Berücksichtigung von ESG in den Eigen- und Fremdkapitalkosten bei einer Unternehmensbewertung

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veröffentlicht am 20. Februar 2024 | Lesedauer ca. 4 Minuten


ESG-Faktoren gewinnen aufgrund zunehmender regulatorischer Anforderungen, ver­änderten Kunden-, Investoren- und Arbeitnehmer-Präferenzen immer mehr an Be­deu­tung und verlangen zunehmend nach einer Berücksichtigung in der Unter­nehmens­bewertung. In diesem Artikel soll aufgezeigt werden, wie sich ESG-Aspekte in den Kapitalkosten berücksichtigen lassen.


In den letzten Jahren ermittelten zahlreiche Studien eine positive Korrelation zwischen der finanziellen Performance eines Unternehmens und dessen ESG-Ratings. Für diese Beobachtung gibt es zwei mögliche Erklärungsansätze, nämlich einerseits, dass die Nachhaltigkeit eines Unternehmens die Ursache für dessen finanziellen Erfolg darstellt, da entsprechende Unternehmen ihre Risiken besser managen können, als ihre Wettbewerber und somit eine höhere Bewertung erhalten und andererseits, dass Unternehmen mit einer hohen Bewertung finanziell gesünder sind, wodurch es ihnen möglich ist mehr in Nachhaltigkeit zu investieren und letztlich ein höheres ESG-Rating erhalten. Obwohl Nachhaltigkeit und ESG-Konzepte schon seit einiger Zeit existieren, hat das Thema in letzter Zeit zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die ESG-Herausforderungen in den letzten Jahren sichtbarer, greifbarer und globaler geworden sind. Aber auch zunehmende regulatorische Anforderungen, die Präferenzen von Kunden und Investoren, Wettbewerbsvorgaben und das Ziel, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, verleihen dem ESG-Thema nicht nur globale Relevanz, sondern auch Bedeutung auf Ebene der einzelnen Unternehmen sowie in deren Bewertung.

Um Environmental, Social und Governance-Faktoren in der Unternehmensbewertung zu berücksichtigen, können abgesehen von Cashflow-Komponenten und der langfristigen Wachstumsrate, auch ESG bezogene Anpassungen in den Kapitalkosten vorgenommen werden. Gregory et al. und Giese et al. zeigten in ihren Studien auf, dass Unternehmen, die eine Verbesserung ihres ESG-Ratings erhielten, einen Rückgang des systematischen Risikos und eine Wertsteigerung aufwiesen, während abgestufte Unternehmen sowohl einen Anstieg des systematischen als auch des unternehmensspezifischen Risikos verzeichneten und bestätigten somit die positive Korrelation zwischen der Nachhaltigkeit eines Unternehmens und dessen Wert. Diese spiegelt sich langfristig in geringeren Kosten und Risiken sowie höheren Erträgen wider, wodurch nachhaltigere Unternehmen insgesamt stabiler und krisenfester als weniger nachhaltigere Unternehmen sind. Folglich sind Unternehmen mit einem starken ESG-Profil weniger anfällig für systematische Marktschocks [1][2]. Da der Diskontierungszinssatz die Risikoentschädigung der Eigen- und Fremdkapitalgeber widerspiegelt, sollten nachhaltige Unternehmen geringeres systematisches Risiko, Beta und im Zuge dessen insgesamt niedrigere Kapitalkosten und einen höheren Unternehmenswert besitzen.

Da systematische Risiken jedoch den gesamten Markt oder bestimmte Branchen betreffen, sollten markt- und branchenbezogene ESG-Risiken bereits per Definition eingepreist sein. Dies kann entweder durch die erwartete Marktrendite (r_M) oder durch das Beta geschehen. Wenn ESG-Themen einen globalen Einfluss auf die Wirt­schaft haben, wäre eine Anpassung der Markterwartungen, (r_M), erforderlich. Insofern jedoch ein bestimmter Sektor empfindlicher auf bestimmte ESG-Themen reagiert, wie beispielsweise energieintensive Sektoren auf Kohlenstoffemissionen, würde die erhöhte Volatilität im Betafaktor widergespiegelt werden. Die spezifische Veränderung von Markterwartungen und der Volatilität eines Sektors, welche allein auf einen ESG-Effekt zurückzuführen ist, lässt sich allerdings schwer beurteilen.
 
Es gibt jedoch Ansätze, ESG-Aspekte, welche nicht von der erwarteten Marktrendite oder β abgedeckt werden, aktiv zu integrieren. So kann ESG durch eine pauschale Anpassung, die Auswahl der Peer Group für die Beta-Berechnung, das unsystematische Risiko, die Kosten des Fremdkapitals sowie eine abgeänderte Beta-Berech­nung in die Kapitalkosten integriert werden.

Um ESG in die Beta-Berechnung einzubeziehen, hat beispielsweise Zerbib das Sustainable CAPM (SCAPM) entwickelt, welches die Präferenzen der Investoren für sozial verantwortliche Unternehmen berücksichtigt. Durch die Einbeziehung unterschiedlicher Anlagestile hat es den Vorteil auch in einem nicht homogenen Markt zu funktionieren. Angewendet auf US-Aktien für den Zeitraum 1999 bis 2019 führte die Nachhaltigkeitsprä­ferenz der Investoren zu einem durchschnittlichen Ausschlusseffekt von 3 Prozent für sündige Aktien [3]. Darüber hinaus haben Petersen, Fitzgibbons und Pomorski eine ESG-effiziente Grenze sowie ein ESG-adjus­tiertes CAPM auf Grundlage der Markowitz-Theorie und der Einführung einer zusätzlichen Op­ti­mierungs­ein­schränkung durch den ESG-Score entwickelt. Getestet mit S&P 500-Aktien und verschiedenen ESG-Proxy-Indizes ermittelten sie ebenfalls eine Sündenprämie in Form einer negativen Alpha-Schätzung [4].

ESG-Aspekte können weiterhin im Auswahlprozess der Peergroup für die Beta-Ermittlung berücksichtigt werden. Hierbei wird der herkömmliche Auswahlprozess um neue Screening-Kriterien ergänzt, welche explizit ESG-Kriterien berücksichtigen, so beispielsweise das ESG-Rating oder der CO2-Verbrauch eines Un­ter­neh­mens. Mittels dieser Methode können ESG-bezogene Risiken und Unterschiede auch innerhalb eines be­stimm­ten Sektors abgebildet werden, welche tendenziell weniger quantifizierbar und signifikant sind.

Eine weitere Möglichkeit der ESG-Berücksichtigung in den Kapitalkosten besteht darin, eine pauschale An­passung mithilfe von ESG-Ratings vorzunehmen. Hierbei erfolgt eine Clusterung von Unternehmen einer Branche in Leader, Average und Laggard entsprechend ihres ESG-Ratings sowie einer anschließenden Er­mitt­lung von durchschnittlichen Betafaktoren eines jeden Clusters. Diese durchschnittlichen Betafaktoren dienen als Richtwert für das zu bewertende Unternehmen, welches ebenfalls hinsichtlich seiner Nachhaltigkeit be­ur­teilt und anschließend einem Cluster zugeordnet wird. Lodh liefert eine erste Indikation für eine angemessene pauschale Anpassung, welche sich auf einen Unterschied von 0,4 Prozentpunkten (5 Prozent der Eigen­ka­pi­tal­kos­ten) für Unternehmen in entwickelten Märkten und einen Unterschied von 2 Prozentpunkten (18 Prozent der Eigenkapitalkosten) für Unternehmen in Schwellenländern zwischen High- und Low-ESG-Performern beläuft [5]. Es gilt allerdings zu betonen, dass pauschale Anpassungen einem statistischen Rauschen ausgesetzt sind und dementsprechend auch von nicht-ESG-bezogenen Themen beeinflusst sein können.

Neben den Eigenkapitalkosten beeinflusst ESG auch die Fremdkapitalkosten, welche ebenfalls aufgrund ihrer Stabilität und Krisenresistenz niedriger für nachhaltige Unternehmen sind. Folglich erhalten nachhaltige Unternehmen günstigere Finanzierungsoptionen, wie beispielsweise niedrigere Zinszahlungen, aber auch niedrigere Kredit- und Kreditausfall-Spreads. So zeigt unteranderem Chava auf, dass Unternehmen mit erheblichen Umweltproblemen fast 20 Prozent höhere Zinssätze für Kredite zahlen als vergleichbare Unter­nehmen [6]. Weiterhin bedeutet die Ausgabe von bevorzugten Krediten und grünen Anleihen ebenfalls eine Reduzierung der Finanzierungskosten für entsprechende Unternehmen. Grüne oder soziale Anleihen sind ökologische, nachhaltigkeitsbezogene Anleihen, die derzeit von einer Reihe an gelisteten Unternehmen verwendet werden, hauptsächlich um günstigere Finanzierungen zu erhalten. Es gilt allerdings zu bedenken, dass die Ausgabe von grünen Anleihen aufgrund strengerer Anforderungen auch zu höheren Kosten für das Unternehmen führen kann. Für die Reduzierung der Finanzierungskosten ist für Kreditgeber auch zunehmend die Corporate Governance-Struktur eines Unternehmens sowie die Einhaltung von ESG-Kriterien entscheidend. So werden unter anderem von einigen Kreditgebern ESG-Margenratchets in Kreditverträgen verwendet, bei welchen das Zinsniveau mit der Einhaltung oder dem Erreichen bestimmter ESG-Kriterien verknüpft ist, wie etwa die Einhaltung eines bestimmten CO2-Emissionsniveaus. Weiter schließen einige Kreditgeber ganze Branchen aus, wodurch es für Unternehmen mit schlechten ESG-Bewertungen deutlich schwieriger wird, Kredite zu erhalten. Abgesehen von günstigeren Konditionen, können nachhaltige Unternehmen auch eine höhere Verschuldungsquote besitzen, da sie zuverlässiger und resistenter erscheinen. Obwohl Lodh einen ersten Hinweis auf einen Unterschied in den Fremdkapitalkosten zwischen hoch- und niedrig bewerteten ESG-Unternehmen von etwa 0,75 Prozentpunkten (ungefähr 30 Prozent der Fremdkapitalkosten) gibt, lässt sich dieser Effekt, ähnlich wie bei den Eigenkapitalkosten, nur schwer quantifizieren [5].

Bei einer Anpassung von Kapitalkosten um ESG-Effekte sollte bedacht werden, dass diese gegebenenfalls einen großen Einfluss auf die Gesamtbewertung des Unternehmens haben und deutlich schwerer zu quan­ti­fi­zie­ren und zu verstehen sind. Aus diesem Grund rät Le Meaux dazu, die Anpassung auf einem vergangenen oder konkurrierenden Fall zu basieren, der genau quantifiziert werden kann. Er betont weiter, dass die Gesamt-WACC-Anpassung ±100 Basispunkte nicht überschreiten sollte [7]. Dies wird von Singh unterstützt, der eine Abwärtsanpassung von 25 bis 100 Basispunkten für ESG-freundliche Unternehmen identifiziert [8]. Darüber hinaus sollte das Niveau der Anpassung auf der Bedeutung des zu berücksichtigenden ESG-Themas basieren. Zum Beispiel könnte ein signifikantes Problem eine Anpassung von ±50 Basispunkten rechtfertigen, während ein unwichtiges oder entferntes Problem nur eine Anpassung von ±10 Basispunkten rechtfertigen könnte [7].




[1] Gregory, A., Tharyan, R. & Whittaker, J. (2014). Corporate Social Responsibility and Firm Value: Disaggregating the Effects on Cash Flow, Risk and Growth. Journal of Business Ethics, 124(4), S. 633–657. https://doi.org/10.1007/s10551-013-1898-5
[2] Giese, G., Lee, L.‑E., Melas, D., Nagy, Z. & Nishikawa, L. (2019). Foundations of ESG Investing Part: How ESG Affects Equity Valuation, Risk, and Performance. jpm.iprjournals.com, 45(5), S. 1–17. https://www.msci.com/documents/10199/03d6faef-2394-44e9-a119-4ca130909226
[3] Zerbib, O. D. (2022). A Sustainable Capital Asset Pricing Model (S-CAPM): Evidence from Environmental Integration and Sin Stock Exclusion. Review of Finance, 26(6), S. 1345–1388. https://doi.org/10.1093/rof/rfac045
[4] Pedersen, L. H., Fitzgibbons, S. & Pomorski, L. (2021). Responsible investing: The ESG-efficient frontier. Journal of Financial Economics, 142(2), S. 572–597. https://doi.org/10.1016/j.jfineco.2020.11.001
[5] Lodh, A. (2020). ESG and the cost of capital – MSCI. MSCI. https://www.msci.com/www/blog-posts/esg-and-the-cost-of-capital/01726513589
[6] Chava, S. (2014). Environmental Externalities and Cost of Capital. SSRN Electronic Journal, S. 1–63. https://doi.org/10.2139/ssrn.1677653
[7] Le Meaux, F. (2023). Cash Flow Valuation and ESG: Case Study. In D. Glavas (Hrsg.), Valuation and Sustainability: A Guide to Include Environmental, Social, and Governance Data in Business Valuation (1 Auflage, S. 129–146). Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-031-30533-7_5
[8] Singh, I. (2022). Integrating ESG Factors to Equity Valuation [, Massachusetts Institute of Technology]. dspace.mit.edu. https://dspace.mit.edu/bitstream/handle/1721.1/146657/Singh-Inderpreet-MSMS-Sloan-2022.pdf?sequence=1&isAllowed=y
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