. Insofern besteht für Arbeitgeber zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Grund zur Verzweiflung. Denn bis dato steht lediglich fest, dass künftig die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einführung eines technischen Arbeitszeiterfassungssystems besteht.

Auch ein Blick nach Luxemburg liefert diesbezüglich keine wirklichen Hilfestellungen für Arbeitgeber Zwar entschied der EuGH bereits mit Urteil vom 14.05.2019, dass ein solches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen ist, durch welches die täglich geleistete Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer gemessen werden kann (EuGH, Urt. v. 14.05.2019 – C-55/18). Vorgaben zur konkreten Ausgestaltung und Umsetzung finden sich hingegen in den Entscheidungsgründen nicht.

Fazit & Handlungsempfehlung

Zugegebenermaßen ist mit dem Beschluss des BAG vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 – die Situation der Arbeit­geber das Thema Arbeitszeiterfassung betreffend angespannter geworden. Schließlich werden sie zukünftig verpflichtet sein, (grundsätzlich [?]) ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen, was den einen oder anderen Arbeitgeber vor hohe technische und/oder organisatorische Hürden stellen könnte. Noch sollten Arbeitgeber indes weder in unüberlegte Betriebsamkeit noch in Panik verfallen, sondern die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe abwarten.

Unstreitig ist jedoch die Politik mit der Entscheidung aus Erfurt ganz erheblich unter Druck geraten, so dass recht Zeitnah mit einer gesetzlichen Regelung zur Zeiterfassung zu rechnen sein dürfte. Völlig offen ist indes, ob eine entsprechende gesetzliche Regelung die Entscheidung des BAG adaptiert oder, ob der Gesetzgeber andere Vorstellungen von der Umsetzung der Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung hat.

Die tatsächlichen Auswirkungen für die Arbeitgeber können daher erst seriös beurteilt werden, wenn die Entscheidungsgründe des Beschlusses des BAG und/oder ein Gesetzesentwurf der Regierung veröffentlicht wurden. Dennoch sollten sich die Arbeitgeber vorsorglich bereits mit der Frage beschäftigen, welche verschiedenen Zeiterfassungssysteme für das eigene Unternehmen sinnvoll umsetzbar und implementierbar sind, um entsprechend vorbereitet zu sein.

Die Unkenrufe vieler Kollegen, dass die Vertrauensarbeitszeit und die modernen Arbeitsformen in Deutschland Tod seien, halten wir derzeit für wenig belastbar und auch nicht zielführend.

Wir werden uns einstweilen alle in Geduld üben müssen! Wir werden Sie informieren, sobald sich Neuerungen ergeben.

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