Verdeckte Risiken des Unternehmenserwerbs – die kartellrechtliche Nachfolgehaftung

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veröffentlicht am 22. Februar 2023 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Beim Erwerb eines Unternehmens sind die Erwerber (wirtschaftliche Rechtsnach­fol­ger) eines Kartellanten nicht nur potentielle Bußgeldadressaten, sondern haften auch auf zivilrechtlicher Ebene in Form von Schadensersatzansprüchen gegenüber den Betroffenen. Bestehende Haftungslücken wurden vom Gesetzgeber und dem EuGH in den letzten Jahren geschlossen. Dies stärkt zwar einerseits die Position der Geschä­dig­ten, andererseits gehen damit jedoch auch erhebliche Haftungsrisiken im Zusam­menhang mit Unternehmensübernahmen einher. Trotz der nunmehr drei Jahre alten EuGH-Rechtsprechung, stellt die zivilrechtliche Inanspruchnahme vor dem Hinter­grund vermehrter Anfragen und eines neuen M & A Rekordhochs im letzten Jahr, ein risikobehaftetes Thema dar, das nicht an Aktualität verloren hat. Aufgrund dessen werden wir im Folgenden insbesondere die kartellrechtliche Nachfolgehaftung im Zivilverfahren beleuchten und ein Ausblick für die Due Diligence Praxis gegeben.



Die Ausgangslage und das Prinzip der Nachfolgehaftung

Grundsätzlich bestehen für Unternehmen – auch durch das Kartellrecht – Gefahren der öffentlich-rechtlichen (public enforcement) sowie der zivilrechtlichen Haftung (private enforcement). Diese beiden Haftungs­ins­ti­tu­tionen treffen in aller Regel direkt die schuldhaft handelnden Kartellanten. In den letzten Jahren hat sich jedoch eine haftungstechnische Besonderheit im Kartellrecht gebildet: Die Institution der Nachfolgehaftung wurde konstruiert und weiterentwickelt. Diese zielt auf die Inanspruchnahme der Nachfolgeunternehmen der kartellrechtswidrig handelnden Gesellschaften ab. Auch im Rahmen der Nachfolgehaftung ist dabei zwischen public enforcement und private enforcement zu unterscheiden.


Warum wurde das Institut der Nachfolgerhaftung geschaffen?

Erforderlich wurde die Konstruktion der Nachfolgehaftung aufgrund haftungsvermeidender Strategien betrof­fener Unternehmen und dem Ausnutzen von Schlupflöchern. Als prominentes nationales Beispiel dienen insbesondere kartellbeteiligte Unternehmen aus der fleischverarbeitenden Industrie, die durch Umstruktu­rierungen hohen Bußgeldern entgehen konnten. Diesem Haftungsschlupfloch – von der diesbezüglichen Medienberichterstattung auch „Wurstlücke“ getauft – nahm sich der Gesetzgeber im Rahmen des public enforcements bereits 2017 an. Auf zivilrechtlicher Ebene wurde die Haftungslücke 2019 durch das „Skansa“-Urteil des EuGH vom 14. März 2019 (C- 724/17) gegen ein finnisches Asphaltkartell geschlossen.

Wie dargelegt, fanden Unternehmen vor Begründung der kartellrechtlichen Nachfolgehaftung verschiedene Möglichkeiten, Bußgelder und eine zivilrechtliche Haftung zu umgehen. Sie bedienten sich dazu einerseits diverser Formen der Umstrukturierung ihres Konzerngefüges und andererseits verschiedener Varianten der Vermögensveräußerung. Umstrukturierungen erfolgten dabei stets auf Grundlage der Spaltungsformen des § 123 Umwandlungsgesetz (Ausgliederung sowie Auf- und Abspaltung). Grundsätzlich bedeutsamer für die Nachfolgehaftung ist jedoch der Versuch der Haftungsvermeidung mittels Veräußerung. Dabei ist zwischen einer Veräußerung von Gesellschaftsanteilen (sog. Share Deal) und einer Übertragung lediglich der Wirt­schafts­güter einer Gesellschaft (sog. Asset Deal) zu unterscheiden.

Während eine Gesellschaft im Rahmen eines Share Deals „im Ganzen“ an den Käufer übergeht, erwirbt er bei einem Asset Deal nur die Wirtschaftsgüter – sog. Assets – der Gesellschaft (z.B. Grundstücke, Patente, Maschi­nen). Selbst wenn der Käufer dabei sämtliche Assets erwirbt, verbleiben die Rechte und Pflichten der Gesell­schaft – und damit auch eine mögliche kartellrechtliche Haftung – grundsätzlich bei der faktisch veräußerten Gesellschaft. Letzteres macht Asset Deals als Veräußerungsvariante sehr attraktiv. Auf diese Weise konnten unüberschaubare Risiken insbesondere aus dem Bereich des Kartellrechts umgangen werden. Die dadurch entstehende Haftungslücke wurde auch vom Gesetzgeber erkannt und daraufhin im GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) bereits 2017 zumindest teilweise geschlossen. Bezüglich einer zivilrechtlichen Haftung konnten sich Unternehmen jedoch weiterhin den Umgehungsstrategien bedienen. Dem schiebt die Nachfolgehaftung nun endgültig den Riegel vor, indem sie den wirtschaftlichen Nachfolger auch auf zivilrechtlicher Ebene in die Pflicht nimmt.


Die Besonderheiten der kartellrechtlichen Nachfolgehaftung und dadurch entstehende zivilrechtliche Gefahren für Unternehmen

Im Kartellrecht wird grundsätzlich ein Verschulden sowohl für die bußgeldrechtliche Haftung (§ 81a GWB) als auch die zivilrechtliche Haftung (§ 33a GWB) vorausgesetzt. Dies verhält sich bei der kartellrechtlichen Nach­folgehaftung jedoch anders. Die haftungstechnische Besonderheit liegt hier in der verschuldensun­abhängigen Haftung des nachfolgenden Unternehmens für die kartellrechtlichen Verstöße des Vorgänger­unternehmens. Diese Besonderheit dürfte sich seit dem vorbezeichneten Skansa-Urteil des EuGH auch auf das nationale zivilrechtliche Kartelldeliktsrecht (private enforcement) erstrecken.

Für die betroffenen Nachfolgeunternehmen kommt erschwerend hinzu, dass es sich zudem um eine wissens­un­abhängige Haftung handelt. Das heißt, dass das nachfolgende Unternehmen auch haftet, wenn das erwer­bende Unternehmen schlicht und ergreifend nichts von dem Kartellverstoß wusste.

Die drohende Inanspruchnahme im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung kann sich aufgrund der potentiellen Vielzahl von Anspruchsberechtigten schnell summieren und enorm hohe Summen darstellen. Denn zum einen wird hier – im Gegensatz zu drohenden Bußgeldern im Rahmen des public enforcements – keine Haftungs­begrenzung vorgenommen. Zum anderen kann den Schadensersatzanspruch gemäß § 33 GWB grundsätzlich „jedermann“ geltend machen, dem ein Schaden durch eine kartellrechtswidrige Verhaltensweise eines oder mehrerer Unternehmen entstanden ist. Der Schaden des jeweiligen Anspruchsberechtigten liegt dabei generell in der ihn betreffenden Preiserhöhung aufgrund des kartellrechtswidrigen Verhaltens.

Zu beachten ist dabei, dass das Vorbezeichnete unabhängig von der Größe des erwerbenden und des erworbenen Unternehmens gilt und auch bei nur teilweisen Unternehmenserwerb (vgl. Asset Deals) gelten dürfte.  

Gefangen im kartellrechtlichen Deliktsrecht drohen den Unternehmen im Zuge der Inanspruchnahme im Vergleich zum bekannten Deliktsrecht zudem verschärfte Bedingungen. Insbesondere sind in diesem Kontext die Beweiserleichterungen des Anspruchsberechtigten, die Schadensvermutung zulasten der Kartellanten (und dessen Nachfolger) sowie die verlängerte Verjährungsregelung des Kartelldeliktsrecht zu nennen. Doch wie geht man nun mit der Gefahr dieser ungefilterten Haftung als Nachfolgeunternehmen um?


Handlungsempfehlungen und Fazit

Die dargestellten Aspekte der Nachfolgerhaftung stellen ein enormes Risikopotential für die Praxis dar. Gerade im Rahmen von Asset Deals dürfte es nur in einer überschaubaren Anzahl von Due Diligences zu einer voll­um­fänglichen Durchleuchtung kartellrechtlicher Gefahren kommen. Allerdings sollte genau das der Ansatzpunkt sein: Vor einem jeden Unternehmenskauf – gleich ob Asset- oder Share Deal – sollten spätestens jetzt konkrete Kontrollen und Risikoanalysen betreffend der kartellrechtlichen Gefahren vorgenommen werden. Diese sollten explizite Prüfung von (möglichen) Kartellrechtsverstößen des Vorgängerunternehmens umfassen; das heißt, dass eine Prüfung aller kartellrechtlich relevanter Verträge erfolgen sollte. Für gewöhnlich sind hier – aufgrund ihrer Häufigkeit und hierfür oftmals mangelnd vorliegender Sensibilität – insb. Verträge des vertikalen Kartell­rechts zu nennen (Kooperationsvereinbarungen, Vertriebsvereinbarungen, vertikaler Informationsaus­tausch, etc.); Kartellrechtsverstöße in starker Qualität kommen hingegen auch mehrfach in horizontalen Vereinbarungen vor, sodass diese keinesfalls außer Acht zu lassen sind.   

Im Rahmen der Due Diligence darf hierbei jedoch nicht verkannt werden, dass auch sie selbst dem Kartellrecht unterliegt. Denn der Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen im Rahmen von Due Diligences kann aufgrund der Kenntnisnahme sensibler Informationen geeignet sein, den Markt zu beeinflussen. Gerade weil Unternehmenskäufe in der Regel aus taktischen und strategischen Aspekten erfolgen, liegen kartellrechtlich relevante Zusammenhänge bei Due Diligences häufig vor; dies gilt es insbesondere bei der Prüfung „fremder“ Vertragsdokumente zu berücksichtigen.

Liegt sodann ein tatsächlicher Verstoß gegen das Kartellrecht vor (Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB), kann dies zur (Gesamt-)Nichtigkeit der Vereinbarung sowie den bereits vorbezeichneten Rechtsfolgen führen. Sofern die Due Diligence jedoch marktüblich ist, im erforderlichen Umfang durchgeführt und die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, gilt hiervon eine sowohl europa- als auch nationalrechtliche Ausnahme vom Kartellverbot. Aller­dings besteht auch hier ein erhöhtes Maß an Rechtsunsicherheit mangels gesetzlicher oder höchst­rich­ter­licher Präzisierung, sodass Vorsichtsmaßnahmen wie das Schwärzen von Informationen, Vereinbaren (strenger) Vertraulichkeitsvereinbarungen sowie der Einsatz sog. Clean-Teams oder Clearing Stellen in Betracht gezogen werden sollten.   

Insgesamt sollte daher das erhöhte Haftungsrisiko der Nachfolgerhaftung und der dadurch gesteigerte, aber dennoch maßvolle Prüfungsumfang bei der Preisbestimmung eines Unternehmenserwerbs berücksichtigt werden. Denkbar und in vielen Einzelfällen zu empfehlen ist dabei das zusätzliche Vereinbaren von Haf­tungs­freistellungen oder die Aufnahme entsprechender Garantien durch den (Unternehmens-)Verkäufer; gerade sofern Unsicherheiten bestehen oder nicht tiefgehender geprüft werden kann bzw. darf.

Nur durch die vorbezeichnete Gesamtheit aus Prüfung und vertraglich fixierter Exkulpation dürfte einem haftungstechnischen Durchgriff als Unternehmensnachfolger entgegenwirkt werden.

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