Die Latte hängt hoch – Interview mit Martin Wambach in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)

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veröffentlicht am 27. Juni 2024 | Lesedauer ca. 4 Minuten

​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung | Autor: Mark Fehr

  

Viele Unternehmen sind zur Vorlage von Nachhaltigkeitsberichten verpflichtet – auf die Wirtschaftsprüfer rollt eine Welle von Arbeit zu.


​Herr Wambach, man sieht Sie neuerdings öfter in Turnschuhen. Tragen Wirtschafts­prüfer das jetzt so?
Auch für die traditionell sehr formellen Wirtschafts­prüfer ändern sich die Dresscodes. Die Branche stellt längst nicht mehr nur Betriebswirte und Juristen ein, denn die Digitalisierung und die Nachhaltigkeit sorgen für ganz neue Aufgaben. Prüfungsgesellschaften brauchen daher immer mehr Talente aus den Bereichen Informatik oder Ökologie und mit internationalen Erfahrungen. Die jungen Leute aus diesen Fach­richtungen kleiden sich etwas anders, was auch die Prüferbranche auflockert. Die lässigere Garderobe hat zudem mit der Verbreitung von Homeoffice zu tun, wodurch die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit auch modisch nicht mehr so streng gezogen werden.

Wie ticken die jungen Leute inhaltlich?

Den jungen Mitarbeitern liegt viel daran, zur Verbesserung der Welt beizutragen. Das gibt ihrer Arbeit einen Sinn. Ein solcher Purpose, also höherer Zweck, ist Berufstätigen heute wichtig. Daher erleichtert es unserem Berufsstand die Talentsuche enorm, dass die Wirtschaftsprüfer künftig dazu beitragen, das Vertrauen in die Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen zu sichern. Wir können plötzlich Absolventen für den Prüferberuf begeistern, die vorher kein Interesse daran gehabt hätten.

Etwas Digitalisierung, etwas Nachhaltigkeit, dazu Homeoffice - das klingt nach einem Traumjob. Wie machen Sie Berufsanfängern klar, dass der brisante Prüferjob nicht nur heile Welt ist?

Natürlich müssen wir besonders den jungen Berufseinsteigern klarmachen, dass Wirtschaftsprüfung ohne eine gesunde kritische Grundhaltung nicht funktioniert. Dazu passt die aktuelle Diskussion rund um Greenwashing. Wir müssen sie dafür sensibilisieren, also vor der Gefahr warnen, dass Unternehmen ihre Nachhaltigkeits­kenn­zahlen beschönigend darstellen.

Wie setzen Wirtschaftsprüfer die neuen Werkzeuge der Künstlichen Intelligenz ein?

Diese helfen zum Beispiel, fragwürdige Geschäftsvorfälle, sogenannte Anomalien, in Unternehmensprozessen zu entdecken. Dabei geht es etwa um auffällige Buchungen oder Kontobewegungen mit zum Beispiel besonders großen Beträgen, ungewöhnlichen Buchungszeiten, unpassenden Belegen, um nur einige zu nennen. Mithilfe des Einsatzes Künstlicher Intelligenz entwickeln sich die Prüfungsinstrumente schnell weiter. Ein Augenmerk liegt dabei zum Beispiel auf der Identifikation von sogenannten nahestehenden Personen oder Geschäfts­partnern, die eine besondere Nähe zum Unternehmen haben. Zum einen dürfen diesen nahestehenden Personen oder Unternehmen keine besonderen Vorteile gewährt werden. Zum anderen können sich hier Einbruchstellen für Bilanzbetrug finden lassen.

Sind Berufsanfänger gut ausgebildet für diese neuen Anwendungen?

Die Ausbildung hat sich stark weiterentwickelt. In der Betriebswirtschaftslehre zum Beispiel werden Studenten viele Zusatzqualifikationen und Schwerpunkte angeboten wie Wirtschaftsinformatik. Allein an der Universität Bamberg sind drei neue Lehrstühle für Künstliche Intelligenz entstanden, und zwar an der wirt­schafts­wissen­schaft­lichen Fakultät. Die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich mit Digitalisierung auseinanderzusetzen, ist durch die neuen Werkzeuge gestiegen. Die Künstliche Intelligenz macht die Digitalisierung greifbarer.

Taugt der klassische Schutz von Kreditgebern und Aktionären vor Bilanzbetrug noch als Purpose, also Daseinszweck, für die Wirtschaftsprüfer?

Die finanzielle und die nachhaltige Perspektive gehören beim Blick auf ein Unternehmen zusammen. Ich glaube, dass der Blick der Wirtschaftsprüfer durch die neuen Aufgaben umfassender wird. Vielleicht hätten die Wirtschaftsprüfer in der Autoindustrie der Dieselthematik schon vor dem Abgasskandal mehr Aufmerksamkeit gewidmet, wenn sie sich schon damals so stark wie heute mit Umweltthemen hätten auseinandersetzen müssen. Das hätte möglicherweise die Folgen entschärfen können. Die Nachhaltigkeitsprüfung wird uns daher nicht von der Bilanzprüfung ablenken, sondern den Horizont erweitern.

Wie viel mehr Arbeit entsteht durch die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichte?

Von unseren Mandanten sind aktuell rund 400 Unternehmen zur Erstellung ihrer Nachhaltigkeitsberichte ab dem Geschäftsjahr 2025 verpflichtet. Auf uns rollt dann in 2026 die Prüfung dieser vielen Nachhaltigkeits­berichte zu. Ein solcher Kraftakt ist nur gemeinsam zu schaffen. Von daher haben wir sehr früh mit den Mandanten Kontakt aufgenommen und die Erwartungshaltungen abgeklärt. Für nicht börsennotierte Unter­nehmen ergibt sich zum Beispiel die interessante Perspektive der prüferischen Begleitung. Dabei stehen vor allem die erfolgskritischen Aspekte wie Wesentlichkeitsanalyse, Konzept und Implementierung sowie erst­malige Datenerhebung und Berichterstattung im Mittelpunkt. Begleitet durch den Wirtschaftsprüfer, bekommt der Mandant Prüfungssicherheit, und wir entzerren die drohende Stoßbelastung.


Sind die Unternehmen vorbereitet?

Wir sehen große Herausforderungen für unsere Mandanten. Es ist wichtig zu erkennen, dass Nachhaltigkeit nicht allein von der Unternehmenskommunikation bewältigt werden kann. Es erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise, die alle Ebenen und Abteilungen des Unternehmens einbezieht. Weil es sich um ein gesellschaftlich hochrelevantes Thema handelt, erwartet die Öffentlichkeit, dass die Unternehmen bei ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung und wir Prüfer mit der notwendigen Ernsthaftigkeit agieren. Die nach den Europäischen Nachhaltigkeitsstandards geforderten Berichts- und Prüfungsanforderungen sind erst vor Kurzem bekannt gegeben worden und wirklich anspruchsvoll. Daher erwarte ich, dass die Umsetzung hin zu einer vollumfänglichen Berichterstattung ein Prozess sein wird. Für uns Prüfer bedeutet das, dass wir den Mandanten eine Hilfestellung geben müssen, wie hoch die Latte hängt, um zu einem guten Prüfungsurteil zu kommen.

Was kostet die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichte extra?

Schon heute zeichnet sich ab, dass die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung einen erheblichen Zeit­aufwand erfordern wird. Tatsächliche Erfahrungswerte existieren noch nicht. Aber abhängig von der Größe und Komplexität des Geschäftsmodells existieren Schätzungen in der Größenordnung von 30 bis 60 Prozent der Kosten einer klassischen Abschlussprüfung.


Sie prüfen auch das krisengeschüttelte Immobilienunternehmen Adler. Muss dieser Kunde auch über Nachhaltigkeit berichten?

Rödl & Partner prüft die deutsche Tochtergesellschaft Adler Real Estate, die letztes Jahr von der Börse genommen wurde und nicht unter die Nachhaltigkeitsprüfpflicht fällt. Die Muttergesellschaft Adler Group dagegen muss einen Nachhaltigkeitsbericht aufstellen und prüfen lassen, wird aber von einer Luxemburger Wirtschaftsprüfung geprüft.

Welche Großaufgaben warten neben der Nachhaltigkeit noch auf die Wirtschaftsprüfer?

Auch in der klassischen Abschlussprüfung gibt es brisante Themen, etwa die bilanzierten Goodwills. Gemeint sind die durch Übernahmen entstandenen Firmenwerte. In der Praxis zeigt sich, dass die mit den hohen Kaufpreisen verbundenen Erwartungen oftmals nicht materialisiert werden können. Trotzdem scheuen Unternehmen die rechtzeitige Korrektur der Firmenwerte. Wegen der zahlreichen Krisen ist es zudem für Wirtschaftsprüfer viel schwerer geworden, die Going-Concern-Prämisse zu überprüfen. Damit ist gemeint, dass der Prüfer beurteilt, ob das Unternehmen in der Zukunft fortgeführt werden kann. Insgesamt rückt die Resilienz von Unternehmen stärker in den Mittelpunkt.

Erstveröffentlichung: 19. Juni 2024, Autor: Mark Fehr, © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv
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