Verschärfung der Standards für klimabezogene Werbung – HelloFresh-Urteil

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veröffentlicht am 18. Oktober 2023 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Das Landgericht Berlin entschied im jüngsten „Klima“-Urteil vom 10. Oktober 2023 (102 0 15/23, DUH ./. HelloFresh) über die Anforderungen an Klimaneutralität durch Waldschutzprojekte sowie Aufklärungs- und Informationspflichten hinsichtlich Klimaschutzprojekten und deren Standards. Der Berliner Kochbox-Anbieter HelloFresh warb in seinem Internetauftritt mit den Aussagen „Das erste globale klima­neutrale Kochbox-Unternehmen“ und „Wir kompensieren 100 % unserer direkten CO₂-Emissionen“. 
 
 
Auf der Unterseite „Klimaneutralität“ erklärte HelloFresh, dass es seine direkten CO₂-Emissionen durch Investi­tionen in „Grüne Initiativen“ über seine „Partner“ ausgleiche. Weiterhin beschrieb HelloFresh detailliert die Kompen­sationsprojekte – CO2-Zertifikate aus einem Waldschutzprojekt in Kenia mit Laufzeit bis 2034, aus einem Klimaschutzprojekt in den Niederlanden, das nach dem „Verified Carbon Standard“ (VCS) bewertet wurde, und aus einem Abfallprojekt in Nepal ohne nähere Angaben zu den eingesetzten Standards. 
  
Die Klägerin, die Deutsche Umwelthilfe (DUH), warf HelloFresh vor, den Verbraucher aktiv über die angebliche Klimaneutralität des Unternehmens durch die Projekte, speziell das Waldschutzprojekt in Kenia, in die Irre zu führen, § 5 UWG, und zentrale, für den Verbraucher wichtige Informationen, über den Umfang der beworbenen Emissionen bzw. Emissionskompensationen, die Details der Zertifizierungsstandards und andere ent­schei­dende Informationen zu unterlassen, § 5a UWG. 
  
Der Klage ging eine Abmahnung seitens der DUH gegen HelloFresh voraus. Das LG Berlin gab der Klage der DUH auf Unterlassung der klima- bzw. kompensierungsbezogenen Aussagen und Zahlung der Abmahnkosten vollumfänglich statt und setzte für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro fest. 
  

Irreführung durch Täuschung über Kompensation durch Waldschutz-Projekt, § 5 UWG

Das LG Berlin entschied, dass es unstreitig sei, dass der globale Schutz der Wälder grundsätzlich einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz darstellt. Dies allein rechtfertige aber noch nicht, ein Produkt oder Unter­nehmen durch den Erwerb von Treibhausgas-Kompensationszertifikaten als „klimaneutral“ zu bewerben. Der Anspruch einer vollständigen Klimaneutralität würde jedenfalls über das hinausgehen, was durch CO₂-Zertifikate aus Waldschutz-/Aufforstungsprojekten kurzfristig erreicht werden könne. Darüber hinaus dürfe sich der Werbende nicht blind auf die Angaben des Zertifikate-Herausgebers verlassen, sondern müsse die behaupteten Kompensationserfolge des Projekts selbst nachprüfen.
  
Solange es diesbezüglich keine allgemein anerkannten Standards gäbe, müssten Zweifel, ob die angefallenen Emissionen tatsächlich ausgeglichen werden, zu Lasten des werbenden Unternehmens gehen. Dies ins­besondere dann, wenn sich die Behauptung auf eine „Klimaneutralität“ ohne jegliche Einschränkung bezieht. Eine komplette Kompensation könne vorliegend aber gerade aufgrund der kurzen Laufzeit des konkreten Kenia-Waldprojekts nicht gewährleistet werden.
  
Es verwies auch darauf, dass eine vorliegend erfolgte Bestätigung der Ökobilanzanalyse durch einen unab­hängigen Prüfdienstleister für die umweltbezogene Werbung unbeachtlich sei. Denn diese Prüfung beziehe sich nur auf die eigene Emissionsberechnung, nicht auf die Validität des gewählten CO₂-Ausgleich und dessen Details. 
  
Dabei ließ das LG Berlin jedoch ausdrücklich offen, ob Waldschutzprojekte generell zur Kompensation von CO₂-Emissionen geeignet sind oder nicht.
  

Irreführung durch unterlassene Aufklärung und Information, § 5a UWG

Zu den Aufklärungs- und Informationspflichten führte das LG Berlin aus, dass es angesichts der erheblich positiven Konnotation der Aussage „klimaneutral“ für den Verbraucher, der das Gefühl bekomme, mit der Nutzung des HelloFresh-Produkts/Dienstleistung „etwas Gutes für die Umwelt zu tun“, nicht ausreichen kann, wenn HelloFresh nur rudimentär darüber informiert, wie es zu der Aussage „klimaneutral“ kommt.
  
Grundsätzlich wisse der Verbraucher, dass eine ausgeglichene Klimabilanz sowohl durch Eigenreduzierung als auch durch Zertifikate bzw. Unterstützung von Drittprojekten erreicht werden kann. Der Verbraucher gehe aber in der Regel nicht davon aus, dass die Klimaneutralität ausschließlich auf gekauften Zertifikaten und/oder Dritt­projekten beruhe. Im Gegensatz zu eigenen Einsparungsbemühungen, stünden diese aus Verbrauchersicht immer auch im potentiellen Verdacht des „Greenwashing“. Verbraucher haben daher bzgl. der Details des Erreichens der Klimaneutralität ein erhebliches Aufklärungs- und Informationsinteresse. 
  
Im vorliegenden Fall wurde die Aussage, HelloFresh sei das weltweit erste „globale klimaneutrale Kochboxen-Unternehmen“, bereits durch die Einschränkung relativiert, dass sich die Aussage nur auf die „direkten CO₂-Emissionen“ beziehe. Der bloße Verweis auf den „Verified Carbon Standard“ bei Projekten ohne weitere Er­läuterungen berge die Gefahr, dass sich der interessierte Verbraucher von der Erwähnung solcher „Buzzwords“ beeindrucken lasse und zu dem Schluss komme, die behauptete Klimaneutralität gründe auf einer allgemein anerkannten objektiven, wissenschaftlichen Grundlage. Soweit HelloFresh die Projekte in Nepal und den Niederlanden besonders bewarb, hätte das Unternehmen auch konkrete Angaben dazu machen müssen, wie diese konkret zur „Klimaneutralität“ beitragen. Weiterhin wurde auch der für die Kompensationsprojekte verantwortliche Dienstleister nicht offengelegt, so dass für den Verbraucher unklar blieb, welche Anfor­derungen der Dienstleister an die seinen Zertifikaten zugrundeliegenden Klimaschutzmaßnahmen stellt.
  

Fazit: Verschärfung der Standards für umweltbezogene Werbung – „Konkretisierung“ und „Aktualität“

HelloFresh wurde hier „Opfer“ der eigenen „guten Absichten“. Das LG Berlin hat an mehreren Stellen fest­gestellt, dass Wenn ein Unternehmen mit konkreten Klimaschutzprojekten wirbt und insofern auch eine höhere „Greifbarkeit“ und Emotionalität seiner Klimaschutzanstrengungen in Anspruch nimmt, dass Dann auch erwartet werden kann, dass es sich mit den konkreten Klimaschutz- bzw. Kompensationskonzepten dahinter befasst und darüber detailliert informiert und sich nicht auf den bloßen CO2-Zertifikateerwerb beschränkt. Letzteres bleibt selbstverständlich als Ausgleichsmöglichkeit grundsätzlich bestehen, dann aber mit einge­schränkter Werbewirksamkeit. 
  
Somit wurden die hier an sich schon hohen Standards für umweltbezogene Werbeaussagen (starke emotionale Werbekraft, Komplexität von Umweltschutzfragen, meist nur geringer sachlicher Wissensstand des breiten Publikums über die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und Wechselwirkungen) durch das LG Berlin noch ergänzt und verschärft um den Faktor der „Konkretisierung“. Je konkreter die Werbung, desto detaillierter die Aufklärungs- und Informationspflichten. Dies, so das LG Berlin, werde nochmals potenziert durch die „Aktualität“ des Themas „Klimaschutz“ und „Klimawandel“ im allgemeinen Verbraucherbewusstsein. 
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