M&A-Praxis: Neue Fusionskontrolle durch Drittstaaten­sub­ven­tions­ver­ordnung

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veröffentlicht am 22. Februar 2023 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Am 12. Januar 2023 ist die Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende dritt­staat­liche Subventionen in Kraft getreten (VO (EU) 2022/2560; „DSVO“). Die DSVO zielt darauf ab, Wettbewerbsverfälschungen durch Subventionen aus Drittstaaten zu verhindern. Hier erkannten die EU-Gesetzgeber eine Regelungslücke, weil weder das Kartellrecht noch das Beihilferecht oder andere Regelungen verhinderten, dass drittstaatliche Subventionen einem Marktteilnehmer einen ungerechtfertigten Vorteil auf dem Binnenmarkt verschaffen. In diesem Beitrag wird zusammengefasst, welche Instrumente die DSVO der Kommission an die Hand gibt und welche Folgen die DSVO für Unternehmen vor allem bei Transaktionen hat.


Grundlagen und Instrumente der DSVO

Die DSVO gilt ab dem 12. Juli 2023, und zwar in allen Wirtschaftsbereichen. Sie ist, anders als etwa die Investitionskontrolle, nicht auf bestimmte Sektoren beschränkt. Zuständig für die Durchsetzung ist die auch für das Kartell- und Beihilfenrecht zuständige Generaldirektion Wettbewerb der Kommission.

Die DSVO bedient sich verschiedener Instrumente, die sich vor allem am Kartellrecht, der Fusionskontrolle und dem Beihilfenrecht orientieren. Diese sind im Wesentlichen:

  • Anmeldepflicht von Unternehmenszusammenschlüssen und Verbot des Vollzugs, wenn ein Zusam­men­schluss bestimmte Schwellenwerte überschreitet (dazu ausführlicher unten);
  • Meldepflicht zur Genehmigung bei der Kommission bei Teilnahme an öffentlichen Vergabeverfahren, wenn
  • Geschätzter Auftragswert von mindestens 250 Mio. EUR,
  • Drittstaatliche finanzielle Zuwendung von mindestens 4 Mio. EUR pro Drittstaat;
  • Einleitung von Untersuchungen „von Amts wegen“ bei Verdacht auf den Wettbewerb verzerrende dritt­staat­liche Subventionen, unter anderem auch mit Nachprüfungen (Durchsuchungen).


Die Kommission kann Geldbußen von bis zu 10 Prozent des jährlichen Gesamtumsatzes eines Unternehmens verhängen, wenn dieses den Pflichten der DSVO nicht nachkommt.


Wann ist ein Zusammenschluss nach der DSVO anmeldepflichtig?

„Formell“ muss für die Anmeldepflicht ein „Zusammenschluss“ vorliegen. Die Definition orientiert sich an der kartellrechtlichen EU-Fusionskontrolle. Erfasst sind die Fusion, der Kontrollerwerb und Vollfunktions­ge­mein­schafts­unternehmen. Nicht anmeldepflichtig ist hingegen die (kontrollfreie) Minderheitsbeteiligung.

Zudem müssen für eine Anmeldepflicht bestimmte Umsatz- und Zuwendungsschwellenwerte erreicht werden:

  • EU-Umsatz des Zielunternehmens/fusionierenden Unternehmens von mindestens 500 Mio. EUR,
  • Drittstaatliche Zuwendungen von mindestens 50 Mio. EUR bei beteiligten Unternehmen;


Schließlich muss eine Niederlassung der Zielgesellschaft (bzw. des fusionierenden Unternehmens) in der EU vorliegen.


Materielle Prüfung eines Zusammenschlusses

Materiell wird bei Vorliegen der Anmeldepflicht im Verfahren durch die Kommission geprüft, ob 1. eine von einem Drittstaat gewährte Subvention vorliegt, die 2. zu einer Verzerrung des Binnenmarkts führt. Dabei kann die Kommission 3. eine Abwägungsprüfung vornehmen.

  1. Drittstaatliche Subvention
    Eine drittstaatliche Subvention im Sinne der DSVO liegt vor, wenn
    1. ein Drittstaat direkt oder indirekt eine finanzielle Zuwendung gewährt,
    2. die einem Unternehmen, das eine wirtschaftliche Tätigkeit auf dem Binnenmarkt ausübt, einen Vorteil verschafft und
    3. die rechtlich oder faktisch auf ein einzelnes Unternehmen oder einen einzelnen Wirtschaftszweig oder mehrere Unternehmen oder Wirtschaftszweige beschränkt ist.
    Das können zum Beispiel zinslose Darlehen, steuerliche Vorzugsbehandlungen oder unbegrenzte Garantien sein. Obwohl die DSVO bestimmte Aspekte der Definition noch etwas näher konkretisiert, dürfte die sehr weite Definition in der Praxis zu Anwendungsschwierigkeiten und Unsicherheiten führen.
  2. Verzerrungen auf dem Binnenmarkt
    Eine Verzerrung auf dem Binnenmarkt liegt vor, wenn eine drittstaatliche Subvention geeignet ist, die Wett­bewerbsposition eines Unternehmens auf dem Binnenmarkt zu verbessern, und die drittstaatliche Subvention dadurch den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt tatsächlich oder potenziell beeinträchtigt. Hier gibt die DSVO verschiedene Indikatoren vor (u.a. Höhe und Art der Subvention, Situation des Unternehmens, Zweck). Sie nennt außerdem Kategorien, wann eine Verzerrung wahrscheinlich bzw. unwahrscheinlich ist.
  3. Abwägungsprüfung
    Bei der Abwägungsprüfung nimmt die Kommission eine Abwägung der negativen Auswirkungen einer den Binnenmarkt verzerrenden drittstaatlichen Subvention mit etwaigen positiven Auswirkungen vor. Dabei kann sie auch sonstige politische Ziele der EU in die Abwägung einstellen. Auch die Abwägung dürfte aufgrund der allgemein gehaltenen Kriterien zu einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit führen.


Weitere Aspekte der Fusionskontrolle

Die Pflicht zur Anmeldung gilt ab 12. Oktober 2023. Die DSVO enthält ein – bußgeldbewehrtes – Verbot, den Zusammenschluss nicht vor Anmeldung und Freigabe zu vollziehen. Das Verfahren ist wie die klassische EU-Fusionskontrolle in ein Vor- und Hauptprüfverfahren aufgeteilt (Phase I und II), mit vergleichbaren Fristen. Im Verfahren besteht für die Parteien bzw. die Kommission die Möglichkeit, eine festgestellte Verzerrung durch Verpflichtungszusagen bzw. Abhilfemaßnahmen zu beseitigen und so die Untersagung eines Zusammenschlusses zu vermeiden.


Herausforderungen für M&A-Praxis

Neben vielen Auslegungsfragen bei der formellen und materiellen Prüfung dürfte die gerade auch die Mög­lich­keit des Einschreitens „von Amts wegen“ für erhebliche Rechtsunsicherheit sorgen. Beispielsweise könnte die Kommission bei Transaktionen unterhalb der Schwellenwerte sogar nach Closing „von Amts wegen“ eingreifen, eine Prüfung vornehmen und im schlimmsten Fall anordnen, den Zusammenschluss rückgängig zu machen.


Unschön für die betroffenen Unternehmen ist, dass das Verfahren nach der DSVO und die bestehenden nationalen und EU-Fusionskontrollregelungen parallel anwendbar sind. Das heißt, dass die Kommission möglicherweise in zwei unterschiedlichen Verfahren den Zusammenschluss prüfen und freigeben muss. Oder aber die Kommission prüft einen Zusammenschluss nach der DSVO, während parallel dazu die Kartellbehörden der Mitgliedstaaten eigene Fusionskontrollverfahren durchführen. Dabei sind jeweils auch abweichende Entscheidungen denkbar, weil die Prüfungsmaßstäbe unterschiedlich sind.

Insgesamt wird die Fusionskontrolle nach der DSVO erheblich mehr Bürokratie, Zeitaufwand und Kosten für potenziell betroffene Unternehmen mit sich bringen. Hinzu kommen aus verschiedenen Gründen zusätzliche Transaktionsrisiken.


Berücksichtigung der DSVO im M&A-Prozess

Im M&A-Prozess muss berücksichtigt werden, dass Transaktionen künftig einer weiteren Freigabe durch die Kommission bedürfen könnten. Insofern muss zunächst die potenzielle Anmeldepflicht als weiterer Prü­fungs­punkt im Prozess etabliert werden, und zwar so frühzeitig, dass erforderlichenfalls noch genug Zeit bleibt, das Fusionskontrollverfahren vorzubereiten und durchzuführen. Dieses kann sich ähnlich wie das EU-Fusions­kon­trollverfahren in komplexen Fällen leicht auf mehrere Monate ausdehnen.

Drittstaatliche Subventionen und die DSVO sollten aber auch darüber hinaus im Transaktionsprozess berück­sichtigt werden. Es sollte z.B. geprüft und bewertet werden, ob bei Transaktionen unterhalb der Schwellenwerte ein Eingreifen „von Amts wegen“ denkbar ist oder ob es im Zusammenhang mit der Zielgesellschaft in der Vergangenheit zu Verstößen gegen die DSVO gekommen ist.

Bei der Vertragsgestaltung ist an die entsprechende aufschiebende Vollzugsbedingung zu denken und es sollten Regelungen zum Ablauf des Fusionskontrollverfahrens (Informations-, Beteiligungsrechte etc.) aufgenommen werden. Zu überlegen ist auch, inwieweit die vielfältigen Unwägbarkeiten und Risiken aus der DSVO vertraglich abgesichert werden sollen.


Fazit

Durch die DSVO wird eine weitere Zusammenschlusskontrolle etabliert, die neben die bestehenden Fusions­kontrollregime (national und EU) sowie die Investitionskontrolle tritt. Wie die Kommission gerade in den ersten Jahren derartige Verfahren bearbeiten wird und welche Hürden sich dabei ergeben, bleibt abzuwarten Leitlinien der Kommission gibt es zwar noch nicht. Die Kommission hat aber Anfang Februar 2023 den Entwurf einer Durchführungsverordnung veröffentlicht, der bis zum 6. März 2023 kommentiert werden kann. Regelungs­lücken, unbestimmte Rechtsbegriffe und fehlende Erfahrungswerte führen zu einem erheblichen Maß an Unsicherheit sowie rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken für Unternehmen, die auf dem EU-Binnenmarkt tätig sind. Wichtig ist für potenziell betroffene Unternehmen nun zunächst, dass bei Unter­neh­mens­zu­sam­men­schlüssen die DSVO und die daraus resultierenden Risiken frühzeitig als weiterer Prüfungspunkt berücksichtigt werden. Andernfalls drohen Unternehmen unter anderem schmerzhafte Sanktionen.

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