„Die steuerliche Situation spricht klar gegen Deutschland“ – Interview mit Christian Rödl im Handelsblatt

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​​​​​​​​​​​​​​Quelle: Handelsblatt, veröffentlicht am 23. April 2024​

 

Christian Rödl, Mehrheitsgesellschafter von Rödl und Partner, erklärt, warum er seine Beratung nach langem Zö​gern aus Russland zurückgezogen hat, dies für China keine Option ist – und warum Deutschland eine bessere Politik verdient.​

 
  


   

​Düsseldorf. Christian Rödl, Mehrheitsgesellschafter des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Rödl und Partner, beschäftigt mehr als 6000 Menschen in 50 Ländern. Im aktuellen Ranking der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung belegt das Unternehmen den fünften Platz hinter den großen vier Prüfungsgesellschaften KPMG, PwC, Deloitte und EY.
  
Im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärt er die steuerlichen Tücken von Verlagerungen und warum viele Mittelständler gerade jetzt mehr in China investieren.
  

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Herr Rödl, Russland war mit 200 Beschäftigten für Sie ein wichtiger Markt. Wann waren Sie das letzte Mal dort?

Ich war seit Kriegsausbruch nicht mehr dort. Wir haben uns inzwischen aus Russland zurückgezogen.
  

Vor zwei Jahren sagten Sie noch, dass Ihre Mandanten Sie in Russland gerade seit Kriegsbeginn besonders dringend brauchen. Wie kam es zu dem Sinneswandel?

Wir haben unser Geschäft in Russland nur sehr ungern abgegeben. Aus zwei Gründen: erstens, weil unsere Mandanten dort enormen Beratungsbedarf haben. ​Und zweitens, weil unsere russischen Kolleginnen und Kollegen seit Jahren zu uns gehörten. Aber wir haben wirklich in jeder Geschäftsführungssitzung darüber diskutiert, und irgendwann war der Punkt erreicht, den Schlussstrich zu ziehen.​
  

Welche Rolle spielte die ukrainische Regierung, die im vorigen Jahr ankündigte, dass Unternehmen, die noch in Russland aktiv sind, es dann nicht mehr in der Ukraine sein können?

Diese Nachricht hat den Ausstiegszeitpunkt sicherlich vorgezogen. Mit Blick auf die EU-Sanktionen hätten wir in Russland bleiben dürfen.
  

​Haben Sie auch den Weg gewählt, den Sie vielen Ihrer Mandanten empfohlen haben: an das örtliche Management zu verkaufen?​

Ja, zu einem großen Teil. Wir haben die Rechtsberatung, die derzeit am wichtigsten in Russland ist, sowie die Steuerberatung und die Buchhaltung an das Management vor Ort übertragen. Das heißt für unsere Mandanten: Die Berater bleiben. Die Wirtschaftsprüfung in Russland haben wir getrennt an einen russischen
Wirtschaftsprüfer mit deutschen Mandanten verkauft – für einen sehr geringen Preis.
  

Machte der Rückzug jetzt auch wirtschaftlich mehr Sinn, weil sich viele Ihrer ​Mandanten in den vergangenen zwei Jahren zurückgezogen haben?

Die Zahl der Mandanten ging sukzessive zurück, da wir in Russland praktisch ausschließlich westliche Unternehmen mit ihren russischen Tochtergesellschaften beraten haben, sodass wir bereits vor unserem kompletten Rückzug die Mannschaftvon 200 auf rund 100 Beschäftigte reduzieren mussten. Dabei war der
Beratungsbedarf in der Rechtsberatung hoch, insbesondere im Zusammenhang mit dem Exit aus Russland (Unternehmensverkauf und -liquidierung), aber eben nicht in der Buchhaltung, der Steuerberatung und der Wirtschaftsprüfung.
  

Was würden Sie Unternehmen empfehlen, die sich aktuell aus Russland zurückziehen wollen?

Ich halte den Verkauf an das dortige Management nach wie vor für die beste Lösung.
  

Und wenn ein Unternehmen nur Vertrieb in Russland hat?

Dann ist die Liquidation des Unternehmens das Mittel der Wahl.
  

Fühlen Sie sich als Unternehmer nun wohler, weil Sie kein Geschäft mehr in Russland haben?

Ja, moralisch bin ich mit mir im Reinen, auch weil unsere Kolleginnen und Kollegen weiter in ihrem Beruf arbeiten können, eine Kollegin hat sich sogar mit einem Teil unseres damaligen Teams selbstständig gemacht.
  

Warum sind nach wie vor einige deutsche Unternehmen in Russland aktiv? Wird Ihnen der Rückzug so schwer gemacht, oder wollen sie nicht?

Unternehmen, die sich ernsthaft zurückziehen wollen, können dies vom Verfahren her schon tun. Aber es ist aufwendig, kostet viel und kann Unternehmen überfordern. Außerdem müssten sie in manchen Fällen ihre Unternehmen mit häufig hochmodernen Produktionsanlagen kremltreuen russischen Unternehmern
übertragen, an den russischen Staat signifikante Beträge („Putin-Steuer“) für den Rückzug zahlen und erhalten nur einen Bruchteil ihres ursprünglichen Investments als Kaufpreis. Insbesondere Familienunternehmen haben damit ein Problem. So manches Familienunternehmen hat viel investiert und viel eigenes Kapital im Feuer. Die Familie muss nun schwierige Abwägungen und Entscheidungen treffen. Außenstehende können da von ihrer Zuschauertribüne aus leicht reden.
  

Wie beurteilen Sie die Sanktionen, sind sie wirksam genug?

Das ist eine schwierige Frage. Die Sanktionen haben die deutschen Unternehmen in Russland stark getroffen und Russland bisher weniger geschwächt als geplant und erwartet.
  

Und was hören Sie in Gesprächen mit deutschen Unternehmen, die sich aus Russland zurückgezogen haben?

Viele Mandanten sind entrüstet, dass ihre Produkte auch durch solche aus anderen EU-Staaten ersetzt werden. Sie zweifeln daher an den EU-Sanktionen. Ich finde es höchst unfair, dass die Unternehmen und Verwaltungen in anderen EU-Staaten es mit den Sanktionen offenbar weniger genau nehmen als die Deutschen.
  

​Deutschland hatte sich vorher auch besonders bei Energie stärker abhängig von Russland gemacht als andere EU-Staaten. Diese Abhängigkeiten werden heute kritischer bewertet. Besonders im Fokus steht dabei China, unter anderem wegen zunehmender Spannungen mit den USA. Wie bewerten Sie derzeit die Lage für Ihr Unternehmen in China? ​

Selbst wenn das Risiko eines Konflikts zwischen USA und China steigt, gilt: Wir ziehen uns nicht aus China zurück. Wir wollen unseren Mandanten gerade in kritischen Zeiten mit unserer Beratung zur Seite stehen.
  

Wie verhalten sich Ihre Mandanten in China aktuell?

Die Unternehmen können und wollen auf China nicht verzichten und zugleich die Risiken mildern. Das kann durchaus bedeuten, dass sie aktuell mehr und nicht weniger in China investieren.
  

Warum?

Sie wollen sich unabhängiger von ausländischen Lieferketten machen. Selbst Mittelständler mit einem Umsatz zwischen 500 Millionen und zwei Milliarden Euro vertiefen ihre Wertschöpfung und siedeln in China sogar Forschung und Entwicklung an, um den Standort China autarker zu machen – für den Fall, dass es irgendwann
nicht mehr erlaubt sein sollte, Güter nach China ein- oder aus China auszuführen.
  

Viele Unternehmen schauen aber doch auch noch nach Alternativen zu China, oder?

Ja, eine steigende Zahl deutscher Unternehmen investiert vor allem in Indien, dann mit gewissem Abstand in Vietnam und mit weiterem größerem Abstand auch in​ Thailand.
  

Was ist mit Indonesien, Malaysia und den Philippinen?

Diese Länder profitieren zwar auch, aber bei Weitem noch nicht so stark. Ehrlich gesagt, ich verstehe nicht, warum so wenige deutsche Unternehmen in den Asean-Staaten investieren. Nicht nur viele andere asiatische Firmen, auch japanische, sind dort deutlich aktiver, sondern auch amerikanische. Deutsche Unternehmen
verpassen in Südostasien Chancen.
  

Auch in Deutschland investieren viele Unternehmen nicht mehr so gern.

Das ist nicht neu, aber der Trend verstärkt sich derzeit. Auch früher war es herausfordernd, hierzulande zu investieren, weil die Arbeitskräfte teuer sind. Aber jetzt ist es salonfähiger geworden, darüber zu sprechen.
  

Welche Rolle spielen dabei die Steuern?

Bei Investmententscheidungen spricht die steuerliche Situation ganz klar gegen Deutschland. Wir sehen ja auch gerade, wie attraktiv der Standort USA für viele Unternehmen erscheint. Aber auch in manchen baltischen Staaten ist die Körperschaftsteuer null, solange man keine Gewinne ausschüttet. Auch in Osteuropa liegt die Steuerquote zum Teil bei zehn Prozent, meist unter 20 Prozent. In Deutschland liegt sie bei rund 30 Prozent, für Personengesellschaften sogar bis an die 50 Prozent.
  

Macht es denn für Unternehmen Sinn, aus steuerlichen Gründen die Produktion in diese Länder zu verlagern?

Eine echte Funktionsverlagerung ist steuerlich schlecht, weil diese wie ein Verkauf an die dortige Tochter besteuert wird. Das ist ja auch beabsichtigt, weil kein Staat das möchte. Unternehmen werden daher eher die Produktion im Ausland ausbauen und vielleicht erst bei einem Modellwechsel mit der Zeit verlagern. Neue Produkte und Fabriken mit topmoderner Ausstattung werden von vornherein im Ausland angesiedelt.
  

Was sind die häufigsten Gründe Ihrer Mandanten, außerhalb Deutschlands zu investieren?

Der Fachkräftemangel und die hohen Personalkosten sind ein wichtiges Argument. Früher gab es hierzulande besonders qualifizierte und engagierte Arbeitskräfte, eine hohe Planungs- und Rechtssicherheit, die Infrastruktur war gut, die öffentliche Verwaltung unternehmerfreundlicher und entscheidungsfähig. Und bei diesem ganzen Bündel an Kriterien schneidet Deutschland immer schlechter ab.
  

Auch weil andere Länder sich schneller entwickelt haben?

Ja, die Ingenieure und Techniker in China und Indien werden auch dank europäischer und amerikanischer Dozenten immer besser. Die Unternehmen bilden auch selbst massiv vor Ort aus. Und auch die mittelständischen Unternehmen agieren nach dem Ameisenprinzip.
  

Was ist das Ameisenprinzip?

Während die Unternehmen hierzulande vielleicht fünf Ingenieure auf ein Thema setzen können, sind es dort manchmal 100. Aber woanders sind auch die ​Energiekosten und die Bürokratie deutlich geringer.
  

Sie meinen auch vor allem die USA?

Ja, die USA lassen etwa beim Inflation Reduction Act (IRA) die Förderung über einfache Steuergutschriften laufen. Zudem stehen dort die Bundesstaaten ebenso wie die Counties im Wettbewerb um die Ansiedlung der Firmen. So handeln sie auchund helfen den Unternehmen, wo sie können. Hierzulande, aber auch in der EU
braucht man dagegen ein Beraterteam, um einen Antrag richtig zu gestalten.
  

Davon profitieren Sie doch.

Sie haben recht, dass wir zum Beispiel von der Umsetzung des Green Deals, des ESG- Reportings und den Compliance-Anforderungen als Berater kurz- bis mittelfristig stark profitieren. Langfristig aber schadet die überbordende Bürokratie unseren Mandanten nachhaltig und damit auch uns. Die Steuerkomplexität geht inzwischen so weit, dass sich selbst die Finanzverwaltungen schwertun, diese auch umzusetzen.
  

Also überfordert die Bürokratie die Steuerbehörden selbst?

Ja, es kommt häufiger zu massiven Verzögerungen und manchmal zu Qualitätsproblemen in der Finanzverwaltung. Die Verwaltung ist überlastet, leidet unter dem demografischen Wandel. Und das wird künftig noch schlimmer. Immer komplexere Gesetze verschärfen diese Situation weiter.
  

Wird Künstliche Intelligenz in der Steuerberatung die Personalnot verringern?

Wir haben bereits etliche Tools durch die Zusammenarbeit zwischen unserer Steuerberatung und unseren IT-Beratern entwickelt. Sonst sind die weiter wachsenden Anforderungen nicht zu bewältigen.
  

Werden Sie dadurch auch Arbeitskraft einsparen?

Nein, aber Künstliche Intelligenz ermöglicht uns neue und effiziente Beratungsangebote, zum Beispiel bei der geplanten globalen Mindeststeuer. (Sie stellt ab 2024 sicher, dass bei internationalen Konzernen mit einem Umsatz von mehr als 750 Millionen Euro sämtliche Gewinne mit 15 Prozent besteuert werden, egal, wo
sie entstehen.) Unsere Leute können sich auf Themen fokussieren, die Menschen besser können als Algorithmen, also wenn Sachverhalte unklar oder ungewiss oder professionelle Erfahrung und Einschätzung erforderlich sind.
  

Ihr Unternehmen begleitet pro Jahr rund 350 Übernahmen oder Zukäufe. Werden wir künftig mehr Firmenverkäufe sehen?

Ja, dieses Geschäftsfeld wird weiter wachsen. In den nächsten zehn Jahren werden viele Familienunternehmen verkauft.
  

Weil der Standort Deutschland so schlecht ist?

Die Lage ist angespannt, aber: Es ist heute gesellschaftlich akzeptierter, wenn man sein Unternehmen verkauft. Wir sehen bereits heute eine viel höhere Bereitschaft, sich mit dem Thema Unternehmensverkauf auseinanderzusetzen.
  

Tut sich bereits etwas bei den Familienunternehmen, oder sind die noch in der Findungsphase?

Das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen ist gerade sehr rege. Wenn man die Klagen vieler Unternehmer hört, könnte man den Eindruck gewinnen, allen Unternehmen ginge es schlecht.
  

Was so pauschal nicht stimmt.

Genau, es gibt sehr viele gut geführte Unternehmen, die global erfolgreich sind, anorganisch und organisch wachsen und andere Unternehmen, auch Familienunternehmen, übernehmen.
  

Was könnte man als Erstes anpacken, um eine Aufbruchstimmung in Deutschland zu erzeugen?

Zunächst: Deutschland ist nach wie vor äußerst interessant für ausländische Investoren, auch aus den USA und Japan. Und: Es ist nicht so schwierig, Deutschland wieder erfolgreich zu machen.
  

Welches Rezept haben Sie?

Wir brauchen einen Wechsel in der Politikstrategie.
  

Fordern Sie Neuwahlen?

Nein, aber die Politik kann nicht so weitergehen. Die Substanz und auch das Zukunftspotenzial deutscher Unternehmen und der deutschen Gesellschaft sind vorhanden, aber die aktuelle Bundesregierung und Brüssel verschärfen die Rahmenbedingungen in einer schwierigen Situation.
  

Was meinen Sie damit?

Viele tragen noch an den Folgen der Pandemie, China als einer der Hauptexportmärkte schwächelt, die Energie ist plötzlich teuer, und das Zinsparadies besteht nicht mehr.
  

Aber dafür kann die aktuelle Bundesregierung nichts.

Das stimmt, aber sie muss deshalb zu Hause ihre Hausaufgaben machen: Bürokratie abbauen und die Steuern reformieren, das wäre für eine Aufbruchstimmung wichtig.
  

Haben Sie noch originellere Vorschläge?

Deutschland müsste sich mal Gedanken zu seiner Arbeitgebermarke machen, um attraktiver zu sein für ausländische Führungskräfte. Es fehlt der Mut, gezielte Einwanderungspolitik zu betreiben, und unser Sozialsystem setzt falsche Anreize. Warum gelingt es Polen und Niederländern viel besser, die geflüchteten Ukrainer in ihre Arbeitsmärkte zu integrieren? In Polen arbeiten bereits 65 Prozent der Ukrainer, in den Niederlanden mehr als 50 Prozent und hier nur 20 Prozent. Wir brauchen nicht nur eine Zeitenwende in der Verteidigungspolitik, wir brauchen eine Zeitenwende auch in der Wirtschaftspolitik.
  

Wo sollte die Bundesregierung denn ansetzen?

Die SPD darf nicht nur den Sozialstaat ausbauen; den Grünen würde ich empfehlen, ihre Wirtschaftskompetenz und Technologieoffenheit auszubauen. Wir können nicht durch ideologisch motivierte Regulierung und Subventionen alle Probleme lösen, das Gegenteil ist der Fall: Unternehmen und deren Leistungsträger werden sonst erstickt. Stattdessen müssen Berlin und Brüssel den ja vorhandenen Unternehmergeist entfesseln. Wir brauchen definitiv Aufbruchstimmung.
  

Herr Rödl, vielen Dank für das Interview.​

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